50Kündigungsfristen im Hotel- und Gastgewerbe (Arbeiter-KollV): Überwiegen von Saisonbetrieben nicht feststellbar
Kündigungsfristen im Hotel- und Gastgewerbe (Arbeiter-KollV): Überwiegen von Saisonbetrieben nicht feststellbar
Wenn der Gesetzgeber die Regelungsbefugnis „für Branchen“ den Kollektivvertragsparteien überlässt, dann kann die Ermächtigung zu einer von § 1159 ABGB abweichenden Regelung für eine Branche, in der Saisonbetriebe überwiegen, grundsätzlich nach dem fachlichen Geltungsbereich eines KollVbestimmt werden. Es ist kein hinlänglicher Grund dafür erkennbar, warum eine bereits vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes geschaffene kollektivvertragliche Regelung nach Inkrafttreten des Gesetzes nicht weiter Bestand haben sollte, sofern und soweit mit ihr die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt werden.
Für das Überwiegen kommt es auf die Anzahl der Saisonbetriebe in Relation zur Gesamtanzahl der Betriebe einer Branche an. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit und Praktikabilität ist nicht starr und punktuell auf bestimmte Prozentsätze zu den Beschäftigungsschwankungen abzustellen.
Mit dem dargelegten Datenmaterial für die Branche Hotellerie und Gastgewerbe ist in einer Gesamtbetrachtung [unter Berücksichtigung der Gesamtzahlen laut Homepage der WKO] insgesamt kein Überwiegen von Saisonbetrieben iSd § 1159 ABGB erwiesen. Der dargelegte Sachverhalt lässt sohin zusammenfassend noch nicht den Schluss zu, dass in der vom bundesweiten Geltungsbereich des vorliegenden KollV erfassten Branche des Hotelund Gastgewerbes Saisonbetriebe überwiegen und somit die tatbestandlichen Voraussetzungen für die kollektivvertragliche Ermächtigung erfüllt wären.
Der Antrag [...] wird abgewiesen.
[1] Die Antragsteller [1. Fachverband Hotellerie und 2. Fachverband Gastronomie der WKÖ; Anm] bringen zusammengefasst vor, aufgrund von BGBl I 2017/153 und BGBl 2021/121BGBl 2021/121 sei ab dem 1.10.2021 eine Änderung des § 1159 ABGB zur Angleichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten in Kraft, wonach der DG das Dienstverhältnis zum Quartal mit einer Kündigungsfrist von sechs Wochen kündigen könne, mit steigender Dienstzeit verlängere sich die Frist. [...] Die Antragsteller hätten mit dem Antragsgegner am 26.4.2019 den mit 1.5.2019 in Kraft getretenen KollV für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe (idF: KollV) abgeschlossen, der 14-tägige Kündigungsfristen ohne Beschränkung auf bestimmte Kündigungstermine enthalte. Dies sei auch nach Inkrafttreten des § 1159 ABGB idF der Novelle BGBl I 2017/153eine zulässige Abweichung von den geänderten gesetzlichen Kündigungsmodalitäten. [...]
[3] Die Mehrzahl der von dem Erstantragsteller vertretenen und vom KollV erfassten Betriebe würde daher ihrer Art nach nur zu bestimmten Jahreszeiten arbeiten bzw regelmäßig zu bestimmten Zeiten des Jahres erheblich verstärkt arbeiten. [...]
[7] Die Antragsgegnerin [ÖGB] beantragte die Abweisung des Antrags, dies zusammengefasst mit der Begründung, der behauptete Sachverhalt sei unrichtig, weil in der Branche des Hotelund Gastgewerbes Saisonbetriebe iSd § 53 Abs 6 ArbVG nicht überwiegen würden. Die Daten der Antragsteller ergäben keine entsprechenden witterungsabhängigen Schwankungen. Es sei keine (aggregierte) Darstellung der gesamten Branche, sondern nur der beiden Teilbereiche Gastronomie und Beherbergung vorgelegt worden. Die Kollektivvertragsparteien hätten dazu auch keine Festlegung als Saisonbranche getroffen.
[8] § 1159 Abs 2 ABGB bedeute, dass sämtliche alten kollektivvertraglichen Bestimmungen, die nicht auf den Ausnahmetatbestand des § 1159 Abs 2 ABGB idF BGBl I 2017/153Bezug nehmen oder nach dessen Inkrafttreten vereinbart worden seien, gesetzwidrig seien. Hätten die in den ArbeiterInnen-Kollektivverträgen enthaltenen Kündigungsfristen weitergelten sollen, wäre das Hinaus schieben des Geltungsbeginns um drei Jahre nicht erforderlich gewesen. Die Weitergeltung kollektivvertraglicher Regelungen trotz neuer Gesetzesbestimmungen werde sonst auch ausdrücklich normiert. Dem Gesetzgeber könne nicht die Schaffung von Kündigungsregeln unterstellt werden, die von sämtlichen bestehenden Kollektivverträgen ausgehebelt würden und damit kaum einen Anwendungsbereich hätten. [...]
[10] 2. Gem § 54 Abs 4 ASGG hat der OGH über den Feststellungsantrag auf der Grundlage des darin angegebenen Sachverhalts zu entscheiden.[...]
[12] 3. [...] Ein Feststellungsantrag gem § 54 Abs 2 ASGG muss einen Sachverhalt enthalten, der ein Feststellungsinteresse begründet. Die Formulierung der Bestimmung deckt sich mit jener des § 228 ZPO. [...] Ein rechtliches Interesse ist nicht anzunehmen, wenn in Wahrheit nicht die Rechtslage, sondern nur der Sachverhalt strittig ist (vgl RS0109383 [T5]).
[Zur Weitergeltung bestehender einschlägiger Kollektivvertragsregelungen]
[19] 4.4. Die ursprünglich angestrebte Harmonisierung der Kündigungsfristen und -termine von Arbeitern und Angestellten ist nach dem gesetzlichen Modell daher nicht durchgehend verwirklicht, sondern ermöglicht nach Maßgabe des § 1159 ABGB kollektivvertragliche Abweichungen vom gesetzlichen Regelmodell, die für „Branchen, in denen Saisonbetriebe iSd § 53 Abs 6 ArbVG überwiegen“
, auch kürzere Kündigungsfristen enthalten können (vgl auch § 10 Abs 5 AÜG).
[20] 5. Die Weitergeltung der kollektivvertraglichen Regelung erfordert zunächst die Prüfung, ob sie durch die Neufassung des § 1159 ABGB als solche überholt wurde. Das ist nicht der Fall. [21] 5.1. § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB eröffnet Kollektivvertragspartnern die Möglichkeit, für Branchen, in denen Saisonbetriebe überwiegen („Saisonbranchen“), durch Kollektivvertrag abweichende Regelungen festzulegen. Eine Vorgabe, ob diese Festlegung schon vor 578 oder erst nach Inkrafttreten der Bestimmung erfolgen kann, ist weder in § 1159 ABGB noch in einem Übergangsregime enthalten. Bedenkt man, dass eine solche kollektivvertragliche Regelung sowohl vor (Nachgiebigkeit des § 77 GewO 1859) als auch nach dem Inkrafttreten des § 1159 ABGB idgF zulässigerweise vereinbart werden konnte und kann, spricht dies zunächst dafür, dass es dem Gesetzgeber nur darauf ankam, die Festlegung von Kündigungsfristen für ArbeiterInnen in Saisonbranchen auch im Rahmen der Neuregelung weiterhin den typischerweise „branchennäheren“ Kollektivvertragsparteien zu überlassen und einen Zustand zu ermöglichen, in dem die Kündigungsfris ten durch die Kollektivvertragsparteien festgelegt sind. Dieses Verständnis geht auch aus den Materialien hervor, die im zitierten Abänderungsantrag festhalten (AA 243 25. GP S 4): „Eine Fortführung der Branchenlösung für Saisonbetriebe über den [damals noch:] 1.1.2021 ist damit möglich.“
[22] 5.2. Die Verlängerung der Legisvakanz steht dem nicht entgegen. Dass sie nach dem Abänderungsantrag ermöglichen sollte, sich auf verlängerte Kündigungsfristen einzustellen, weist nicht ausreichend auf die Notwendigkeit eines aktiven Tuns der Kollektivvertragspartner iSd Abschlusses einer Neuvereinbarung hin (so aber Kessler, ArbeitgeberInnenkündigungen ab 1.1.2021, DRdA-infas 2020, 368), weil die Evaluierung der kollektivvertraglichen Regelung keinen Anpassungsbedarf ergeben muss. Dass es dem Gesetzgeber um die Möglichkeit zu Anpassungen ging, spricht vielmehr dafür, dass Vorkehrungen der Kollektivvertragspartner im Hinblick auf die bekannte künftige Neuregelung, sohin vor ihrem Inkrafttreten ermöglicht werden sollten. Ob Kollektivvertragsparteien dabei, wie hier, in der Legisvakanz – und sohin in anzunehmender Kenntnis der gesetzlichen Neuregelung – eine von § 1159 ABGB abweichende Regelung trafen oder eine bestehende Regelung auch nur weiter aufrecht hielten, kann keinen Unterschied machen. Dass dabei auch ausdrücklich auf § 1159 ABGB Bezug genommen werden müsste, entspricht keiner gesetzlichen Vorgabe.
[23] 5.3. Dass in anderen Fällen ausdrücklich gesetzliche Regelungen über die Weitergeltung bestehender Kollektivvertragsnormen getroffen worden sein mögen, erlaubt noch keinen Umkehrschluss auf einen nun davon abweichenden gesetzgeberischen Willen (vgl schon 9 ObA 17/13k zu einer insofern vergleichbaren Konstellation [Mehrarbeitsstundenzuschläge nach § 19d Abs 3 f AZG: Möglichkeit der kollektivvertraglichen Abweichung]). Umgekehrt hätte eine Auslegung dahin, dass mit § 1159 ABGB idgF abweichende kollektivvertragliche Vereinbarungen nur bei Neuabschluss zulässig wären, aber zur Folge, dass Altvereinbarungen zum 1.10.2021 ungültig würden und (gegebenenfalls inhaltlich gleichlautend) neu abzuschließen wären. Ein Sachgrund dafür ist nicht ersichtlich.
[24] 5.4. Das Argument der Antragsgegnerin [ÖGB], dass dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden könne, eine Kündigungsregel zu schaffen, die [...] von sämtlichen bestehenden Kollektivverträgen ausgehebelt würde und damit kaum einen Anwendungsbereich habe, überzeugt dagegen nicht, weil die gesetzliche Ermächtigung zu einer abweichenden kollektivvertraglichen Regel nun nur mehr so weit reicht, als es um Branchen, in denen Saisonbetriebe iSd § 53 Abs 6 ArbVG überwiegen, geht. Da allen anderen Branchen, dh jenen, in denen Saisonbetriebe iSd § 53 Abs 6 ArbVG nicht überwiegen, mit der Neuregelung die Grundlage zur kollektivvertraglichen Regelungsbefugnis entzogen wurde, trifft es nicht zu, dass der Regelung kein Anwendungsbereich verbliebe oder keine Wirkung zukäme.
6.1. Hotel- und Gastgewerbe als Branche
[27] 6.1.1. Der Begriff der Branche ist gesetzlich und in den Erläuterungen des Gesetzgebers nicht definiert. Er bedarf daher einer am Wortlaut, dem normativen Zusammenhang und dem Regelungszweck der Bestimmung zu messenden Auslegung.
[28] 6.1.2. [...] Er bezieht sich nach allgemeinem Verständnis auf die Gesamtheit von Unternehmen, die sich durch ähnliche Produkte, Dienstleistungen oder einen gemeinsamen Tätigkeitsbereich auszeichnen und deshalb als ein Wirtschaftszweig (Erwerbs-, Geschäftszweig) angesehen werden können. [...]
[29] 6.1.3. Überlässt der Gesetzgeber die Regelungsbefugnis „für Branchen“ den Kollektivvertragsparteien, liegt es in seinem Verständnis, dass die Kollektivvertragsparteien für diesen Bereich fachlich regelungsermächtigt sein müssen. [...] Den Branchenbegriff grundsätzlich am fachlichen Geltungsbereich von Kollektivverträgen zu orientieren, entspricht auch der grundlegenden Aufgabe von Kollektivverträgen, in Durchschnittsbetrachtung nach Maßgabe gleichartiger Verhältnisse und einheitlicher Regelungsbedürfnisse innerhalb eines bestimmten fachlichen Bereichs des Wirtschaftslebens auch gleiche Arbeitsbedingungen zu schaffen. [...]
[31] 6.1.5. Bestehen dafür aber keine Anhaltspunkte und liegen auch sonst keine Gründe vor, die offenkundig für eine sachwidrige Abgrenzung sprechen, kann die Ermächtigung der Kollektivvertragspartner zu einer von § 1159 ABGB abweichenden Regelung für eine Branche, in der Saisonbetriebe überwiegen, grundsätzlich nach dem fachlichen Geltungsbereich eines KollV bestimmt werden. [...]
[32] 6.1.6. Eine Anknüpfung an die Wirtschaftsabteilungen der ÖNACE-Klassifikation erscheint dagegen nicht zielführend. Wenngleich sie eine gewisse Orientierung bieten, könnten im Hinblick auf den Geltungsbereich von Kollektivverträgen neue Abgrenzungsfragen entstehen (zB Trennung von Gewerbe und Industrie). Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber von diesem spezifischen Verständnis ausgehen wollte. [...]
6.2. Überwiegen von Saisonbetrieben
[34] 6.2.1. Die gesetzliche Regelungsermächtigung gilt überdies nur, wenn in der Branche Saisonbetriebe überwiegen. Ist dies der Fall, werden auch Betriebe der Branche, die keine Saisonbetriebe sind, von der Regelungsbefugnis der Kollektivvertragspartner umfasst. Der Gesetzgeber hat sohin eine generalisierende Betrachtung gewählt. [...]
[36] 6.2.3. Da auch für das Überwiegen von Saisonbetrieben in einer Branche keine gesetzlichen 579 Vorgaben bestehen, ist mangels anderer Anhaltspunkte nach der allgemeinen Bedeutung des Wortes „Überwiegen“ auf ein quantitatives Überwiegen abzustellen. [...] Ein Abstellen auf Marktanteile, Umsatz oder die Anzahl der Saisonarbeiter iS eines „qualitativen“ Überwiegens ist danach nicht angezeigt. Dagegen spricht auch die erhöhte Rechtsunsicherheit für die Gesetzesanwendung, die zu den zahlreichen auslegungsbedürftigen Begriffen noch hinzukäme, weil die Geltung einer kollektivvertraglichen Abweichung vom gesetzlichen Regelmodell auch noch der Erhebung des entsprechenden Datenmaterials (und gegebenenfalls dessen Überprüfbarkeit durch die Normadressaten) bedürfte. [...] Für das Überwiegen kommt es sohin auf die Anzahl der Saisonbetriebe in Relation zur Gesamtanzahl der Betriebe einer Branche an.
6.3. Saisonbetriebe
[38] Für „Saisonbetriebe“ verweist § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB auf § 53 ArbVG.
[39] 6.3.1. Der Auslegung dieses Begriffs ist voranzustellen, dass der Normzweck des § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB darin liegt, in „Saisonbranchen“ durch die kürzeren kollektivvertraglichen Kündigungsfristen eine relativ kurzfristige Anpassung des Personalstands zu ermöglichen, wenn und weil (insb witterungsbedingt) branchenspezifisch keine exakt voraussehbare Personalplanung möglich ist und insb auch Befristungsvereinbarungen nicht in jedem Fall dafür ausreichen [...]. Das gilt nicht auch für § 53 Abs 6 ArbVG, weil diese Bestimmung Saisonbetriebe im Hinblick auf die Wählbarkeit von AN zum BR, die noch nicht sechs Monate im Betrieb oder Unternehmen beschäftigt sind, definiert. Da der Gesetzgeber aber klar auf diese Bestimmung verweist, kann der Normzweck des § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB gerade nicht für das Verständnis von „Saisonbetrieben“ herangezogen werden. Es ist jenes Verständnis maßgeblich, das durch die Definition in § 53 Abs 6 ArbVG zum Ausdruck kommt. [...]
[41] 6.3.3. [...] Wie zu 9 ObA 89/02g festgehalten wurde, geht es hier nicht etwa um eine Abwälzung des typischen Betriebsrisikos der Ungewissheit über den Stand der Aufträge und auch nicht um im Belieben der Geschäftsführung gelegene Entscheidungen, sondern darum, dass die Eigenart des Betriebs während einer bestimmten Jahreszeit die Beschäftigung des AN nicht ermöglicht, die Beendigung des Dienstverhältnisses also einem dringenden Bedürfnis der betrieblichen Organisation entspringt. [...]
[42] 6.3.4. Tatbestandlich sind aber auch Betriebe, die „regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres erheblich verstärkt arbeiten“, sohin auch ganzjährig geöffnete Betriebe, sofern sie diese Voraussetzungen erfüllen. [...]
[43] 6.3.5. Das Kriterium „regelmäßig zu gewissen Zeiten“ kann als „periodisch wiederkehrend“, und zwar ungefähr zu denselben, wenngleich nicht notwendigerweise datumsmäßig exakt übereinstimmenden Zeiträumen des Jahres wiederkehrend verstanden werden [...].
[44] 6.3.6. Das Kriterium, dass Betriebe regelmäßig zu gewissen Zeiten „erheblich verstärkt“ arbeiten, bringt eine Relation zum Ausdruck: Um von „zu gewissen Zeiten erheblich verstärkter Arbeit“ sprechen zu können, bedarf es einer entsprechenden Steigerung der Arbeit im Verhältnis zur Arbeit zu anderen Zeiten mit einem normalen (geringeren) Arbeitsaufkommen. Die erheblich verstärkte Arbeit darf also nicht den Normalzustand im Jahresbetrieb darstellen, weil eine solche Arbeit schon nach dem Wortsinn nicht nur „in gewissen Zeiten“ und „erheblich verstärkt“ erbracht würde. [...]
[45] 6.3.7. Festzuhalten ist weiter, dass für die „erheblich verstärkte Arbeit“ nicht auf Umsatzsteigerungen, Überstundenleistungen oa, sondern auf einen für gewisse Zeit erforderlichen erhöhten Personalstand abzustellen ist, weil nur dieser sowohl § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB (erhöhte Flexibilität bei Kündigung eines Arbeitsverhältnisses) als auch § 53 Abs 6 ArbVG (Verzicht auf sechsmonatige Beschäftigung für passives Betriebsratswahlrecht) erklärlich macht. [...]
[46] 6.3.8. Hinsichtlich der „Erheblichkeit“ sprechen gute Gründe dafür, in diesem Zusammenhang schon aus Gründen der Rechtssicherheit und Praktikabilität nicht starr und punktuell auf bestimmte Prozentsätze zu den Beschäftigungsschwankungen abzustellen (die kollektivvertragliche Regelungsbefugnis unterläge sonst letztlich unter Umständen jährlichen Schwankungen und müsste datenmäßig auf ihre Voraussetzungen hin überprüft werden). [...]
[47] 7. Das Antragsvorbringen reicht [jedoch] nicht aus, um nach den erörterten Kriterien für die gesamte Branche des Hotel- und Gastgewerbes von einem „Überwiegen der Saisonbetriebe“ ausgehen zu können:
[48] 7.1. Die Antragsteller haben getrennt für den Bereich Beherbergung und den Bereich Gastronomie Zahlenmaterial vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass sie als Maß zur Messung der saisonalen Schwankungen für beide Branchen maximale Abweichungen auf Basis der Beschäftigungsdaten der einzelnen Unternehmen (je über fünf Jahre) errechnet haben. Hinsichtlich dieser Maßzahl (maximale Abweichung) wurde Erheblichkeit bei einem Unterschied zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Beschäftigungsstand eines Jahres von zumindest 33,33 % angenommen. [...]
[49] 7.2. [...] Daraus geht aber nicht verlässlich hervor, dass der Unterschied saisonbedingt entweder auf ein durch die Art des Betriebs bedingtes Arbeiten „nur zu bestimmten Jahreszeiten“
(§ 53 Abs 6 erster Fall ArbVG) oder auf ein „regelmäßig zu bestimmten Zeiten des Jahres erheblich verstärktes“
Arbeiten (§ 53 Abs 6 zweiter Fall ArbVG) zurückzuführen ist, weil sich eine solche Schwankungsbreite ebenso bei ganzjährig geöffneten und ausgelasteten Betrieben, in denen es nur für kurze Zeiten erheblich reduzierte Arbeit gibt, oder bei nur punktuell erheblich erhöhtem Arbeitsbedarf (tageweise Events oder ähnliches) ergibt. Das Abstellen auf den höchsten und niedrigsten Beschäftigtenstand als Spitzenwert lässt sohin weder erkennen, dass der verstärkte Personalbedarf regelmäßig ein gewisses Dauerelement hat (arg: „für gewisse Zeit“), noch, dass die Zeit des nicht verstärkten Personalbedarfs die beschriebene Normalauslastung eines Betriebs darstellt 580 oder sich sonst zumindest über eine bestimmte Zeit erstreckt. Alleine mit dem Wert der sich aus den niedrigsten und höchsten Personalständen ergebenden Schwankungsbreite wird die Arbeit (Personalstand) in den Betrieben hier daher nicht ausreichend als „regelmäßig für einen gewissen Zeitraum“ „erheblich verstärkt“ dargestellt. [...]
[51] Schließlich wird Derartiges auch nicht durch die zitierten Erläuterungen klargestellt, die als Beispiel für Saisonbetriebe an erster Stelle „Tourismusbetriebe“ nennen. Denn zum einen sind „Tourismusbetriebe“ nicht mit Betrieben der Hotellerie und des Gastgewerbes gleichzusetzen (sie können zB auch Betriebe der Freizeitwirtschaft umfassen; andererseits ist zB ein Gaststättenbetrieb nicht unbesehen als Tourismusbetrieb anzusehen). Zum anderen ist zwar bekannt, dass sich im Bereich der Beherbergungsbetriebe insb in Fremdenverkehrsregionen der Sommer- und der Wintertourismus widerspiegelt. Allerdings ist zu bedenken, dass österreichweit gesehen eine Vielzahl von Beherbergungsbetrieben ganzjährig betrieben wird oder nur kurze Zeit geschlossen hat, [...] sodass schon im Bereich der Hotellerie nicht landläufig von einem Überwiegen der Anzahl an Saisonbetrieben ausgegangen werden kann.
[52] [...] Da zahllose Restaurants, Gaststätten, Kaffeehäuser, Wein- oder Bierlokale, Imbissstuben, Betriebskantinen etc unabhängig von den Jahreszeiten betrieben werden und insb außerhalb von Fremdenverkehrsregionen auch noch keine „gewissen Zeiten mit erheblich verstärkter Arbeit“ im dargelegten Sinn erkennen lassen, kann für die Gastronomie umso weniger von einem Überwiegen der Saisonbetriebe ausgegangen werden. Berücksichtigt man überdies, dass der Fachverband der Gastronomie insgesamt rund 60.000 Gastronomiebetriebe vertreten dürfte (https://www.wko.at/branchen/tourismus-freizeitwirtschaft/gastronomie/start.html?shorturl=gastronomieverband.athttps://www.wko.at/branchen/tourismus-freizeitwirtschaft/gastronomie/start.html?shorturl=gastronomieverband.at, Abruf 24.3.2022) und dass sich die hier präsentierten Unternehmenszahlen nur auf Betriebe mit unselbständig Beschäftigten beziehen, hätten Saisonbetriebe mit den dargelegten erhöhten Personalstanderfordernissen noch einen wesentlich geringeren Anteil an der Gastronomie innerhalb der Branche.
[53] Damit ist aber mit dem dargelegten Datenmaterial für die Branche Hotellerie und Gastgewerbe in einer Gesamtbetrachtung insgesamt kein Überwiegen von Saisonbetrieben iSd § 1159 ABGB erwiesen.
[54] 8. Da der von den Antragstellern dargelegte Sachverhalt sohin zusammenfassend noch nicht den Schluss zulässt, dass in der vom bundesweiten Geltungsbereich des vorliegenden KollV erfassten Branche des Hotel- und Gastgewerbes iSd § 1159 ABGB Saisonbetriebe überwiegen und somit die tatbestandlichen Voraussetzungen für die kollektivvertragliche Ermächtigung erfüllt wären, ist ihr Antrag abzuweisen.
Die Gesetzwerdung und legistische Qualität der gegenständlichen Abs 2 und 4 des § 1159 ABGB ist wahrlich kein Ruhmesblatt der österreichischen Legislative. Das zeigt nicht nur die vorliegende E, sondern auch die kurz darauf ergangene und im Ergebnis gleiche (nämlich ebenfalls abweisende!) Revisionsentscheidung über den „Gegenantrag“ einer Fachgewerkschaft des ÖGB (OGH 27.4.2022, 9 ObA 137/21v). Die gesetzliche Regelungsermächtigung der Kollektivvertragsparteien – diese aber unter der zu schwach determinierten Tatbestandsvoraussetzung „Branchen, in denen Saisonbetriebe ... überwiegen“ – erweist sich nun, nach den beiden abgewiesenen Feststellungsanträgen, als kaum praktikabel; Rechtsunsicherheit besteht auf beiden Seiten betroffener Arbeitsverhältnisse. Anders als in zahlreichen EU-Mitgliedstaaten, etwa in Deutschland, wo mit BVerfG-Beschluss vom 30.5.1990 und dessen konsequenter Umsetzung 1993 (§ 622 BGB ua, dt BGBl I 1993/52) gesetzliche Gleichheit bei den Kündigungsfristen hergestellt ist. Angesichts der Unentschlossenheit des Gesetzgebers, die Angleichung der Kündigungsfristen entweder gleich selbst zu regeln oder aber – so wie jüngst im AÜG geschehen (§ 10 Abs 5 AÜG idF BGBl I 2021/132) – die Kollektivvertragsregelungsermächtigung uneingeschränkt festzulegen, kommt einem als gelerntem Österreicher Franz Grillparzer in den Sinn: „Auf halben Wegen und zu halber Tat. Mit halben Mitteln zauderhaft zu streben ....“ (Ein Bruderzwist in Habsburg, 2. Aufzug).
Zur Entstehungsgeschichte, wonach ursprünglich auf eine uneingeschränkte „Harmonisierung und Anpassung“ abgezielt worden war, ist schon vieles gesagt und geschrieben worden. Im parlamentarischen „freien Spiel der Kräfte“, in der Phase der „ExpertInnenregierung“ nach Regierungsauflösung im Frühsommer 2017, war im Herbst darauf ein Initiativantrag – damit ohne Begutachtungsverfahren – ohne Beratung im Sozialausschuss Gesetz geworden (vgl Hruška-Frank/Ettl, DRdA-infas 2017, 397; Gleißner/Köck, ZAS 017, 330; Pöschl/Unterrieder, RdW 2017, 835 f).
Im ersten Teil der E wird die Gesetzwerdung vom Höchstgericht selbst noch einmal konzise zusammengefasst: „Die Bestimmung geht auf einen Initiativantrag zurück, der die per Abänderungsantrag hinzu gekommenen Textpassagen noch nicht enthielt und zu dem Folgendes festgehalten wurde (2306/A 25. GP 8): Im Sinne einer Harmonisierung und Anpassung der Rechte der Angestellten und Arbeiter sieht der Initiativantrag vor, dass die bislang für Arbeiter geltenden Kündigungsbestimmungen des ABGB und der GewO 1859 mit 31. Dezember 2017 außer Kraft treten und mit 1. Jänner 2018 auch für Arbeiter die bislang für Angestellte geltenden Kündigungsbestimmungen des § 20 AngG Anwendung finden sollen [...].“
Infolge eines Abänderungsantrags (AA-243 25. GP) wurden die [...] Textpassagen [„Durch Kollektivvertrag können für Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinne des § 53 Abs. 6 des Arbeitsverfassungsgesetzes,
581BGBl. Nr. 22/1974überwiegen, abweichende Regelungen festgelegt werden.“
] angefügt und das Inkrafttreten (zunächst) auf 1.1.2021 verschoben und dazu festgehalten: „Weiters wird vorgesehen, dass die im Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch [...] vorgenommene Angleichung der Kündigungsfristen der Arbeiter an die der Angestellten nicht bereits mit 1. Jänner 2018, sondern erst mit 1. Jänner 2021 in Kraft treten soll. Diese Legisvakanz ermöglicht Branchen, bei denen derzeit Saisonbetriebe überwiegen, sich auf die verlängerten Kündigungsfristen einzustellen. Unter diese Saisonbetriebe fallen etwa Tourismusbetriebe, Betriebe des Baugewerbes und andere Saisonbetriebe gemäß Arbeitsverfassungsgesetz. Eine Fortführung der Branchenlösung für Saisonbetriebe über den 1.1.2021 ist damit möglich.“
§ 1159 ABGB ist schließlich nach erneuter Verschiebung des Inkrafttretens zum 1.10.2021 in Kraft getreten (§ 1503 Abs 19 ABGB idF BGBl 2021/121). Die Verlängerung der Legisvakanz wurde „in Folge der COVID-19-Krisensituation und der dazu getroffenen gesetzlichen Maßnahmen vorgesehen“
; weitere Erläuterungen dazu erfolgten nicht (1698/A 27. GP 2).
Äußerst klar im Begründungsaufbau hat der OGH hier in Gutachtenform (mit „Überschriften“ versehen, vgl den „mittelbaren Normzweck“ des § 54 Abs 2 ASGG; dazu unten) zum gegenständlichen, für rund 150.000 im Beherbergungs- und Gastronomiebereich beschäftigten Arbeiter*innen relevanten KollV non liquet entschieden – nämlich „nicht festgestellt“. Er setzt sich vor allem mit zwei Rechtsfragen intensiv auseinander, wobei die erste auf rechtswissenschaftlich-methodische Weise gelöst werden konnte, die zweite aber vor allem auf Basis von Wirtschaftsstatistiken mittels Auslegung der Worte „Saisonbranche“
und „erheblich verstärkt“
zu lösen war:
Bleibt der bestehende KollV unberührt oder müsste er mit Wirkung „nach dem 30.9.2021“ mit einer „saisonbedingt“ kürzeren Kündigungsfrist neu abgeschlossen und in Kraft gesetzt werden?
Was sind „Branchen“, und handelt es sich bei Gastronomie und Hotellerie um antragsgemäße Branchen, „die regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres erheblich verstärkt arbeiten“ (dh „Saisonbranchen“)?
Im ersten Begründungsteil setzt sich der OGH mit der Frage auseinander, ob die bestehenden kollektivvertraglich geregelten (kürzeren) Kündigungsfristen unberührt bleiben oder nach Inkrafttreten der neuen Gesetzeslage außer Kraft treten und die Kollektivverträge mit einer „saisonbedingt“ kürzeren Kündigungsfrist neu abgeschlossen werden müssten. Im Ergebnis stellt er dabei fest, dass bestehende kollektivvertragliche Regelungen weiterhin Geltung haben (können) und es keines Neuabschlusses bzw keiner den Status Quo bekräftigenden Kollektivvertragsparteien-Einigung bedarf.
Das Höchstgericht nimmt in seiner Entscheidungsbegründung insb auf die E vom 29.5.2013, 9 ObA 17/13k, Bezug. In dieser E setzte sich der OGH mit der Frage auseinander, ob bereits bestehende kollektivvertragliche Regelungen zu Mehrarbeitszuschlägen nach Inkrafttreten des § 19d Abs 3 AZG idF BGBl I 2007/61fortbestehen und anwendbar bleiben oder nicht. Im Anlassfall war die bereits vor Inkrafttreten der neuen Rechtslage vereinbarte kollektivvertragliche Festsetzung eines Mehrarbeitszuschlages iHv 5 % im Hinblick auf den mit § 19d Abs 3 AZG eingeführten und laut dieser Bestimmung kollektivvertragsdispositiven Zuschlag iHv 25 % verfahrensgegenständlich. Der OGH bejahte mit der E soweit ersichtlich erstmalig die Weitergeltung bestehender kollektivvertraglicher Normen im Hinblick auf eine neue (aus AN-Sicht bessere) Rechtslage. Das gegenständliche Judikat ist eine Fortführung dieser Entscheidungslinie und es kann wohl davon ausgegangen werden, dass somit Spruchpraxis etabliert wurde.
Im Schrifttum wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass sich im Wege der Wortinterpretation aus der Textierung des § 1159 ABGB neu keine Rückschlüsse auf die fragliche Weitergeltung bestehender kollektivvertraglicher Normen ziehen lassen (Wiesinger, Kündigung von Bauarbeitern, ecolex 2018, 10; Marhold, Kündigungsfristen in Saisonbetrieben, ASoK 2019, 131). Der OGH setzt sich dementsprechend mit Feinheiten der reinen Wortinterpretation nicht näher auseinander (vgl hingegen Kessler, ArbeitgeberInnenkündigungen ab 1.1.2021, DRdA-infas 2020, 368 [369 f], die sich dieser Frage vor allem auf dem Weg der Wortinterpretation der vom Gesetzgeber verwendeten Begriffe „festlegen“ in § 1159 ABGB und „zulassen“ in § 19d AZG nähert). Er führt lediglich an, dass eine explizite gesetzliche Regelung betreffend bestehende kollektivvertragliche Regelungen im gegenständlichen Fall nicht existiere.
In einem weiteren Schritt zitiert er iSd historischen Auslegung die Materialien (AA 243 25. GP 4), welche die Möglichkeit der „Fortführung“ der Branchenlösung erwähnen. Der Senat hebt im Zitat der Gesetzesmaterialien das Wort Fortführung unterstrichen hervor, dies wohl, um das Argument der Kontinuität und somit Weitergeltung der betreffenden Bestimmungen bereits vorwegzunehmen.
Auch aus der Verlängerung der Legisvakanz lässt sich – so der OGH – nicht auf die Notwendigkeit der Neuregelung abweichender Kündigungsfristen in Kollektivverträgen schließen. Dieses Argument überzeugt uE nicht vollständig, zumal dieselben Materialien zur Verlängerung des Inkrafttretens der Zulassungsnorm im ABGB ausführen – „Diese Legisvakanz ermöglicht Branchen, bei denen derzeit Saisonbetriebe überwiegen, sich auf die verlängerten Kündigungsfristen einzustellen“
(AA 243 25. GP 4). Dennoch, der OGH misst der Legisvakanz, die noch dazu zweimal verlängert wurde, keine argumentative Bedeutung bei. Und das, obwohl selbst jene Stimmen im Schrifttum, die im Ergebnis für eine Weitergeltung der bestehenden kollektivvertraglichen Bestimmungen plädieren, vertreten, dass das verspätete Inkrafttreten der Kündigungsfristen 582 Angleichung in engem Zusammenhang mit der Ausnahme für Saisonbetriebe stehe. Den Branchen- Sozialpartnern solle offenbar Gelegenheit gegeben werden, entsprechende kollektivvertragliche Regelungen zu verhandeln, um die gesetzliche Ermächtigung zugunsten der Kollektivvertragsparteien zu nutzen (vgl vor allem Marhold, Kündigungsfristen in Saisonbetrieben, ASoK 2019, 131).
Mit Hinweis auf seine oben erwähnte E zu Mehrstundenzuschlägen (9 ObA 17/13k) führt der OGH weiter aus, dass aus der Existenz anderer gesetzlicher Bestimmungen, welche ausdrücklich die Weitergeltung abweichender kollektivvertraglicher Normen regeln (vgl zB § 1154b Abs 6 ABGB alt oder § 19 Abs 1 Z 18 AVRAG), nicht geschlossen werden könne, dass das Schweigen des Gesetzgebers im gegenständlichen Fall einen gegenteiligen Willen zum Ausdruck bringe; ein Sachgrund für die Notwendigkeit von Kollektivvertragsneuabschlüssen sei nicht ersichtlich.
Zu einem grundlegenden Prinzip von Kollektivverträgen und deren Auslegung führt der OGH in der gegenständlichen E nicht explizit aus, doch soll auf dieses – da es ua für die unter 3. angesprochene Rechtsfrage von Relevanz ist – kurz eingegangen werden. Zur sogenannten „Richtigkeitsgewähr“ hält der OGH in stRsp fest, dass davon auszugehen ist, dass die Kollektivvertragsparteien vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten (RS0008828, zB OGH 12.7.1989, 9 ObA 153/89; OGH 5.10.2000, 8 ObA 175/00v; OGH 24.5.2016, 8 ObA 77/15d).
In der E 9 ObA 17/13k beschäftigt sich der OGH mit einem weiteren Argument, welches in gegenständlicher E nur implizit durch den Verweis auf die frühere Entscheidung angesprochen wird. So führt er in der E E 9 ObA 17/13k aus, dass „[...] mit der AZG-Novelle 2007 lediglich die Rechtsgrundlage für die Regelungsbefugnis der Kollektivertragsparteien verschoben wurde, die sich nun – im Ergebnis unverändert – in § 19d Abs 3f AZG iVm § 2 Abs 2 Z 7 ArbVG befindet“
. Da die neue kollektivvertragliche Bestimmung den (damals) neuen gesetzlichen Vorgaben ebenso entspreche wie den früheren, bestünden keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass frühere Kollektivvertragsbestimmungen ihre Geltung verlieren.
Wachter (Das neue Kündigungsrecht, in Wachter, Jahrbuch Arbeitsrecht und Sozialrecht 2018, 133 [insb S 150 f]) argumentiert hingegen, dass § 77 GewO alt die Geschäftsgrundlage für den Abschluss abweichender kollektivvertraglicher Normen darstellt. Nach dem Wegfall dieser Norm müsse auch der Weiterbestand der darauf fußenden kollektivvertraglichen Normen verneint werden. Nach dieser Argumentation findet somit nicht nur eine „Verschiebung“ statt, sondern müsste die kollektivvertragliche Regelung auf der Geschäftsgrundlage der neuen Gesetzeslage im Zweifel wortgleich neu abgeschlossen werden. Ähnlich argumentiert auch Schindler (KV-Interpretation: Wann ordnen (frühere) KV-Normen die Abdingung nachgiebigen Gesetzesrechts an? in Arbeiten in Würde – FS für Günther Löschnigg [2019] 347 [insb 350 f]) in Bezug auf die E 9 ObA 17/13k, indem er ausführt, dass „[...] eine solche Auffassung übersehen [würde], dass die Rechtsgrundlage für die fragliche KV-Regelung, durch die Schaffung einer kv-dispositiven Norm keineswegs nur „verschoben“ wird, sie wird dadurch wesentlich verändert. [...]“
Nun wird mit vorliegender E zwar eine bislang bloß vereinzelt bestehende Judikatur in nachvollziehbarer Weise weitergeführt, dies vor allem im Hinblick auf den Aspekt der Richtigkeitsgewähr bestehender Kollektivverträge (siehe dazu sogleich). Eine genauere Auseinandersetzung mit den soeben aufgezeigten kritischen Positionen im Schrifttum wäre allerdings wünschenswert gewesen.
Sehr ausführlich – und bei einigen Fragestellungen erstmals – setzt sich der OGH mit dem Begriff der „Branche“, der „Saisonbranche“, des „Überwiegens“ (Erheblichkeit) und anderen strittigen Rechtsbegriffen auseinander. Das Höchstgericht trifft zu diesen umstrittenen Passagen des Gesetzeswortlauts diffizile Feststellungen, die wohl über die gegenständliche E hinaus noch lange Gültigkeit haben werden. Den oben im Original wiedergegebenen Definitionen dieser drei Begriffe ist nicht viel hinzuzufügen, sie werden iSd Auslegung der Gesetzeswortlaute „in ihrem Zusammenhang“ sublim analysiert und festgestellt (daher hat sich der Branchenbegriff grundsätzlich am fachlichen Geltungsbereich von Kollektivverträgen zu orientieren usw); die Begriffsbestimmungen sind uE weitgehend zutreffend.
Eine zentrale Frage blieb jedoch, weil nicht vom Feststellungsantrag (auch nicht von jenem des Gegenantrags der Fachgewerkschaft) umfasst und somit mangels Rechtsschutzbegehrens unerörtert:
Können die grundrechtlich als Koalitionsfreiheitsbetätigung geschützten Kollektivverträge nicht Branchenbesonderheiten und typische arbeitsverhältnisbezogene Fakten (§ 2 Abs 2 Z 2 ArbVG) als „gegeben“ voraussetzen bzw festlegen, und daraus abgeleitete Rechtsfolgen normieren, um „einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeizuführen“ (vgl OGH 10.7.1997, 8 ObA 190/97t ua, RIS Justiz RS0008897 zur Auslegung von Kollektivverträgen und deren Richtigkeitsvermutung)? Anders als im hier gegenständlichen „kollektiven Feststellungsverfahren“ (§ 54 ASGG) hätten Gerichte in Leistungsverfahren uU die Möglichkeit, den KollV als „Gesetz im materiellen Sinn“ so lange anzuwenden, als er nicht formal aufgehoben ist. Das würde vermutlich zwar nicht die Auseinandersetzung mit eingewendeter mittelbarer Grundrechtswidrigkeit (behaupteter Verstoß gegen den Gleichheitssatz, wodurch gem § 879 Abs 1 ABGB die gegenüber § 20 AngG kürzere Kollektivvertragskündigungsfrist als teilnichtige Bestimmung unbeachtlich sei) ersparen. 583 Jedoch wäre nicht die materiell gesetzesgleiche Norm „kürzere Arbeiter-Kündigungsfrist, weil einvernehmlich [von den Kollektivvertragsparteien als Normsetzer] von Saisonbrachen-KollV ausgegangen wird“ als formal aufrechter Bestandteil der Rechtsordnung dennoch zu vollziehen?
Es ist hier nicht der Platz, um auf diese Fragestellung näher einzugehen. Für die vermutlich nun folgenden Leistungsverfahren, in denen AN Kündigungsentschädigungen „mangels Einhaltung der Angestellten-Kündigungsfrist“ einklagen – oder AG mit derselben Begründung einen unberechtigten vorzeitigen Austritt behaupten –, wäre eine nähere Befassung mit dieser Frage aber doch von Interesse. Nämlich, ob die ständige Judikatur zur Richtigkeitsvermutung des KollV, abgeleitet aus dessen Ausgleichs-, Friedens- und Kartellfunktion (was letztlich vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich geschützten Sozialautonomie zu verstehen ist; vgl Mosler/Felten in Gahleitner/Mosler, ArbVR6 § 2 Rz 2), nicht doch eine Rechtslage schaffen kann, die ähnlich der „Gesetzesreparatur“ in Normenprüfverfahren nach Art 139 f B-VG die Norm – von krassen (Exzess-)Ausnahmen abgesehen – grundsätzlich anwendbar belassen, solange sie nicht förmlich aufgehoben ist. Krasse Ausnahme wäre, auf den KollV übertragen, wenn „offensichtlich Kontrafaktisches“ der kollektivvertraglichen Rechtsnorm zugrunde läge. Neben jenen im oben erwähnten RS0008897 sind Leitsätze der Judikatur, wonach Kollektivverträge bei Vorliegen von berücksichtigungswürdigen Interessen des Betriebsinhabers und der AN das Sachlichkeitsgebot des Gleichheitssatzes (via § 879 Abs 1 ABGB auf KollV und BV einwirkend) grundsätzlich erfüllt und somit Verhältnismäßigkeit gegeben ist, auch in OGH 6.7.1998, 8 ObA 61/97x ua (RS0038552) und zB OGH 15.12.2021, 9 ObA 140/21k (vgl RS0010088) zusammengefasst: Bei der Auslegung des normativen Teils von Kollektivverträgen ist im Zweifel davon auszugehen, dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen, sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen woll(t)en. Jüngst hat sich A. Noga mit Behauptungs- und Beweislasten „gegen“ einen „sich“ als Saisonbranche definierenden KollV auseinandergesetzt; er räumt klagenden Parteien aufgrund der Beweislastregeln tendenziell geringe Chancen ein (Die gerichtliche Inhaltskontrolle abweichender kollektivvertraglicher Kündigungsfristen und -termine, ASoK 2022, 281). Ohne diesen Thesen nähertreten zu wollen, es bleibt vorläufig das Fazit: Gerade im arbeitsrechtlichen Normen-Stufenbau sollten Zulassungsnormen bzw Regelungsermächtigungen – jedenfalls wenn es um Kernarbeitsbedingungen geht – besonders genau determiniert sein.
Den Antragstellern, kollektivvertragsfähigen gesetzlichen Interessenvertretungen gem § 4 Abs 1 ArbVG, ist nun, wie es öfters bei § 54 ASGG-Anträgen der Fall ist, zum Verhängnis geworden, dass sich Gerichte zwar grundsätzlich über konkretisierte, spezifizierte und letztlich in einem Beweisverfahren klargestellte („festgestellte“) Leistungsstreitigkeiten abzusprechen haben, jedoch bei Feststellungsverfahren, und noch mehr bei „Test-Verfahren“, eine gewisse judizielle Skepsis immer wieder zu bemerken ist. Immerhin hat es jeder legitimierte Antragsteller (BR, Zentral-BR oder eben Kollektivvertragspartei) in der Hand, den zu beurteilenden Sachverhalt auf eine ihm genehme Weise „hinzutrimmen“; dem Gericht ist es nach § 54 Abs 4 ASGG verwehrt, mittels Beweisaufnahme Richtigstellungen vorzunehmen (was der OGH hier aber – obwohl von § 54 Abs 4 Satz 1 ASGG nicht wörtlich gedeckt – wegen „notorischer“ oder „eingewendeter“ Abweichung des Vorgebrachten von den Fakten korrigierte). Das antragsgegenständliche Vorbringen eines „günstigen Sachverhalts“ war hier wohl auch versucht worden, indem mit großen Zahlen – mehr als 14.000 Beherbergungsbetriebe, mehr als 34.000 Gastronomiebetriebe – Eindruck gemacht werden sollte. Amtswegig – oder über Anregung des Antragsgegners (ÖGB) – hatte der OGH aber die Website der WKO als Beweismittel eingesehen – und dort waren mehr als 60.000 Gastronomiebetriebe ausgewiesen.
Mit den „ihnen genehmen“ zirka 34.000 Gastronomiebetrieben, in denen saisonale Personalstandschwankungen von mindestens einem Drittel Schwankungsbreite bestünden, hatten die Antragsteller dem Höchstgericht also eine wesentliche Gesamtanzahl vorenthalten. Dieses „Verschleiern der Gesamtverhältnisse“ war neben der uE grundsätzlich zu beobachtenden richterlichen Skepsis gegenüber „Testverfahren“ (vgl zu deren verfassungsrechtlicher Unbedenklichkeit aber VfGH 11.12.1996, G 56/95, G 1318/95, G 146/96 ua) wohl ausschlaggebend für das Verfahrensergebnis.
Weil die Ausnahmemöglichkeit für Saisonbetriebe nicht nur politisch, sondern mangels Klarheit und Rechtssicherheit auch juridisch höchst umstritten ist, sei zur zweifelhaften Bedeutung der vorliegenden E für künftige, reale (beweisbare) Beendigungsstreitigkeiten und somit für Leistungsverfahren aus einem Kommentar zum ASGG zitiert: „Die Bindungswirkung der Entscheidungen erstreckt sich ausschließlich auf die Verfahrensparteien und ihre Rechtsnachfolger; die Hemmung von Fristen (§ 54 Abs 5) soll lediglich faktisch helfen, überflüssige Individual(leistungs)streitigkeiten zu vermeiden. [...] Das abstrakte Feststellungsverfahren nach Abs 2 provoziert allerdings durch Antrag und ‚Gegenantrag‘ auch unerfreuliche ‚Pattsituationen‘. Da das Feststellungsverfahren keinen Exekutionstitel schafft, bleibt die weitere gerichtliche Auseinandersetzung mit einem nicht kooperativen Beklagten nicht erspart.“
(Neumayr in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 54 ASGG Rz 4, 6 und 31). 584