187Neuerliche Bedenken an der Unionsrechtskonformität der Regelungen zum Vorrückungsstichtag im öffentlichen Dienstrecht
Neuerliche Bedenken an der Unionsrechtskonformität der Regelungen zum Vorrückungsstichtag im öffentlichen Dienstrecht
Der Kl begehrt die Feststellung seines Vorrückungsstichtags als Vertragsbediensteter mit 17.11.1993 sowie die sich daraus ergebende Gehaltsdifferenz. Die Bekl hätte ihm bei der Neufestsetzung seines Vorrückungsstichtags die vor Vollendung seines 18. Lebensjahres absolvierte Lehr- und Praktikumszeit zur Gänze anrechnen müssen, weil § 94c Abs 4 VBG, wonach „sonstige Zeiten“ nur beschränkt anrechenbar seien, aufgrund der damit verbundenen Altersdiskriminierung unionsrechts- und verfassungswidrig sei.
Die Vorinstanzen haben seine Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Kl. Der OGH unterbrach jedoch das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des EuGH im Verfahren C-650/21 über das Vorabentscheidungsersuchen des VwGH vom 18.10.2021 zu Ra 2020/12/0068. Nach Vorliegen der Vorabentscheidung wird das Revisionsverfahren von Amts wegen fortgesetzt. Der OGH begründete den Unterbrechungsbeschluss wie folgt:
Der EuGH sprach zu C-88/08, Hütter vom 18.6.2009 aus, dass die damalige österreichische Rechtslage, nach der bei der Festlegung der Dienstaltersstufe von Vertragsbediensteten des öffentlichen Dienstes die Berücksichtigung von vor Vollendung des 18. Lebensjahres liegenden Dienstzeiten ausgeschlossen war, gegen Art 1, 2 und 6 der RL 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf verstößt, was eine Änderung des österreichischen Vertragsbedienstetengesetzes erforderlich gemacht hat.
Die 2. Dienstrechts-Novelle 2019, BGBl I 2019/58, sieht nunmehr mit § 94b Abs 1 VBG eine Neueinstufung jener Vertragsbediensteten vor, deren Vorrückungsstichtag unter Ausschluss der Anrechnung der vor dem 18. Geburtstag zurückgelegten Zeiten festgesetzt wurde. Nach § 94c Abs 2 Z 1 VBG ist für die Ermittlung des Vergleichsstichtags die Bestimmung des § 26 Abs 1 Z 2 lit b VBG idF der 2. Dienstrechts-Novelle 2007, BGBl I 2007/96, anzuwenden, wonach bestimmte sonstige Zeiten bis zu drei Jahren zur Gänze und bis zu weiteren drei Jahren zur Hälfte anzurechnen sind. Nach § 94c Abs 4 VBG sind diese zur Hälfte zu berücksichtigenden sonstigen Zeiten bei der Ermittlung des Vergleichsstichtags aber nur insoweit voranzustellen, als sie das Ausmaß von vier zur Hälfte zu berücksichtigenden Jahren übersteigen.
Der OGH hat bereits ausgesprochen, dass mit § 94c Abs 4 VBG keine Altersdiskriminierung verbunden ist. Auch der VfGH hat zu G 63/2022 vom 17.3.2022von der Behandlung des Antrags des Kl, § 94c Abs 4 VBG als verfassungswidrig aufzuheben, mangels Aussicht auf Erfolg abgesehen.
Im Gegensatz dazu hat der VwGH zu Ra 2020/12/0068 Bedenken an der Unionsrechtskonformität der § 94c Abs 4 VBG entsprechenden Regelung in § 169g Abs 4 GehG, weil die beschränkte Anrechnung dazu führe, dass DN, die ihre sonstigen Zeiten vor Voll388endung des 18. Lebensjahres erworben haben, keine Verbesserung ihrer besoldungsrechtlichen Stellung erfahren haben. Der VwGH legte deshalb dem EuGH ua folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:
„Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG iVm Art. 21 der Grundrechtecharta, dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung entgegensteht, mit der ein altersdiskriminierendes Besoldungssystem durch ein Besoldungssystem ersetzt wird, bei dem sich die Einstufung eines Beamten weiterhin nach dem gemäß dem alten Besoldungssystem zu einem bestimmten Überleitungsmonat (Februar 2015) nicht diskriminierungsfrei ermittelten Besoldungsdienstalter bestimmt und dabei zwar einer Korrektur hinsichtlich der ursprünglich ermittelten Vordienstzeiten durch Ermittlung eines Vergleichsstichtags unterzogen wird, bei dem aber hinsichtlich der nach dem 18. Geburtstag gelegenen Zeiten nur die sonstigen zur Hälfte zu berücksichtigenden Zeiten einer Überprüfung unterliegen und bei dem der Ausweitung des Zeitraums, in dem Vordienstzeiten zu berücksichtigen sind, um vier Jahre damit begegnet wird, dass die sonstigen, zur Hälfte zu berücksichtigenden Zeiten bei der Ermittlung des Vergleichsstichtags nur insoweit voranzusetzen sind, als sie das Ausmaß von vier zur Hälfte zu berücksichtigenden Jahren übersteigen (Pauschalabzug von vier zur Hälfte zu berücksichtigenden Jahren)?“
Das Verfahren ist derzeit zu C-650/21 beim EuGH anhängig. Da der gestellten Frage für die vorliegende Rechtssache Bedeutung zukommt und der OGH auch in Rechtssachen, in denen er nicht unmittelbar Anlassfallgericht ist, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des EuGH auszugehen und diese anzuwenden hat, war es zweckmäßig und geboten, mit der Entscheidung bis zu jener des EuGH über das bereits gestellte Vorabentscheidungsersuchen zuzuwarten und das gegenständliche Revisionsverfahren zu unterbrechen.