52Aufgriffsobliegenheit bei der Eventualkündigung schon vor Beendigung des Vorverfahrens
Aufgriffsobliegenheit bei der Eventualkündigung schon vor Beendigung des Vorverfahrens
Eine Eventualkündigung beendet das Dienstverhältnis für den Fall, dass es nicht ohnehin durch eine frühere Erklärung zu einem früheren Zeitpunkt beendet wurde, zum in ihr genannten Endtermin.
Auch bei einer Eventualkündigung besteht ein unmittelbares Klarstellungsinteresse des DG daran, ob der DN eine Unwirksamkeit auch dieser Erklärung und damit die Fortdauer des Dienstverhältnisses über den in der Eventualkündigung genannten Zeitpunkt hinaus geltend macht.
Dagegen gibt es für den DN keinen Grund, mit einer Geltendmachung seines Anspruchs bis zur Beendigung eines Vorverfahrens über die vorangehende Kündigung zuzuwarten.
[1] 1. Der Charakter des Arbeitsverhältnisses als synallagmatisches Dauerschuldverhältnis bedingt, dass der die weitere Leistungsbereitschaft des AN voraussetzende Fortsetzungsanspruch nicht zeitlich unbegrenzt geltend gemacht werden kann. Nach der Rsp bedingt das Klarstellungsinteresse des DG am Bestand oder Nichtbestand des Dienstverhältnisses eine Aufgriffsobliegenheit des DN, sein Interesse an der Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses ohne Aufschub gegenüber dem DG geltend zu machen. Zur Beurteilung der Unverzüglichkeit ist ein angemessener, zur Erkundung und Meinungsbildung objektiv ausreichender Zeitraum heranzuziehen (RS0028233 [T6]).
[2] 2. Mangels einer gesetzlichen Frist ist die zeitliche Grenze unter Bedachtnahme auf § 863 ABGB zu ziehen und zu beurteilen, ob das Verhalten des AN als stillschweigendes Einverständnis mit der Beendigung bzw als Verzicht auf die Geltendmachung der Unzulässigkeit der Beendigung aufzufassen ist. Die bloße Nichtgeltendmachung durch längere Zeit dokumentiert für sich allein idR noch keinen Verzicht. Vielmehr müssen besondere Umstände hinzukommen, die die spätere Geltendmachung als unzulässig erscheinen lassen (9 ObA 322/99i mwN). Es kommt aber nicht nur auf die Dauer der Untätigkeit, sondern auch darauf an, ob der AN triftige Gründe für sein Zögern ins Treffen führen kann (RS0034648).
[3] 3. Der OGH hat wiederholt ausgesprochen, dass es keine fixen Fristen gibt (9 ObA 12/13z ua). Auch die Annahme einer Höchstfrist von sechs Monaten zur Geltendmachung des Fortsetzungsanspruchs, wie dies teilweise in der Lehre vertreten wird, wurde abgelehnt (8 ObA 190/01a). Das Ausmaß der Frist kann unter Abwägung des Klarstellungsinteresses des DG und der Schwierigkeiten für den DN, seinen Anspruch geltend zu machen, vielmehr nur nach den Umständen des Einzelfalls bemessen werden (9 ObA 12/13z; vgl auch RS0119727).
[4] 4. Nach der Rsp ist eine während eines Kündigungsanfechtungsverfahrens ausgesprochene Eventualkündigung grundsätzlich zulässig (vgl RS0028418 [T4, T6] ua). Es handelt sich dabei um eine Kündigung unter einer Rechtsbedingung, die zu keiner unzumutbaren Ungewissheit für den DN führt. Vielmehr verdeutlichte die vom DG ausgesprochene zweite Kündigung seinen Standpunkt, das Arbeitsverhältnis endgültig beenden zu wollen, also auch für den Fall, dass der DN im Verfahren über die Wirksamkeit der vorangehenden Kündigung obsiegen sollte.
[5] Dass eine Eventualkündigung nur Rechtswirksamkeit entfaltet, wenn eine vorhergehende Beendigungserklärung als unwirksam angesehen wird, ergibt sich daraus, dass ein bereits beendetes Arbeitsverhältnis nicht gekündigt werden kann. Eine Eventualkündigung beendet dementsprechend das Dienstverhältnis für den Fall, dass es nicht ohnehin durch eine frühere Erklärung zu einem früheren Zeitpunkt beendet wurde, zum in ihr genannten Endtermin. Auch bei einer Eventualkündigung besteht daher ein unmittelbares Klarstellungsinteresse des DG daran, ob der DN eine Unwirksamkeit auch dieser Erklärung und damit die Fortdauer des Dienstverhältnisses über den in der Eventualkündigung genannten Zeitpunkt hinaus geltend macht. Dagegen gibt es für den DN keinen Grund, mit einer Geltendmachung seines Anspruchs bis zur Beendigung eines Vorverfahrens über die vorangehende Kündigung zuzuwarten. So entspricht es auch im Zusammenhang mit Kündigungsanfechtungen nach §§ 105 f ArbVG stRsp, dass dem DN, der von vornherein den Standpunkt vertritt, die erste Kündigung könne – wegen ihrer Anfechtbarkeit – keinen Bestand haben, es auch keineswegs unzumutbar sei, in den Fällen einer unbedenklichen Eventualkündigung ebenso die gesetzliche Klagefrist einzuhalten wie auch sonst bei der Kündigungsanfechtung (9 ObA 89/04k ua). Dies trifft sinngemäß auch auf die Geltendmachung des Anspruchs auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses zu.
[6] 5. Allein der Umstand, dass bei Ausspruch der Eventualkündigung ein Verfahren über den aufrechten Bestand des Dienstverhältnisses anhängig ist, und damit ihre Wirksamkeit vom Ausgang des Verfahrens abhängig ist, begründet demnach kein Interesse des DN, mit der Geltendmachung seines Anspruchs zuzuwarten. Soweit der Kl damit argumentiert, dass sein Obsiegen im Vorverfahren „Bedingung“ für die Kündigung war, entspricht das, wie dargelegt, dem Wesen der Eventualkündigung.
[7] 6. Die Eventualkündigung wurde dem Kl während des Vorverfahrens, in dem er anwaltlich vertreten war, zugestellt und auch seiner Anwältin zur Kenntnis gebracht. Er hat nach den Ausführungen des Berufungsgerichts im Vorverfahren selbst auf diese Kündigung hingewiesen, ohne näher zu deren (Un-)Wirksamkeit Stellung zu nehmen. Dennoch hat er die Unwirksamkeit der Eventualkündigung erstmals zehn Monate nach ihrem Ausspruch und sieben Monate nach dem darin genannten Endtermin 590 des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht. Auch in der Revision nennt er keine Gründe, die ihn gehindert haben, früher tätig zu werden. Vor diesem Hintergrund hält sich die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass ausgehend von den dargestellten Grundsätzen der Kl seine Aufgriffsobliegenheit verletzt hat, im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums.
[8] 6. Insgesamt gelingt es dem Kl daher nicht, das Vorliegen einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen. [...]
In der vorliegenden E sind keine Angaben zum Sachverhalt enthalten. Der rechtlichen Beurteilung kann entnommen werden, dass es um zwei Kündigungen durch den AG gegangen ist: eine erste Kündigung und eine Eventualkündigung. Eine Besonderheit hat darin bestanden, dass nach diesen Kündigungen durch den gekündigten AN jeweils eine Klage auf Feststellung des aufrechten Bestandes des Dienstverhältnisses eingebracht wurde. Der Kl ist also von der Rechtsunwirksamkeit der betreffenden Kündigungen ausgegangen. Dazu kann es zB in folgenden Fällen kommen:
Der AG spricht in einem betriebsratspflichtigen Betrieb, in dem ein BR tatsächlich gewählt ist, eine Kündigung aus, ohne zuvor gem § 105 Abs 1 ArbVG den BR von der (beabsichtigten) Kündigung verständigt zu haben;
der AN ist in einem Bereich tätig, wo (aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher, kollektivvertraglicher usw Bestimmungen) eine rechtswidrige Kündigung rechtsunwirksam ist (das ist zB aufgrund von § 30 Abs 3 VBG 1948 bei Bundesvertragsbediensteten der Fall).
Es ist zu vermuten, dass es im gegenständlichen Fall um einen Bundesvertragsbediensteten gegangen ist.
Im Vorverfahren hat der Kl anscheinend rechtskräftig obsiegt. Die erste Kündigung wurde als rechtsunwirksam eingestuft und infolgedessen der Klage auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses stattgegeben. Noch während des laufenden Vorverfahrens hat der AG die Eventualkündigung ausgesprochen. Der Kl stufte augenscheinlich auch die Eventualkündigung als rechtsunwirksam ein und brachte die Klage auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses ein. Nach Pkt [7] 6 der Entscheidung hat der Kl „die Unwirksamkeit der Eventualkündigung“ erstmals zehn Monate nach ihrem Ausspruch und sieben Monate nach dem darin genannten Endtermin des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht. Ob die damit gemeinte Klage auf Feststellung des aufrechten Arbeitsverhältnisses noch während des laufenden Vorverfahrens eingebracht wurde oder erst nach dessen rechtskräftigem Ende (und allenfalls wie lange nach dem rechtskräftigen Abschluss des Vorverfahrens), ist der Entscheidung nicht zu entnehmen.
Die Aufgriffsobliegenheit (der „Unverzüglichkeitsgrundsatz“) ist im Zusammenhang mit der vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses entwickelt worden.
Eine ausdrückliche Vorschrift über die Notwendigkeit der unverzüglichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses bei Vorliegen eines wichtigen Grundes ist im Gesetz nicht enthalten. Dennoch ist das Erfordernis der unverzüglichen Geltendmachung von Entlassungsgründen ein von Rsp und Lehre allgemein anerkannter Grundsatz. Dafür gibt es zahlreiche Belegstellen in der höchstgerichtlichen Judikatur und im arbeitsrechtlichen Schrifttum (siehe dazu in der Rsp zB OGH9 ObA 112/05v Arb 12.554 mwA; im Schrifttum statt aller Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht I3 [1988] 302 f; Kuderna, Entlassungsrecht2 [1994] 13 ff; jeweils mit zahlreichen Hinweisen auf die Rsp). Danach muss von einem eingetretenen Lösungsgrund unverzüglich, dh ohne schuldhaftes Zögern, Gebrauch gemacht werden, widrigenfalls das Entlassungsrecht erlischt.
Siehe zB OGH 23.6.1993, 9 ObA 126/93: „Vom Entlassungsrecht ist unverzüglich Gebrauch zu machen, sobald dem Dienstgeber die für das Vorliegen eines Entlassungsgrundes wesentlichen Einzelheiten zur Kenntnis gelangt sind, widrigenfalls das Entlassungsrecht erlischt. Verzicht und Verwirkung müssen demnach zum Zeitpunkt der Entlassungserklärung vorliegen. Der Grundsatz der Unverzüglichkeit beruht auf dem Gedanken, daß ein Arbeitgeber, der eine ihm bekanntgewordene Verfehlung seines Arbeitnehmers nicht sofort mit Entlassung beantwortet, dessen Weiterbeschäftigung nicht als unzumutbar ansieht und auf die Ausübung des Entlassungsrechtes im konkreten Fall verzichtet. Der Grundsatz der Unverzüglichkeit darf aber nicht überspannt werden. Bei einem zweifelhaften Sachverhalt ist der Dienstgeber verpflichtet, die zur Feststellung des Sachverhaltes erforderlichen und zumutbaren Erhebungen ohne Verzögerung durchzuführen. Die Verpflichtung zur Nachforschung nach einem Entlassungsgrund besteht aber nur dann, wenn dem Dienstgeber konkrete Umstände zur Kenntnis gelangt sind, die die Annahme rechtfertigen, daß das Verhalten des Dienstnehmers eine Entlassung rechtfertigt. Bloße Verdachtsmomente reichen zur Begründung der Nachforschungsverpflichtung nicht aus.“
Die neuere Literatur und Rsp sprechen richtigerweise von einer Aufgriffsobliegenheit. Die rechtswissenschaftlichen Erklärungen, warum diese Obliegenheit besteht, sind zwar nicht einheitlich (siehe dazu zB Kuderna, Entlassungsrecht2 14), im Ergebnis ist der erwähnte Rechtsgrundsatz als solcher aber allgemein anerkannt. Der AN, dem pflichtwidriges Verhalten vorgeworfen wird, darf nicht ungebührlich lange über sein Schicksal im Unklaren gelassen werden (siehe zB OGH 30.10.2017, 9 ObA 106/17d, uva). In Rsp und Lehre wird allerdings immer wieder betont, dass der genannte Grundsatz nicht überspitzt werden darf und einer verständnisvollen Anwendung bedarf, 591 wenn er nicht mit den Erfordernissen des Wirtschaftslebens und den Betriebserfordernissen in Widerspruch geraten will (siehe zB OGH 29.5.2012, 9 ObA 35/12f, uva).
Für den vorzeitigen Austritt des AN gilt das Ausgeführte entsprechend.
Mittlerweile ist die Anwendung der Aufgriffsobliegenheit auch auf andere Bereiche des Arbeitsrechts ausgedehnt worden, zB auf Kündigungen wegen des Betriebsübergangs. Durch den Veräußerer ausgesprochene Kündigungen wegen des Betriebsübergangs sind – wie durch die Rsp geklärt ist – rechtsunwirksam, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Wesentlichen nur dazu dienen soll, die grundsätzlich nur relativ zwingenden Bestimmungen des AVRAG zu unterlaufen: Aus dem Sinn des § 3 Abs 1 AVRAG wird ein Verbot derartiger Kündigungen abgeleitet (zB schon OGH 5.6.2002 Arb 12.233; OGH8 ObA 26/08v ARD 5917/5/2008 ua).
Auch in diesem Zusammenhang wird durch die Judikatur die Aufgriffsobliegenheit angewandt, siehe zB OGH 24.7.2013, 9 ObA 51/13k:
Der Fortsetzungsanspruch des AN nach einem Betriebsübergang iSd § 3 AVRAG kann nicht unbefristet geltend gemacht werden, sondern muss – im Interesse der Rechtssicherheit und des Klarstellungsinteresses des Vertragspartners – ohne unnötigen Aufschub erhoben werden.
Zur Beurteilung der Unverzüglichkeit ist ein angemessener, zur Erkundung und Meinungsbildung objektiv ausreichender Zeitraum heranzuziehen.
Mangels einer gesetzlichen Frist ist die zeitliche Grenze unter Bedachtnahme auf § 863 ABGB zu ziehen und zu beurteilen, ob das Verhalten des AN als stillschweigendes Einverständnis mit der Beendigung bzw als Verzicht auf die Geltendmachung der Unzulässigkeit der Beendigung aufzufassen ist.
Die bloße Nichtgeltendmachung durch längere Zeit dokumentiert für sich allein idR noch keinen Verzicht, vielmehr müssen besondere Umstände hinzukommen, die die spätere Geltendmachung als unzulässig erscheinen lassen.
In der vorliegenden E wird die Aufgriffsobliegenheit durch den OGH – soweit ersichtlich – zum ersten Mal im Zusammenhang mit der in einem besonderen rechtlichen Umfeld ausgesprochenen und bekämpften Eventualkündigung angewandt; das Spezielle bestand dabei darin, dass die Kündigungen nicht im Rahmen des allgemeinen Kündigungsschutzes gem §§ 105 ff ArbVG bekämpft worden sind, sondern dass gegen die Kündigungen durch den AN mit Klage auf Feststellung des aufrechten Arbeitsverhältnisses vorgegangen wurde.
Nach Ansicht des Verfassers ist gegen die Anwendung der Aufgriffsobliegenheit auch im vorliegenden Zusammenhang grundsätzlich nichts einzuwenden. Das Problem besteht allerdings darin, dass keine gesetzliche Regelung besteht, in der
normiert ist, wann die dem AN für das Vorgehen gegen die Eventualkündigung zur Verfügung stehende Frist beginnt und
wie lange der Zeitraum ist, innerhalb dessen der AN seine rechtlichen Schritte einleiten kann, ohne dass ihm ein Verstoß gegen die Aufgriffsobliegenheit entgegengehalten werden kann.
Für die Beantwortung dieser Fragen steht als Norm ausschließlich § 863 ABGB zur Verfügung. Es liegt auf der Hand, dass durch diese äußerst allgemein gehaltene gesetzliche Ausgangsbasis der Rechtsunsicherheit Tür und Tor geöffnet ist.
Es überzeugt nicht, wie der OGH in der vorliegenden E die Aufgriffsobliegenheit angewandt hat.
§ 863 Abs 1 ABGB lautet folgendermaßen: „Man kann seinen Willen nicht nur ausdrücklich durch Worte und allgemein angenommene Zeichen, sondern auch stillschweigend durch solche Handlungen erklären, welche mit Überlegung aller Umstände keinen vernünftigen Grund, daran zu zweifeln, übrig lassen.“
Der OGH führt zu § 863 ABGB noch durchaus zutreffend aus: „Mangels einer gesetzlichen Frist ist die zeitliche Grenze unter Bedachtnahme auf § 863 ABGB zu ziehen und zu beurteilen, ob das Verhalten des Arbeitnehmers als stillschweigendes Einverständnis mit der Beendigung bzw als Verzicht auf die Geltendmachung der Unzulässigkeit der Beendigung aufzufassen ist. Die bloße Nichtgeltendmachung durch längere Zeit dokumentiert für sich allein idR noch keinen Verzicht. Vielmehr müssen besondere Umstände hinzukommen, die die spätere Geltendmachung als unzulässig erscheinen lassen (OGH 9 ObA 322/99i mwN). Es kommt aber nicht nur auf die Dauer der Untätigkeit, sondern auch darauf an, ob der Arbeitnehmer triftige Gründe für sein Zögern ins Treffen führen kann (RS0034648).“
Überzeugend angewandt hat der OGH das im vorliegenden Fall aber nicht.
Damit eine konkludente Erklärung iS von § 863 Abs 1 ABGB vorliegen kann, verlangt das Gesetz Handlungen, „die mit Überlegung aller Umstände keinen vernünftigen Grund, daran zu zweifeln, übrig lassen“
. Und der OGH führt – wie soeben zitiert – zutreffend aus, dass die bloße Nichtgeltendmachung durch längere Zeit für sich allein idR noch keinen Verzicht dokumentiert; es müssten vielmehr besondere Umstände hinzukommen, die die spätere Geltendmachung als unzulässig erscheinen lassen. Davon ist der vorliegende Fall aber weit entfernt. Es liegen nicht nur keine besonderen Umstände vor, die die spätere Geltendmachung als unzulässig erscheinen lassen. Es liegen vielmehr im Gegenteil besondere Umstände vor, die die spätere Geltendmachung sehr wohl als legitim erscheinen lassen. Der Umstand, dass bei Ausspruch der Eventualkündigung ein Verfahren über den aufrechten Bestand des Dienstverhältnisses anhängig war und damit die Wirksamkeit der Eventualkündigung vom Ausgang des ersten Verfahrens abhängig war, begründet (im Gegensatz zur Ansicht des OGH) sehr wohl ein gut nachvollziehbares Interesse des DN, mit der Geltendmachung seines Anspruchs zuzuwarten. Es besteht nämlich ein (auch für den 592 AG erkennbares) Interesse des AN am vorläufigen Nichtvorgehen gegen die Eventualkündigung, nämlich das Interesse, einen möglicherweise sinnlosen Prozessaufwand zu vermeiden. Solange das Verfahren über die erste Kündigung nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, kann der AN nicht einschätzen, ob ein Vorgehen gegen die Eventualkündigung vernünftig ist. Ein prozessuales Vorgehen gegen die Eventualkündigung ist nämlich nur dann sinnvoll, wenn der AN im Erstverfahren rechtskräftig obsiegt hat. Wenn hingegen das Erstverfahren zu Lasten des AN ausgeht, ist klar, dass eine allfällige Klage gegen die Eventualkündigung abzuweisen ist (weil das Arbeitsverhältnis durch die erste Kündigung beendet wurde und die Eventualkündigung rechtlich gar nicht wirksam geworden ist). Ein AN wird daher die Klage gegen die Eventualkündigung vernünftigerweise (nicht zuletzt aus finanziellen Erwägungen) nicht sogleich nach deren Zugang bzw dem dort genannten Endtermin des Arbeitsverhältnisses einbringen, sondern erst nach rechtskräftigem Obsiegen im Erstverfahren. Das Zuwarten des AN ist in dieser Situation legitim. Es besteht sehr wohl ein Interesse des AN, mit der Geltendmachung seines Anspruchs zuzuwarten, bis das Erstverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Angesichts dieser auch dem AG geläufigen Situation kann keine Rede davon sein, dass es für den AG keinen vernünftigen Grund gab, Zweifel zu haben, ob der AN die Eventualkündigung hinnehmen wollte.
Wenn der OGH dem (zugegebenermaßen etwas unpräzisen) Argument des Kl, dass sein Obsiegen im Vorverfahren „Bedingung für die Kündigung war“ (genauer betrachtet ist das Obsiegen des AN im Vorverfahren Bedingung für das rechtliche Existentwerden der Eventualkündigung), entspreche das dem Wesen der Eventualkündigung, ist das im vorliegenden Zusammenhang nicht überzeugend. Aus dem „Wesen der Eventualkündigung“ lässt sich für die Interpretation des Verhaltens des Kl iS von § 863 Abs 1 ABGB nichts gewinnen. Und schon gar lässt sich aus dem „Wesen der Eventualkündigung“ nicht ableiten, dass – solange das Erstverfahren nicht rechtskräftig abgeschlossen ist – das Nichtvorgehen gegen die Eventualkündigung eine Handlung darstellt, welche mit Überlegung aller Umstände keinen vernünftigen Grund übrig lässt, daran zu zweifeln, dass der AN die Eventualkündigung hinnimmt. Der Umstand, der den AN in gut nachvollziehbarer Weise daran hindert, noch während des laufenden Verfahrens über die erste Kündigung gegen die Eventualkündigung vorzugehen, ist die rechtliche Ungewissheit über den Ausgang des Erstverfahrens und damit über die Zweckmäßigkeit, ein für den AN uU mit beträchtlichen Kosten verbundenes zweites Verfahren aus Anlass der Eventualkündigung einzuleiten. Solange das Erstverfahren nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, kann der AG aus dem Nichtvorgehen gegen die Eventualkündigung keine Schlüsse ziehen, schon gar nicht den Schluss, dass der AN mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Eventualkündigung einverstanden ist bzw auf die Geltendmachung der Unzulässigkeit der Beendigung verzichtet, selbst wenn er im Erstverfahren obsiegt.
Wie verhält es sich nun bei der – wie ausgeführt – auch im vorliegenden Zusammenhang grundsätzlich zu bejahenden Anwendung von § 863 ABGB mit der Aufgriffsobliegenheit? Nach Ansicht des Verfassers beginnt der Zeitraum, der dem AN in einer Situation wie derjenigen des vorliegenden Verfahrens für die Einbringung der Klage gegen die Eventualkündigung zur Verfügung steht, ohne dass ihm ein Verstoß gegen die Aufgriffsobliegenheit entgegengehalten werden kann, nicht mit dem Zugang der Eventualkündigung oder dem sich aus dieser ergebenden Ende des Arbeitsverhältnisses, sondern erst mit der Zustellung der rechtskräftigen Entscheidung im Erstverfahren. Ab diesem Zeitpunkt steht dem AN eine angemessene Frist für die Überlegung zur Verfügung, ob er auch gegen die Eventualkündigung vorgehen will. Es besteht allerdings das auch durch den OGH angeführte Problem, dass aus § 863 Abs 1 ABGB keinerlei Anhaltspunkte abzuleiten sind, wie lange diese Frist ist. Nach Ansicht des Verfassers kann in dieser Situation – wenn keine besonderen Umstände vorliegen – an die analoge Anwendung von § 105 Abs 5 ArbVG gedacht werden. Das ergibt eine Frist von 14 Tagen (ab Zugang der rechtskräftigen Entscheidung im Erstverfahren), die einen für die Meinungsbildung des AN ausreichenden Zeitraum darstellen sollten. Erst nach Ablauf dieses Zeitraumes kann dem AN nach Ansicht des Verfassers der Verstoß gegen die Aufgriffsobliegenheit entgegengehalten werden, sodass die danach eingebrachte Klage gegen die Eventualkündigung abzuweisen ist. 593