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Aufforderung, die Schicht zu Ende zu arbeiten, durch nicht zur Entlassung berechtigten Abteilungsleiter nach Tätlichkeit gegen Arbeitskollegen: Kein Verzicht auf Entlassungsrecht

ADMIRBAJRIC

Der Kl war ab 24.7.2000, zuletzt als stellvertretender Schichtleiter und Prüfer, bei der Bekl beschäftigt. Aufgrund des konfliktträchtigen Verhältnisses zwischen dem Kl und R*, einem anderen AN, demgegenüber der Kl als stellvertretender Schichtleiter weisungsbefugt war, wurden deren Schichten getrennt. Am 29.10.2020 kam es jedoch ausnahmsweise wieder zur Überschneidung der Schichten. Kurz vor 19 Uhr erteilte der Kl R* eine Anweisung, die dieser ablehnte, weshalb sich ein Wortgefecht zwischen den beiden entwickelte. Im Zuge dessen verlor der Kl die Nerven, ergriff R* im Bereich des Halses und würgte ihn. R* erlitt dadurch Schluckbeschwerden und eine Quetschung des Kehlkopfs.

Der stellvertretende Abteilungsleiter F* fuhr nach telefonischer Information über den Vorfall durch den Schichtleiter in den Betrieb. F* durfte ebenso wenig wie der Schichtleiter eigenständig Entlassungen aussprechen, dies war der Geschäftsführung, dem Chef der Personalabteilung und dem Werksleiter vorbehalten. Ihm war jedoch gestattet, Mitarbeiter aufgrund derartiger Vorfälle vorläufig freizustellen. F* ermahnte den Kl und verdeutlichte, dass tätliche Übergriffe nicht akzeptiert werden. Dennoch forderte er ihn auf, seine Schicht, die noch bis fünf Uhr morgens dauerte, zu beenden. Weitere Konsequenzen drohte er ihm nicht an. Er wies ihn auch nicht darauf hin, dass Entscheidungspersonen im Unternehmen noch weitere Konsequenzen aussprechen könnten.

Am nächsten Morgen informierte F* im Laufe des Vormittags den Leiter der Personalabteilung sowie den Werksleiter. Es kam zu einer Besprechung. In der Folge wurde die Geschäftsführung informiert und die Beteiligten zu einem weiteren Gespräch eingeladen. Nach diesem Gespräch mit dem Kl, R* und dem Schichtleiter sprach der Leiter der Personalabteilung zwischen 15 Uhr und 15:30 Uhr gegenüber dem Kl die Entlassung aus.

Der Kl begehrte seine Abfertigung in Höhe des Klagsbetrags. Er habe R* nicht tätlich angegriffen. Erst am darauffolgenden Tag sei die Entlassung ausgesprochen worden. Diese sei daher auch verspätet.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl gegen diese Entscheidung nicht Folge. Der OGH erachtete die Revision zur Klarstellung zulässig und auch berechtigt.

Nach § 27 Z 6 AngG ist als ein wichtiger Grund, der den AG zur vorzeitigen Entlassung berechtigt, anzusehen, wenn der Angestellte sich (ua) Tätlichkeiten gegen Mitbedienstete zuschulden kommen lässt. Der Kl hat einen Kollegen im Rahmen einer verbalen Auseinandersetzung angegriffen und gewürgt und damit verletzt. Dass dieses Verhalten den genannten Entlassungsgrund verwirklicht, wurde vom Kl in der Revision auch nicht mehr in Zweifel gezogen.

Die Gründe für die vorzeitige Auflösung eines Dienstverhältnisses sind bei sonstiger Verwirkung des Entlassungsrechts unverzüglich, dh ohne schuldhaftes Zögern, geltend zu machen. Der AG darf mit der Ausübung seines Entlassungsrechts nicht wider Treu und Glauben so lange warten, dass der Angestellte aus diesem Zögern auf einen Verzicht auf die Geltendmachung der Entlassungsgründe schließen muss. Der Grundsatz, dass die Entlassung unverzüglich auszusprechen ist, beruht auf dem Gedanken, dass ein AG, der die Verfehlung seines AN nicht sofort mit der Entlassung beantwortet, dessen Weiterbeschäftigung nicht als unzumutbar ansieht und auf die Ausübung des Entlassungsrechts im konkreten Fall verzichtet. Andererseits kann nicht aus jeder Verzögerung auf einen Verzicht des AG geschlossen werden. Es ist daher Sache des AN, einen derartigen Verzicht des AG auf das Entlassungsrecht zumindest implizit zu behaupten. Dabei darf der Grundsatz, dass Entlassungsgründe unverzüglich geltend zu machen sind, nicht überspannt werden.

Der OGH schließt sich der Beurteilung des Berufungsgerichts an, dass vom zeitlichen Ablauf her die Entlassung noch rechtzeitig erfolgte. Am Abend des Geschehens war kein zur Entlassung Befugter anwesend, diese wurden aber bereits am nächsten Tag in der Früh informiert und es wurde noch am selben Tag die Entlassung ausgesprochen. Dass zu369vor den Beteiligten die Möglichkeit gegeben wurde, ihre Sichtweise darzulegen, stellt keine Verzögerung dar, die geeignet war, den Eindruck zu erwecken, dass die Angelegenheit nicht weiterverfolgt wird. Auch wenn der Sachverhalt nicht besonders komplex war und der Kl die Tätlichkeit auch sofort zugab, kann der Bekl nicht vorgeworfen werden, dass die Personalverantwortlichen sich ein eigenes Bild vom Vorfall verschaffen wollten. Von einer zeitlichen Verspätung des Entlassungsausspruchs ist daher nicht auszugehen.

Korrekturbedürftig ist aber nach Ansicht des OGH die Ansicht des Berufungsgerichts, dass aus dem Verhalten des stellvertretenden Abteilungsleiters ein Verzicht der Bekl auf das Entlassungsrecht abzuleiten sei. Zwar kann dann, wenn der DG ihm zur Kenntnis gelangte Vorfälle bloß zum Anlass für eine Ermahnung genommen hat, eine derartige Erklärung nach hL und stRsp nur dahin verstanden werden, dass der DG auf das Entlassungsrecht verzichtet hat. Allerdings hat sich der für einen Verzicht behauptungs- und beweispflichtige Kl zum einen auf eine solche Ermahnung nicht berufen. Zum anderen wurde auch nicht vorgebracht und steht auch nicht fest, dass der stellvertretende Abteilungsleiter über eine Personalverantwortlichkeit verfügte, die es ihm erlaubt hätte, den Kl förmlich zu ermahnen und mit Wirkung für den AG auf das Recht zur Entlassung zu verzichten.

Im Übrigen ergibt sich nach Ansicht des OGH aus dem Urteil des Erstgerichts auch keine förmliche Ermahnung. Disloziert in der Beweiswürdigung konkretisiert das Erstgericht, dass der stellvertretende Abteilungsleiter den Kl dahingehend „ermahnte“, dass tätliche Angriffe „gar nicht gehen“. Aufgrund einer solchen Aussage von einem nicht zur Entscheidung über Entlassungen Berechtigten konnte der Kl aber nicht auf einen schlüssigen Verzicht auf die Geltendmachung eines Entlassungsgrundes schließen. Dass dem seit 20 Jahren bei der Bekl beschäftigten Kl die Zuständigkeiten der Vorgesetzten nicht bekannt waren, hat er nicht behauptet.

Vorläufige Maßnahmen, etwa die zur Klärung der tatsächlichen oder rechtlichen Lage vorgenommene Suspendierung eines AN, können die Annahme eines Verzichts des AG auf die Ausübung des Entlassungsrechts verhindern. Allerdings muss die Dienstfreistellung zu eben diesem Zweck erfolgen und für den AN als vorläufige Maßnahme zur Vorbereitung einer Entlassung erkennbar sein. Eine Suspendierung des AN vom Dienst schließt daher nicht in jedem Fall eine Verwirkung des Entlassungsrechts aus.

Eine Suspendierung ist aber keine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Entlassung, sie kann nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls dazu führen, dass der AN sich bewusst sein muss, dass, auch wenn die Entlassung nicht unmittelbar nach Bekanntwerden des Entlassungsgrundes ausgesprochen wird, kein Verzicht des AG auf sein Entlassungsrecht erfolgt. Wenn aber wie im vorliegenden Fall schon von keiner ungebührlichen Verzögerung zwischen dem Vorfall und der Entlassung auszugehen ist, kommt der Frage, ob der AN sofort suspendiert wurde, keine relevante Bedeutung zu.

Allein der Umstand, dass der stellvertretende Abteilungsleiter die Befugnis hatte, den Kl wegzuschicken, und sich stattdessen dafür entschied, die Schicht zu Ende arbeiten zu lassen, reicht daher für einen Verzicht auf das Entlassungsrecht nicht aus. Dem Kl musste bewusst sein, dass der stellvertretende Abteilungsleiter, der keine Entlassungsbefugnis hat, auch keine endgültige Entscheidung in dieser Angelegenheit treffen kann und aus der Aufforderung, die Schicht zu Ende zu arbeiten, nicht auf eine endgültige Bereinigung der Angelegenheit geschlossen werden kann oder darauf, dass eine Beschäftigung für die Dauer der Kündigungsfrist für die Bekl zumutbar ist.

Auf eine Anscheinsvollmacht des stellvertretenden Abteilungsleiters hat sich der Kl nicht berufen, eine solche ist daher auch nicht zu prüfen. Im Übrigen wäre dafür ein Verhalten des Vollmachtgebers – und nicht des Bevollmächtigten – erforderlich, das den Anschein zu einer solchen Berechtigung begründet.

Der Ausspruch der Entlassung ist damit rechtzeitig erfolgt, das Recht zur Entlassung war zu diesem Zeitpunkt nicht verwirkt. Daher war der Revision Folge zu geben und die Klage abzuweisen.