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Einmalige Nachlässigkeit einer Ärztin in Notsituation begründet noch keine Vertrauensunwürdigkeit

MANFREDTINHOF
§ 27 Z 1 letzter Fall AngG; § 49 ÄrzteG 1988; § 15 Abs 3 GuKG

Die Kl war ab 1.7.2019 als Ärztin im Krankenhaus der Bekl beschäftigt. Aufgrund eines akustischen Missverständnisses zwischen der Kl und einer Diplomkrankenpflegerin wurde der Kl von der Pflegerin statt Adrenalin eine Ampulle Noradrenalin für eine an einem anaphylaktischen Schock leidende Patientin vorbereitet. Die Kl las auf der Ampulle nur die Aufschrift „1 mg pro ml“, nicht aber, um welches Medikament es sich handelte. Nach Verabreichung des Noradrenalins geriet die Patientin in eine lebensgefährliche Situation. Die sofort von der Kl eingeleiteten Notmaßnahmen waren aber erfolgreich. Wegen dieses Vorfalls sprach die Bekl am 29.5.2020 die Entlassung der Kl aus. Im vorlie370genden Verfahren machte die Kl entlassungsabhängige Ansprüche geltend, weil sie ihres Erachtens keinen Entlassungsgrund gesetzt habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der hier in Frage kommende Entlassungstatbestand der Vertrauensunwürdigkeit nach § 27 Z 1 letzter Fall AngG sei nicht erfüllt. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl Folge und wies das Klagebegehren ab. Die Fehlbehandlung der Kl sei nicht als bloße Ordnungswidrigkeit zu qualifizieren. Der OGH hielt die außerordentliche Revision der Kl für zulässig und auch für berechtigt.

Im eigenverantwortlichen Tätigkeitsbereich eines Krankenpflegers darf der Arzt darauf vertrauen, dass das diplomierte Pflegepersonal über alle dem Berufsbild entsprechenden Kenntnisse und Fertigkeiten verfügt, und er muss sich grundsätzlich nicht vergewissern, dass die betreffende Pflegeperson die erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten zur Durchführung der angeordneten Tätigkeit besitzt.

Die Vorbereitung der von der Kl (mit 1 mg Adrenalin) angeordneten Injektion durch die Diplomkrankenpflegerin konnte somit eigenverantwortlich erfolgen und musste von der Kl grundsätzlich nach § 49 ÄrzteG 1988 nicht mehr überprüft werden. Sie durfte darauf vertrauen, dass die Pflegerin das von ihr angeordnete Medikament „1 mg Adrenalin“ richtig vorbereitet. Bei einer mündlichen Anordnung – von einer schriftlichen Anordnung konnte hier wegen der Dringlichkeit der Maßnahme abgesehen werden (§ 15 Abs 3 GuKG) – muss die Eindeutigkeit und Zweifelsfreiheit der Anordnung sichergestellt sein (§ 15 Abs 3 Z 2 GuKG). Davon durfte hier die Kl vorerst ausgehen, weil die Pflegerin über deren mehrmaliges Nachfragen die Anordnung des (richtigen) Medikaments Adrenalin bestätigte.

Nachdem jedoch die Kl das Etikett der Ampulle mit der Aufschrift „1 mg pro ml“ las und wusste, dass sich in der Ampulle insgesamt 5 ml befanden, hätte sie erkennen können, dass es sich dabei nicht um 1 mg Adrenalin verdünnt auf 5 ml handelte. Auch wenn die Kl grundsätzlich keine Kontrollpflicht der von der Diplomkrankenpflegerin vorbereiteten Spritze traf, so hätte sie in der konkreten Situation doch den bei der Vorbereitung der Spritze unterlaufenen Fehler erkennen können, hätte sie das Etikett mit dem Inhalt der Spritze verglichen. Zu dieser Überprüfung wäre sie nach den konkreten Umständen auch verpflichtet gewesen.

Diese einmalige Nachlässigkeit der Kl in der konkreten Notsituation eines anaphylaktischen Schockgeschehens war aber nicht so schwerwiegend, dass der Bekl die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr zumutbar war. Aus objektiver Sicht konnte nicht davon ausgegangen werden, dass die Kl ihren ärztlichen Pflichten wegen dieses einmaligen Fehlverhaltens in Zukunft nicht mehr zuverlässig nachkommen würde. Fehldiagnosen hat die Kl im konkreten Fall nicht gestellt. Auf andere Sorgfaltspflichtverletzungen hat die Bekl die Entlassung nicht gestützt. Im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit ist der Kl kein ähnlicher Fehler unterlaufen, sie war auch von der Bekl zuvor nie wegen eines Fehlverhaltens verwarnt worden.