Filipič/Schönauer (Hrsg)Ein Jahr Corona: Ausblick Zukunft der Arbeit

Verlag des ÖGB, AK (Hrsg)/Forba-Verlag (Hrsg), Wien 2021, 96 Seiten, kostenloses E-Book

SOPHIESCHWERTNER (WIEN)

Bei dem zu rezensierenden Werk handelt es sich um den 23. Band der Schriftenreihe „Sozialpolitik in Diskussion“, welche auf einer Kooperation der Arbeiterkammer Wien mit dem Forschungsnetzwerk universitäre und außeruniversitäre Sozialforschung (SOZNET) beruht. Die Publikation steht auf der Website der AK Wien zum kostenlosen Download als E-Book zur Verfügung (https://wien.arbeiterkammer.at/service/studienundzeitschriten/zeitschriften/Sozialpolitik_in_Diskussion.htmlhttps://wien.arbeiterkammer.at/service/studienundzeitschriten/zeitschriften/Sozialpolitik_in_Diskussion.html)

Der Sammelband umfasst neun Beiträge, welche sich mit Fragen der Zukunft des Arbeitens und den Auswirkungen der Pandemie auf die Arbeitswelt aus soziologischer, volkswirtschaftlicher und politikwissenschaftlicher Sicht befassen und sich dabei unterschiedlicher methodischer Zugänge bedienen. Wenngleich der rote Faden, der sich durch sämtliche Texte zieht, in der Auseinandersetzung mit Ungleichheitsdynamiken zu finden ist, wird inhaltlich ein weiter Bogen gespannt. So widmen sich Agnes Fessler/Hajo Holst/Steffen Niehof zunächst anhand von in Deutschland durchgeführten 622 Untersuchungen den Arbeitserfahrungen verschiedener Erwerbsklassen in der Pandemie. Sie führen der*m Leser*in eindrücklich vor Augen, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronakrise eng mit den schon zuvor existenten Vulnerabilitäten und Abhängigkeiten zusammenhängen. Die Annahme, die Pandemie betreffe alle gleichermaßen, kann sohin schon nach Lektüre dieses ersten Beitrags nicht aufrechterhalten werden. Der Politikwissenschaftler Lukas Schlögl befasst sich aus globaler Perspektive mit den Auswirkungen der Corona-Krise auf die Struktur der Arbeit, neue Beschäftigungsformen und Arbeitstechnologien. Zentrale Erkenntnisse sind, dass die Pandemie eine weltweite Krise der Erwerbsarbeit ausgelöst, zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt und vor allem in Ländern des globalen Südens ökonomische Ungleichheiten verstärkt hat. Die Historikerin Andrea Komlosy sieht die Covid-19-Krise indes als beschleunigendes Moment für den bevorstehenden Umbau kapitalistischer Wirtschaftssysteme. Die soziale Polarisierung der Erwerbsgesellschaft werde sich verschärfen, die Pandemie und ihre Folgen könnten aber auch eine Gelegenheit zur Erneuerung bestehender Strukturen bieten.

Bei am Arbeits- und Sozialrecht interessierten Leser*innen besonderes Interesse wecken wird der Beitrag von Judith Derndorfer/Johanna Hofbauer, der sich der Verbreitung neuer atypischer Beschäftigungsformen in Österreich widmet. Die Autorinnen werten den österreichischen Mikrozensus aus, wobei sich zeigt, dass die Datenlage zu neuen und atypischen Formen der Beschäftigung zu wünschen übrig lässt. Viele relevante Ausprägungen dieser lassen sich nicht erfassen, da es herkömmlichen Arbeitskräfteerhebungen an aussagekräftigen Kriterien mangelt. Derndorfer/Hofbauer ist in ihrer Forderung nach zusätzlichen empirischen Erhebungen beizupflichten, da die Entwicklung effektiver sozial- bzw wohlfahrtsstaatlicher Absicherungsmechanismen oftmals einer soliden Datenbasis bedarf. Die Autorinnen identifizieren und analysieren ferner mit atypischer Beschäftigung oftmals verbundene Problembereiche. Handlungsbedarf bestehe insb im Bereich der sozialen Absicherung im Krankheitsfall oder bei Verdienstentgang sowie im Fall von Arbeitslosigkeit. Problematisch sei darüber hinaus die unzureichende Interessenvertretung; viele Solo-Selbständige würden sich von der Wirtschaftskammer nicht angemessen vertreten fühlen. Hinzuweisen ist hier jedoch darauf, dass es zunehmend auch Gewerkschaftsinitiativen gibt, die sich der Vertretung formal Selbständiger annehmen (bspw „Flexpower-Beratungen“, Initiative „Riders Collective“, „Vidaflex“ für EPUs).

Umbrüche in der Arbeitswelt erfordern oftmals auch neue Kompetenzen und Fertigkeiten. Der Beitrag der Soziologin Claudia Smonik geht idS der Frage nach, welche Anforderungen die Digitalisierung der Arbeitswelt an Arbeitskräfte stellt. Neben digitalen und analytischen Kompetenzen werden, so der Befund der Autorin, zunehmend auch Soft Skills, wie emotionale, soziale und kulturelle Kompetenzen, kritisches Denken, Agilität und Resilienz an Bedeutung gewinnen. Ebenfalls mit den durch die Technologisierung bewirkten Veränderungen in der Arbeitswelt befasst sich Miriam Fahimi, deren Text zeigt, dass diese bereits sensible Bereiche wie die Unterstützung und Betreuung kranker oder beeinträchtigter Menschen erreicht haben.

Während im asiatischen Raum technische Lösungen zur Pflegeunterstützung schon seit Längerem eingesetzt werden, legen die von der Autorin ausgewerteten Interviews nahe, dass Pflegekräfte hierzulande die Verdrängung von Beziehungsarbeit, Emotionalität und menschlicher Zuwendung befürchten. Zur Verallgemeinerungsfähigkeit dieser Auswertung sei jedoch angemerkt, dass lediglich acht Interviews geführt wurden.

Weitere Beiträge greifen unmittelbar Fragen iZm Geschlechterungleichheiten auf. Während Franziska Foissner/Vera Glassner/Simon Theurl sich mit den geschlechtsspezifischen Folgen der pandemiebedingten Arbeitsmarktkrise befassen, wirft Christian Berger einen feministisch-politökonomischen Blick auf das Verhältnis und die historische Entwicklung von wirtschaftlicher Produktion und sozialer Reproduktion. Geschlechterspezifische Ungleichheiten decken auch Julia Bock-Schappelwein/Ulrike Famira-Mühlberger auf, die sich mit den Folgen Covid-19-bedingter Schulschließungen befassen. Sie arbeiten heraus, dass nachteilige Folgen (teil)geschlossener Schulen zwar jüngere Kinder aus sozial benachteiligten Haushalten sowie lernschwache Schüler*innen besonders treffen, mittelbar ergeben sich negative Effekte aber auch in Hinblick auf Lohnungleichheiten zwischen Männern und Frauen. So habe etwa die ungleiche Verteilung unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern weiter zulasten der Frauen zugenommen.

Insgesamt gibt die Publikation einen anschaulichen Überblick und kritische erste Einschätzungen zu den Auswirkungen der Pandemieerfahrungen auf die Zukunft der Arbeitswelt. Die einzelnen Beiträge unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich des methodischen Zugangs und in ihrer Länge, sondern auch in ihrer inhaltlichen Tiefe. Einige Texte reißen zwar brisante Themen an, bieten dann jedoch bedauerlicherweise wenig inhaltliches Substrat. Nichtsdestotrotz ermöglicht das Werk wertvolle empirische Einblicke und ist es den Autor:innen gelungen, soziale und gesellschaftliche Herausforderungen aufzuzeigen, zu kontextualisieren und Lösungsansätze zur Diskussion zu stellen, die zum Nachdenken und Hinterfragen anregen. Alles in allem kann der schlanke Sammelband als Basis für eine tiefgehende Auseinandersetzung mit den behandelten Problemstellungen empfohlen werden; ausführliche und tiefschürfende Analysen wird man jedoch vergeblich suchen.