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„Tempora mutantur“ – die Auslegung der SchwerarbeitsV im Wandel

MAXIMILIANBELL (SALZBURG)
  1. Eine Kumulierung innerhalb einzelner Ziffern von § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV ist zulässig, weshalb alle versicherungspflichtigen Verrichtungen an einem Arbeitstag der Prüfung zugrunde zu legen sind, um festzustellen, ob dadurch einer der Tatbestände des § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV an diesem Arbeitstag erfüllt wird.

  2. Für die Erfüllung des Tatbestands von § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV an einem Arbeitstag bedarf es weder eines bestimmten durchschnittlichen stündlichen Kalorienverbrauchs noch einer bestimmten Arbeitszeit.

  3. Aufgrund einer tageweisen Betrachtung kommt es zu einer Zusammenrechnung von Schwerarbeitstagen, auch wenn einzelne Tage in unterschiedlichen Versicherungsverhältnissen zurückgelegt oder an einzelnen Tagen jeweils verschiedene Tatbestände nach § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV erfüllt wurden.

[1] Der am * 1967 geborene Kl arbeitete im relevanten Zeitraum als Lagerist. [...]

[2] Basierend auf den dargelegten Aufgabenstellungen als Lagerist und nach Abzug von Leerzeiten/ Unproduktivzeiten werden bei einem 8-Stunden- Arbeitstag durchschnittlich 1.821 kcal verbraucht. Der Kl verbraucht daher bei einer Nettoarbeitszeit von 9,75 Stunden 2.219 kcal, bei 8,75 Stunden 1.992 kcal und bei 8,5 Stunden 1.935 kcal. Der Break-Even-Point von 2.000 kcal liegt bei 8,8 Nettoarbeitsstunden. Der Kl arbeitete nur in den Monaten Dezember 2008 und Jänner 2017 an 15 Arbeitstagen 8,8 Nettostunden.

[...]

[4] Der Kl begehrte die im Zeitraum 1.8.2007 bis 30.6.2020 festgestellten Versicherungszeiten als Schwerarbeitszeiten iSd § 1 SchwerarbeitsV festzustellen. Zusätzlich zur Tätigkeit als Lagerist sei er seit 15.12.1995 als Landwirt (und Betriebsführer) tätig, und zwar im Jahresdurchschnitt mit ca drei Stunden täglich für Feldarbeit, Viehbetreuung und Obstbau, welche ebenso eine schwere körperliche Belastung darstellten.

[...]

[6] Das Erstgericht stellte die Monate Dezember 2008 und Jänner 2017 als Schwerarbeitszeiten iSd § 1 SchwerarbeitsV fest und wies das Klagebegehren im Übrigen ab. Ausgehend vom eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt folgerte es in rechtlicher Hinsicht, dass der Kl von Dezember 2007 bis Juni 2020 lediglich in zwei Monaten an 15 Tagen Schwerarbeit geleistet habe. Die vom Kl weiter behauptete Tätigkeit als nach dem BSVG [Bauern-Sozialversicherungsgesetz] versicherter Landwirt sei nicht zu berücksichtigen, weil bei Aus-220übung mehrerer Tätigkeiten neben- oder nacheinander jede dieser Tätigkeiten für sich die Kriterien des § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV erfüllen müsse.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge und ließ die Revision nicht zu. Es schloss sich der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts unter Berufung auf die höchstgerichtliche Rsp an.

[8] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Kl [...].

[9] Die – nach Freistellung der Revisionsbeantwortung von der Bekl beantwortete – Revision des Kl ist zulässig und iSd hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

[10] 1.1. Der OGH ging in den Entscheidungen 10 ObS 89/18p (SSV-NF 32/73 = DRdA 2019/50, 527 [Bell] = ZAS 2019/50, 281 [Heckenast]) und 10 ObS 84/20f davon aus, dass bei überschneidender Ausübung mehrerer (selbständiger oder unselbständiger) Tätigkeiten für den Erwerb eines Schwerarbeitsmonats iSd § 4 SchwerarbeitsV nur jene Tätigkeiten zu berücksichtigen seien, die (für sich) besonders belastende Tätigkeiten gem § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV sind (RIS-JustiZ RS0132473). Im Fall von bei Einzelbetrachtung unterschiedlichen Tätigkeiten gingen die genannten Entscheidungen bei der Prüfung, ob der Arbeitskalorienverbrauch nach § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV erreicht wurde, davon aus, dass auch diese Voraussetzung für jede Tätigkeit gesondert zu prüfen sei.

[11] 1.2. Die gegen diese Rsp in der Literatur vorgetragene Kritik (Greifeneder/Scharinger, Vorheriger Schwerarbeit – Vorliegen von schwerer körperlicher Arbeit bei Mehrfachversicherten, ÖZPR 2022/25, 43) gibt Anlass für eine neuerliche Auseinandersetzung mit den darin vorgetragenen Argumenten.

[...]

[14] 2.3.1. § 1 Abs 1 der aufgrund der § 607 Abs 14 ASVG, § 298 Abs 13a GSVG, § 287 Abs 13a BSVG und § 4 Abs 4 APG erlassenen Verordnung der Bundesministerin für Soziale Sicherheit, Generationen und KonsumentenschutZ über besonders belastende Berufstätigkeiten (SchwerarbeitsV, BGBl II 2006/104BGBl II 2006/104 idF BGBl II 2019/413BGBl II 2019/413) definiert als „besonders belastende Berufstätigkeiten“ alle Tätigkeiten, die geleistet werden

  1. in Schicht- oder Wechseldienst auch während der Nacht (unregelmäßige Nachtarbeit), dh zwischen 22 Uhr und 6 Uhr, jeweils im Ausmaß von mindestens sechs Stunden und zumindest an sechs Arbeitstagen im Kalendermonat, sofern nicht in diese Arbeitszeit überwiegend Arbeitsbereitschaft fällt, oder

  2. regelmäßig unter Hitze oder Kälte iSd Art VII Abs 2 Z 2 und 3 des Nachtschwerarbeitsgesetzes (NSchG), BGBl 354/1981 oder

  3. unter chemischen oder physikalischen Einflüssen iSd Art VII Abs 2 Z 5, 6 und 8 NSchG oder

  4. als schwere körperliche Arbeit, die dann vorliegt, wenn bei einer achtstündigen Arbeitszeit von Männern mindestens 8.374 Arbeitskilojoule (2.000 Arbeitskilokalorien) und von Frauen mindestens 5.862 Arbeitskilojoule (1.400 Arbeitskilokalorien) verbraucht werden, oder

  5. zur berufsbedingten Pflege von erkrankten oder behinderten Menschen mit besonderem Behandlungs- oder Pflegebedarf, wie beispielsweise in der Hospiz- oder Palliativmedizin, oder

  6. trotZ Vorliegens einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (§ 14 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl 22/1970) von mindestens 80 %, sofern für die Zeit nach dem 30.6.1993 Anspruch auf Pflegegeld zumindest in Höhe der Stufe 3 nach § 5 des Bundespflegegeldgesetzes, BGBl 110/1993, oder nach den Bestimmungen der Landespflegegeldgesetze bestanden hat.

[15] 2.3.2. Auch die weiteren Bestimmungen der SchwerarbeitsV stellen zentral auf den Begriff der „Tätigkeit“ ab, etwa im Zusammenhang mit den Fragen, ob eine bestimmte Tätigkeit als schwere körperliche Arbeit iSd § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV gilt (§ 3 SchwerarbeitsV) oder in welchem Ausmaß eine oder mehrere Tätigkeiten iSd § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV ausgeübt werden muss bzw müssen, um einen Schwerarbeitsmonat zu begründen (§ 4 SchwerarbeitsV).

[16] 2.4.1. Fraglich ist jedoch, was unter dem Begriff der Tätigkeit zu verstehen ist. Er wird weder vom GesetZ noch in der SchwerarbeitsV definiert.

[17] 2.4.2 Im allgemeinen Sprachgebrauch kommen zwei Deutungen in Betracht, nämlich einerseits im (weiteren) Sinn von Tätigsein, Sichbeschäftigen mit etwas (Duden, Deutsches Universalwörterbuch9 1771) bzw Handeln, Wirken, Schaffen, Wirksamkeit (Brockhaus-Wahrig, Deutsches Wörterbuch9 1459) oder andererseits im (engeren) Sinn von Arbeit (BMUKK [Hrsg], Österreichisches Wörterbuch43 701; Brockhaus-Wahrig, Deutsches Wörterbuch9 1459), Beruf (Brockhaus-Wahrig, Deutsches Wörterbuch9 1459) bzw Gesamtheit derjenigen Verrichtungen, mit denen jemand in Ausübung seines Berufs zu tun hat (Duden, Deutsches Universalwörterbuch9 1771).

[18] 2.4.3. Speziell im Bereich des Pensionsversicherungsrechts könnte sich zwar eine an § 255 ASVG orientierte Auslegung (iS eines engeren Verständnisses) anbieten, da § 255 ASVG diesen Begriff ebenfalls kennt. Den Fällen der Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit liegen jedoch andere Regelungsmotive zugrunde (Berufsschutz, Einschränkung der Verweisungsmöglichkeiten bei längerer Ausübung einer Tätigkeit) als der Schwerarbeitspension. Insb waren im Rahmen der Schwerarbeitspension nicht Berufsbilder oder Berufsgruppen als solche als Anknüpfungspunkt gedacht und es sollte weniger entscheidend sein, welchen Beruf die Versicherten ausgeübt haben, sondern es sollte vielmehr auf die besondere Belastung ankommen (Teschner/Widlar/Pöltner, ASVG [108. ErgLfg] SchwerarbeitsV Anm 2; vgl auch Rainer/Pöltner in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 4 APG Rz 129). Besonders naheliegend ist dies beim Tatbestand des § 1 Abs 1 Z 6 SchwerarbeitsV, bei dem die Qualifikation als Vorherige Schwerarbeit überhaupt losgelöst von einer konkreten Tätigkeit erfolgt und ausschließlich von einer besonderen Eigenschaft des Versicherten abhängt. Für dieses weitere, von einer Zuordnung zu bestimmten Tätigkeitsbildern 221 losgelöste Verständnis spricht auch § 4 Abs 4 APG, nach dem (nicht Tätigkeiten, sondern) Arbeitsbedingungen einer Festlegung als Vorherige Schwerarbeit durch die SchwerarbeitsV unterliegen (siehe auch ErläutRV 653 BlgNR 22. GP 3 und 9).

[19] 2.4.4. Dem grundsätzlichen Zweck der Schwerarbeitspension, eine durch besondere Belastung verursachte verminderte Lebenserwartung auszugleichen, entspricht das weitere Begriffsverständnis, das nicht nur Verrichtungen eines bestimmten Berufs, sondern sämtliche vom Versicherten in einem bestimmten Zeitraum tatsächlich (versicherungspflichtig) ausgeübten Verrichtungen umfasst. Die durch die Vorherige Schwerarbeit verursachte verminderte Lebenserwartung hängt immerhin nicht davon ab, ob die belastenden Verrichtungen einem oder mehreren Berufsbildern (etwa Bäcker, Einzelunternehmer im Lebensmittelhandel oder Taxifahrer bzw Landwirt oder Gemeindewaldaufseher) oder einem oder mehreren Dienstverhältnissen (Versicherungszweigen) zugeordnet werden könnten. Dies steht im Einklang mit der Antwort zur Frage 19. im (von den Krankenversicherungsträgern in Zusammenarbeit mit dem Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz und der bekl Pensionsversicherungsanstalt erarbeiteten) „Fragen-Antwort-Katalog“ zur SchwerarbeitsV, wonach bei mehreren (parallelen) Dienstverhältnissen die Prüfung der Schwerarbeitsmonate durch den Pensionsversicherungsträger im Rahmen eines Feststellungsverfahrens erfolge, wenn bei getrennter Betrachtungsweise bei keinem Dienstverhältnis die Voraussetzungen für das Vorliegen von Vorheriger Schwerarbeit gegeben seien (abrufbar unter https://www.sozialversicherung.at/cdscontent/load?contentid=10008.555062https://www.sozialversicherung.at/cdscontent/load?contentid=10008.555062; abgedruckt auch bei Milisits, Schwerarbeitsverordnung [2008] 50 ff [55]). [20] 2.4.5. Diesem (weiteren) Verständnis stehen die in der Anlage zur SchwerarbeitsV festgeschriebenen Grundsätze für die Feststellung des Vorliegens einer schweren körperlichen Arbeit iSd § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV nicht entgegen. Diese stellen zwar auf mit einem bestimmten Beruf verbundene Tätigkeiten (Tätigkeitsbilder) ab. Diese Berufslisten sind jedoch nur als Hilfsmittel zur Verfahrenserleichterung im Pensionsfeststellungsverfahren zu betrachten und für die Gerichte nicht bindend (Rainer/Pöltner in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 4 APG Rz 154; Teschner/Widlar/Pöltner, ASVG [108. ErgLfg] SchwerarbeitsV Anm 7; Milisits, Schwerarbeitsverordnung [2008] 28). Bei Tätigkeiten, die sich keinem Tätigkeitsbild dieser Berufslisten zuordnen lassen, kommt es somit weiter auf die ausgeübte Tätigkeit (und nicht ein bestimmtes Berufsbild) an.

[21] 2.5.1. Nach § 4 SchwerarbeitsV ist ein Schwerarbeitsmonat jeder Kalendermonat, in dem eine oder mehrere Tätigkeiten nach § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV in dem für das Vorliegen eines Versicherungsmonats erforderlichen Ausmaß (also 15 Versicherungstage) ausgeübt wurden, wobei Arbeitsunterbrechungen außer Betracht bleiben, solange die Pflichtversicherung in der PV weiter besteht. Dabei ist nach der Rsp die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit ausschlaggebend (RS0130802), dies unabhängig davon, ob die jeweilige Tätigkeit als selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt wird (10 ObS 117/16b SSV-NF 30/82 = DRdA 2017/43, 400 [Bell]; 10 ObS 89/18p SSV-NF 32/73 = DRdA 2019/50, 527 [Bell] = ZAS 2019/50, 281 [Heckenast]). Es gilt eine tageweise Betrachtung (Teschner/Widlar/Pöltner, ASVG [108. ErgLfg] SchwerarbeitsV Anm 15), sodass jeder Arbeitstag, an dem eine Tätigkeit nach § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV verrichtet wurde (bzw im Fall einer Arbeitsunterbrechung unter Aufrechterhaltung der Pflichtversicherung: worden wäre), als Tag iSd § 4 SchwerarbeitsV zählt (vgl RS0130802; 10 ObS 151/19g SSV-NF 34/24; 10 ObS 95/14i SSVNF 28/52). Der Arbeitstag ist dabei nicht immer mit dem Kalendertag gleichzusetzen, sondern aus § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV zu ermitteln, sodass etwa auch Nachtdienste einheitlich als ein Arbeitstag zu werten sein können (10 ObS 118/15y SSV-NF 30/16; 10 ObS 2/15i SSV-NF 29/8).

[22] 2.5.2. Die tageweise Betrachtung führt zu einer Zusammenrechnung von Schwerarbeitstagen, auch wenn einzelne Tage in unterschiedlichen Versicherungsverhältnissen zurückgelegt oder an einzelnen Tagen jeweils verschiedene Tatbestände nach § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV erfüllt wurden (vgl Teschner/Widlar/Pöltner, ASVG [108. ErgLfg] SchwerarbeitsV Anm 15).

[23] 2.5.3. In den eingangs (oben Pkt 1.1.) genannten Entscheidungen folgerte der OGH aus der Formulierung „eine oder mehrere Tätigkeiten nach § 1 Abs 1“ in § 4 SchwerarbeitsV, dass bei überschneidender Ausübung mehrerer selbständiger oder unselbständiger Tätigkeiten für den Erwerb eines Schwerarbeitsmonats iSd § 4 SchwerarbeitsV nur jene Tätigkeiten zu berücksichtigen seien, die (für sich) besonders belastende Tätigkeiten gem § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV sind (RS0132473). Daran ist im GrundsatZ weiterhin festzuhalten, weil die Tatbestandsvoraussetzungen der jeweiligen Ziffern des § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV alternativ („oder“) aufgezählt sind. Die jeweiligen Tatbestandselemente müssen somit je für sich genommen erfüllt sein und können nicht durch Vorliegen von Elementen anderer Tatbestände ausgeglichen werden (VfGHG 20/11, V 13/11 VfSlg 19.530/2011; Milisits, Schwerarbeitsverordnung [2008] 22, 41).

[24] 2.5.4. Dies ist aber nur für eine „tatbestandsübergreifende“ Kombination zwingend; die Kumulierung innerhalb einzelner Ziffern wird dadurch nicht ausgeschlossen. Das oben (Pkt 2.4.4.) erläuterte weite Verständnis des Begriffs der Tätigkeit führt – in Abkehr von der in den Entscheidungen 10 ObS 89/18p (SSV-NF 32/73 = DRdA 2019/50, 527 [Bell] = ZAS 2019/50, 281 [Heckenast]) und 10 ObS 84/20f vertretenen Ansicht – dazu, dass alle (versicherungspflichtigen) Verrichtungen (an einem Arbeitstag) der Prüfung zugrunde gelegt werden müssen, ob dadurch einer der Tatbestände des § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV (an diesem Tag) erfüllt ist (vgl auch Teschner/Widlar/Pöltner, ASVG [108. ErgLfg] SchwerarbeitsV Anm 15 und Milisits, Schwerarbeitsverordnung [2008] 31 [versicherungsverhältnis- übergreifende Zusammenrechnung]). Die Wendung „eine oder mehrere“ ist dement-222sprechend auf „Tätigkeiten nach § 1 Abs 1“, also auf unterschiedliche Ziffern (Tatbestände) des § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV zu beziehen (und nicht auf – in diesem Zusammenhang nicht zu unterscheidende – Berufe oder Dienstverhältnisse des Versicherten), wobei ein und dieselbe Zeit freilich immer nur einmal zu zählen ist, auch wenn an einem Tag gleichzeitig unterschiedliche Tatbestände des § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV erfüllt sein sollten.

[25] 2.5.5. Damit wird das – in der Literatur kritisierte (Greifeneder/Scharinger, ÖZPR 2022/25, 43 [45]; Bell, Schwerarbeit quo vadis? DRdA 2019/50, 527 [531]; Heckenast, Körperliche Schwerarbeit bei überschneidender Ausübung mehrerer Tätigkeiten, ZAS 2019/50, 281 [283]) – Ergebnis vermieden, dass je nach Ausübung einer schweren körperlichen Arbeit im Rahmen desselben oder unterschiedlicher versicherungspflichtiger Verhältnisse einmal Schwerarbeit vorliegt und einmal nicht, obwohl die (die Lebenserwartung vermindernde und daher vom Zweck der Schwerarbeitspension erfasste) Auswirkung auf den Körper des Versicherten völlig gleichartig ist. Die Frage, ob ein solcherart differenzierendes Ergebnis verfassungskonform wäre, stellt sich daher nicht mehr.

[26] 2.6.1. Die Bekl hält dem Kl in der Revisionsbeantwortung entgegen, dass § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV nicht auf ein bestimmtes Maß an Kalorienverbrauch an einem Tag abstelle. Eine körperliche Schwerarbeit liege bei Männern definitionsgemäß bei durchschnittlich 250 Arbeitskalorien pro Stunde oder bei 2.000 Arbeitskalorien pro acht Stunden. Ein Vergleich der körperlichen Schwerarbeit („Leistung“) setze gleiche Zeiteinheiten voraus. Als besonders belastend werde vom Verordnungsgeber eine Arbeit nur dann betrachtet, wenn diese Arbeit innerhalb einer bestimmten Zeit (nämlich acht Stunden) zu erbringen sei.

[27] 2.6.2. Soweit sich die Bekl gegen eine tageweise Betrachtung wendet, ist auf die obigen Ausführungen (Pkt 2.5.1.) zu verweisen. Sollte die Bekl mit ihrem Hinweis auf den durchschnittlichen Kalorienverbrauch pro Stunde und auf die Erbringung der Arbeit innerhalb von acht Stunden die Rechtsansicht vertreten, dass eine schwere körperliche Arbeit iSd § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV nur vorliege, wenn die Arbeit acht Stunden lang ausgeübt werde und pro Stunde durchschnittlich 250 Arbeitskalorien verbraucht würden, ist dem nicht zu folgen. Für die Erfüllung dieses Tatbestands an einem Arbeitstag bedarf es weder eines bestimmten durchschnittlichen stündlichen Kalorienverbrauchs noch einer bestimmten Arbeitszeit; ausschlaggebend ist vielmehr der in § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV genannte tatsächliche Gesamtenergieverbrauch, dem gegebenenfalls auch mehr als acht Arbeitsstunden zugrunde zu legen sind (RS0129750). Soweit die Bekl eine Unterscheidung von Definition der Schwerarbeit iSd § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV einerseits und der in der Anlage der Schwerarbeitsverordnung beschriebenen Methode zur Erfassung des täglichen Arbeitsenergieumsatzes andererseits fordert, ist die RelevanZ dieser Unterscheidung für den hier in Frage stehenden Tätigkeitsbegriff nicht erkennbar.

[28] 3. Ausgehend davon ist für die Frage, ob beim Kl eine Tätigkeit iSd § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV vorliegt, nicht nur seine Tätigkeit als Lagerist, sondern auch die weitere von ihm behauptete Tätigkeit als (nach dem BSVG pflichtversicherter) Landwirt zu berücksichtigen.

[...]

ANMERKUNG

Nach zwei Entscheidungen (OGH 19.12.2018, 10 ObS 89/18p; OGH 1.9.2020, 10 ObS 84/20f) setzte sich der OGH aufgrund der einhelligen Kritik in der Literatur, insb durch die umfassende sowie treffliche Aufarbeitung der Rechtsproblematik durch Greifeneder/Scharinger (ÖZPR 2022, 43; weiters Bell, DRdA 2019, 527; Heckenast, ZAS 2019, 281) neuerlich mit der Rechtsfrage auseinander, ob eine Kumulierung von unterschiedlichen Tätigkeitsbildern (Berufe oder Dienstverhältnisse des Versicherten) innerhalb einzelner Ziffern von § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV zulässig ist. Der OGH kam nun zu folgendem bahnbrechenden und ausdrücklich gegenteiligem Ergebnis zu seiner bisherigen Judikaturlinie:

„Das [...] weite Verständnis des Begriffs der Tätigkeit führt – in Abkehr von der in den Entscheidungen 10 ObS 89/18p [...] und 10 ObS 84/20f vertretenen Ansicht – dazu, dass alle (versicherungspflichtigen) Verrichtungen (an einem Arbeitstag) der Prüfung zugrunde gelegt werden müssen, ob dadurch einer der Tatbestände des § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV (an diesem Tag) erfüllt ist.“

Zu diesem Ergebnis gelangte der OGH durch Auslegung des seiner Ansicht nach nicht im GesetZ oder in der SchwerarbeitsV definierten Begriffes „Tätigkeit“. Die eingeschlagene Argumentationslinie des Höchstgerichtes ist – trotZ des überzeugenden Ergebnisses in der Sache – überraschend. § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV definiert mE bereits Tätigkeiten. Darunter werden jene Tätigkeiten verstanden, die unter körperlich oder psychisch besonders belastenden Bedingungen erbracht werden, so auch in Form von schwerer körperlicher Arbeit. Schwere körperliche Arbeit iSd SchwerarbeitsV liegt dann vor, wenn bei einer achtstündigen Arbeitszeit von Männern mindestens 8.374 Arbeitskilojoule (2.000 Arbeitskilokalorien) und von Frauen mindestens 5.862 Arbeitskilojoule (1.400 Arbeitskilokalorien) verbraucht werden (vgl § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV). § 3 SchwerarbeitsV definiert weiters, unter Beachtung welcher Grundsätze zu ermitteln ist, ob eine bestimmte Tätigkeit als schwere körperliche Arbeit iSd § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV gilt.

Zentral ist vielmehr die Rechtsfrage der Zulässigkeit der Kumulierung von unterschiedlichen Berufen und/oder Dienstverhältnissen des Versicherten, zumal die Begrifflichkeit „Tätigkeit“ durch den Verordnungsgeber umschrieben wurde. § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV sowie die Anlage zur SchwerarbeitsV stellen ein klares Regelwerk zur Ermittlung der kritischen Kilokaloriengrenze auf. Ein Verbot der Kumulierung ist nicht enthalten. Auch der Umstand, dass bei der Festlegung der Energieumsatzgrenze223 gem § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV der Bezug auf acht Stunden pro Arbeitstag als gesetzliche Normalarbeitszeit gewählt wurde, schadet nicht. Der OGH erkannte in vorhergehenden Entscheidungen zutreffend, dass es insb für unselbständig Beschäftigte unrealistisch (und vielfach auch gesetzeswidrig) erschien, grundsätzlich von längeren Arbeitszeiten auszugehen (OGH 30.9.2014, 10 ObS 95/14i). Damit kommt es aber nicht zu einer Einkürzung, sofern tatsächlich längere Arbeitszeiten geleistet wurden. Die Zeiten, die über acht Stunden hinausgehen, sind somit bei der Berechnung des Energieumsatzes entsprechend zu berücksichtigen (OGH 24.2.2015, 10 ObS 1/15t). Gemäß Anlage der SchwerarbeitsV und Rsp des OGH gilt, dass sich der Arbeitsenergieumsatz aus dem Gesamtenergieumsatz pro Arbeitstag ergibt. Es ist daher die Berücksichtigung des Energieumsatzes des ganzen Arbeitstages heranzuziehen (OGH 30.9.2014, 10 ObS 95/14i). Dies bekräftigt der OGH auch in der gegenständlichen E und hält fest, dass es für die Erfüllung dieses Tatbestands an einem Arbeitstag weder eines bestimmten durchschnittlichen stündlichen Kalorienverbrauchs noch einer bestimmten Arbeitszeit bedarf. Relevant ist der in § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV genannte tatsächliche Gesamtenergieverbrauch, dem gegebenenfalls auch mehr als acht Arbeitsstunden zugrunde zu legen sind (vgl OGH 28.7.2022, 10 ObS 64/22t, Rn 27 mwN). Weiters führte der OGH zutreffend in der vorliegenden E aus, dass es bei Tätigkeiten, die sich keinem Tätigkeitsbild der Berufslisten zuordnen lassen, auf die ausgeübte Tätigkeit (und nicht ein bestimmtes Berufsbild) ankommt (vgl OGH 28.7.2022, 10 ObS 64/22t, Rn 20).

Darüber hinaus bedarf es – entgegen der Ansicht des OGH – zumindest im Fall der vorliegend zu klärenden Rechtsfrage keiner Auslegung des Begriffes Tätigkeit in § 4 S 1 SchwerarbeitsV. Gemäß dieser Bestimmung ist ein Schwerarbeitsmonat jeder Kalendermonat, in dem eine oder mehrere Tätigkeiten nach § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV zumindest in jenem Ausmaß ausgeübt wurden, das einen Versicherungsmonat iSd § 231 Z 1 lit a a ASVG begründet. Eine oder mehrere Tätigkeiten nach § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV bedeuten bei Anwendung der Wortinterpretation, dass ein in § 1 Abs 1 Z 1 bis 6 SchwerarbeitsV klar definierter Fall von Schwerarbeit vorliegen muss, andernfalls eine Voraussetzung von § 4 S 1 SchwerarbeitsV bereits nicht erfüllt ist. Aus der vorliegenden E lässt sich für die Beurteilung, ob Schwerarbeit iSv § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV vorliegt, Folgendes festhalten:

  1. Für die Erfüllung der kritischen Kilokaloriengrenze dieses Tatbestands an einem Arbeitstag ist weder ein bestimmter durchschnittlicher stündlicher Kalorienverbrauch noch eine bestimmte Arbeitszeit notwendig;

  2. alle (versicherungspflichtigen) Verrichtungen (an einem Arbeitstag) sind der Prüfung zugrunde zu legen, um festzustellen, ob die kritische Kilokaloriengrenze gem § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV erreicht bzw überschritten wird.

Die mit dieser E vorgenommene Korrektur der bisherigen Rsp ist zu begrüßen, die gewählte Argumentationslinie überzeugt allerdings nicht.

Diese Gelegenheit sollte nicht ungenützt bleiben – ua deshalb, da sich der OGH in der vorliegenden E mit § 4 SchwerarbeitsV befasste –, um bereits geübte Kritik an der vom OGH teilweise vorgenommenen Auslegung der SchwerarbeitsV zu erneuern. Aufgrund des begrenzten Rahmens beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen auf den fiktiven Erwerb von Schwerarbeitszeiten gem § 4 SchwerarbeitsV. Der OGH setzte sich zuletzt in einer E mit der Rechtsfrage auseinander, ob Zeiten des Bezugs von Krankengeld nach § 138 ASVG als Schwerarbeitszeiten iSd SchwerarbeitsV qualifiziert werden können, was jedoch verneint wurde (vgl OGH 15.12.2020, 10 ObS 98/20i [de Brito], DRdA-infas 2021, 221). In einer vorangehenden E erkannte der OGH, dass der Konsum von Zeitausgleich nach Art V NSchG-Novelle 1992 den Erwerb von Schwerarbeitszeiten hindert (vgl OGH 1.9.2020, 10 ObS 85/20b). Auch verneinte der OGH den Erwerb von Schwerarbeitszeiten während der Tätigkeit als freigestellte Zentralbetriebsratsvorsitzende (OGH 20.12.2016, 10 ObS 117/16b). TrotZ dieser für die Ermittlung von Schwerarbeitszeiten relevanten Bestimmung (§ 4 Satz 2 SchwerarbeitsV) wurde sie kaum in der Literatur behandelt und die Entscheidungsgründe des OGH, die zu einer Ablehnung des Erwerbs von Schwerarbeitszeiten in den zuvor zitierten Entscheidungen beleuchtet. Besonders im Fall von Arbeitsunterbrechungen bestehen mE einige Fragestellungen und durchaus überdenkenswerte Auslegungsansätze des OGH. Für die Beurteilung, ob eine Arbeitsunterbrechung den Erwerb von Schwerarbeitszeiten hindert, gilt: „Arbeitsunterbrechungen bleiben dabei außer Betracht, solange die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung weiter besteht“ (§ 4 Satz 2 SchwerarbeitsV).

Im Kern geht es darum, ob jede Arbeitsunterbrechung, die die Pflichtversicherung in der PV nicht unterbricht, zu berücksichtigen ist oder nur jene Arbeitsunterbrechungen von bestimmter Dauer, bestimmten Grund etc. Die Begrifflichkeit „Arbeitsunterbrechungen“ ist in der SchwerarbeitsV für sich nicht definiert. Die SchwerarbeitsV hat lediglich eine Definition dahingehend vorgenommen, welche Arbeitsunterbrechungen nicht den Erwerb von Schwerarbeitszeiten verhindern, nämlich solche, die die Pflichtversicherung in der PV nicht beenden bzw unterbrechen.

In der vorliegenden E wiederholte der OGH seinen Standpunkt ua dahingehend, dass Schwerarbeit tatsächlich geleistet werden muss. Ausnahmen ergeben sich lediglich im Fall von eng begrenzten Zeiträumen, in denen tatsächlich keine Schwerarbeit geleistet wird (vgl OGH 15.12.2020, 10 ObS 98/20i [de Brito], DRdA-infas 2021, 221). Durch die Implementierung von § 4 Satz 2 SchwerarbeitsV wird unmissverständlich deutlich, dass bei Erbringung von Schwerarbeit iSv § 1 SchwerarbeitsV und Vorliegen einer Arbeitsunterbrechung, die die Pflichtversicherung in die PV nicht beendet, Schwerarbeitszeiten iSd SchwerarbeitsV erworben werden können. Dem Leitsatz des OGH, wonach Schwerarbeit tatsächlich geleistet werden muss, damit § 4 Satz 2 SchwerarbeitsV zur Anwendung gelangt, kann nur224 dahingehend gefolgt werden, dass vor der Arbeitsunterbrechung Schwerarbeit iSd SchwerarbeitsV geleistet wurde und während der Unterbrechung geleistet worden wäre. Der Verordnungsgeber hat sich bewusst dafür entschieden, Arbeitsunterbrechungen dem Erwerb von Schwerarbeitszeiten nicht entgegenzuhalten, auch wenn sie einen Erholungszweck verfolgen (vgl zum Erholungszweck Reissner in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 2 UrlG Rz 6 f; Mayr, Arbeitsrecht § 2 UrlG E7a). Die Ansicht des OGH, Schwerarbeit auch in Relation von Belastungs- und Erholungsphasen zu setzen, ist nachvollziehbar, jedoch wurde dieser Aspekt – wie bereits ausgeführt – vom Verordnungsgeber zur Beurteilung, ob ein Sachverhalt nach § 4 Satz 2 SchwerarbeitsV vorliegt, nicht näher in Betracht gezogen (vgl OGH 1.9.2020, 10 ObS 85/20b [Bell], DRdA 2021, 299). Die in § 4 SatZ 2 SchwerarbeitsV festgeschriebene Fiktion widerspricht nicht dem Grundsatz, wonach nur die tatsächliche Belastung mit Schwerarbeit durch einen Pensionsantritt vor Erreichen des Regelpensionsalters zu belohnen ist. Auf eine Konkretisierung der Dauer oder der Art der Arbeitsunterbrechung wurde in der SchwerarbeitsV verzichtet. Ebenso sind den Materialien zur SchwerarbeitsV hierzu keine Anforderungen zu entnehmen.

Die an der E 10 ObS 85/20b bereits geäußerte Kritik ist daher aufrecht zu erhalten. Für Nachtdienste und Feiertagsarbeit verpflichtend gewährter Zeitausgleich nach Art V NSchG-Novelle 1992 ist bei der Ermittlung von Schwerarbeitsmonaten zu berücksichtigen. Dies gilt mE auch für längere Arbeitsunterbrechungen, die über das gesetzliche Urlaubsmaß oder Entgeltfortzahlungspflicht hinausgehen, solange eine Pflichtversicherung in die PV besteht. In Hinblick auf die nun vollzogene Judikaturwende verbleibt die Hoffnung, dass auch dieser Aspekt der SchwerarbeitsV einer neuerlichen Beurteilung durch das Höchstgericht unterzogen wird.