206Familienleistung einer internationalen Organisation – kein Ruhen des Kinderbetreuungsgeldes
Familienleistung einer internationalen Organisation – kein Ruhen des Kinderbetreuungsgeldes
Die vom Europäischen Patentamt (EPA) gewährte Unterhaltsberechtigtenzulage ist nicht als „ausländische Familienleistung“ iSd § 6 Abs 3 KBGG zu qualifizieren, die zum Ruhen des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld führen kann.
Die Kl war vor der Geburt ihrer am 16.3.2018 geborenen Tochter in Österreich beschäftigt und bezog Wochengeld bis zum 11.5.2018. Ihr Gatte ist als Bediensteter des EPA in München beschäftigt, unterliegt jedoch nicht dem System der sozialen Sicherheit in Deutschland. Die Kl beantragte pauschales Kinderbetreuungsgeld für den Zeitraum von 16.3.2018 bis 13.7.2020, in welchem sie auch Familienbeihilfe bezog. Ihr Gatte erhält vom EPA eine Unterhaltsberechtigungszulage für sein Kind iHv € 227,44 (€ 348,54 abzüglich der österreichischen Familienbeihilfe von € 121,10).
Mit Bescheid vom 23.7.2020 sprach die bekl Österreichische Gesundheitskasse aus, dass der Anspruch der Kl auf Kinderbetreuungsgeld zur Gänze ruhe. Die vom EPA dem Ehemann der Kl gewährte Familienleistung sei gem § 6 Abs 3 KBGG auf das Kinderbetreuungsgeld anzurechnen.
Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage insofern statt, als es die Bekl verpflichtete, der Kl unter Berücksichtigung des bezogenen Wochengeldes Kinderbetreuungsgeld im gesetzlichen Ausmaß zu zahlen. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl Folge und wies das Klagebegehren (zur Gänze) ab, erklärte die Revision jedoch für zulässig, weil sich der OGH mit der Anwendbarkeit des § 6 Abs 3 KBGG auf Familienleistungen internationaler Organisationen noch nicht befasst habe.
Der OGH hält die von der Kl dagegen erhobene Revision für zulässig und berechtigt.
Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage insofern statt, als es die Bekl verpflichtete, der Kl unter Berücksichtigung des bezogenen Wochengeldes Kinderbetreuungsgeld im gesetzlichen Ausmaß zu zahlen. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl Folge und wies das Klagebegehren (zur Gänze) ab, erklärte die Revision jedoch für zulässig, weil sich der OGH mit der Anwendbarkeit des § 6 Abs 3 KBGG auf Familienleistungen internationaler Organisationen noch nicht befasst habe.
Der OGH hält die von der Kl dagegen erhobene Revision für zulässig und berechtigt.
„[…]
3. § 2 Abs 1 KBGG lautete in der Fassung vor der Novelle BGBl I 2007/76 (künftig: KBGG aF) wie folgt:
„Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld hat ein Elternteil […] sofern
1. für dieses Kind Anspruch auf Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967 ... besteht oder für dieses Kind nur deswegen nicht besteht, weil Anspruch auf eine gleichartige ausländische Leistung besteht.“
3.1. Diese Regelung wurde zwar mit der Novelle BGBl I 2007/76 […] ersatzlos gestrichen […]. In der Entscheidung 10 ObS 35/09h […] führte der Oberste Gerichtshof dazu aus, dass § 2 Abs 1 Z 1 zweite Alternative KBGG vor dem Hintergrund des § 4 Abs 1 FLAG zu sehen und der Wortlaut beider Bestimmungen eindeutig ist: Der Begriff „ausländisch“ hat die Bedeutung von „in einem anderen Staat“ und nicht „von einem anderen Völkerrechtssubjekt“.
3.2. Nach dem (ebenfalls) mit der Novelle BGBl I 2007/76 neu geschaffenen […] § 6 Abs 3 KBGG ruht der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld nach dem ersten Satz dann, wenn ein Anspruch auf „ausländische Familienleistungen“ besteht. Der Gesetzgeber führte dazu aus (ErläutRV 229 BlgNR 23. GP 5):
„Die Praxis hat gezeigt, dass es Fallkonstellationen gibt, in denen Eltern unter Umständen Familienleistungen
409in mehreren Staaten erhalten können. […] Viele Staaten haben […] durch nationale Anrechnungs- bzw. Ruhensbestimmungen die Möglichkeit von Doppelleistungen explizit ausgeschlossen. Desgleichen besteht in Österreich für die Familienbeihilfe eine entsprechende Regelung für die der Familienbeihilfe gleichartigen ausländischen Leistungen. Eine Anrechnungsbestimmung soll nun auch im Bereich des KBG verankert werden. Unter vergleichbaren ausländischen Familienleistungen im Sinne des KBGG sind all jene Familienleistungen zu verstehen, die für Kinder unter 3 Jahren gebühren und nicht der Familienbeihilfe [...] gleichartig sind. Auch Familienleistungen internationaler Organisationen sind von der Definition erfasst. […]“
In gleicher Weise führen die Materialien zur Novelle BGBl I 2016/53, mit der in § 6 Abs 3 erster Satz KBGG (nur) die zuvor bestehende Notwendigkeit der Vergleichbarkeit der ausländischen Familienleistung beseitigt wurde, aus (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 9):
„[…] Diese Regelung dient der generellen Verhinderung von Doppelleistungen und gilt im Sinne der Gleichbehandlung auch für Ansprüche auf Leistungen aus Drittstaaten oder Leistungen internationaler Organisationen (sofern nicht ohnehin bereits ein Ausschluss aufgrund eines Amtssitzabkommens oder Wiener Übereinkommens vorliegt) etc.“
4. Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, dass die Entscheidung 10 ObS 35/09h zu § 2 Abs 1 Z 1 KBGG aF und damit letztlich zur Frage erging, ob ein Anspruch auf Familienbeihilfe (als Voraussetzung für den Bezug von Kinderbetreuungsgeld) besteht. Zu beurteilen ist nun, ob das dabei erzielte Auslegungsergebnis auf § 6 Abs 3 KBGG übertragen werden kann.
4.1. Wie der Begriff „ausländisch“ nach der Wortinterpretation zu verstehen ist, ist durch die Entscheidung zu 10 ObS 35/09h geklärt. Zwar können Worte unter Umständen verschiedene Bedeutungen haben, je nachdem, in welchem Zusammenhang sie verwendet werden […]. Warum das Wort „ausländisch“ in § 6 Abs 3 KBGG nur deshalb eine andere Bedeutung als in § 2 Abs 1 Z 1 KBGG aF oder § 4 Abs 1 FLAG haben soll, weil es darin um Kinderbetreuungsgeld und nicht um Familienbeihilfe geht, ist indes nicht zu sehen. Denn der Begriff „ausländisch“ stellt auf die Herkunft und nicht auf die Art der Leistung ab. Zudem knüpft der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld ausdrücklich an den Anspruch auf Familienbeihilfe und deren Gewährung an (§ 2 Abs 1 Z 1 KBGG), sodass schon zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen innerhalb der Rechtsordnung ein Gleichklang mit § 4 Abs 1 FLAG anzustreben ist. Nicht umsonst verweisen die Gesetzesmaterialien zur Novelle BGBl I 2007/76 auf die entsprechende Regelung für die Familienbeihilfe, nehmen also selbst Bezug auf die Anrechnungsregelung in § 4 Abs 1 FLAG, die in dieser Form auch für das Kinderbetreuungsgeld gesetzlich verankert werden sollte.
4.2. Auch die objektiv-teleologische Auslegung führt zu keinem anderen Ergebnis. Nach herrschender Ansicht stellt § 6 Abs 3 KBGG eine international umfassend ausgestaltete Antikumulierungsregel dar (RS0125752; 10 ObS 6/10w […]). Ihr Zweck liegt zunächst darin, den gleichzeitigen Bezug von (Familien-)Leistungen aus mehreren Mitgliedstaaten der EU und der weiteren „Geltungsstaaten“ zu unterbinden […]. Kann ein Anspruch in mehreren Staaten entstehen, kann es zu einer unnötigen Überkompensation von Familienlasten kommen, weil jeder in Betracht kommende Staat die Anspruchsvoraussetzungen für sich regelt. Im Verhältnis von Staaten zu internationalen Organisationen ist das in dieser Form aber nicht der Fall, weil es letztlich eine Frage der völkerrechtlichen Vereinbarung zwischen den internationalen Organisationen und den Sitzstaaten ist, ob und in welchem Ausmaß die Mitarbeiter internationaler Organisationen in die Sozialsysteme der Sitzstaaten einbezogen werden. Zu nicht beeinflussbaren Doppelleistungen und damit einhergehenden ungewollten Belastungen des inländischen Sozialsystems kann es in dieser Hinsicht nicht kommen. Wenn sich daher die Vertragsstaaten – wie hier nach Art 18 des Vorrechteprotokolls zum EPÜ (BGBl 1979/350) – dafür entscheiden, die internationale Organisation und ihre Mitarbeiter aus ihren Sozialsystemen auszunehmen, liegt das außerhalb des von § 6 Abs 3 erster Satz KBGG intendierten Schutzbereichs. Für eine den (klaren) Wortlaut ausdehnende Auslegung gibt der Zweck der Bestimmung somit keinen Anlass.
4.3. Eine planwidrige Lücke, die eine Analogie rechtfertigen könnte, ist nicht zu sehen. § 6 Abs 3 KBGG geht selbst davon aus, dass nicht jede Leistung, die Familienlasten ausgleichen soll (zB Leistungen des Dienstgebers), auf das Kinderbetreuungsgeld anzurechnen ist.
Soweit die Gesetzesmaterialien […] ausführen, Familienleistungen internationaler Organisationen seien von § 6 Abs 3 KBGG erfasst, ist das nicht von ausschlaggebender Bedeutung, weil dies im Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag gefunden hat und kein Grund ersichtlich ist, dass eine planwidrige Gesetzeslücke entstanden ist. […]
4.4. Zusammenfassend ist die vom EPA (an den Gatten der Klägerin) gewährte Unterhaltsberechtigtenzulage nicht als „ausländische Familienleistung“ im Sinn des § 6 Abs 3 KBGG zu qualifizieren, die zum Ruhen des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld führen kann […].“
Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die Bestimmung über das Ruhen des Kinderbetreuungsgeldes in § 6 Abs 3 KBGG auch auf Leistungen einer internationalen Organisation anwendbar ist, was vom OGH verneint wird.
In seiner Argumentation bezieht sich der OGH zum einen auf seine frühere Rsp in 10 ObS 35/09h vom 17.3.2009, welche § 2 Abs 1 Z 1 KBGG aF auslegte. Demgemäß war es ua Voraussetzung für den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, dass Anspruch auf Familienbeihilfe besteht oder nur deswegen nicht besteht, weil Anspruch auf eine 410gleichartige ausländische Leistung besteht. In dieser E wurde der Begriff „ausländisch“ als „in einem anderen Staat“ und nicht „von einem anderen Völkerrechtssubjekt“ bedeutend interpretiert. Obwohl die OGH-E 10 ObS 35/09h zur Familienbeihilfe erging, kann die dort beschriebene Auslegung des Begriffes „ausländisch“ auch auf § 6 Abs 3 KBGG übertragen werden, da sich der Begriff auf die Herkunft und nicht die Art der Leistung bezieht. Außerdem ist ein Gleichklang der Bedeutungen von „ausländisch“ in Bezug auf die Familienbeihilfe zum einen und das Kinderbetreuungsgeld zum anderen anzustreben, da das Kinderbetreuungsgeld an die Familienbeihilfe anknüpft. Auch die Gesetzesmaterialien zur Novelle, die eine Anrechnung von ausländischen Leistungen auf das Kinderbetreuungsgeld einführte, beziehen sich auf die Regelung zur Anrechnung der der Familienbeihilfe gleichartigen ausländischen Leistungen (ErläutRV 229 BlgNR 23. GP 5).
Auch in seiner objektiv-teleologischen Auslegung gelangt der OGH zum selben Ergebnis. Da jeder Staat die Anspruchsvoraussetzung für sich regelt, kann es zu einer Überkompensation führen, wenn ein Anspruch in mehreren Staaten entstehen kann. Dies soll § 6 Abs 3 KBGG verhindern, indem der gleichzeitige Bezug von Familienleistungen aus mehreren Staaten unterbunden wird. Zu eben dieser Überkompensation mangels Einflusses auf die Anspruchsvoraussetzungen im anderen Staat kann es im Verhältnis von Staaten zu internationalen Organisationen aber nicht kommen, da die relevanten Fragen in völkerrechtlichen Verträgen festgelegt werden, im Rahmen derer eine Einflussnahme möglich ist. Die Vertragsstaaten haben sich hier gem Art 18 des Vorrechteprotokolls zum EPÜ (BGBl 1979/350) dafür entscheiden, die internationale Organisation und ihre Mitarbeiter aus ihren Sozialsystemen auszunehmen, was außerhalb des Schutzzwecks von § 6 Abs 3 KBGG liegt. Der Zweck der Bestimmung begründet daher keine über den Wortlaut des Begriffes „ausländische“ hinausgehende Auslegung. Auch eine planwidrige Lücke liegt nicht vor.
Abschließend befasst sich der OGH mit den Gesetzesmaterialien, die allesamt ausführen, dass auch Familienleistungen internationaler Organisationen von § 6 Abs 3 KBGG erfasst seien (ErläutRV 229 BlgNR 23. GP 5; ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 9). Diese Erläuterungen sind jedoch nicht von ausschlaggebender Bedeutung, da sie im Gesetzeswortlauf keinen Niederschlag gefunden haben.
Das Ergebnis der Gesetzesinterpretation des OGH ist zusammengefasst, dass Leistungen internationaler Organisationen nicht zum Ruhen des Kinderbetreuungsgeldes führen können, da sie nicht von der Anrechnungsbestimmung in § 6 Abs 3 KBGG erfasst sind.