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Zulässige einseitige Anordnung des Urlaubsverbrauchs bei rückwirkendem Inkrafttreten des § 1155 Abs 3 und 4 ABGB

GERHARDBREMM / MATTHIASKIESL (LINZ)
  1. Mit dem 2. COVID-19-G, BGBl I 2020/16, wurde § 1155 ABGB ein dritter Absatz angefügt, wonach infolge einer Betriebsschließung dienstfrei gestellte AN verpflichtet werden konnten, auf Verlangen des AG Urlaubs- und Zeitguthaben bis zu einem gewissen Ausmaß zu verbrauchen. Gem § 1503 Abs 14 ABGB idF BGBl I 2020/16 trat § 1155 Abs 3 rückwirkend mit 15.3.2020 in Kraft. Mangels Verstoßes gegen den Gleichheitssatz und aufgrund der besonderen Umstände bei der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie bestanden keine Bedenken gegen die Verfassungskonformität der angeordneten Rückwirkung.

  2. Durch das zulässige rückwirkende Inkrafttreten der Regelung zum 15.3.2020 wurden die sich im zeitlichen Geltungsbereich befindlichen und zuvor rechtsunwirksamen (einseitigen) Urlaubsanordnungen saniert.

[1] Die Bekl betreibt eine Pizzeria, wo der Kl im Service beschäftigt war. Ab 16.3.2020 durfte das Lokal wegen der COVID-19-Pandemie nicht mehr geöffnet werden. Die Bekl bot ihren DN eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses samt Wiedereinstellungsgarantie an, womit der Kl aber nicht einverstanden war. Die Bekl kündigte daraufhin am 18.3.2020 das Dienstverhältnis telefonisch und teilte dem Kl mit, dass sein Dienstverhältnis am 1.4.2020 ende. Von seinem Steuerberater war der Geschäftsführer der Bekl bereits davon informiert, dass ein Gesetz in Kraft treten werde, wonach die AN über Anordnung des AG offenen Urlaub zu verbrauchen haben. Deshalb sagte er dem Kl, er müsse seinen Urlaubsanspruch von zehn Tagen in der Kündigungsfrist verbrauchen, womit der Kl aber nicht einverstanden war.

[1] Die Bekl betreibt eine Pizzeria, wo der Kl im Service beschäftigt war. Ab 16.3.2020 durfte das Lokal wegen der COVID-19-Pandemie nicht mehr geöffnet werden. Die Bekl bot ihren DN eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses samt Wiedereinstellungsgarantie an, womit der Kl aber nicht einverstanden war. Die Bekl kündigte daraufhin am 18.3.2020 das Dienstverhältnis telefonisch und teilte dem Kl mit, dass sein Dienstverhältnis am 1.4.2020 ende. Von seinem Steuerberater war der Geschäftsführer der Bekl bereits davon informiert, dass ein Gesetz in Kraft treten werde, wonach die AN über Anordnung des AG offenen Urlaub zu verbrauchen haben. Deshalb sagte er dem Kl, er müsse seinen Urlaubsanspruch von zehn Tagen in der Kündigungsfrist verbrauchen, womit der Kl aber nicht einverstanden war.

[2] Der Kl begehrt von der Bekl 933,02 € sA brutto, nämlich eine Kündigungsentschädigung von 69,92 € brutto, weil das Dienstverhältnis aufgrund der 14-tägigen Kündigungsfrist im KollV erst mit 2.4.2020 beendet werden hätte können, und eine Urlaubsersatzleistung von 863,10 € brutto, weil er einen Urlaubsanspruch von 10,27 Tagen gehabt habe und die Bekl nicht berechtigt gewesen sei, den Verbrauch des Urlaubs einseitig anzuordnen.

[3] Die Bekl wendete ein, dass sie die 14-tägige Kündigungsfrist beachtet habe und die einseitige Anordnung des Urlaubs nach dem 2. COVID-19-G wirksam gewesen sei.

[4] Das Erstgericht sprach dem Kl 22,69 € brutto sA zu und wies das Mehrbegehren ab, weil die telefonisch ausgesprochene Kündigung sogleich wirksam geworden sei und die 14-tägige Kündigungsfrist daher schon am 1.4.2020 geendet habe. Die einseitige Anordnung der Bekl, den Urlaubsanspruch von 10 Tagen innerhalb der Kündigungsfrist zu verbrauchen, sei durch das mit 15.3.2020 rückwirkend in Kraft getretene 2. COVID-19-G gedeckt. Die Rückwirkung des Gesetzes sei angesichts der damaligen Pandemie verfassungsrechtlich unbedenklich. Nur hinsichtlich des restlichen Urlaubsanspruchs von 0,27 Tagen gebühre dem Kl eine Urlaubsersatzleistung.

[5] Das Berufungsgericht teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts, gab der gegen den klagsabweisenden Teil der Entscheidung gerichteten Berufung des Kl nicht Folge und ließ die ordentliche Revision mangels einschlägiger höchstgerichtlicher Rsp zu.

[6] Mit seiner Revision beantragte der Kl, das Berufungsurteil dahin abzuändern, dass seiner Klage zur Gänze stattgegeben werde; hilfsweise wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.

[7] Die Bekl beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision des Kl nicht Folge zu geben.

[8] Die Revision des Kl ist zulässig, aber nicht berechtigt.

[9] 1. Nach § 4 Abs 1 UrlG ist der Zeitpunkt des Urlaubsantritts zwischen dem AG und dem AN unter Rücksichtnahme auf die Erfordernisse des Betriebs und die Erholungsmöglichkeiten des AN zu vereinbaren. Die Festsetzung des Urlaubs bedarf damit einer Vereinbarung zwischen dem AG und dem AN und kann nicht einseitig angeordnet werden (RS0070760; RS0077431). Der AN ist nämlich nicht verpflichtet, den Urlaub in einer Zeit zu verbrauchen, in der der eigentliche Erholungszweck des Urlaubs nicht erreicht werden kann (RS0028178). Der AG kann deshalb auch während der Kündigungsfrist den Urlaub nicht einseitig anordnen, selbst wenn der AN dienstfreigestellt wurde (RS0053087 [T11]). Insb im Fall einer Dienstfreistellung kann sich aber aus der Treuepflicht und dem Rechtsmissbrauchsverbot eine ausnahmsweise Obliegenheit des AN ergeben, seinen Urlaub innerhalb einer Kündigungsfrist zu verbrauchen, wenn ihm dies zumutbar ist (RS0077281 [T6]; RS0120368 [T2, T3, T4]).

[10] 2. Mit dem 2. COVID-19-G BGBl I 2020/16 wurde § 1155 ABGB ein dritter Absatz angefügt, wonach AN, deren Dienstleistungen aufgrund von Verboten oder Einschränkungen des Betretens von Betrieben nach dem COVID-19-MaßnahmenG BGBl I 2020/12 nicht zustande kommen, ihren Entgeltanspruch behalten, aber verpflichtet sind, auf Verlangen des AG in dieser Zeit Urlaubs- und Zeitguthaben zu verbrauchen. Nach § 1155 Abs 4 ABGB idF BGBl I 2020/16 müssen Urlaubsansprüche aus dem laufenden Urlaubsjahr aber nur im Ausmaß von bis zu zwei Wochen und insgesamt nicht mehr als acht Wochen Urlaubsguthaben verbraucht werden. § 1155 Abs 3 ABGB idF BGBl I 2020/16 enthält damit eine Abweichung von der allgemeinen Regel des § 4 Abs 1 UrlG, wonach die Festsetzung des Urlaubs nicht einseitig angeordnet werden kann (Mazal, Entgeltfortzahlung bei pandemiebedingter Einschränkung des sozialen Lebens, 585 ecolex 2020, 280 [281]). Obwohl das 2. COVID-19-G BGBl I 2020/16erst am 21.3.2020 kundgemacht wurde, sieht die Übergangsregel in § 1503 Abs 14 ABGB idF BGBl I 2020/16 vor, dass § 1155 Abs 3 und 4 ABGB „rückwirkend“ mit 15.3.2020 in Kraft und mit 31.12.2020 außer Kraft treten.

[11] 3. Der Kl vertritt den Standpunkt, dass die einseitige Anordnung von Urlaub durch die Bekl unwirksam war, weil sie zwar in den zeitlichen Anwendungsbereich des Gesetzes fiel, aber noch vor Kundmachung des Gesetzes erfolgte.

[12] Auch in der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass eine einseitige Anordnung des Urlaubsverbrauchs vor dem 21.3.2020 wegen des Verstoßes gegen die damalige Rechtslage nichtig sei und deshalb durch eine nachträgliche Änderung des Gesetzes nicht wieder aufleben könne, sondern rechtsunwirksam bleibe (Haider, § 1155 ABGB in der COVID-19-Krise, DRdA-infas 2020, 199 [202]). Dies würde bedeuten, dass der AG sein Verlangen erst am 23.3.2020 ausüben könnte (so auch Erler, Arbeitsausfall infolge des Coronavirus – welche Möglichkeiten gibt es bei Pflegeeinrichtungen, ÖZPR 2020/18, 36 und Mayr, Arbeitsrecht Anm 4 zu § 1155 ABGB). Die Gegenmeinung hält es hingegen für möglich, dass eine einseitige Urlaubsanordnung durch das rückwirkende Inkrafttreten des Gesetzes rechtmäßig werden kann (Bremm, Rechtsfragen zum Erholungsurlaub während COVID-19, ecolex 2020, 580 [582]). Es wurde auch die Auffassung vertreten, dass die Rückwirkung des Gesetzes den AG dazu ermächtigen würde, den Verbrauch von Urlaub rückwirkend anzuordnen (Kietaibl/Wolf in Resch, Corona-HB1.04 Kapitel 3 Rz 20).

[13] 4. Richtig ist, dass nach § 5 ABGB Gesetze nicht zurückwirken und sie daher auf vorhergegangene Handlungen und auf vorher erworbene Rechte keinen Einfluss haben. Es handelt sich dabei aber um eine bloße Zweifelsregel, zumal der Gesetzgeber – vom Verbot rückwirkender Strafgesetze nach Art 7 Abs 1 EMRK abgesehen – auch in einfachen Gesetzen eine Rückwirkung anordnen kann (RS0008686; RS0008741). Im vorliegenden Fall hat der Gesetzgeber mit § 1503 Abs 14 ABGB idF BGBl I 2020/16BGBl I 2020/16 ausdrücklich angeordnet, dass die Regelung über den Urlaubsverbrauch während der Verbote und Einschränkungen des Betretens von Betrieben nach dem COVID-19-MaßnahmenG BGBl I 2020/12 auch „rückwirkend“ gelten sollen. Es gehört zum Wesen der Rückwirkung, dass das Gesetz auch auf Sachverhalte anwendbar ist, die sich noch vor der Kundmachung dieses Gesetzes ereignet haben (Vonkilch, Das Intertemporale Privatrecht [1999] 41).

[14] 5. Der Kl macht geltend, dass eine Rückwirkung des Gesetzes angesichts seines berechtigten Vertrauens auf die Unwirksamkeit der einseitigen Festsetzung des Urlaubs durch die Bekl verfassungswidrig wäre. Nach stRsp des VfGH ist eine rückwirkende und nachteilige Änderung der Rechtslage aber nur dann verfassungswidrig, wenn es sich um einen erheblichen Eingriff in die wohlerworbene Rechtsposition des Normunterworfenen, der im berechtigten Vertrauen auf die geltende Rechtslage disponiert hat, handelt und nicht etwa besondere Umstände eine solche Rückwirkung verlangen (VfSlg 12.186/1989; 17.892/2006; 20.187/2017).

[15] 6. Der VfGH hat bereits darauf hingewiesen, dass dem Gesetzgeber bei der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukommt (VfSlg 20.397/2020). Das Abweichen vom Grundsatz der einvernehmlichen Urlaubsfestsetzung ist dadurch gerechtfertigt, dass die im öffentlichen Interesse zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie verfügten Verbote und Einschränkungen des Betretens von Betrieben dazu führen, dass AG die Leistungen ihrer AN nicht in Anspruch nehmen können, aber durch die Entgeltfortzahlung nach § 1155 Abs 3 ABGB idF BGBl I 2020/16 erheblichen finanziellen Belastungen ausgesetzt sind (Unterrieder, Entgeltfortzahlung während Betriebsschließung in der Pandemie, RdW 2020/223, 264; siehe auch Silbernagl/Raschauer, Höhere Gewalt und Privatautonomie, CuRe 2020/80). Dabei war eine Rückwirkung der arbeitsvertraglichen Sonderregelungen des 2. COVID-19-G BGBl I 2020/16 schon deshalb erforderlich, weil das COVID-19-MaßnahmenG BGBl I 2020/12, mit welchem der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz ermächtigt wurde, durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten zu untersagen, schon mit Ablauf des 15.3.2020 in Kraft getreten war.

[16] 7. Im Übrigen liegt auch kein erheblicher Eingriff in eine verfassungsrechtlich geschützte Rechtsposition vor, weil der Kl im Vertrauen auf die Unwirksamkeit der einseitigen Urlaubsfestsetzung durch die Bekl nicht disponiert hat, sondern tatsächlich dienstfreigestellt war und sohin von einer hinreichenden Erholungsmöglichkeit auszugehen ist (siehe Felten/Pfeil, Arbeitsrechtliche Auswirkungen der COVID-19-Gesetze – ausgewählte Probleme, DRdA 2020, 295 [304]). Letztlich wird der AN durch die Rückwirkung des Gesetzes nicht schlechter gestellt, als wenn das Gesetz schon im Zeitpunkt der einseitigen Festsetzung des Urlaubs durch den AG in Kraft gewesen wäre. Es bestehen sohin keine Bedenken gegen die Verfassungskonformität der angeordneten Rückwirkung.

[17] 8. Das ausdrückliche Verlangen der Bekl vom 18.3.2020, der Kl möge seinen Urlaub konsumieren (dem der Kl nicht entsprach), fiel demnach in den zeitlichen Anwendungsbereich des § 1155 Abs 3 ABGB idF BGBl I 2020/16. Durch das rückwirkende Inkrafttreten der Regelung zum 15.3. wurde diese (einseitige) Urlaubsanordnung rechtmäßig (Bremm, ecolex 2020, 582), weshalb die Vorinstanzen den Anspruch auf Urlaubsersatzleistung zu Recht verneinten. Auf die beanspruchte Kündigungsentschädigung kommt der Kl in seiner Revision nicht zurück, weshalb darauf nicht mehr einzugehen war (RS0043338 [T20]; RS0043352 [T10, T23]).

[...]

ANMERKUNG

Gem § 1155 Abs 1 ABGB gebührt DN das Entgelt auch für jene Dienstleistungen, die nicht zustan de586 gekommen sind, wenn sie zur Leistung bereit waren und durch Umstände, die auf Seite des DG liegen, daran verhindert worden sind. Mit dem am 21.3.2020 kundgemachten 2. COVID-19-G, BGBl I 2020/16, wurde § 1155 ABGB ein dritter und vierter Absatz angefügt. Nach Abs 3 erster Satz leg cit gelten Maßnahmen auf Grundlage des COVID-19- MaßnahmenG idF BGBl 2020/12BGBl 2020/12, die zum Verbot oder zu Einschränkungen des Betretens von Betrieben führen, als Umstände iSd Abs 1, die zu einer Entgeltfortzahlungspflicht des AG führen. Nach Abs 3 zweiter Satz leg cit wurden AN, deren Dienstleistungen aufgrund solcher Maßnahmen nicht zustande kommen, gleichzeitig verpflichtet, auf Verlangen des AG in dieser Zeit Urlaubs- und Zeitguthaben zu verbrauchen. Urlaubsansprüche aus dem laufenden Urlaubsjahr mussten nur im Ausmaß von bis zu zwei Wochen und insgesamt durften nicht mehr als acht Wochen verbraucht werden (§ 1155 Abs 4 Z 1 und 3 ABGB idF BGBl I 2020/16). Aufgrund der mit dem 2. COVID-19-G, BGBl I 2020/16, ebenfalls eingeführten Übergangsregel des § 1503 Abs 14 ABGB idF BGBl I 2020/16traten die angeführten Abs 3 und 4 des § 1155 ABGB rückwirkend mit 15.3.2020 in Kraft und waren bis 31.12.2020 befristet.

Der OGH beschäftigte sich in der gegenständlichen E insb mit der Verfassungskonformität des § 1503 Abs 14 ABGB idF BGBl I 2020/16und kommt zu dem Ergebnis, dass durch die rückwirkende Geltung des § 1155 Abs 3 ABGB der von der Bekl einseitig angeordnete Urlaubsverbrauch zulässig war, auch wenn diese Anordnung vor der Kundmachung des Gesetzes erfolgte. Im Ergebnis ist dem OGH zuzustimmen. Im Folgenden wird die Begründung etwas differenzierter dargestellt.

1.
Zur einfachgesetzlichen Zulässigkeit einseitiger Urlaubsanordnungen
1.1.
Grundprinzipien des Urlaubsverbrauchs

Wie der OGH in seiner E zu Beginn darlegt, ist der Zeitpunkt des Urlaubsantrittes gem § 4 Abs 1 UrlG zwischen dem AG und dem AN unter Rücksichtnahme auf die Erfordernisse des Betriebes und die Erholungsmöglichkeiten des AN zu vereinbaren (RS0070760; RS0077431). Die Vereinbarung hat demgemäß so zu erfolgen, dass der Urlaub möglichst bis zum Ende des Urlaubsjahres, in dem der Anspruch entstanden ist, verbraucht werden kann. Ein einseitiges Gestaltungsrecht seitens des AG oder des AN, welches einem der Parteien ermöglicht, die zeitliche Lagerung oder das Ausmaß des Urlaubsverbrauches dem jeweils anderen vorzuschreiben, wird bereits durch die gesetzliche Notwendigkeit einer Vereinbarung ausgeschlossen (siehe OGH 5.9.2021, 9 ObA 77/01s; OGH 8.8.2007, 9 ObA 51/07a; OGH 16.12.2005, 9 ObA 144/05z; OGH 5.6.2002, 9 ObA 113/02m).

Zweck des Urlaubs und der Notwendigkeit einer Urlaubsvereinbarung ist die in § 4 Abs 1 UrlG ausdrücklich genannte Erholungsmöglichkeit der AN. Dabei sind insb Erholungsbedürfnisse, Gesundheitszustände, Urlaubspläne, familiäre Situationen, allfällige sportliche Betätigungen oder Möglichkeiten des Urlaubsverbrauchs in anderen Arbeitsverhältnissen zu berücksichtigen (Cerny, Urlaubsrecht 410 [2011] 139; Reissner in Neumayr/Reissner [Hrsg], Zeller Kommentar zum Arbeitsrecht3 [2018] § 4 UrlG Rz 13; OGH4 Ob 28/84 Arb 10.334 = RdW 1984, 316). Aufgrund dieser berücksichtigungswürdigenden Interessen wurde vor Inkrafttreten des § 1155 Abs 3 und 4 ABGB zweifellos davon ausgegangen, dass es in erster Linie dem AN selbst überlassen sein muss, ob, wann und in welchem Ausmaß der Urlaub seinen Erholungsmöglichkeiten entspricht (Drs, Urlaubsrecht 411 [2019] 239).

Um den Schutz der Erholung zu gewährleisten, können AN auch nicht verpflichtet werden, Urlaub in einer Zeit zu verbrauchen, in der eine körperliche und geistige Erholung nicht erreicht werden kann (RS0028178). AN trifft daher weder während der Kündigungsfrist (RS0077366) noch während einer Dienstfreistellung innerhalb der Kündigungsfrist die Obliegenheit, das Angebot des AG zum Abschluss von Urlaubsvereinbarungen in diesen Zeiträumen anzunehmen. Zu berücksichtigen ist jedoch eine potentielle Verletzung der Treuepflicht oder ein Rechtsmissbrauch durch den AN (RS0077281; RS0120368).

Eine Verletzung der Treuepflicht bestünde zB darin, während der Dienstfreistellung das Angebot des AG zum Abschluss einer Urlaubsvereinbarung abzulehnen, dann aber die bezahlte Freizeit zu einem erheblichen Teil für „Urlaubszwecke“ zu verwenden; maW: für Zwecke, die ohne Dienstfreistellung die Gewährung von Urlaub erfordert hätten. Die Frage eines Rechtsmissbrauches ist hingegen nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen, wobei der anzulegende Maßstab strenger ist als bei dem einer Treuepflichtverletzung (OGH9 ObA 144/05zDRdA 2007/2 [Cerny] = ZAS 2007/13 [Drs]). Nach der Rsp liegt ein Rechtsmissbrauch ua dann vor, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen oder überwiegenden Grund der Rechtsausübung bildet (Schikane), wobei die Beweislast dafür den AG trifft (RS0026265).

Aus dem Sachverhalt sind – wovon auch der OGH ausgeht – keine Anhaltspunkte ersichtlich bzw wurden solche von der Bekl auch nicht ins Treffen geführt, die eine Treuepflichtverletzung oder einen Rechtsmissbrauch durch den AN annehmen lassen. Die bloße „Inanspruchnahme“ der Dienstfreistellung anstelle eines angeordneten Urlaubsverbrauchs stellte gegenständlich weder eine Treuepflichtverletzung noch einen Rechtsmissbrauch dar.

Aufgrund der – bis zum Inkrafttreten des § 1155 Abs 3 und 4 ABGB idF BGBl I 2020/16 – geltenden Grundprinzipien des Urlaubsverbrauches ist der Kl nicht verpflichtet gewesen, den Urlaub auf Anordnung der Bekl zu verbrauchen.

1.2.
Neuregelung nach § 1155 ABGB

§ 1155 Abs 1 ABGB normiert grundsätzlich einen arbeitsrechtlichen Entgeltanspruch des AN, wenn dieser zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf Seite des AG liegen, daran verhindert 587 worden ist. Der Entwurf des § 1155 Abs 1 ABGB in seinem aktuellen Wortlaut trug dem leitenden Gedanken Rechnung, dass damit nicht nur (ieS) die Person des AG selbst betreffende Ereignisse, sondern alle in der Sphäre des AG vorkommenden Zufälle von diesem zu tragen sind, indem der AG trotz Unterbleibens der Dienstleistung das Entgelt weiterhin zu entrichten hat (78 BlgHH 21. Sess 1912, 221). Dieser Entgeltanspruch stellt dabei einen Vertragserfüllungsanspruch und keinen Schadenersatzanspruch dar (Rebhahn/Ettmayer in Kletečka/Schauer [Hrsg], ABGB-ON1.04 [2022] § 1155 Rz 1; Pfeil in Schwimann/Kodek [Hrsg], ABGB Praxiskommentar Bd 75 [2021] § 1155 ABGB; Krejci in Rummel [Hrsg], ABGB3 [2000] § 1155 ABGB Rz 1), sofern der AN willens und fähig war, die im Arbeitsvertrag geschuldete Leistung zu erbringen (OGH9 ObA 143/06d = ARD 5779/3/2007).

Fraglich ist somit, welche „Umstände, die auf Seite des Dienstgebers liegen“, zu einem Erfüllungsanspruch nach § 1155 Abs 1 ABGB führen. Diese Frage wurde bei pandemiebedingten Betriebsschließungen durchaus kontroversiell diskutiert, was den Gesetzgeber zu einer dahingehenden Klarstellung veranlasste (Schrenk/Schrenk/Hitz, Entgeltfortzahlung in der „Corona-Krise“ – denkbare arbeitsrechtliche Sachverhalte, ARD 2020, 15 [16]).

Am 21.3.2020 wurden mit dem 2. COVID-19-G, BGBl I 2020/16, dem § 1155 ABGB die Abs 3 und 4 eingefügt. Demnach galten Maßnahmen auf Grundlage des COVID-19-MaßnahmenG, BGBl 2020/12BGBl 2020/12, die zum Verbot oder zu Einschränkungen des Betretens von Betrieben führten, als Umstände, die zur Entgeltfortzahlung durch den AG nach § 1155 Abs 1 ABGB führten. Jedoch wurden die AN, deren Dienstleistungen aufgrund solcher Maßnahmen nicht zustande gekommen sind, gleichzeitig verpflichtet, auf Anordnung des AG in dieser Zeit (in einem beschränkten Ausmaß) Urlaubs- und Zeitguthaben zu verbrauchen. Diese Neuregelung verfolgte offenkundig einen interessenpolitischen Ausgleich dahingehend, dass sowohl AG als auch AN einen Beitrag zur Pandemiebekämpfung und somit zu den pandemiebedingten Betriebsschließungen leisten sollten (Kietaibl/Wolf in Resch [Hrsg], Corona-Handbuch1.01 [2020] Kap 3 Rz 20).

Aufgrund der Übergangsregel des § 1503 Abs 14 ABGB idF BGBl I 2020/16BGBl I 2020/16 traten die angeführten Abs 3 und 4 des § 1155 ABGB rückwirkend mit 15.3.2020 in Kraft und waren bis 31.12.2020 befristet. Die Rechtsfolgen dieser Neuregelung galten damit nicht erst für Sachverhalte, die nach dem Tag der Kundmachung, also ab 22.3.2020, sondern – und das ist das Wesen einer Rückwirkung (Kodek in Rummel/Lukas [Hrsg], ABGB4 [2021] § 5 ABGB Rz 5; Schauer in Kletečka/Schauer [Hrsg], ABGB-ON1.01 [2013] § 5 Rz 6; OGH8 ObA 190/02b ecolex 2003/318 [Mazal]) – schon für alle Sachverhalte, die ab dem 15.3.2020 gesetzt wurden. Einseitige Urlaubsanordnungen als Folge von entsprechenden Betriebsschließungen bzw Betretungsverboten, die nach den obigen Ausführungen vor der Kundmachung dieses Gesetzes rechtswidrigerweise ausgesprochen wurden, wurden durch das rückwirkende Inkrafttreten rechtskonform (zu dieser Möglichkeit auch Bremm, Rechtsfragen zum Erholungsurlaub während COVID-19, ecolex 2020, 580 [582]). Einseitige Urlaubsanordnungen, die erst nach Kundmachung des Gesetzes rückwirkend ab 15.3.2020 ausgesprochen wurden, wären durch die rückwirkende Gesetzesänderung hingegen nicht gedeckt. Die Möglichkeit derartiger rückwirkender Urlaubsanordnungen hätte einer dahingehenden ausdrücklichen gesetzlichen Klarstellung bedurft. Eine solche gesetzliche Regelung hätte jedoch zweifellos schwerwiegender in die Rechtsposition der Normunterworfenen eingegriffen als die rückwirkende Sanierung von zunächst rechtsunwirksamen einseitigen Urlaubsanordnungen. Inwieweit eine solche gesetzliche Regelung vom OGH als verfassungskonform beurteilt worden wäre, erscheint zweifelhaft (aM Kietaibl/Wolf in Resch [Hrsg], Corona-HB1.01 Kapitel 3 Rz 21).

Im konkreten Fall wurde die einseitige Urlaubsanordnung am 18.3.2020, also innerhalb des zeitlichen Geltungsbereiches des § 1155 Abs 3 und Abs 4, für die Zeit ab 18.3.2020 ausgesprochen. Auch handelt es sich beim Kl um einen AN, dessen Dienstleistung aufgrund einer pandemiebedingten Betriebsschließung nicht erbracht werden konnte. Die konkrete Urlaubsanordnung vom 18.3.2020 war somit gem § 1155 ABGB idF BGBl I 2020/16 einfachgesetzlich gedeckt. Zu Recht wurde allerdings die Frage gestellt, ob die rückwirkende Regelung des § 1155 Abs 3 und 4 ABGB verfassungskonform ist.

2.
Verfassungskonformität der Rückwirkung des § 1155 Abs 3 und 4 ABGB
2.1.
Grundsätzliches zur Rückwirkung von Gesetzen

Rückwirkende Gesetze greifen grundsätzlich vergangene Sachverhalte auf und unterwerfen sie einer anderen rechtlichen Beurteilung. Dadurch wird der zeitliche Geltungsbereich eines Gesetzes auf die vor dem Inkrafttreten des betreffenden Gesetzes verwirklichten Sachverhalte erstreckt (Walzel v Wiesentreu, Vertrauensschutz und generelle Norm, ÖJZ 2000, 1 [11 f]). Wie auch vom OGH ausgeführt, ist der Gesetzgeber mangels einer gegenteiligen Bestimmung – vom Verbot rückwirkender Strafgesetze nach Art 7 Abs 1 MRK abgesehen – verfassungsrechtlich nicht gehindert, Gesetze rückwirkend in Kraft treten zu lassen (RS0008686). Art 49 Bundes-Verfassungsgesestz (B-VG) beschränkt den Gesetzgeber alleinig dahingehend, dass die Wirksamkeit eines Gesetzes nicht vor dessen Kundmachung erlangt werden kann (RS0008710). Auch aus Art 9 B-VG lässt sich kein allgemeines Rückwirkungsverbot ableiten (Schauer in Kletečka/Schauer [Hrsg], ABGB-ON1.01 § 5 Rz 13). Dem einfachgesetzlichen Grundsatz des § 5 ABGB, wonach Gesetze nicht rückwirken und somit auf vorhergegangene Handlungen und auf vorher erworbene Rechte keinen Einfluss haben, kommt nach der Rsp „lediglich“ die Bedeutung einer Zweifelsregel zu (RS0008741). 588

Auch wenn es dem Gesetzgeber also grundsätzlich möglich ist, rückwirkende Gesetze zu erlassen, dürfen diese nach der ständigen Judikatur des VfGH nicht unbeschränkt verschlechternd in wohlerworbene Rechte, Anwartschaften und Interessenpositionen der im Vertrauen auf die Rechtslage handelnden Rechtsunterworfenen eingreifen. Eine wesentliche Schranke für den Gesetzgeber stellt dabei der durch den VfGH entwickelte und seither ausgebaute Gleichheitssatz dar (Stelzer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Eingriffs in Rechte oder Vertragsverhältnisse, DRdA 2001, 508 [510 ff]).

2.2.
Zur Beurteilung durch den OGH

Der OGH fasst die stRsp des VfGH zum Gleichheitssatz dahingehend zusammen, dass „eine rückwirkende und nachteilige Änderung der Rechtslage nur dann verfassungswidrig sei, wenn es sich um einen erheblichen Eingriff in die wohlerworbene Rechtsposition des Normunterworfenen handelt, der im berechtigten Vertrauen auf die geltende Rechtslage disponiert hat, und nicht etwa besondere Umstände eine solche Rückwirkung verlangen“. Nach Auffassung des OGH war die Rückwirkung des § 1155 Abs 3 und 4 ABGB schon allein deshalb geboten, weil das COVID-19-MaßnahmenG, BGBl I 2020/12, wodurch der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz ermächtigt wurde, durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten zu untersagen, schon mit Ablauf des 15.3.2020 in Kraft getreten war und sich ab diesem Zeitpunkt die Frage der arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlung stellte, die mit der gegenständlich in Frage stehenden Sonderregelung im ABGB geklärt wurde. Dieser Zusammenhang ist zweifellos ein gewichtiges Argument für die sachliche Rechtfertigung der Rückwirkung, vermag uE aber die Verfassungsmäßigkeit noch nicht umfassend zu begründen, insb dann, wenn die rückwirkende Regelung erheblich in eine verfassungsgesetzlich geschützte Rechtsposition („wohlerworbene Rechte“) eingegriffen hätte.

Nicht zuletzt deshalb hat sich der OGH, wenn auch nicht vertiefend, mit dieser Frage auseinandergesetzt und anhand der konkreten Situation des Kl im Wesentlichen deshalb keinen Eingriff in „ein wohlerworbenes Recht“ festgestellt, weil „der Kläger im Vertrauen auf die Unwirksamkeit der einseitigen Urlaubsfestsetzung durch die Beklagte nicht disponiert habe“ und „durch die Rückwirkung des Gesetzes nicht schlechter gestellt worden sei, als wenn das Gesetz schon im Zeitpunkt der einseitigen Festsetzung des Urlaubs durch den Arbeitgeber in Kraft gewesen wäre“.

Diesbezüglich überzeugt die Argumentation des OGH nicht zur Gänze, auch wenn ihm im Ergebnis zuzustimmen ist.

Da Gesetze im Regelfall für eine Vielzahl von Norm unterworfenen gelten, ist bei einer Beurteilung der Verfassungskonformität nicht eine Einzelfallbetrachtung, sondern eine Durchschnittsbetrachtung anzustellen: Die entscheidende Frage in diesem Zusammenhang ist also nicht, ob der Kl im konkreten Fall aufgrund der Urlaubsanordnung disponiert habe – nicht zuletzt, weil konkrete Dispositionsmöglichkeiten aufgrund der pandemiebedingten besonderen Situation ohnehin fraglich erscheinen –, sondern ob durch die rückwirkende Gesetzesänderung in verfassungsrechtlich schützenswerte Rechtspositionen von AN eingegriffen wurde (OGH 26.11.2002, 10 ObS 373/02d). Für von dieser Konstellation betroffene AN, die aufgrund einer (pandemiebedingten) Betriebsschließung oder eines Betretungsverbotes – unter Fortzahlung des Entgeltes – dienstfrei gestellt waren, wurde durch die rückwirkende Sanierung einer vorangegangenen und zunächst rechtsunwirksamen einseitigen Urlaubsanordnung (§ 1155 Abs 3 zweiter Satz ABGB) dem Grunde nach der Anspruch auf Urlaub bzw auf eine Urlaubsersatzleistung gekürzt; und zwar im Ausmaß von maximal einer Woche. Ohne Rückwirkung wäre eine einseitige Urlaubsanordnung zweifellos erst ab dem 22.3.2020 (Tag nach der Kundmachung) möglich gewesen. Dieser potentiellen Kürzung des Urlaubs bzw der Urlaubsersatzleistung steht allerdings die Sicherung des Entgeltfortzahlungsanspruches gegenüber, die mit derselben rückwirkenden Regelung des § 1155 Abs 3 erster Satz ABGB normiert wurde. Die Regelung des § 1155 Abs 3 erster und zweiter Satz leg cit ist bei einer verfassungsmäßigen Beurteilung in seiner Gesamtheit zu betrachten und stellt uE insgesamt und gerade im Hinblick auf die allgemeine Sicherung des Entgeltfortzahlungsanspruches keinen erheblichen Eingriff in wohlerworbene Rechtspositionen der AN dar. Die rückwirkend in Kraft gesetzte Regelung des § 1155 Abs 3 und 4 ABGB war somit verfassungskonform und dem OGH ist im Ergebnis zuzustimmen. 589