207Zuordnungserklärung kann auch im Gerichtsverfahren über die Rückersatzpflicht von Kinderbetreuungsgeld zurückgenommen werden
Zuordnungserklärung kann auch im Gerichtsverfahren über die Rückersatzpflicht von Kinderbetreuungsgeld zurückgenommen werden
Die Rücknahme der im Verwaltungsverfahren vor dem Krankenversicherungsträger abgegebenen und im Gerichtsverfahren wiederholten Zuordnungserklärung nach § 8 Abs 1 Z 2 KBGG ist nach den allgemeinen Regeln über die Rücknahme von Prozesshandlungen auch im Verfahren über die Rückersatzpflicht des Kinderbetreuungsgeldbeziehers wegen Überschreitens der Zuverdienstgrenze möglich.
Der Kl wurde anlässlich der Geburt ihrer Tochter ua für den hier gegenständlichen Zeitraum von 1.1. bis 23.6.2015 pauschales Kinderbetreuungsgeld ausgezahlt. Die Kl gab der bekl Österreichischen Gesundheitskasse im März 2021 für den Zeitraum 1.1. bis 31.5.2015 Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit von € 16.304,90 bekannt.
Mit Bescheid vom 4.5.2021 widerrief die Bekl die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum von 1.1. bis 23.6.2015 wegen Überschreitung der individuellen Zuverdienstgrenze iHv € 22.541,16 und verpflichtete die Kl zum Ersatz von € 5.742,-.
In der gegen den Bescheid erhobenen Klage brachte die Kl vor, dass im Zeitraum von 1.7. bis 31.12.2014 ein Verlust von € 19.814,78 erwirtschaftet worden sei, im Zeitraum von 1.1. bis 31.5.2015 ein Gewinn von € 16.304,90. Für den relevanten Beobachtungszeitraum von 1.7.2014 bis 31.5.2015 ergebe sich somit ein Verlust von € 3.509,88. Die von der Bekl vorgenommene Teilung des Anspruchszeitraums auf Kalenderjahre sei § 8 Abs 1 Z 2 KBGG nicht zu entnehmen. Die Einkommensgrenzen seien im Bezugszeitraum nicht überschritten worden. Für den Fall, dass das Gericht der Argumentation der Bekl folge, werde der Antrag auf Abgrenzung der Einkünfte ausschließlich für den Zeitraum 1.1. bis 31.5.2015 zurückgezogen.
Die Bekl bestritt und wandte ein, dass die Kl ihre Einkünfte für das Jahr 2015 abgegrenzt habe. Daraus ergebe sich, dass der Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte im Jahr 2015 von insgesamt € 50.871,29 den von der Behörde der Finanzverwaltung übermittelten individuellen Grenzbetrag von € 22.541,16 überschreite. § 8 Abs 1 KBGG verweise auf § 2 EStG, wonach das Kalenderjahr für die Einkommensüberprüfung maßgeblich sei.411
Das Erstgericht folgte der Argumentation der Bekl und wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl Folge, hob das Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Die von der Kl eingemahnte, den gesamten Bezugszeitraum (und nicht nur die in den jeweiligen Kalenderjahren liegenden Bezugszeiträume) umfassende Berechnung der Einkünfte entspreche nicht dem Gesetz, sodass der diesbezüglich geltend gemachte sekundäre Feststellungsmangel nicht vorliege. Die Rückziehung der Zuordnungserklärung stelle eine Prozesserklärung dar, die einer Tatsachenfeststellung nicht zugänglich sei, sondern im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zu berücksichtigen sei. Die Rücknahme einer im Verwaltungsverfahren erfolgten Abgrenzung sei in gerichtlichen Verfahren wirksam möglich und beachtlich. Das Erstgericht hätte somit die Gesamteinkünfte der Kl im Jahr 2015 zu klären und den Rückforderungsanspruch auf dieser Basis zu prüfen gehabt.
Der Rekurs der Bekl wurde als zulässig, jedoch nicht berechtigt erklärt. Der OGH teilte im Ergebnis die Ansicht des Berufungsgerichts.
[…]
2.1. Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld hat ein Elternteil für sein Kind, sofern der Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte (§ 8 Abs 1 KBGG) des Elternteils im Kalenderjahr den absoluten Grenzbetrag von 16.200 EUR oder den höheren individuellen Grenzbetrag nach § 8b KBGG nicht übersteigt (§ 2 Abs 1 Z 3 KBGG). […]
2.2. § 8 KBGG regelt hingegen nicht die Anspruchsvoraussetzungen (vgl RS0132593RS0132593), sondern bestimmt, welche Einkünfte als maßgeblich heranzuziehen und wie diese zu ermitteln sind.
2.2.1. Maßgebliche Einkünfte (iSd §§ 21 bis 23 EStG 1988), in denen nicht auch solche aus nichtselbständiger Arbeit enthalten sind, sind demnach grundsätzlich mit jenem Betrag zu berücksichtigen, der in die Ermittlung des Einkommens für das betreffende Kalenderjahr eingeht (§ 8 Abs 1 Z 2 S 1 KBGG).
2.2.2. Anders als bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gemäß § 8 Abs 1 Z 1 KBGG, für die ausnahmslos das Zuflussprinzip gilt […], ist bei Einkünften aus selbständiger Arbeit (§ 8 Abs 1 Z 2 KBGG) eine Abgrenzung (Zuordnung) möglich: Für die Ermittlung der Zuverdienstgrenze sind nur jene Einkünfte maßgeblich, die aus einer während des Anspruchszeitraums ausgeübten Tätigkeit stammen (RS0132947RS0132947). Zu dieser Abgrenzung kommt es nach § 8 Abs 1 Z 1 S 3 KBGG allerdings nur, wenn bis zum Ablauf des zweiten auf das betreffende Kalenderjahr folgenden Kalenderjahres dem Krankenversicherungsträger nachgewiesen wird, in welchem Ausmaß Einkünfte vor Beginn oder nach Ende des Anspruchszeitraums angefallen sind; dann sind nur jene Einkünfte zu berücksichtigen, die während des Anspruchszeitraums angefallen sind. […]
2.3.1. Weder die Versäumung der Zweijahresfrist des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG (RS0132593RS0132593) noch das ungenützte Verstreichenlassen der durch individuellen Hinweis ausgelösten Zweimonatsfrist des § 50 Abs 24 KBGG ([…] RS0132593RS0132593) führt dazu, dass es dem Kinderbetreuungsgeldwerber im gerichtlichen Verfahren über eine Rückforderung gemäß § 31 Abs 2 S 2 KBGG (nach Verstreichen der Frist) verwehrt sein könnte darzulegen, dass er objektiv die Zuverdienstgrenze während des Bezugs des Kinderbetreuungsgeldes nicht überschritten hat. Dies folgt aus der Überlegung, dass die genannten Bestimmungen nicht als Anspruchsvoraussetzungen formuliert sind, sie sich an die im Verwaltungsverfahren tätig werdenden Krankenversicherungsträger richten und das durch die Klage eines Versicherten angerufene Arbeits- und Sozialgericht über den Anspruch eigenständig zu entscheiden hat. […]
2.3.3. Die von der Beklagten in erster Instanz geäußerte Rechtsansicht, bei § 50 Abs 24 KBGG handle es sich um eine Präklusivfrist […] widerspricht diesen Grundsätzen. Sie liefe auf eine – nicht gegebene – partielle Bindung der Gerichte an Teilergebnisse des vorangegangenen Verwaltungsverfahrens hinaus (vgl RS0106394RS0106394 [T10]; RS0085839RS0085839 [T3]).
2.4. Da die Ergebnisse des Verwaltungsverfahrens einer Berücksichtigung der Rücknahme der – im Gerichtsverfahren wiederholten – Zuordnungserklärung nach § 8 Abs 1 Z 2 KBGG nicht entgegenstehen, bleibt zu prüfen, ob ihrer Berücksichtigung andere Hindernisse entgegenstehen, ob also die im Gerichtsverfahren (neuerlich) abgegebene Zuordnungserklärung von der Klägerin im Gerichtsverfahren zurückgenommen werden konnte.
2.4.1. Nach den zitierten Bestimmungen ist bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte zwar grundsätzlich auf die Einkünfte des gesamten (Kalender-)Jahres abzustellen. Der Gesetzgeber wollte es im Sinne einer Gleichbehandlung mit den Beziehern von Lohneinkünften allerdings auch den selbständig Tätigen ermöglichen, eine zeitliche Zuordnung der auf den Anspruchszeitraum entfallenden Einkünfte zu treffen […]. Die Rechtsprechung interpretiert dies als Einräumung einer Wahlmöglichkeit, von der Eltern Gebrauch machen können, falls das für sie günstiger ist (10ObS119/21d&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 119/21d; 10ObS146/17v&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 146/17v […]; 10ObS93/08m&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 93/08m; […]). Da die Ausübung dieses Wahlrechts die Durchführung und den Ablauf des gerichtlichen Verfahrens – die Ermittlung der maßgeblichen Einkünfte – gestaltet, handelt es sich um eine Prozesshandlung des Kinderbetreuungsgeldbeziehers […].
2.4.2. Soweit das Gesetz eine Prozesshandlung nicht […] für unwiderruflich erklärt (RS0037520RS0037520 [T1]), solange die Prozesshandlung nicht zum Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung wurde (RS0037520RS0037520 [T1, T3]) und solange der Gegner nicht unmittelbar Rechte aus der Prozesshandlung erlangt hat (RS0037520RS0037520), kann eine wirksam gesetzte Prozesshandlung einseitig vom Handelnden zurückgenommen werden […].
2.4.2.1. Aus dem Gesetz lässt sich der von der Beklagten im Rekurs vertretene Ausschluss einer 412Rücknahme der Zuordnungserklärung nicht ableiten; ganz im Gegenteil können (sämtliche) Anbringen nach § 13 AVG […] in jeder Lage des Verfahrens zurückgezogen werden […]. Das KBGG selbst […] erklärt die Abgabe der Zuordnungserklärung […] nicht für unwiderruflich. […]
2.4.2.2. Die Zuordnungserklärung ist im vorliegenden Fall noch nicht zum Gegenstand einer Entscheidung geworden (§ 71 ASGG) und die Beklagte hat daraus auch noch nicht unmittelbar Rechte erlangt.
2.4.3. Die Rücknahme der Zuordnungserklärung im Rahmen des Gerichtsverfahrens war daher zulässig und wirksam.
2.5. Bedingte Prozesshandlungen sind grundsätzlich dann zulässig, wenn die Bedingung in einem innerprozessualen Umstand oder Vorgang besteht und ihre Beachtung nicht dazu angetan ist, die Vorhersehbarkeit des weiteren Prozessablaufs für das Gericht oder den Prozessgegner in unerträglicher Weise zu beeinträchtigen; letzteres ist insbesondere dann nicht der Fall, wenn die Bedingung eine richterliche Entscheidung bestimmten Inhalts ist, sodass namentlich ein Eventualvorbringen und Eventualanträge als zulässige Prozesshandlungen anzusehen sind (RS0037502RS0037502). Der Umstand, dass die Klägerin die Rücknahme der Zuordnungserklärung hier an eine solche innerprozessuale Bedingung (dass das Gericht der Argumentation der Beklagten folge) knüpfte, schadet somit nicht.
3.1. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts […] erfolgte daher frei von Rechtsirrtum. […]
Die gegenständliche E des OGH ist insofern von Bedeutung, als eine wichtige verfahrensrechtliche Frage geklärt wurde: Nunmehr steht fest, dass sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im Gerichtsverfahren abgegebene Zuordnungserklärungen nach § 8 Abs 1 Z 2 KBGG bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz zurückgezogen werden können. Dies war im vorliegenden Verfahren von Bedeutung, da die Kl die – unrichtige – Rechtsansicht vertrat, dass im Falle einer Zuordnungserklärung die Einkünfte im Anspruchszeitraum (1.7.2014 bis 31.5.2015) zu berücksichtigen seien. Richtigerweise sind allerdings auch für den Fall der Abgrenzung die Einkünfte in den jeweiligen Jahren (2014 und 2015) separat zu betrachten und wie bei den Einkünften aus unselbständiger Tätigkeit auf einen Jahresbetrag hochzurechnen (vgl Konezny in Sonntag/Schober/Konezny, KBGG3 [2020] Rz 27).
Der Einordnung der Zuordnungserklärung als Prozesshandlung kommt aber auch insofern Relevanz zu, als dies zur Folge hat, dass die Zuordnungserklärung erstmalig im Gerichtsverfahren abgegeben werden kann. Dies wurde in der höchstgerichtlichen Judikatur bereits mehrfach klargestellt (OGH 23.5.2018, 10 ObS 146/17v; OGH 19.10.2021, 10 ObS 119/21d; vgl auch Juhasz, Einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld: Abgrenzung von selbständigen Einkünften auch noch im sozialgerichtlichen Verfahren möglich, DRdA 2/2022, 108). Sofern sich daher nachträglich herausstellt, dass die Betrachtung der Einkünfte des Anspruchszeitraums des Jahres samt Hochrechnung auf das Jahr gegenüber den Einkünften des gesamten Jahres zu einer geringeren Rückforderung wegen Überschreitung der Zuverdienstgrenze führt, kann dies auch noch im Gerichtsverfahren geltend gemacht werden.