53Familienzeitbonus und gemeinsamer Haushalt
Familienzeitbonus und gemeinsamer Haushalt
Anspruch auf Familienzeitbonus hat ein Vater für sein Kind, sofern (ua) gem § 2 Abs 1 Z 4 FamZeitbG er, das Kind und der andere Elternteil im gemeinsamen Haushalt leben. Ein gemeinsamer Haushalt liegt gem § 2 Abs 3 FamZeitbG nur dann vor, wenn der Vater, das Kind und der andere Elternteil in einer dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft an derselben Wohnadresse leben und alle drei an dieser Adresse auch „hauptwohnsitzlich“ gemeldet sind.
Befinden sich in einem Gebäude (einem Wohnhaus) zwei Wohnungen, die von der Meldebehörde mit zwei unterschiedlichen Topnummern bezeichnet wurden, so verfügen diese Wohnungen auch gem § 2 Abs 3 FamZeitbG über unterschiedliche Wohnadressen. Dies gilt auch im Falle eines von mehreren Generationen einer Familie bewohnten Einfamilienhauses, wenn Erdgeschoß und Obergeschoß je eine Topnummer aufweisen. Ist der Vater während der ersten vier Tage der Familienzeit in einem Bereich und die Mutter mit dem Neugeborenen im anderen Bereich dieses Hauses gemeldet, so liegt für diese Zeit kein gemeinsamer Haushalt vor.
Unterbricht der Vater für den gesamten beantragten Anspruchszeitraum, der zwischen 28 und 31 Tage umfassen muss, seine Erwerbstätigkeit, um sich aus Anlass der Geburt eines Kindes seiner Familie zu widmen (Familienzeit), und fehlt es während des Antragszeitraums nur an einzelnen Tagen an der Erfüllung einer der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen des § 2 FamZeitbG, so besteht für jene Tage, an denen alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, ein anteiliger Anspruch auf Familienzeitbonus.
[1] Gegenstand des Verfahrens ist der vom Kl geltend gemachte Anspruch auf Familienzeitbonus aus Anlass der Geburt seines Sohnes F* am 27.8.2019 für den Zeitraum von 1.9.2019 bis 30.9.2019.
[2] Im Zeitraum von 1.9.2019 bis 30.9.2019 lebte der Kl mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Sohn in einem Einfamilienhaus, das im Eigentum der Eltern seiner Lebensgefährtin steht. Dieses Haus besteht nach einem Dachgeschoßausbau aus zwei Wohnbereichen. Die Gemeinde ordnete dem Haus im Zug dieses Dachgeschoßausbaus zwei Topnummern zu, und zwar – nach dem unstrittigen Vorbringen des Kl – dem Erdgeschoß die Topnummer 1 und dem Obergeschoß die Topnummer 2. Der Kl wohnte im hier relevanten Zeitraum mit seiner Lebensgefährtin, dem gemeinsamen Kind und der Großmutter der Lebensgefährtin im Erdgeschoß. Die Eltern seiner Lebensgefährtin wohnten im Obergeschoß. Die „hauptwohnsitzliche“ Meldung des Kl lautet auf „A*/1“ (= Erdgeschoß). Die „hauptwohnsitzliche“ Meldung der Lebensgefährtin des Kl lautete – ebenso wie jene des gemeinsamen Kindes – bis 5.9.2019 unstrittig auf „A*/2“ (= Obergeschoß).
[3] Die bekl Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) lehnte den Antrag des Kl auf Familienzeitbonus mit Bescheid vom 17.1.2020 ab, weil die Mutter des gemeinsamen Kindes erst ab 5.9.2019 gemeinsam mit dem Kl und dem Kind „hauptwohnsitzlich“ gemeldet sei, sodass es an einem gemeinsamen Haushalt iSd § 2 Abs 1 Z 4 iVm Abs 3 FamZeitbG fehle.
[4] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren auf Zuerkennung des Familienzeitbonus für den Zeitraum von 1.9.2019 bis 30.9.2019 statt. [...]
[5] Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren über Berufung der Bekl ab. [...]
[6] Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision des Kl, mit der er die Stattgebung der Klage beantragt. [...]
[8] Die Revision ist zulässig, weil zum Begriff der Wohnadresse (Adresse) in § 2 Abs 3 FamZeitbG Rsp des OGH fehlt. Sie ist auch teilweise berechtigt.
[9] Der Revisionswerber macht geltend, dass durch die Zuweisung von zwei Topnummern im Zug eines Dachgeschoßausbaus durch die Gemeinde in einem Einfamilienhaus mit einem Haupteingang, gemeinsamer Wärmeversorgung, einem einheitlichen Wasseranschluss, gemeinsamer Abfallentsorgung und einer einheitlichen Abstellgenehmigung nicht von zwei unterschiedlichen, den Meldevorschriften entsprechenden Hauptwohnsitzen ausgegangen werden könne. Vielmehr liege nur ein einheitliches Wohnobjekt und damit eine einzige Wohnadresse bzw nur ein Hauptwohnsitz vor. An dieser Wohnadresse seien der Kl, seine Lebensgefährtin und das gemeinsame Kind während des gesamten Antragszeitraums wohnhaft und gemeldet gewesen. Die Zuteilung von Topnummern durch die Gemeinde sei hingegen nicht relevant, diese dienten gem § 31 Abs 6 nö BauO nur der Nummerierung und Kennzeichnung der Wohnungen, hätten jedoch keinen Einfluss auf die Adresse selbst. Auch das Meldegesetz stelle nur auf die Wohnsitznahme an einer Unterkunft ab, nicht jedoch auf Topnummern.
[10] Die bekl ÖGK hält dem im Wesentlichen entgegen, dass kumulativ zum gemeinsamen Haushalt eine „hauptwohnsitzliche“ Meldung am Ort des gemeinsamen Haushalts vorliegen müsse, woran es hier fehle. Der Familienzeitbonus stehe dem Vater nicht für Zeiträume zu, in denen die Mutter und das Kind – oder nur das Kind oder nur die Mutter – nicht an derselben Wohnadresse, sondern an einer anderen Adresse – worunter auch eine andere Topnummer zu verstehen sei – „hauptwohnsitzlich“ gemeldet waren.
Dazu ist auszuführen:
1. Anspruchsvoraussetzung des gemeinsamen Haus halts gem § 2 Abs 1 Z 4 iVm Abs 3 Fam- ZeitbG:
[11] 1.1 Anspruch auf Familienzeitbonus hat ein Vater für sein Kind, sofern (ua) gem § 2 Abs 1 Z 4 FamZeitbG er, das Kind und der andere Elternteil im gemeinsamen Haushalt leben. Ein gemeinsamer Haushalt liegt gem § 2 Abs 3 FamZeitbG nur dann vor, wenn der Vater, das Kind und der andere Elternteil in einer dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft an derselben Wohnadresse 594 leben und alle drei an dieser Adresse auch „hauptwohnsitzlich“ gemeldet sind. Eine höchstens bis zu zehn Tagen verspätet erfolgte Hauptwohnsitzmeldung des Kindes an dieser Wohnadresse schadet nicht (§ 2 Abs 3 Satz 2 FamZeitbG).
[12] 1.2 Der Begriff des gemeinsamen Haushalts wurde mit § 2 Abs 6 KBGG idF BGBl I 2009/116 geschaffen. Ein gemeinsamer Haushalt lag nach Satz 1 dieser Bestimmung vor, wenn der Elternteil und das Kind auch an derselben Adresse „hauptwohnsitzlich“ gemeldet sind (10 ObS 69/14s SSV-NF 28/46). In den Gesetzesmaterialien zu dieser Bestimmung hieß es auszugsweise (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 9): „Nach dem Meldegesetz ist der Hauptwohnsitz eines Menschen an jener Unterkunft begründet, an der der Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen (Lebensmittelpunkt) liegt. Bei getrennten Hauptwohnsitzmeldungen des beziehenden Elternteiles und des Kindes einerseits und gegenteiligen Angaben (zB gemeinsamer Lebensmittelpunkt und gemeinsamer Haushalt an einer der beiden Adressen) bei den Krankenversicherungsträgern andererseits, handelt es sich um einen aufklärungsbedürftigen Widerspruch. Damit entstehen in den meisten Fällen unnötige Belastungen der Eltern und der Behörden. Durch die Klarstellung, dass ein gemeinsamer Haushalt eine auf längere Zeit gerichtete Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft mit dementsprechenden Hauptwohnsitzmeldungen des Elternteiles und des Kindes an derselben Adresse voraussetzt, wird eine Entlastung der Eltern und der Krankenversicherungsträger erreicht.“
Für das Vorliegen eines gemeinsamen Haushalts iSd § 2 Abs 6 KBGG müssen daher seit der Novelle BGBl I 2009/116 zwei Elemente erfüllt sein: Es muss eine auf längere Zeit gerichtete Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft des beziehenden Elternteils und des Kindes an derselben Wohnadresse bestehen (vgl dazu 10 ObS 50/19d SSV-NF 33/68) und beide müssen an dieser Adresse auch „hauptwohnsitzlich“ gemeldet sein (10 ObS 17/19a SSV-NF 33/17 mwH). In Bezug auf das hier interessierende Merkmal der gemeinsamen „hauptwohnsitzlichen“ Meldung erfuhr § 2 Abs 6 KBGG weder mit der Novelle BGBl I 2016/53 – mit der auch das FamZeitbG geschaffen wurde – noch mit der Novelle BGBl I 2019/24 eine Änderung.
[13] 1.3 In der E 10 ObS 69/14s SSV-NF 28/46 begründete der OGH ausführlich seine Ansicht, dass der Gesetzgeber des Kinderbetreuungsgeldgesetzes den eine Unterkunft voraussetzenden melderechtlichen Hauptwohnsitzbegriff des § 1 Abs 7 Meldegesetz 1991, BGBl 1992/9 (MeldeG) anwenden wollte, nicht aber jenen des Art 6 Abs 3 B-VG. Daran hielt er auch in Folgeentscheidungen fest (10 ObS 144/15x; 10 ObS 121/18v SSVNF 33/15 mwH; 10 ObS 19/19w; vgl auch jüngst 10 ObS 136/21d). Die in 10 ObS 144/15x gegen § 2 Abs 6 KBGG dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken des OGH hatte der VfGH nicht (VfGHG 121/2016). Mit der Novelle BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24 fügte der Gesetzgeber in § 2 Abs 6 Satz 2 KBGG einen ausdrücklichen Hinweis auf § 3 Abs 1 MeldeG ein (Art 2 Z 2 BGBl I 2019/24).
[14] 1.4 Die mit BGBl I 2016/53 geschaffene Bestimmung des § 2 Abs 3 FamZeitbG entspricht hinsichtlich des hier zu behandelnden Tatbestandsmerkmals der gemeinsamen „hauptwohnsitzlichen“ Meldung inhaltlich § 2 Abs 6 KBGG. Unter Berücksichtigung des vergleichbaren Regelungszwecks dieser Bestimmungen ist auch im Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 FamZeitbG davon auszugehen, dass diese Bestimmung auf den Hauptwohnsitzbegriff des § 1 Abs 7 MeldeG abstellt (10 ObS 121/18v SSV-NF 33/15).
[15] 1.5.1 Das Meldegesetz verknüpft das Entstehen der Meldepflicht mit der Tatsache der Aufnahme oder Aufgabe einer Unterkunft (§ 2 Abs 1 MeldeG). § 2 Abs 1 MeldeG begründet die Meldepflicht für vier Fälle, darunter die Aufnahme der Unterkunft in einer Wohnung (§ 3 MeldeG). Die Unterkunftnahme beginnt mit dem erstmaligen widmungsmäßigen Gebrauch der Unterkunft und hängt bloß von objektiven, äußeren (faktischen) Umständen ab (10 ObS 121/18v SSV-NF 33/15 mwH). Wer in einer Wohnung Unterkunft nimmt, ist innerhalb von drei Tagen danach bei der Meldebehörde anzumelden (§ 3 Abs 1 MeldeG).
[16] 1.5.2 Weder das FamZeitbG noch das MeldeG definieren den in § 2 Abs 3 FamZeitbG verwendeten Begriff der Adresse (Wohnadresse). Das Meldegesetz knüpft an den Begriff der Unterkunft an. Unterkünfte sind Räume, die zum Wohnen oder Schlafen benutzt werden (§ 1 Abs 1 MeldeG). Das MeldeG unterscheidet nicht zwischen einem (Wohn-)Haus und einer Wohnung, sondern definiert nur den Begriff der Wohnung. Wohnungen sind gem § 1 Abs 4 MeldeG Unterkünfte, soweit es sich nicht um Beherbergungsbetriebe (vgl § 1 Abs 2 MeldeG) handelt. Fahrzeuge und Zelte gelten nach § 1 Abs 4 MeldeG dann als Wohnung, wenn sie im Gebiet derselben Gemeinde länger als drei Tage als Unterkunft dienen. Ein Wohnsitz eines Menschen ist gem § 1 Abs 6 MeldeG an einer Unterkunft begründet, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, dort bis auf weiteres einen Anknüpfungspunkt von Lebensbeziehungen zu haben. Der Hauptwohnsitz eines Menschen ist wiederum an jener Unterkunft begründet, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, diese zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen (vgl zu diesem Begriff § 1 Abs 8 MeldeG) zu machen (§ 1 Abs 7 erster Halbsatz MeldeG). Der Tatbestand des „Wohnsitzes“ beruht auf zwei Aspekten, einerseits der tatsächlichen Unterkunftnahme und andererseits der Absicht, bis auf weiteres dort (zumindest) einen Anknüpfungspunkt von Lebensbeziehungen zu haben (10 ObS 69/14s SSV-NF 28/46).
[17] 1.5.3 Das MeldeG verweist jedoch an drei Stellen (§ 3 Abs 1a und 2; § 16a Abs 4 MeldeG) auf das BG über das Gebäude- und Wohnungsregister, BGBl I 2004/9 (GWR-G). Dieses Gesetz regelt die Einrichtung und Führung eines zentralen Gebäudeund Wohnungsregisters durch die Bundesanstalt Statistik Österreich für Zwecke der Bundesstatistik, Forschung und Planung (§ 1 Abs 1 GWR-G). § 3 MeldeG trifft Regelungen über An- und Ummeldung 595 bei der Unterkunftnahme in einer Wohnung. § 3 Abs 2 Satz 1 und 2 MeldeG lauten: „Für jeden anzumeldenden Menschen ist der Meldezettel entsprechend vollständig auszufüllen. Befindet sich die Wohnung in einem Gebäude, das im Gebäude- und Wohnungsregister (GWR) mit mehreren Adressen aufscheint, hat der Unterkunftnehmer eine dieser Adressen auszuwählen.“
[18] 1.5.4 Das GWR-G trifft ua Definitionen der Begriffe Gebäude (§ 2 Z 2 GWR-G), Wohnung (§ 2 Z 4 GWR-G) und Adresse (§ 2 Z 6 GWR-G). Eine Wohnung ist danach ein baulich abgeschlossener, nach der Verkehrsauffassung selbständiger Teil eines Gebäudes, der nach seiner Art und Größe geeignet ist, der Befriedigung individueller Wohnbedürfnisse von Menschen zu dienen. Eine Adresse ist die Bezeichnung einer Örtlichkeit eines Grundstücks (Abschnitt A der Anlage zum GWR-G), eines Gebäudes (Abschnitt B der Anlage zum GWR-G) oder einer Wohnung oder sonstigen Nutzungseinheit (Abschnitt C der Anlage zum GWR-G). Das Register hat ua die Adressen der Gebäude (§ 3 Z 2 GWR-G) und der Wohnungen und sonstigen Nutzungseinheiten zu enthalten (§ 3 Z 3 GWR-G). Anlage C zum GWR-G enthält die Merkmale von Adressen der Wohnungen und sonstigen Nutzungseinheiten und lautet: „
Merkmale der Adresse des Gebäudes, in dem sich die Wohnung oder die sonstige Nutzungseinheit befindet;
die Tür- oder Topnummer entsprechend den landesrechtlichen Vorschriften oder die nähere Lagebestimmung innerhalb des Gebäudes.““
[19] Eine derartige, vom Erstgericht bereits erwähnte landesrechtliche Vorschrift ist § 31 Abs 6 der nö BauO 2014, LGBl 2015/1, wonach Stiegenhäuser und Wohnungen in Wohngebäuden vom Gebäudeeigentümer zu nummerieren und zu kennzeichnen sind.
[20] 1.6 Für die Bestimmung des Begriffs der Adresse (Wohnadresse) gem § 2 Abs 3 FamZeitbG ist daher der Wohnungsbegriff maßgeblich, da insb die Unterkunftnahme in einer Wohnung die Meldepflicht auslöst (§ 3 Abs 1 MeldeG). Daran knüpft wieder die Bestimmung des Wohnsitzes oder Hauptwohnsitzes eines Menschen an. Eine Wohnung kann sich in einem Gebäude befinden, das mehrere Adressen hat (zB auf einem Eckgrundstück). Befinden sich mehrere Wohnungen in einem Gebäude, so sind diese in der Regel entsprechend den landesrechtlichen Vorschriften nach Tür- oder Topnummer zu bezeichnen, wodurch sich wiederum die Wohnungsadresse bestimmt.
[21] 1.7 Befinden sich daher in einem Gebäude (einem Wohnhaus) zwei Wohnungen, die wie im vorliegenden Fall mit zwei unterschiedlichen Topnummern von der Meldebehörde – das ist gem § 13 Abs 1 MeldeG der Bürgermeister – bezeichnet wurden, so verfügen diese Wohnungen nach der dargestellten Rechtslage auch gem § 2 Abs 3 FamZeitbG über unterschiedliche Adressen (Wohnadressen). Dies stimmt mit den den OGH bindenden Feststellungen überein, wonach das Haus seit dem Ausbau des Dachgeschoßes aus zwei Wohnbereichen besteht. Auf die weiteren in der Revision dargestelldargestellten Umstände – nur ein Haupteingang, gemeinsame Wärmeversorgung, einheitlicher Wasseranschluss etc – kommt es hingegen nicht an.
[22] 1.8 Zwischenergebnis: Für den Zeitraum von 1.9.2019 bis 4.9.2019 liegt kein gemeinsamer Haushalt iSd § 2 Abs 1 Z 4 iVm Abs 3 FamZeitbG vor, weil es in diesem Zeitraum an einer gemeinsamen „hauptwohnsitzlichen“ Meldung des Kl und des anderen Elternteils fehlt. Daran ändert, worauf das Berufungsgericht hingewiesen hat, der Umstand nichts, dass die nachträgliche Hauptwohnsitzmeldung des Kindes gem § 2 Abs 3 Satz 2 FamZeitbG im konkreten Fall nicht schadet, weil diese Bestimmung nicht für den anderen Elternteil, also die Mutter des Kindes, gilt.
[23] 2. Der Kl hat die Rechtsrüge durch Aufwerfen einer iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage gesetzmäßig ausgeführt. Damit hat der OGH – nach einem allgemeinen Grundsatz des Rechtsmittelverfahrens – die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen ohne Beschränkung auf die Ausführungen des Rechtsmittelwerbers auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen allseitig und umfassend, also nach allen Richtungen hin, zu überprüfen (RS0043352).
3. Höhe und Dauer des Anspruchs:
[24] 3.1 Nach der bisherigen Rsp des OGH besteht auch dann kein Anspruch auf Familienzeitbonus, wenn die Anspruchsvoraussetzung des gemeinsamen Haushalts iSd § 2 Abs 3 FamZeitbG nicht für den gesamten, vom Vater gewählten Anspruchszeitraum erfüllt ist, mag ein gemeinsamer Haushalt auch in einer den Mindestzeitraum des § 3 Abs 2 FamZeitbG erreichenden oder überschreitenden Dauer von zumindest 28 Tagen vorliegen (10 ObS 101/19d SSV-NF 33/48; 10 ObS 109/18d SSV-NF 32/67; RS0133088). Dies wurde damit begründet, dass der Familienzeitbonus gem § 3 Abs 2 FamZeitbG ausschließlich für eine ununterbrochene Dauer von 28, 29, 30 oder 31 aufeinanderfolgenden Kalendertagen und innerhalb eines Zeitraums von 91 Tagen ab dem Tag der Geburt des Kindes gebühre. Die Anspruchsdauer sei bei der Antragstellung verbindlich festzulegen, könne ausschließlich 28, 29, 30 oder 31 Kalendertage betragen und später nicht geändert werden (§ 3 Abs 3 FamZeitbG). Die Familienzeit und der beantragte Bezugszeitraum müssten sich demnach decken, die Familienzeit dürfe nicht kürzer andauern als der gewählte Anspruchszeitraum (10 ObS 177/19f; 10 ObS 115/19p; 10 ObS 113/19v; 10 ObS 69/20z; 10 ObS 71/21w).
[25] 3.2 Diese Rsp ist in der Lehre auf Kritik gestoßen. Reissner (ASoK 2019, 402 [409]) erachtet die Sanktion des Verlusts des gänzlichen Anspruchs in einem Fall, in dem die Anspruchsvoraussetzungen nur während eines Tages des gewählten Anspruchszeitraums nicht verwirklicht waren (10 ObS 101/19d), als unnötig hart, bewege sich der Vater doch immer noch innerhalb des gesetzlich gewollten Zeitausmaßes. Schrattbauer ( JAS 2020, 244 [261 f]) kritisiert wiederum, dass der explizite Ausschluss jeglicher Änderungsmöglichkeit des einmal gewählten Bezugszeitraums (§ 3 Abs 3 letzter Satz FamZeitbG) im Fall unvorher 596 gesehener und unvorhersehbarer Ereignisse selbst dann zu einem Wegfall des Anspruchs führe, wenn der Bezugszeitraum ursprünglich richtig geplant und beantragt worden ist und die spätere Verkürzung der Familienzeit nicht im Einflussbereich des Leistungsbeziehers liege (etwa im Fall einer Erkrankung des Kindes und des Vaters gegen Ende der Familienzeit, 10 ObS 132/19p SSV-NF 33/72). I. Faber (DRdA 2022, 18 [20 f]) hält es insb auch vor dem Hintergrund des Zwecks des FamZeitbG für hinterfragenswert, dass aus den gesetzlichen Vorgaben über die Antragstellung – also einer verfahrensrechtlichen Bestimmung – der Schluss zu ziehen sei, dass der Anspruch auf Familienzeitbonus materiell nicht auch für einen kürzeren als den gewählten Zeitraum bestehen könne.
[26] 3.3Reissner (ASoK 2019, 402 [403 f]) weist überdies auf die Vorgaben der RL (EU) 2019/1158 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur Aufhebung der RL 2010/18/EU des Rates (in der Folge: RL 2019/1158) und insb deren Art 8 hin. Aus dieser Bestimmung ergebe sich – iVm Art 4 Abs 1 RL 2019/1158 – die Verpflichtung zur Zahlung eines Familienzeitbonus für 10 Tage [...] nach den Maßstäben des Krankenstands- bzw Krankenversicherungsrechts. § 3 FamZeitbG werde nach den Vorgaben der bis 2.8.2022 umzusetzenden RL (Art 20 Abs 1 RL 2019/1158) zu adaptieren sein.
[27] Unter Beachtung der dargestellten Kritik und der unionsrechtlichen Vorgaben ist eine neuerliche Auseinandersetzung mit den Bestimmungen der §§ 2 und 3 FamZeitbG erforderlich:
4. Anspruchsberechtigung:
[28] 4.1 Die materielle Anspruchsberechtigung regelt unter dieser ausdrücklichen Überschrift § 2 FamZeitbG. Diese Bestimmung lautet auszugsweise:
„§ 2. (1) Anspruch auf den Familienzeitbonus hat ein Vater (Adoptivvater, Dauerpflegevater) für sein Kind (Adoptivkind, Dauerpflegekind), sofern...3. er sich im gesamten Anspruchszeitraum in Familienzeit (Abs. 4) befindet,4. er, das Kind und der andere Elternteil im gemeinsamen Haushalt leben (Abs. 3),...(3) Ein gemeinsamer Haushalt im Sinne dieses Gesetzes liegt nur dann vor, wenn der Vater, das Kind und der andere Elternteil in einer dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft an derselben Wohnadresse leben und alle drei an dieser Adresse auch hauptwohnsitzlich gemeldet sind. Eine höchstens bis zu zehn Tagen verspätet erfolgte Hauptwohnsitzmeldung des Kindes an dieser Wohnadresse schadet nicht....(4) Als Familienzeit im Sinne dieses Gesetzes versteht man den Zeitraum zwischen 28 und 31 Tagen (§ 3 Abs. 2), in dem sich ein Vater aufgrund der kürzlich erfolgten Geburt seines Kindes ausschließlich seiner Familie widmet und dazu die Erwerbstätigkeit (Abs. 1 Z 5) unterbricht, keine andere Erwerbstätigkeit ausübt, keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung sowie keine Entgeltfortzahlung aufgrund von oder Leistungen bei Krankheit erhält. ...“
[29] 4.2 Der Zweck des Familienzeitbonus für Väter wird in den Gesetzesmaterialien wie folgt beschrieben (ErläutRV 1110 BlgNR 24. GP 1): „Erwerbstätige Väter, die sich direkt nach der Geburt ihres Kindes intensiv und ausschließlich der Familie widmen, sollen eine finanzielle Unterstützung erhalten. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass die Familiengründungszeit wichtig ist, damit das Neugeborene rasch eine sehr enge emotionale Bindung (auch) zum Vater aufbauen, dieser seine unter den Auswirkungen der gerade erfolgten Geburt stehende Partnerin bei der Pflege und Betreuung des Säuglings, bei den Behördenwegen, bei Haushaltsarbeiten etc bestmöglich unterstützen kann, und um den Zusammenhalt in der Familie von Anfang an zu stärken.“
Anspruchsberechtigt sind daher Väter, die sich in Familienzeit befinden und die alle anderen Anspruchsvoraussetzungen erfüllen.
4.3 Höhe, Dauer und Antragstellung regelt § 3 FamZeitbG. Diese Bestimmung lautet:
„§ 3. (1) Der Familienzeitbonus beträgt 22,60 Euro täglich. Der Anspruch auf den Bonus reduziert sich um den Anspruch auf vergleichbare Leistungen nach anderen in- oder ausländischen Rechtsvorschriften.(2) Der Familienzeitbonus gebührt ausschließlich für eine ununterbrochene Dauer von 28, 29, 30 oder 31 aufeinanderfolgenden Kalendertagen innerhalb eines Zeitraumes von 91 Tagen ab dem Tag der Geburt des Kindes.(3) Der Familienzeitbonus gebührt auf Antrag, frühestens ab dem Tag der Geburt des Kindes, bei Adoptiv- und Pflegekindern gebührt der Bonus frühestens ab dem Tag, an dem das Kind in Pflege genommen wird. Der Antrag muss, bei sonstigem Anspruchsverlust, spätestens binnen 91 Tagen ab dem Tag der Geburt des Kindes gestellt werden. Bei der Antragstellung ist die Anspruchsdauer verbindlich festzulegen, diese kann ausschließlich 28, 29, 30 oder 31 Kalendertage betragen und kann später nicht geändert werden.“
[30] 4.4 § 3 FamZeitbG enthält in seinen Abs 1 und 2 materiell-rechtliche Regelungen über die Höhe und Dauer des Anspruchs. § 3 Abs 3 FamZeitbG ist hingegen eine verfahrensrechtliche Vorschrift über die Fristen zur Antragstellung und Festlegung der Anspruchsdauer bei Antragstellung. In den Gesetzesmaterialien heißt es dazu auszugsweise (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 3): „Der Familienzeitbonus wird auch aus verwaltungsvereinfachenden Gründen als pauschaler Tagesbetrag ausgestaltet, es besteht jedoch kein anteiliger (tageweiser) Anspruch auf den Bonus. Werden daher nicht an jedem einzelnen der gewählten 28, 29, 30 oder 31 Tage alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, so gebührt gar kein Bonus. Der Bonus gebührt nur für den ununterbrochenen Zeitraum von 28 bis 31 Tagen, der zur Gänze innerhalb des Zeitfensters von 91 Tagen ab Geburt des Kindes liegen muss. Die gewählte Anspruchsdauer von 28, 29, 30 oder 31 Tagen kann nicht verändert werden (ohne Ausnahme). Die Anspruchsdauer kann nicht
597verlängert, verkürzt, verschoben, aufgeteilt, vorzeitig beendet etc werden.“
[31] 4.5 Aus dem Wortlaut des – für die Anspruchsberechtigung maßgeblichen – § 2 FamZeitbG ergibt sich nicht zwingend, dass der Anspruch auf Familienzeitbonus materiell nicht auch für einen kürzeren Zeitraum als den nach der verfahrensrechtlichen Bestimmung des § 3 Abs 3 FamZeitbG gewählten bestehen kann. Aus § 2 Abs 1 Z 3 FamZeitbG folgt lediglich, dass der Vater sich im gesamten Zeitraum, in dem ein Anspruch besteht, in Familienzeit befinden muss, die zwischen 28 und 31 Tage beträgt. Zutreffend ist daher, dass die Festlegung eines verbindlichen Anspruchszeitraums gem § 3 Abs 3 FamZeitbG allein für das Verwaltungsverfahren maßgeblich ist, nicht jedoch für die Frage der Anspruchsberechtigung (I. Faber, DRdA 2022, 21). Aus dem Umstand allein, dass die Gesetzesmaterialien eine anteilige Auszahlung des Familienzeitbonus ablehnen, ergibt sich schon deshalb nichts Gegenteiliges, weil diese keine authentische Auslegung des Gesetzes iSd § 8 ABGB darstellen (RS0008799). Der gänzliche Wegfall des Anspruchs im Fall des Fehlens der Anspruchsvoraussetzungen auch nur an einem Tag des gewählten Bezugszeitraums steht überdies in Widerspruch zum Zweck der Gewährung eines Familienzeitbonus. Der Bonus soll nach den dargestellten Gesetzesmaterialien Väter als finanzielle Unterstützung dazu motivieren, sich nach der Geburt des Kindes intensiv dem Kind und der Familie zu widmen.
[32] 4.6 Dass dem FamZeitbG eine rechtmäßige anteilige Auszahlung des Bonus nicht fremd ist, ergibt sich etwa auch aus § 7 Abs 3 letzter Satz FamZeitbG. Wird danach der Tod des Kindes nicht rechtzeitig gemeldet und ist daraus ein unrechtmäßiger Bezug der Leistung nach dem FamZeitbG entstanden, so ist von Amts wegen von der Rückforderung abzusehen, sofern die Meldung binnen 31 Tagen ab dem Tod des Kindes erfolgt. Stirbt das Kind während des Bezugszeitraums, so lässt die Formulierung dieser Bestimmung den Schluss zu, dass in einem solchen Fall der Bonus anteilsmäßig zu Recht bezogen wurde: Andernfalls würde sich der unrechtmäßige Bezug nicht aus der verspäteten Todesmeldung ergeben, sondern aus der fehlenden Voraussetzung der weiteren Anspruchsvoraussetzungen für den restlichen beantragten Bezugszeitraum (Schrattbauer, JAS 2020, 263 f).
5. RL (EU) 2019/1158 und Gebot der richtlinienkonformen Interpretation:
[33] 5.1 Die RL 2019/1158 wurde am 12.7.2019 im Amtsblatt veröffentlicht (ABl L 188/79) und trat gem ihrem Art 21 am zwanzigsten Tag nach dieser Veröffentlichung, daher am 1.8.2019, in Kraft. Sie ist gem ihrem Art 20 Abs 1 bis 22.8.2022 von den Mitgliedstaaten umzusetzen. Die Gerichte der Mitgliedstaaten sind jedoch bereits vor diesem Zeitpunkt und ab Inkrafttreten einer RL verpflichtet, es so weit wie möglich zu unterlassen, das innerstaatliche Recht auf eine Weise auszulegen, die die Erreichung des mit der RL verfolgten Ziels nach Ablauf von deren Umsetzungsfrist ernsthaft gefährden würde (EuGHC-212/04, Adeneler ua, ECLI:EU:C:2006:443, Rn 122, 123; C-439/16PPU, Milev, ECLI:EU:C:2016:818, Rn 30 ff mwH).
5.2 Die RL 2019/1158 lautet auszugsweise:
„[ErwGr] (11) Der derzeitige Rechtsrahmen der Union bietet Männern nur wenige Anreize, um einen gleichwertigen Anteil an den Betreuungsund Pflegeaufgaben zu übernehmen. In vielen Mitgliedstaaten gibt es keinen bezahlten Vaterschafts- und Elternurlaub, weshalb nur wenige Väter einen Urlaub in Anspruch nehmen. ... Wenn Väter Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben in Anspruch nehmen, wie zB Urlaub oder flexible Arbeitsregelungen, wirkt sich dies außerdem nachweislich positiv in der Form aus, dass Frauen relativ betrachtet weniger unbezahlte Familienarbeit leisten und ihnen mehr Zeit für eine bezahlte Beschäftigung bleibt.[ErwGr] (29) Um die Inanspruchnahme der in dieser Richtlinie festgelegten Urlaubszeiten für Arbeitnehmer, die Eltern sind, insbesondere für Männer, noch attraktiver zu machen, sollten die Betroffenen während des Urlaubs Anspruch auf eine angemessene Vergütung haben.[ErwGr] (30) Die Mitgliedstaaten sollten deshalb für den Mindestzeitraum des Vaterschaftsurlaubs eine Höhe für die Bezahlung oder Vergütung festsetzen, die mindestens der Höhe des Krankengelds in dem jeweiligen Mitgliedstaat entspricht. ...Artikel 1GegenstandMit dieser Richtlinie werden Mindestvorschriften festgelegt, um die Gleichstellung von Männern und Frauen im Hinblick auf Arbeitsmarktchancen und die Behandlung am Arbeitsplatz dadurch zu erreichen, dass Arbeitnehmern, die Eltern oder pflegende Angehörige sind, die Vereinbarkeit von Beruf und Familienleben erleichtert wird.Hierzu legt diese Richtlinie individuelle Rechte fest, und zwar in Bezug auf Folgendes:a) Vaterschaftsurlaub, Elternurlaub und Urlaub für pflegende Angehörige; ...Artikel 3Begriffsbestimmungen(1) Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdrucka) ‚Vaterschaftsurlaub‘ die Arbeitsfreistellung für Väter oder – soweit nach nationalem Recht anerkannt – gleichgestellte zweite Elternteile anlässlich der Geburt eines Kindes zum Zweck der Betreuung und Pflege; ...Artikel 4Vaterschaftsurlaub(1) Die Mitgliedstaaten ergreifen die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Väter oder – soweit nach nationalem Recht anerkannt – gleichgestellte zweite Elternteile, Anspruch auf zehn Arbeitstage Vaterschaftsurlaub haben, der anlässlich der Geburt des Kindes des Arbeitnehmers genommen werden muss. ...Artikel 8Bezahlung oder Vergütung(1) Im Einklang mit den nationalen Gegebenheiten, wie dem nationalen Recht, Kollektiv- bzw Tarifverträgen oder Gepflogenheiten und unter Berücksichtigung der den Sozialpartnern übertragenen 598 Befugnissen stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Arbeitnehmer, die ihr Recht auf Urlaub gemäß Artikel 4 Absatz 1 oder Artikel 5 Absatz 2 in Anspruch nehmen, eine Bezahlung oder eine Vergütung gemäß den Absätzen 2 und 3 des vorliegenden Artikels erhalten.(2) Bei Vaterschaftsurlaub nach Artikel 4 Absatz 1 ist eine Bezahlung oder Vergütung in einer Höhe zu entrichten, die mindestens der Höhe der Bezahlung oder Vergütung entspricht, die der betreffende Arbeitnehmer vorbehaltlich der im nationalen Recht festgelegten Obergrenzen im Fall einer Unterbrechung seiner Tätigkeit aus Gründen im Zusammenhang mit seinem Gesundheitszustand erhalten würde. ...“
[34] 5.3 Die innerstaatlichen Gerichte und Behörden haben die inhaltlich von einer RL berührten innerstaatlichen Normen so weit wie möglich in Einklang mit der RL (richtlinienkonform) auszulegen (RS0111214 [T1]). Dabei ist unter Anwendung des Methodenkatalogs des nationalen Rechts dem in einer RL niedergelegten Zweck zum Durchbruch zu verhelfen (RS0075866). Richtlinienkonforme Interpretation darf den normativen Gehalt der nationalen Regelung nicht grundlegend neu bestimmen und kann im nationalen Recht keine neuen Institute schaffen (RS0114158; vgl 7 Ob 241/18v mwH).
[35] 5.4 Der sachliche Anwendungsbereich der RL 2019/1158 ist im vorliegenden Fall eröffnet, weil der Kl nach seinen – insofern unstrittigen – Angaben im Antrag auf Zuerkennung des Familienzeitbonus Angestellter, daher AN iSd Art 2 RL 2019/1158, ist. Darüber hinaus setzt die hier nicht strittige Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG eine unmittelbar vor Bezugsbeginn in den letzten 182 Tagen ausgeübte kranken- und pensionsversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit voraus. Die in Anspruch genommene Familienzeit iSd § 2 Abs 4 FamZeitbG entspricht zweifellos einem „Vaterschaftsurlaub“ iSd Art 3 Abs 1 lit a RL 2019/1158. Die Gewährung eines Familienzeitbonus dient insb der finanziellen Unterstützung und sozialversicherungsrechtlichen Absicherung während der Inanspruchnahme eines Anspruchs auf Freistellung anlässlich der Geburt eines Kindes gem § 1a Abs 1 VKG, BGBl 1989/651. Diese Bestimmung wurde für Geburten ab 1.9.2019 (hier daher noch nicht anwendbar) in Umsetzung der RL 2019/1158 geschaffen (Burger-Ehrnhofer/Schrittwieser/Bauer, Mutterschutzgesetz und Väter-Karenzgesetz3 § 1a VKG Rz 1 und 2).
[36] 5.5 Die Dauer der Familienzeit von mindestens 28 Tagen übersteigt – ebenso wie der Zeitraum von einem Monat gem § 1a Abs 1 VKG – die unionsrechtlich vorgesehene Mindestdauer von 10 Tagen Vaterschaftsurlaub, was gem Art 16 Abs 1 RL 2019/1158 zulässig ist. Demgegenüber wird die unionsrechtlich vorgesehene Vergütung in Höhe des Krankengeldes mit dem Satz von täglich 22,60 € für den Familienzeitbonus nicht in jedem Fall erreicht (Burger-Ehrnhofer/Schrittwieser/Bauer, MSchG und VKG § 1a VKG Rz 3 und 31). Reissner (ASoK 2019, 403 f) weist zutreffend darauf hin, dass diese relativ hohe Bezahlung oder Vergütung vom Unionsrecht gewollt ist, um Väter zum Familienurlaub zu motivieren (vgl ErwGr 29).
[37] 5.6 Vor dem Hintergrund dieser unionsrechtlichen Zielsetzungen und Regelungen ergibt sich für die Auslegung der §§ 2 und 3 FamZeitbG daher, dass der Gesetzgeber in zulässiger Weise verlangt, dass die Familienzeit zumindest 28 Tage beträgt, um die Intention, dass sich der Vater um das Kind und die Familie kümmert, in ausreichendem Maß durchzusetzen. Die Familienzeit sollte daher nicht gestückelt oder tageweise in Anspruch genommen werden, wie dies auch in den Gesetzesmaterialien gefordert ist.
[38] Es entspricht aber weder den Intentionen des FamZeitbG noch der RL 2019/1158, in einem Fall wie dem vorliegenden den Anspruch des Kl auf Familienzeitbonus gänzlich zu verneinen. Der Kl hat – iSd ErwGr 11 der RL 2019/1158 – die Zuerkennung des Familienzeitbonus im Ausmaß von 30 Tagen beantragt und war bereit, in diesem Zeitraum einen gleichwertigen Anteil an Betreuungsund Pflegeaufgaben zu übernehmen. Er befand sich im gesamten gewählten Zeitraum in Familienzeit, unterbrach also seine Erwerbstätigkeit und widmete sich ausschließlich der Familie. Während des gesamten Zeitraums bestand eine dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft des Kl, des Kindes und des anderen Elternteils. Bloß während der ersten vier Tage des gewählten Zeitraums fehlte es an der für das Bestehen eines gemeinsamen Haushalts formal zusätzlich erforderlichen gemeinsamen „hauptwohnsitzlichen“ Meldung.
[39] In einem Fall wie dem vorliegenden würde der gänzliche Verlust des Anspruchs bei Aufrechterhaltung der bisherigen Rsp der Intention der RL 2019/1158, Männern einen Anreiz zur Übernahme eines gleichwertigen Anteils an Betreuungs- und Pflegeaufgaben zu bieten, damit Frauen relativ betrachtet weniger unbezahlte Familienarbeit leisten, widersprechen. Die mit der Bestimmung des § 2 Abs 3 FamZeitbG verfolgte legitime Verwaltungsvereinfachung durch das Verlangen einer gemeinsamen „hauptwohnsitzlichen“ Meldung (VfGHG 121/2016 VfSlg 20.096/2016) kann im konkreten Fall auch dadurch erreicht werden, dass der Familienzeitbonus anteilig für den Teil des Anspruchszeitraums ausgezahlt wird, in dem eine gemeinsame „hauptwohnsitzliche“ Meldung besteht.
[40] 5.7Ergebnis: Unterbricht der Vater für den gesamten beantragten Anspruchszeitraum, der zwischen 28 und 31 Tagen umfassen muss, seine Erwerbstätigkeit, um sich aus Anlass der Geburt eines Kindes seiner Familie zu widmen (Familienzeit), und fehlt es während des Antragszeitraums nur an einzelnen Tagen an der Erfüllung einer der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Fam-ZeitbG, so besteht (nur) für die Tage, an denen alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, ein anteiliger Anspruch auf Familienzeitbonus.
[41] 6. Daraus folgt für den vorliegenden Fall: Strittig ist im Verfahren lediglich die Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 1 Z 4 iVm Abs 3 FamZeitbG gewesen. Tatsächlich fehlt es an einem gemeinsamen Haushalt des Kl mit der Mutter des Kindes 599 und dem Kind von 1.9.2019 bis 4.9.2019. Nicht strittig sind die weiteren Anspruchsvoraussetzungen. Insb ist nicht strittig, dass sich der Kl während des gesamten Anspruchszeitraums in Familienzeit gem § 2 Abs 4 FamZeitbG befand und sich um sein Kind und seine Familie kümmerte. Dem Kl gebührt daher Familienzeitbonus für jenen Zeitraum innerhalb des von ihm gewählten Anspruchszeitraums, in dem sämtliche Anspruchsvoraussetzungen des § 2 FamZeitbG erfüllt waren. [...]
Das FamZeitbG ist ein eigenartiges Gesetz insofern, als man bei dessen Lektüre das Gefühl nicht loswird, dass der Gesetzgeber im Zuge seiner Schaffung von Unwillen und Misstrauen geleitet wurde – ja es ist geradezu ein Anflug von Sadismus zu spüren. Dass dies bedauerlich ist, muss nicht weiter betont werden, zumal es inhaltlich wie in gewisser Weise auch politisch-symbolisch um das für die Gesellschaft höchst relevante Thema der gerechten Verteilung der „unbezahlten (Familien-)- Arbeit“ geht. Jedenfalls ist die Rechtsanwendung nicht zu beneiden, die sich wie gewohnt bemüht, klare Linien und Rechtssicherheit bei der Vollziehung des Gesetzes herzustellen. Dass dabei einige Aspekte mE unnötig hart und restriktiv beurteilt erschienen, wurde in verschiedenen Publikationen zum Thema (vgl zB Schrattbauer, Drei Jahre Familienzeitbonus – kritische Revision einer noch jungen Familienleistung, JAS 2020, 244 ff, insb 259 ff; I. Faber, Kinderbetreuungsgeld und Familienzeitbonus – Ausgewählte Fragen des gemeinsamen Haushalts, der Ausübung einer Erwerbstätigkeit und der Koordinierung von Familienleistungen, DRdA 2022, 18 ff, insb 20 ff sowie auch Reissner, Der „Papamonat“ aus sozialrechtlicher Sicht, ASoK 2019, 402 ff, insb 409 ff) herausgearbeitet.
In der vorliegenden E geht das Höchstgericht nun Schritte in die richtige Richtung und korrigiert Aspekte aus der Vorjudikatur mit aufwändigen und überzeugenden Argumentationen. Insb wird es als überzogen qualifiziert, im Falle eines zeitweisen Fehlens von (materiellen) Anspruchsvoraussetzungen den völligen Entfall der Familienbonusleistung eintreten zu lassen (dazu 1.). In einem anderen Punkt jedoch, nämlich dem Erfordernis des gemeinsamen Haushalts während des Monats der Familienfreistellung, bleibt es bei einer mE übertrieben formalen Sichtweise, obzwar gerade der zu Grunde liegende Sachverhalt – der Vater hat offensichtlich die ganze Zeit über bei Mutter und Neugeborenem gewohnt – die Möglichkeit zu einer Differenzierung geboten hätte (dazu 2.).
Eine zentrale Anspruchsvoraussetzung für die gegenständliche Leistung ist das Bestehen von „Familienzeit“. § 2 Abs 4 FamZeitbG versteht darunter „den Zeitraum zwischen 28 und 31 Tagen (§ 3 Abs 2), in dem sich ein Vater aufgrund der kürzlich erfolgten Geburt seines Kindes ausschließlich seiner Familie widmet und dazu die Erwerbstätigkeit (Abs 1 Z 5) unterbricht, keine andere Erwerbstätigkeit ausübt, keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung sowie keine Entgeltfortzahlung aufgrund von oder Leistungen bei Krankheit erhält“. Das Ausmaß von 28 bis 31 Tagen ergibt sich insb aus der Länge des gewählten Monats, eröffnet aber davon abgesehen auch eine kleine Wahlmöglichkeit des Anspruchswerbers. Gem § 3 Abs 3 Fam-ZeitbG ist dies bei der Antragstellung „verbindlich“ festzulegen und kann „später nicht geändert werden“. Die Sanktion bei Wahl einer gesetzwidrigen Zeitdauer ist der (völlige) Verlust des Anspruchs auf einen Familienzeitbonus.
Der OGH (10 ObS 101/19d SSV-NF 33/48 = ARD 6665/12/2019) hat die Sanktion eines gänzlichen Verlusts auch auf den Fall angewendet, dass eine der Anspruchsvoraussetzungen, in concreto der gemeinsame Haushalt, nicht während der gesamten vom Vater gewählten Dauer von 31 Tagen, sondern nur während 30 Tagen vorlag. Diese Sanktionierung wurde zu Recht als überzogen kritisiert (zB I. Faber, DRdA 2022, 20 f).
Nunmehr hat das Höchstgericht erfreulicherweise auch unter Würdigung dieser Kritik umgeschwenkt und nur jene – im Fall: vier – Tage als Bezugstage weggekürzt, während denen die Anspruchsvoraussetzungen nach Meinung des Gerichtshofs nicht sämtlich gegeben waren (zur Frage, ob Anspruchsvoraussetzungen gefehlt haben, siehe 2.). Argumentiert wird einerseits mit einer Unterscheidung zwischen formalen und inhaltlichen Anspruchsvoraussetzungen: Fehlten erstere (zB der Vater meldet nur 21 Tage an), sei die Sanktion der gänzliche Entfall, bei der letzteren Art von Voraussetzungen reiche eine entsprechende (tageweise) Einschränkung. Andererseits verweist das Höchstgericht auf den nunmehr gegebenen unionsrechtlichen Hintergrund: Die Vorgaben der RL (EU) 2019/1158 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige sehen ausdrücklich und begründet relativ hohe Leistungen für den Fall des „Vaterschaftsurlaubs“ vor. Diese Inhalte, mittlerweile – seit 2.8.2022 – auch umsetzungspflichtig, seien bei der Interpretation der österreichischen Regelungen zu berücksichtigen, womit die Voraussetzungen, wenn dies interpretativ ein gangbarer Weg ist, so zu verstehen sind, dass die Abgeltung der Vaterfreistellung so weit wie möglich erfolgen kann. Beide Begründungslinien sind mE vorbehaltlos zu begrüßen.
Gem § 2 Abs 3 FamZeitbG liegt ein gemeinsamer Haushalt iS dieses Gesetzes „nur dann“ vor, „wenn der Vater, das Kind und der andere Elternteil in einer dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft an derselben Wohnadresse leben und alle drei an dieser Adresse auch hauptwohnsitzlich gemeldet sind“. Im gegenständlichen Fall steht 600 weniger die „dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft“ als vielmehr „dieselbe Wohnadresse“ und das diesbezügliche „hauptwohnsitzliche Gemeldetsein“ zur Debatte.
Es ist mE naheliegend und auch juristisch zutreffend, in Bezug auf diese Umstände auf das MeldeG abzustellen, zumal Wörter wie „gemeldet“ oder „Wohnadresse“ aus diesem Gesetz stammen bzw deutlich auf dieses hinweisen. Man wird dem OGH also auch hier in seiner Argumentation zu folgen haben, und zwar bis hin zum Hinweis auf das GRW-G und die dort statuierte Vergabe von Topnummern. Ein „Haus“ kann also durchaus viele Wohnadressen beinhalten, was – und das ist entscheidend – für das FamZeitbG und dessen Zwecke relevant sein kann: Wohnt zB in einem Wohnblock in einer Großstadt der Vater des Kindes im 20. Stock in der Wohnung mit einer bestimmten Tür- bzw Topnummer und die Mutter mit dem Neugeborenem im dritten Geschoß mit einer ganz anderen Nummer, so ist klar, dass trotz derselben Hausnummer nicht dieselbe Wohnadresse vorliegt. Auf die Kleinstadt oder das Dorf umgelegt würde er sozusagen „ganz woanders“ wohnen. Jedenfalls sind das Konstellationen, in denen gerade nicht von Familienzeit iSd Gesetzes auszugehen ist.
Anders ist das mE im zu beurteilenden Sachverhalt. Da geht es um ein Einfamilienhaus, wahrscheinlich in einem eher ländlichen Milieu (Bezirk Korneuburg), welches offenbar schon vor der Geburt des Kindes ua vom nunmehrigen Elternpaar bewohnt wurde und bei dem nun die junge Familie ein eigenes Geschoß und die Eltern der Frau das andere Geschoß bewohnen sollen. Die angesprochenen Personen wurden sodann vorerst inkorrekt den durch den Ausbau entstandenen Topnummern zugeordnet (was unmittelbar nach Beginn der Vaterfreistellung durch Ummeldung korrigiert wurde). Es ist also melderechtlich ein kleiner Fehler eingetreten, ein solcher war uU nicht einmal von Anfang an gegeben. ME ist dies genau eine Konstellation, in welcher man das Meldeproblem hintanstellen hätte können, zumal inhaltlich wohl eine Familienzeit genau in einer Art und Weise vorlag, wie es dem Gesetz vorschwebt (dh Papa 31 Tage lang eng verbunden zuhause mit Mutter und Neugeborenem). Hier hätte man nachsehen können, zumal auch eine gewisse Ähnlichkeit mit dem ausdrücklich geregelten Nachsichtsfall in § 2 Abs 3 Satz 2 FamZeitbG – das Neugeborene wird bis zu zehn Tage verspätet angemeldet – gegeben ist: Wird gerade das eigene Kind geboren, hat auch der Vater – die Mutter sowieso – andere Sorgen als die Kontrolle der eigenen Meldezettel!
Schaut man sich die vom OGH wiedergegebenen Verfahrenshandlungen an, so könnte man vielleicht sagen, dass vom Anspruchswerber ein wenig eindimensional „eine Wohnadresse“ vorgebracht wurde. Was er gemeint hat, ist mE allerdings klar und wäre einer Nachsicht nicht im Wege gestanden. 601