Valchars/BauböckMigration & Staatsbürgerschaft

Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2021, 247 Seiten, broschiert, € 19,–

FRANJOMARKOVIC (WIEN)

Migration hat in ganz Europa seit der letzten Jahrhundertwende dramatisch an medialer Aufmerksamkeit gewonnen und ist in den Fokus politischer Auseinandersetzungen gerückt. Parallel fand auch die Migrationsforschung zunehmend im Mainstream der akademischen Fachwissenschaften Beachtung. Die öffentliche Sichtbarkeit dieser Forschung ist in Österreich jedoch noch immer relativ gering.

Um dieses Defizit zu überwinden und das Thema Migration aus unterschiedlichen akademischen Perspektiven einem breiteren Publikum näher zu bringen, startete die Kommission für Migrations- und Integrationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften im September 2021 eine neue Reihe mit dem Titel „Migration & Staatsbürgerschaft“, die von Wiebke Sievers und Rainer Bauböck herausgegeben wird. Die Bände verknüpfen das Thema Migration mit je einem gesellschaftlichen, politischen oder kulturellen Bereich, der durch Migration einem starken Wandel ausgesetzt ist und in der breiteren Öffentlichkeit häufig mit Migration assoziiert wird.

Als erstes Werk entstand „Migration und Staatsbürgerschaft“. Die beiden Autoren Gerd Valchars und Rainer Bauböck sind dem Fachpublikum als ausgewiesene Experten auf dem Gebiert der Migrationsforschung bestens bekannt.

Im ersten Kapitel gehen die Autoren der Frage nach, welche Bedeutung die Staatsbürgerschaft in einer Demokratie hat und steigen damit sofort in eine sehr emotional diskutierte Thematik ein. Hohe Wellen hat das Thema geschlagen, als die Arbeiterkammer Wien für ihre Mitglieder im Mai diesen Jahres ein gerechtes Staatsbürgerschaftsrecht gefordert hat. Dieser Forderung haben sich viele Expert:innen, NGOs und Politiker:innen, bis hin zum österreichischen Bundespräsidenten angeschlossen. Von der regierenden Volkspartei kam prompt eine Absage. Nach Ansicht der ÖVP sei die Staatsbürgerschaft „ein hohes Gut, das man sich verdienen muss“.

Wer die Staatsbürgerschaft verdient, ist eine höchstpolitische Frage, die uns in Zukunft weiter beschäftigen wird. Denn: Der Anteil der nicht-wahlberechtigten Wohnbevölkerung steigt stetig weiter. Vor diesem Hintergrund wird die Frage nach der Legitimation von demokratischen Wahlen immer lauter gestellt.

In den nächsten beiden Kapiteln widmen sich die Autoren rechtlichen Fragen. Erörtert werden die rechtlichen Rahmenbedingungen zum Erwerb sowie zum Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft. Politisch umkämpft und starker Kritik ausgesetzt sind die restriktiven österreichischen Einbürgerungsvoraussetzungen. Im aktuellen Migrant Integration Policy Index-(MIPEX-)Ranking belegen wir im internationalen Vergleich Platz 54 von 56, knapp vor den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien. Der MIPEX vergleicht die Integrationsbedingungen verschiedener Staaten. Die Einbürgerungsquote ist auf einem historischen Tiefststand: Nur noch 6 von 1.000 Menschen werden eingebürgert.

Die Autoren zeigen eine lange Liste von Reformoptionen auf, denen inhaltlich jedenfalls gefolgt werden kann. Aus meiner Sicht besteht insb in folgenden Punkten dringender Änderungsbedarf:

  • Zu hohe Einkommenshürden: Zu viele Menschen können sich die Staatsbürgerschaft nicht leisten, weil sie niemals das Einkommen erreichen, das vom Gesetz verlangt wird.

  • Senkung und Vereinheitlichung der Bundesund Landesgebühren: Die Verleihung der Staatsbürgerschaft kostet schnell einige tausend Euro. Diese hohen Gebühren schließen wiederum Menschen vom Erwerb ab, weil sie diese Kosten nicht tragen können.

  • Senkung der erforderlichen Aufenthaltsdauer: Mit zehn Jahren erforderlicher Aufenthaltsdauer ist Österreich im europäischen Vergleich Schlusslicht. Die Unterscheidung zwischen EU-Bürger:innen und Drittstaatsangehörigen ist sachlich nicht nachvollziehbar. Nach fünf Jahren Aufenthalt muss es für alle Menschen die Möglichkeit geben, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erwerben.

  • Staatsbürgerschaft für die zweite Generation („ius soli“-Elemente): 20 % der im Inland geborenen Kinder haben nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Der europäischen Richtung folgend sollen Kinder, deren Eltern sich zumindest fünf Jahre rechtmäßig in Österreich aufhalten, die Staatsbürgerschaft bei der Geburt bekommen. Dasselbe muss für Kinder, die ihre Schulpflicht hier absolviert haben, gelten.

  • Doppelstaatsbürgerschaften zulassen: Drei Viertel der Staaten weltweit ermöglichen den Besitz mehrerer Staatsbürgerschaften. Österreich muss endlich anerkennen, dass die Menschen mobiler und internationaler geworden sind und nicht nur ein Land ihre Heimat nennen.

Passend dazu fragen die Autoren im nächsten Kapitel, ob wir Diener zweier Herren sein können. Die österreichische Regierung behauptet zwar gegen Doppel- und Mehrstaatsbürgerschaften zu sein, doch bietet das Staatsbürgerschaftsgesetz bereits jetzt einige Konstellationen zum Erwerb von mehreren Staatsbürgerschaften. Es ist davon auszugehen, dass hunderttausende Menschen mehr als nur die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Auf Grund der vorherrschenden Intransparenz auf diesem Gebiet ist es jedoch 620nicht möglich, valide Daten zu bekommen. Offizielle Statistiken werden nur zu Einbürgerungen geführt.

In der politischen Auseinandersetzung geht es zu oft um Immigrant:innen, die zu uns kommen. Viel zu wenig beleuchtet ist die Interessenlage von Emigrant:innen. Ausgewanderte Österreicher:innen haben ein starkes Interesse, die österreichische Staatsbürgerschaft zu behalten, wenn sie eine andere annehmen. Die aktuelle Gesetzeslage macht es ihnen aber fast unmöglich, eine andere Staatsbürgerschaft anzunehmen.

Um die Frage nach den zwei Herren beantworten zu können, müssen wir uns von einem autoritären, konservativen Demokratieverständnis verabschieden. Demokratie ist die Herrschaft des Volkes, wir dienen nicht, wir sind die Herrinnen und Herren.

Eng verbunden mit der Staatsbürgerschaft ist das Recht zu wählen. Ein kommunales Wahlrecht haben Unionsbürger:innen, wobei sich die Wahlbeteiligung in Grenzen hält. Drittstaatsangehörige haben grundsätzlich kein Wahlrecht in Österreich. Eine Ausnahme bilden die Wahlen der Arbeiterkammer und der Österreichischen Hochschüler:innenschaft. Anfang der 2000er-Jahre hat Wien das Wahlrecht von der Staatsbürgerschaft entkoppelt und ein „Ausländerwahlrecht“ eingeführt. Auf Antrag der ÖVP und FPÖ hat der VfGH dieses Gesetz mit der Begründung, nur das österreichische Volk sei wahlberechtigt, als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Autoren weisen zu Recht darauf hin, dass ein Wahlrecht für Nicht-Staatsangehörige politisch wenig Aussicht auf Erfolg hat. Reformbestrebungen sollten sich daher auf die Verbesserung des Einbürgerungsrechts konzentrieren.

Schließlich bietet das Buch einen spannenden internationalen Vergleich iZm Staatsbürgerschaft und Wahlrecht für Migrant:innen. Wenig überraschend schneiden wir in diesem Vergleich sehr schlecht ab.

Sowohl für das Fachpublikum als auch für interessierte Leser:innen bietet diese Monographie einen umfassenden Überblick über den aktuellen Diskussionsstand zu rechtlichen und politischen Fragestellungen zu Staatsbürgerschaft und Demokratie. Positiv hervorzuheben ist, dass sich die Autoren zu jedem Kapitel praktikable Lösungsvorschläge überlegt haben – eine Anleitung für die nächste Bundesregierung.

1,5 Millionen der österreichischen Wohnbevölkerung haben kein Wahlrecht; das sind fast 18 %. Dieser Wert wird weiter steigen und stellt bereits jetzt eine Gefahr für unsere Demokratie dar. Eine Trendumkehr ist nur mit einer Reform des Staatsbürgerschaftsrechts möglich. Es bleibt zu hoffen, dass die nächsten Nationalratswahlen neue politische Kräfteverhältnisse ermöglichen, damit dieses dringende Problem angegangen werden kann.