186

Teilweise Anrechnung einschlägiger Berufserfahrung als Vordienstzeit nach VBG

RICHARDHALWAX
§ 26 VBG; § 1 Abs 3 Anrechnungsverordnung
OGH 31.8.2022, 9 ObA 49/22

Der 1979 geborene Kl absolvierte die HTL für Informatik in Braunau und war von 1.8.2000 bis 31.12.2014 als IT-Techniker bei der Ö* GmbH & Co KG beschäftigt, und zwar bis 30.9.2012 in Vollzeit und anschließend in Teilzeit. Etwa drei Viertel dieser Tätigkeit stand im Zusammenhang mit IT-Tätigkeiten.

Großteils berufsbegleitend absolvierte der Kl das Lehramtsstudium für Mathematik sowie für Geographie und Wirtschaftskunde an der PH S* und schloss dieses am 15.6.2015 ab. Ein Lehramtsstudium für Informatik wurde zu dieser Zeit an der PH S* noch nicht angeboten.

Der Kl ist seit dem Wintersemester 2015/16 an der Praxismittelschule der Pädagogischen Hochschule (PH) S* als Vertragsbediensteter beschäftigt. In seinem ersten Schuljahr unterrichtete der Kl acht Wochenstunden Geographie und Wirtschaftskunde, acht Wochenstunden Mathematik und fünf Wochenstunden elektronische Datenverarbeitung und Informatik. Darüber hinaus unterstützte er den IT-Kustos (EDV-Betreuer) der Schule und übernahm dessen Tätigkeit in der Folge zur Gänze. Weil diese Tätigkeit damals noch nicht in der Lehrfächerverteilung abbildbar war, wurden zwei Stunden Teambesprechungen und eine Stunde fachbezogene Lernzeit in die Lehrfächerverteilung des Kl aufgenommen, um einen Teil seiner Tätigkeit im Bereich des IT-Kustodiats abzubilden. Tatsächlich war der Kl jedoch mehr als drei Stunden wöchentlich mit der EDV-Betreuung in der Schule beschäftigt. Nunmehr ist eine Abbildung in der Lehrfächerverteilung möglich. Im Schuljahr 2021/22 wurde die Tätigkeit des Kl als IT-Kustos in der Lehrfächerverteilung mit 10,5 Wochenstunden abgebildet.

Der Kl begehrt wegen unrichtiger Einstufung für den Zeitraum August 2018 bis August 2021 eine Entgeltdifferenz in Höhe von insgesamt € 10.434,90 brutto samt gestaffelten Zinsen sowie die Feststellung, dass er nach der Gehaltsstufe pd3 zu entlohnen sei und die nächste Gehaltsvorrückung in die Gehaltsstufe pd4 mit 1.7.2024 stattzufinden habe. Aufgrund seiner bei der Ö* GmbH & Co KG erworbenen Fachkunde habe eine fachliche Einarbeitung als Informatiklehrer sowie in den mit IT-Technik in Zusammenhang stehenden Bereichen überwiegend unterbleiben können. Aufgrund seiner Expertise habe er nicht nur seine Unterrichtstätigkeiten (M/GW/IT), sondern auch das IT-Kustodiat ohne Einarbeitungsphase antreten und – im Überausmaß – erfüllen können. Außerdem sei durch seine bei der Ö* GmbH & Co KG erworbene Routine ein erheblich höherer Arbeitserfolg gege386ben gewesen. Wären ihm richtigerweise sechs Jahre (anstelle von zwei Jahren) an Vordienstzeiten angerechnet worden, wäre er bereits seit Beginn seiner Tätigkeit bei der Bekl in der Entlohnungsstufe pd2 einzustufen gewesen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren (mit Ausnahme eines Teils des Zinsenbegehrens) statt. Das Berufungsgericht gab der gegen den klagsstattgebenden Teil erhobenen Berufung der Bekl Folge und wies das gesamte Klagebegehren ab. Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Kl wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem auf Wiederherstellung des Ersturteils gerichteten Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Revision des Kl war laut OGH zulässig und berechtigt. In Stattgebung der Revision des Kl waren die Entscheidungen der Vorinstanzen daher aufzuheben.

Zwischen den Parteien ist unstrittig, dass das Dienstverhältnis des Kl zum bekl Land dem Landesvertragslehrpersonengesetz 1966 (LVG 1966) idgF unterliegt und die Bestimmungen des VBG 1948 idF BGBl I 2015/65BGBl I 2015/65 anzuwenden sind.

Gem § 26 Abs 3 Satz 1 VBG 1948 in der hier anzuwendenden Fassung sind über die in § 26 Abs 2 angeführten Zeiten hinaus „Zeiten der Ausübung einer einschlägigen Berufstätigkeit oder eines einschlägigen Verwaltungspraktikums bis zum Ausmaß von insgesamt höchstens zehn Jahren als Vordienstzeiten anrechenbar“. Eine Berufstätigkeit oder ein Verwaltungspraktikum ist gem Abs 3 Satz 2 leg cit einschlägig, „insoweit eine fachliche Erfahrung vermittelt wird, durch die 1. eine fachliche Einarbeitung auf dem neuen Arbeitsplatz überwiegend unterbleiben kann oder 2. ein erheblich höherer Arbeitserfolg durch die vorhandene Routine zu erwarten ist“.

Mit Art 3 Z 9 der Dienstrechts-Novelle 2020, BGBl I 2020/153BGBl I 2020/153, wurde folgender Satz in § 26 Abs 3 VBG 1948 eingefügt: „Für den Vergleich ist der Arbeitsplatz maßgebend, mit dem die oder der Vertragsbedienstete in den ersten sechs Monaten des vertraglichen Bundesdienstverhältnisses überwiegend betraut ist.“ Ausgangspunkt der hier vorzunehmenden Beurteilung ist daher die Verwendung des Kl im Wintersemester 2015/16, in dem er nach den Feststellungen acht Wochenstunden Geographie und Wirtschaftskunde, acht Wochenstunden Mathematik und fünf Wochenstunden elektronische Datenverarbeitung bzw Informatik unterrichtet hat und daneben „mehr als drei Stunden wöchentlich“ in der EDV-Betreuung (IT-Kustodiat) tätig war.

Uneins sind sich die Parteien auch darüber, ob die Einschlägigkeit der Berufstätigkeit in Bezug auf den „überwiegenden Teil“ der vorgesehenen Verwendung erfolgen muss.

Der OGH hat zu § 26 Abs 3 VBG bereits wiederholt iS einer Gleichbehandlung öffentlich Bediensteter mit den Vertragsbediensteten den Gleichklang mit der Rsp des VwGH zur gleichlautenden Bestimmung des § 12 Abs 3 GehG beachtet.

Nach der Rsp des VwGH muss zwar die besondere Bedeutung der Vortätigkeit nicht für den gesamten Tätigkeitsbereich des Beamten gegeben sein; wenn aber die konkrete Vortätigkeit und die dadurch gewonnene spezifische (nicht allgemeine) Berufserfahrung von vornherein nur für einen kleinen Teil der beruflichen Aufgabenstellung des Beamten sachlich überhaupt in Frage kommt, kann im Regelfall nicht davon ausgegangen werden, dass diese Vortätigkeit für die erfolgreiche Verwendung des Beamten von besonderer Bedeutung gewesen ist. § 1 Abs 3 Anrechnungsverordnung, wonach Einschlägigkeit vorliegt, wenn die Berufspraxis ihrem Inhalt nach einschlägig in Bezug auf den überwiegenden Teil der vorgesehenen Verwendung ist, ist daher so zu verstehen, dass eine Vortätigkeit im Hinblick auf die zu dieser Vortätigkeit dazugehörende vorgesehene Verwendung überwiegend einschlägig sein muss, also hier die EDV-Vortätigkeit des Kl zur Verwendung als Lehrer für Informatik und elektronische Datenverarbeitung bzw im Rahmen des IT-Kustodiats. § 1 Abs 3 Anrechnungsverordnung stellt somit eine inhaltliche Schranke der Einschlägigkeit in Bezug auf das vorgesehene Unterrichtsfach bzw die vorgesehene Verwendung auf, nicht aber in Bezug auf das vorgesehene Verwendungsausmaß. Dass der Kl in den ersten sechs Monaten seiner Verwendung an der PH S* wöchentlich acht Wochenstunden Geographie und Wirtschaftskunde, acht Wochenstunden Mathematik, nach den Feststellungen jedoch lediglich fünf Wochenstunden elektronische Datenverarbeitung bzw Informatik unterrichtete und mehr als drei Stunden wöchentlich mit Aufgaben des IT-Kustodiats befasst war, schließt die Anrechnung seiner EDV-Vortätigkeit nicht von vornherein aus. Davon ging offenbar auch die Bekl aus, hat sie ihm doch zwei Jahre dieser Vortätigkeit bei Beginn des Dienstverhältnisses angerechnet.

Die Frage, ob und inwieweit durch die dem Kl bei der Ö* GmbH & Co KG vermittelte fachliche Erfahrung eine fachliche Einarbeitung auf seinem neuen Arbeitsplatz überwiegend unterbleiben konnte oder ein erheblich höherer Arbeitserfolg durch die vorhandene Routine zu erwarten war, kann aufgrund des bislang festgestellten Sachverhalts aber noch nicht abschließend beantwortet werden.

Eine Berufstätigkeit kann nur dann einschlägig sein, wenn sie zu einer erheblich besseren Verwendbarkeit im Vergleich zu einer durchschnittlichen Berufseinsteigerin oder einem durchschnittlichen Berufseinsteiger führt. Dieser stets anzustellende Vergleich kann aber derzeit mangels entsprechender Feststellungen nicht angestellt werden. 387Die Feststellung, dass es dem Kl ohne seine Vortätigkeit bei der Ö* GmbH & Co KG nicht möglich gewesen wäre, Informatik und elektronische Datenverarbeitung zu unterrichten, genügt für diese Einschätzung nicht. Ein Indiz zur Beurteilung der Verwendbarkeit ist dabei vor allem die Frage, ob der Bedienstete deutlich schlechter verwendbar wäre, wenn man sich die zu beurteilende Vordienstzeit wegdenkt – also ob dann zB eine längere fachliche Einarbeitung und Einschulung auf dem neuen Arbeitsplatz notwendig wäre oder ob der Bedienstete die Aufgaben für einen beachtlichen Zeitraum mangels Routine nur deutlich langsamer oder deutlich fehleranfälliger erfüllen könnte. In diesem Zusammenhang fehlen auch konkretere Feststellungen zur Tätigkeit des Kl im Rahmen des IT-Kustodiats in den ersten sechs Monaten seiner Beschäftigung bei der Bekl.

Wird davon ausgegangen, dass sich der Kl durch seine Vortätigkeit bei der Ö* GmbH & Co KG hinsichtlich seiner Verwendbarkeit deutlich von typischen Berufseinsteigern abhebt, ist weiters zu beurteilen, ob für diese erheblich bessere Verwendbarkeit des Kl weniger als sechs Vordienstjahre genügten. Es fehlen daher auch konkrete Feststellungen dazu, in welchem Umfang die Vordienstzeiten für den erheblich höheren Gesamtarbeitserfolg des Kl tatsächlich erforderlich waren bzw ob der erheblich höhere Gesamtarbeitserfolg im gleichen Ausmaß auch bei einer kürzeren Vorverwendung eingetreten wäre.

Im vorliegenden Fall kann nach den Feststellungen nicht davon ausgegangen werden, dass die Vortätigkeit und die dadurch gewonnene spezifische Berufserfahrung des Kl von vornherein nur für einen kleinen Teil seiner Verwendung bei der Bekl von Bedeutung ist. Allerdings wird beim Ausmaß einer allfälligen Anrechnung zu berücksichtigen sein, dass die vom Kl durch seine Vortätigkeit bei der Ö* GmbH & Co KG gewonnene Berufserfahrung nicht für seine gesamte Verwendung, sondern (gegebenenfalls) nur für einen Teil davon (jedenfalls für seine Unterrichtstätigkeit elektronische Datenverarbeitung bzw Informatik) von besonderer Bedeutung war.