Beweisverwertungsverbote im Arbeitsrecht*
Beweisverwertungsverbote im Arbeitsrecht*
Beweisverwertungsverbote im Zivilprozess
Beweiserlangung und Beweisverwertung
Ein kurzer Blick auf Lehre und Rechtsprechung in Österreich
Dominanz der Trennungsthese in der Lehre
Argumente für und gegen die Trennungsthese
Trennungsthese in der Rechtsprechung
Die Trennungsthese und die arbeitsrechtliche Literatur in Österreich
Ein kurzer Blick über die Staatsgrenzen
Rechtsprechung in Deutschland
Die deutsche Lehre zum Arbeitsverfahrensrecht
Ein Blick in die Schweiz
ELI-UNIDROIT Model European Rules of Civil Procedure
Rechtsprechung des EGMR
Abhilfe durch einen Unterlassungsanspruch?
Die jüngste Rechtsprechung des EuGH zum Datenschutzrecht
Fazit
Als österreichischer Zivilprozessualist hat man eines gelernt: Die ZPO kennt (fast) keine Beweisverwertungsverbote. Das Zivilprozessrecht ist sozusagen ein in sich ruhender Block, der sich gegen Überlagerungen von außen – gemeint aus dem materiellen Recht – abschottet. James Goldschmidt bezeichnete diese Trennung in seinem vermutlich berühmtesten, im Jahr 1925 erschienenen Werk „Der Prozeß als Rechtslage“* als die „moralinfreie“ Sphäre des Zivilprozesses. Diese Trennung wird noch mit dem Postulat des Vorrangs der Wahrheitsfeststellung im Zivilprozess aufgedoppelt. Kurz zusammengefasst: Der Umstand, dass ein Beweismittel auf materiell rechtswidrige Weise erlangt wurde, etwa unter Verstoß gegen das Datenschutzrecht, spielt im österreichischen Zivilprozessrecht praktisch keine Rolle. Der Zivilprozess ist kein zusätzliches Sanktionierungsinstrument für die Unrechtmäßigkeit. Der Verstoß bei der Erlangung hat gesetzlich angeordnete Rechtsfolgen auf – bspw – strafrechtlicher 351 und/oder zivilrechtlicher Ebene oder auf der Ebene des Verwaltungsrechts, wirkt aber nicht in den Zivilprozess hinein. Würde man es anders sehen, müsste eine legitimierende Verbindung zwischen der materiellrechtlichen Bewertung der Erlangungshandlung und der Frage der Zulässigkeit der Parteihandlung im Zivilprozess hergestellt werden.*
Um das Thema zu konturieren, das in dem Beitrag mit zivilprozessualer, nicht datenschutzrechtlicher Schwerpunktsetzung behandelt wird,* sind vorweg die einzelnen maßgeblichen Schritte zu ordnen und auseinanderzuhalten.
Schritt 1: Die Erlangung des Beweismittels. Sie hat mit dem Zivilprozess nichts zu tun, ist höchstens vorbereitender Natur. Diese Handlung kann nicht prozessual „eingefangen“ werden, wohl auch nicht unter grundrechtlichen Gesichtspunkten, denn die Handlung spielt sich typischerweise allein unter Privaten ab.
Schritt 2: Das Einbringen des unrechtmäßig erlangten Beweismittels in den Zivilprozess. Für sich allein betrachtet ist diese Handlung wenig auffällig, auch aus dem prozessualen Blickwinkel. Auffälligkeit tritt zutage, wenn sich die Prozessgegnerin gegen die Verwertung des Beweismittels mit der Begründung wendet, dass es unrechtmäßig erlangt worden sei, zB dass die Urkunde gestohlen worden sei, dass das Beweismittel Ergebnis eines unzulässigen Lauschangriffs sei oder dass das Mitführen einer ständig das Geschehen aufzeichnenden Dashcam auf dem Skihelm oder im Auto unzulässig sei. Die Beispiele zeigen, dass die Argumentationslinie auf einer materiellrechtlichen Ebene verläuft – das materielle Recht soll dann unmittelbare Auswirkungen auf der prozessualen Ebene entfalten. Berührt ist das Verhältnis der Prozessparteien untereinander, also von privaten Personen, sodass für die Anwendung der Grundrechte iSd herrschenden Vorstellung kein Raum bleibt.
Schritt 3: Die Verwertung des Beweismittels oder seine Nichtverwertung im Rahmen der gerichtlichen Beweiswürdigung (hier in einem weiten Sinn verstanden): Nun tritt in der Person der Richterin bzw des Richters ein:e staatliche:r Akteur:in dazu, der:die an die Grundrechte gebunden ist. Daher stellt sich die Frage: Verstößt die Richterin/der Richter/der richterliche Senat gegen Grundrechte, wenn er:sie ein materiell unrechtmäßig erlangtes Beweismittel im Rahmen der Beweiswürdigung verwertet? Die Frage kann auch für den umgekehrten Fall gestellt werden: Ist das Verfahren fair, wenn ein Beweismittel allein deshalb nicht verwertet wird, weil bei seiner Erlangung rechtswidrig gehandelt wurde?
Differenziert man zwischen diesen drei Schritten, wird klar, dass Beweiserlangung und Beweisverwertung zwei Paar Schuhe sind.* Die entscheidende Folgefrage ist nun: Schlägt die materiell-rechtliche Bewertung von Schritt 1 irgendwie auf den prozessualen Schritt 3 durch? Kein Problem gibt es, wenn die Beweiserlangung rechtmäßig war. Interessant ist der Fall, dass Schritt 1 mit einer sich aus dem materiellen Recht ergebenden Rechtswidrigkeit belastet ist: Hat dies Auswirkungen auf das Beweisverfahren im Prozess und seinen Ausgang?
In Österreich hat sich Georg Kodek mehrfach mit der Thematik befasst – seit seiner 1987 erschienenen Dissertation „Rechtswidrig erlangte Beweismittel im Zivilprozeß“ gilt er als konsequentester Vertreter der strikten Trennung zwischen der Sanktionierung der Unrechtmäßigkeit der Erlangungshandlung und der prozessualen Verwertbarkeit.* Sein Beitrag in der Festschrift für Athanassios Kaissis (2012)* ist mit einem Zitat eines englischen Richters aus dem 19. Jahrhundert überschrieben: „Even if you steal it, it would be admissible.“
*Kodeks Dissertation zu den rechtswidrig erlangten Beweismitteln im Zivilprozess wurde übrigens in Österreich durchaus positiv besprochen, während sie in Deutschland teilweise auf heftige Ablehnung stieß: Der deutsche „Beweislast-Papst“ Gottfried Baumgärtel bezeichnete die Ansicht als „extrem“.* Mittlerweile hat sich die Trennungsthese in der österreichischen zivilprozessualen Lehre als herrschend etabliert, auch überraschend unbeeindruckt von der in Richtung Interessenabwägung weisenden Entwicklung des Datenschutzrechts, da dieses das Beweisverfahren gar nicht regeln wolle.* Auch der Geltungsbeginn der DSGVO hat nicht zu einem Gedankenumschwung geführt.*352
Als Argumente für die Trennungsthese werden (ua) in den Ring geworfen:*
Im Zivilprozess sollte die Ermittlung der Wahrheit Vorrang gegenüber einem rigorosen Schutz der Freiheitsrechte der Parteien haben.
Materielles Recht und Prozessrecht haben unterschiedliche Zwecke (allenfalls wird zugestanden, dass der Zweck einer Norm des materiellen Rechts auf das Prozessrecht durchschlagen kann, wenn der Normzweck entsprechend ausgerichtet ist).
Durch die Einbeziehung materiellrechtlicher Fragen in das Beweisverfahren würde der Prozess aufgebläht,* verzögert und mit Fragen angereichert, von denen der Prozess entlastet sein sollte.
Durch einzelfallbezogene Abwägungen werden Prozessführung und -ausgang unberechenbar.
Ein Beweisverwertungsverbot in Bezug auf illegal erlangte Beweismittel ist in der ZPO nicht normiert; die Nichtverwertbarkeit von illegal erlangten Beweisen im Prozess würde zu einer inhaltlich unangemessenen Doppelsanktionierung führen.
Als Argumente gegen die Trennungsthese werden (ua) genannt:*
Verfassungs- und grundrechtliche Grenzen der „Wahrheitsermittlung“ werden missachtet (zB datenschutzrechtliche Vorgaben, die zu einer Löschung von Daten zwingen, die im Gerichtsverfahren dennoch herangezogen werden). Auch einfachgesetzliche Grenzen, die sich zB aus den Persönlichkeitsrechten oder den guten Sitten ergeben, werden ins Spiel gebracht, in Deutschland zudem Treu und Glauben.
Das Gericht begeht als Organ des Staates durch die Verwertung eines grundrechtswidrig erlangten Beweismittels selbst einen Grundrechtsverstoß.
Die Rechtsordnung muss einheitlich und nicht zersplittert in materielles Recht und Prozessrecht betrachtet werden.
Die Trennungsthese schafft einen Anreiz zu rechtswidrigem Handeln, um sich Vorteile im Prozess zu verschaffen. Dürfen rechtswidrig erlangte Beweismittel im Prozess nicht verwendet werden, sinkt der Anreiz, sich diese überhaupt zu beschaffen.*
Die Rsp in Österreich folgt an sich – zumindest verbal – eher der Trennungsthese. Es gibt wenige Entscheidungen des OGH, kein Wunder, gehört doch dieses Thema zur Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung und ist der Kognition des OGH in der Regel entzogen. Aus mancher der wenigen Entscheidungen des OGH könnte man ein gewisses Unbehagen mit der generellen Verwertbarkeit unrechtmäßig erlangter Beweismittel herauslesen. In 4 Ob 247/99y* nahm der OGH in Bezug auf die Verwertung einer ohne Zustimmung des Gegenübers erstellten Tonbandaufnahme einen Notstand – betreffend die Beweisführung – an, die die Verwertung zulässig machte. Zu OGH3 Ob 131/00m vom 20.6.2000 wurde dieser Ansatz mit dem Beweisnotstand fortgeführt, aber eine Notstandssituation verneint, weil noch eine Beweisführung durch eine Zeugin möglich war. Die – wenigen – folgenden höchstgerichtlichen Entscheidungen sind ähnlich gestrickt:* In Sonderfällen wird eine Interessenabwägung zwischen Beweisinteresse und Geheimhaltungsinteresse zugelassen;* bei einer heimlichen Tonbandaufnahme soll im Fall der Anfertigung eines Transkripts die Interessenabwägung in Bezug auf die prozessuale Verwertung unterbleiben können.*
In 6 Ob 16/18y* hielt der OGH fest, dass aus dem Umstand der Unzulässigkeit für die (in concreto nicht zu beurteilende) Verwertbarkeit von Aufnahmen einer privaten Videoüberwachung als Beweismittel in einem Zivilprozess nichts abzuleiten ist. Insgesamt also eine nicht ganz klare Linie der Rsp, die zwischen der ohne weiteres möglichen Verwertung und der Notwendigkeit einer Interessenabwägung schwankt.* Aus der Begründung der im Folgenden eingehender betrachteten OGH-E7 Ob 121/22b* kann keine (klarstellende) Änderung der Rsp herausgelesen werden, denn 353 die Notwendigkeit einer Interessenabwägung bei datenschutzrechtswidrig erlangten Beweismitteln war bereits davor anerkannt. Ich behandle diese in einem Provisorialverfahren ergangene E vor allem deshalb näher, weil das Gericht erster Instanz das Bezirksgericht Zell am See war.
Die Antragstellerin begehrte die Erlassung einer Gewaltschutzverfügung. Der Antragsgegner, ein Nachbar, sei am 3.9.2021 mit einer Spitzhacke auf sie losgegangen und habe sie massiv beschimpft und bedroht. Als Bescheinigungsmittel berief sie sich auf ein Handy-Video und daraus extrahierte Standbilder. Der Antragsgegner sprach sich gegen die Verwertung dieser Bescheinigungsmittel aus. Die Aufnahme sei ohne seine Einwilligung sowie ohne anderen Rechtfertigungsgrund erfolgt und daher gem § 12 DSG unzulässig.
Das Erstgericht war datenschutzmäßig (oder vielleicht arbeitsintensitätsbezogen) sehr sensibel und wies den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ab. Es traf zu den Vorgängen am 3.9.2021 eine Negativfeststellung: Der Antragsgegner als gefilmte Person habe nicht aktiv in die Verarbeitung der personenbezogenen Daten eingewilligt, daher dürften weder der USB-Stick mit der Videoaufzeichnung noch die Standbilder daraus verwertet werden. Aus diesem Grund habe die Antragstellerin den von ihr behaupteten Angriff des Antragsgegners nicht bescheinigen können.
Die zweite Instanz sah es anders und hob die erstinstanzliche Entscheidung auf: Die rechtswidrige Erlangung eines Beweismittels habe keine Auswirkungen auf die Verwertbarkeit im Prozess. Die Ablehnung der Verwertung bzw Aufnahme der angebotenen Bescheinigungsmittel verwirkliche daher einen wesentlichen Verfahrensmangel.
Dass die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nicht am Einwand des Antragsgegners scheitern soll, er habe der Videoaufnahme nicht zugestimmt, die seinen Angriff mit einer Spitzhacke zeigen soll, leuchtet unmittelbar ein.* Daher konnte der OGH, der den Aufhebungsbeschluss der zweiten Instanz bestätigte, die Klärung der Frage, ob vor dem Hintergrund der DSGVO nun eine Interessenabwägung notwendig sei, offenlassen: Eine solche Interessenabwägung würde jedenfalls zugunsten der Antragstellerin ausgehen. MaW: Schon nach der DSGVO war die Datenverwendung und damit die Verwertung des Beweismittels rechtmäßig; daher war die Folgefrage, ob der Verwendung des Beweismittels ein rechtliches Hindernis im Prozess entgegenstand, nicht zu beantworten.
Interessant sind die drei Besprechungen dieser Entscheidung, alle drei von auf der WU lehrenden Wissenschafter:innen.
Nach Lena Werderitsch* sei mit der Entscheidung klargestellt, dass auch nach Inkrafttreten der DSGVO kein generelles Beweisverwertungsverbot für datenschutzwidrig erlangte Beweismittel besteht. Die DSGVO will das Beweisverfahren vor den Gerichten nicht einschränken und an sich schon gar nicht regeln. Insb differenziert die DSGVO zumindest nicht ausdrücklich zwischen der Verwertung rechtswidrig und rechtmäßig erlangter Beweismittel. Die in Art 6 lit f DSGVO angesprochene Abwägung berechtigter Interessen an der Datenverarbeitung betrifft nur den außerprozessualen Vorgang der Erlangung des Beweismittels. Für die Beweisverwertung vor Gericht muss die Datenverarbeitung lediglich erforderlich sein, wobei die Erforderlichkeit nicht von den jeweiligen Interessen der Parteien abhängt, sondern nur danach fragt, ob ein Beweismittel ex ante geeignet wäre, die Entscheidung des Gerichts in welcher Weise auch immer zu beeinflussen.
Auf dieser Linie liegt auch die Besprechung von Georg Kodek:* Aus der DSGVO kann kein generelles Beweisverwertungsverbot für nach den Datenschutzbestimmungen rechtswidrig erlangte Beweismittel abgeleitet werden. Die DSGVO unterwirft zwar im Grundsatz auch die Datenverarbeitung durch Gerichte und Behörden ihren Regeln, will aber das gerichtliche Beweisverfahren selbst nicht regeln. Die Richtigkeit der Entscheidung sieht Georg Kodek vor allem in folgendem Vergleich: Hätte sich der (mögliche) Spitzhacken-Attentäter mit einem Selfie selbst gefilmt, wäre er prozessual verpflichtet gewesen, dieses Beweismittel herauszugeben – daraus kann der Schluss gezogen werden, dass auch die bedrohte Antragstellerin ihr eigenes Video verwerten durfte. Die Argumentation bleibt also strikt auf dem Boden der Trennungsthese. Georg Kodek weist noch darauf hin, dass gerade im Datenschutzrecht, in dem empfindliche Geldstrafen vorgesehen sind, nicht davon ausgegangen werden könne, dass das materielle Recht keine ausreichenden Sanktionen bereithält und eine zusätzliche Sanktionierung des Fehlverhaltens im Zivilprozess – in Form eines Verwertungsverbots – notwendig wäre.
Differenzierter – und mE überzeugender – fällt die Besprechung von Alexander Wilfinger aus:* Aus einzelnen DSGVO-Bestimmungen (wie Art 9 Abs 2 lit f und Art 17 Abs 3 lit e), die die Datenverarbeitung in Zivilprozessen ausdrücklich erlauben, abzuleiten, dass davon auch datenschutzrechtswidrig erlangte Daten erfasst seien (und diese Frage eben in der DSGVO ungeregelt geblieben sei), sei doch eher zweifelhaft. Die Wirksamkeit der Sanktionierung von Verstößen lege ein Beweisverwertungsverbot nahe und es sei anzunehmen, dass der EuGH, wenn er gefragt wird, Effektivitätsüberlegungen anstellen wird* – genauso wie im Klauselrecht, das vor dem Zivilprozessrecht nicht haltmacht und sich richtiggehend zu einem Klauselprozessrecht* entwickelt.
Wohin die Reise geht, ist also noch nicht klar abzusehen. Aufgrund der ständigen Verbesserung der 354 technischen Möglichkeiten kann für die Zukunft angenommen werden, dass der Frage der Verwertbarkeit von Beweismitteln wie „zustimmungslosen“ Videoaufzeichnungen oder unrechtmäßig erlangten eMails und Chatprotokollen in Zivilprozessen vermehrte Bedeutung zukommen wird. Es wird hoffentlich auch die Lehre öfter Gelegenheit haben, zu den hier behandelten Fragen Stellung zu nehmen. Und auch der EuGH könnte wohl – aus welchem Staat immer – öfter mit der Thematik befasst werden.
Es fällt auf, dass das Thema eines Verbots der Verwertung von rechtswidrig erlangten Beweismitteln in der jüngeren Literatur recht stark im arbeitsrechtlichen Kontext behandelt wurde. Während sich Graf/Schöberl* und Klicka* in zwei ZAS-Beiträgen für die Trennungsthese ausgesprochen haben, hat sich gerade im arbeitsrechtlichen Schrifttum – auch unter Bezugnahme auf unionsrechtliche Vorgaben – Kritik an der Trennungsthese geregt.* Das wundert nicht: Wie in einer Ehe geht es um Dauerbeziehungen, die Rücksichtnahme auf die Persönlichkeitsrechte des Vertragspartners erfordern. Faktisch kann es sich im Hinblick auf die beträchtlichen finanziellen Unterschiede je nach Art der Auflösung des Arbeitsverhältnisses durchaus auch auszahlen, in die Erlangung von Beweismitteln zu investieren. Überdies hält das Arbeitsrecht, vor allem das kollektive, Normen bereit, die die Möglichkeit von Überwachungsmaßnahmen einschränken.* Die Effektivität solcher Einschränkungen würde konterkariert, würde das Verbot bzw die Einschränkung nicht in einen Arbeitsgerichtsprozess hineinwirken. Ich darf in diesem Zusammenhang zur Vereinfachung allein Robert Rebhahn zitieren, der im Jahr 2009 in seinem Buch zur Mitarbeiterkontrolle am Arbeitsplatz Folgendes geschrieben hat:*
„Diese Auffassung [Anm: Trennungsthese] ist jedoch zumindest überall dort mehr als fragwürdig, wo es um die Verfolgung von Rechten durch Private geht, die der Dispositionsmaxime unterliegen. Sie ist eine Einladung zum Übertreten der Kontrollverbote, die so zu leges minusquamperfectae, zu unvollständigen Verboten verkommen. Jedenfalls das DSG bietet ausreichend Anhaltspunkte – insb ... (Anspruch auf Löschung) – dafür, dass Verarbeitungsverbote auch verbieten, die so erlangten Daten als Beweismittel zu verwenden, zumal die DSRL effiziente Sanktionen verlangt. Die einzig wirklich effizienten Sanktionen zum Individualschutz sind – neben Strafen – solche Verbote. Auch wenn ein Beweisverwertungsverbot nicht stets verhindern kann, dass die rechtswidrig erlangte Information faktisch im Prozess vorgetragen wird, kann es doch den Rahmen der Beurteilung beeinflussen. Jedenfalls zum DSG ist die Ablehnung des Beweisverwertungsverbotes abzulehnen, weil nicht nachvollziehbar ist, wie man zu einem Grundrecht auf Geheimhaltung sagen kann, dessen Verletzung habe keinen Einfluss in einem Verfahren zwischen Privaten, das der Dispositionsmaxime unterliegt. Man setzt damit Wertungen des Zivilprozessrechts höher als die Verfassung und prämiert auch vorsätzlichen Rechtsbruch. Die hA fordert das Gericht nicht nur auf, ein rechtswidrig erlangtes Beweismittel zuzulassen, sondern verlangt auch noch, das rechtswidrige Verhalten, das in der Vorlage dieses Beweismittels liegt, zu billigen.“
Höchstgerichtliche Rsp mit Aussagen zu Spezifika von Beweisverwertungsverboten im arbeitsgerichtlichen Verfahren fehlt bisher.*
International scheint der Trend in den letzten Jahren vielleicht eher in Richtung einer Verwertbarkeit illegal erlangter Beweismittel gegangen zu sein, wenn auch keine klare Linie ausgemacht werden kann.
Auf der Grundlage von entsprechender Rsp des BVerfG* und des BAG* wurden und werden in Deutschland Beweisverwertungsverbote eher angenommen als in anderen Ländern. Im Detail ist die Rsp kasuistisch und die deutschen Höchstgerichte setzen auch etwas unterschiedliche Akzente. Am großzügigsten mit der Zulassung ist der BGH. Der VI. Zivilsenat des BGH hat bspw in einer breit diskutierten Entscheidung die Verwertung von Dashcam-Aufnahmen im Verkehrsunfallprozess für zulässig erklärt.* Zwar kam der Senat bei Prüfung der Datenschutzwidrigkeit zu dem Ergebnis, dass 355 es sich bei dem vom Unfallgeschädigten mittels Dashcam aufgenommenen Video tatsächlich um ein datenschutzwidrig erlangtes Beweismittel handelte. Dennoch bejahte der BGH nach Vornahme einer Interessenabwägung die Verwertbarkeit im Prozess: Das Beweisinteresse des Unfallgeschädigten rechtfertige den Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des gefilmten Unfallgegners, der sich ja freiwillig in der Öffentlichkeit bewegt habe und deshalb nur geringfügig in seiner Sozialsphäre betroffen sei. Ausgehend vom Schutzzweck des Dashcam-Verbots ist diese Lösung konsequent:* Wenn eine „kurzzeitige anlassbezogene Speicherung im Zusammenhang mit einem Unfallgeschehen“ erlaubt war, darf das Video dem Gegner vorgehalten werden, auch wenn in concreto die Speicherung (der Aufnahmen von sonstigen Verkehrsteilnehmern) länger als erlaubt vorgenommen wurde. Die Sanktionierung der Rechtswidrigkeit gegenüber allen anderen Verkehrsteilnehmern darf nicht in einer Privilegierung des Schädigers als einziger Person liegen, gegenüber der die Aufzeichnung – wegen des Fehlens eines Löschungsanspruchs – unproblematisch ist. Vielmehr genügen die drohenden Verwaltungsstrafen sowie allfällige Nachteile gegenüber Dritten.*
Schon mehr als ein Jahrzehnt früher hatte der XII. Zivilsenat des BGH – in einem Abstammungsprozess* – auch zugestanden, dass „die in der ZPO nicht geregelte Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise und Beweismittel im Zivilprozess in Rechtsprechung und Literatur noch nicht dogmatisch befriedigend geklärt“ ist und dass es „nach wie vor eher konturenlos“ erscheint. Das ist quasi die Entschuldigung dafür, dass „auch der Senat daher nicht umhinkann, sich auf eine einzelfallbezogene Lösung zu beschränken“. In dem zu entscheidenden Fall war die Anfechtung der Vaterschaft auf eine heimlich eingeholte DNA-Analyse gestützt worden. Der BGH hielt an seiner in zwei früheren Entscheidungen* vertretenen Rechtsansicht fest, dass ein heimlich (ohne die erforderliche Einwilligung des Kindes in die Untersuchung seiner DNA) eingeholtes DNA-Gutachten vor Gericht nicht verwertet werden darf, weil das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Kindes verletzt werde. Selbst wenn man dem Beweisverwertungsverbot nicht von Vornherein negativ gegenübersteht, überrascht es doch ein wenig, dass die einzelfallbezogene Abwägung des Senats in diesen Fällen so eindeutig zugunsten des Erhalts der sozialen Familienbeziehung des Kindes ausfällt: Ist der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Kindes so gravierend, dass es gerechtfertigt ist, dem rechtlichen Vater massive Hürden dagegen aufzubauen, die Vaterschaft erfolgreich anfechten zu können – dies, obwohl alle Beteiligten genau wissen, dass er nicht der biologische Vater ist? Das Kind (und möglicherweise irgendwann auch der Scheinvater) bleibt also unterhalts-, erb- und pflichtteilsberechtigt. Das BVerfG war in der Folge in Bezug auf die Position des (Schein-)Vaters etwas sensibler, sah es aber als dem Grundgesetz entsprechend an, wenn die Gerichte die Verwertung heimlich eingeholter genetischer Abstammungsgutachten wegen Verletzung des Rechts des betroffenen Kindes auf informationelle Selbstbestimmung als Beweismittel ablehnen.*
Es scheint nicht unplausibel, dass eine strukturelle Unterlegenheit, speziell das „Ausgeliefert-Sein“, die Tendenz von Entscheidungen zu Beweisverwertungsverboten (mit-)prägt. So wie ein Kind dem BGH im Abstammungsprozess besonders schützenswert erscheint, stehen AG – rein technisch betrachtet – Überwachungsmöglichkeiten zur Verfügung, die bis in den Kernbereich der Privatsphäre von AN eindringen und zur beweismäßigen Unterlegenheit in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren führen können. Auch das BAG nimmt auf das Recht des AN auf informationelle Selbstbestimmung Bezug,* wenn auch in nuancierter Weise: Aus der gebotenen Abwägung der Interessen ergibt sich, dass das Ergebnis eines heimlichen Mithörenlassens von Telefongesprächen (in Form des bewussten Einbeziehens eines dritten Zuhörers ohne Einwilligung des Gesprächspartners) – anders als das zufällige Zuhören – nicht beweismäßig verwertet werden darf (zB durch Aussage des Zuhörenden als Zeugen). Die Grundlage für das Beweisverwertungsverbot sieht das BAG darin, dass mit der gerichtlichen Verwertung dieses Beweismittels eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsrechts des Gesprächspartners einherginge: Im gerichtlichen Verfahren tritt nämlich der Richter den Verfahrensbeteiligten in unmittelbarer Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt gegenüber.* Lässt man diese verfassungsrechtliche Aufladung einmal außer Betracht, wird es schwierig, das Ergebnis der Abwägung zwischen Beweisinteresse und Eingriff in das Persönlichkeitsrecht rational darstellen zu können. Auf die Spitze getrieben: Kommt der Dritte zufällig ins Zimmer und hört das „auf laut“ geführte Gespräch mit, kann er über den Inhalt als Zeuge aussagen, nicht aber dann, wenn der Telefonierende die Tür offen lässt und das Gespräch (mit Lautsprecher) so laut führt, dass der Mitarbeiter im Nachbarzimmer gar nicht aus kann, es mitzuhören? Zwar geht aus der Rsp des BAG hervor, dass nicht jeder Verstoß gegen einfaches Gesetzesrecht bei der Beweiserlangung (zB mitbestimmungswidrig erlangte Daten) zu einem Beweisverwertungsverbot im 356 Prozess führt;* die Grenzen des Beweisverwertungsverbots sind allerdings undeutlich. Eindeutig ist für das BAG – angesichts der Intensität des Eingriffs des AG in das Persönlichkeitsrecht des AN nicht überraschend –, dass aus dem anlasslosen und dauerhaften Mitloggen und Speichern des Internet-Traffic des AN ein Beweisverwertungsverbot folgt.*
Das Weiterwirken der Rsp des BAG in untere Instanzen soll illustrativ an einer jüngeren E des LAG Berlin-Brandenburg aus dem Jahr 2020 dargestellt werden.* Das hierin zitierte Gesetz – das BDSG – ist das Bundesdatenschutzgesetz in der vollständigen Neufassung aus dem Jahr 2018, also in der Anpassung an die DSGVO.
Der Kl (AN) war bei der Bekl (AG) als Vertriebsleiter beschäftigt und erbrachte seine Tätigkeit überwiegend „von unterwegs“ mit seinem Dienstwagen oder aus dem Homeoffice. Vorgaben im Hinblick auf die zu leistende Arbeitszeit bestanden nicht. Im Laufe des Beschäftigungsverhältnisses stellte die AG beim AN nachlassende Produktivität und rückläufige Umsätze fest. Um herauszufinden, „was der Kläger während seiner Arbeitszeit mache“
, engagierte die Bekl eine Detektei. Die Überwachung ergab, dass dieser in seinen Reisekostenabrechnungen unzutreffende Angaben über Arbeits- und Abwesenheitszeiten machte, um höhere Spesen abrechnen zu können. Anstatt auswärtige Termine wahrzunehmen, hatte sich der AN vielfach in seinem Heimatort aufgehalten und war privaten Tätigkeiten nachgegangen.
Während das ArbG Berlin die Kündigungsschutzklage in erster Instanz abwies, gab das LAG Berlin- Brandenburg der Berufung des Kl statt. Die durch die Überwachung gewonnenen Erkenntnisse seien zwar an sich geeignet, eine Kündigung zu rechtfertigen, sie unterlägen allerdings wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und datenschutzrechtlicher Vorschriften einem Beweisverwertungsverbot. Die persönlichkeitsrechtsbezogene Grundlage für das Beweisverwertungsverbot sah das LAG Berlin-Brandenburg darin, dass zum einen kein konkreter Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des AN bestanden habe und zum anderen vor Anordnung der Überwachung nicht andere verfügbare Erkenntnisquellen ausgeschöpft worden seien. Ein Informationsinteresse des AG bezüglich des Verhaltens eines AN oder Zweifel, ob der AN weiterhin so gut wie möglich arbeitet, reichten nicht aus, um eine Überwachung durch eine Detektei zu rechtfertigen. Nachträglich – durch die Überwachung – erzielte Ergebnisse könnten den Eingriff nicht rechtfertigen.
Immerhin: Der deutsche Zivilprozess ist trotz der Akzeptanz von Beweisverwertungsverboten noch nicht zusammengebrochen.
So wie in der deutschen Rsp ist in der Lehre eine Kompromisslösung zwischen einem Beweisverwertungsverbot auf der einen Seite und der Beweiszulässigkeit (iSd Trennungsthese) auf der anderen Seite herrschend: Die rechtswidrige Erlangung eines Beweismittels kann zu einem Beweisverwertungsverbot führen: In bestimmten Fällen gelangt man zu einer Unverwertbarkeit, in anderen zu einer Zulässigkeit der Verwertung des Beweises. Für sich allein reicht die Rechtswidrigkeit der Beweiserlangung nicht aus, um ein Beweisverwertungsverbot zu begründen. Grundlage für die vorzunehmende Differenzierung zwischen Unverwertbarkeit und Zulässigkeit der Verwertung ist eine einzelfallbezogene Abwägung, die in der Literatur als „geringstes Übel“ bezeichnet wurde.* Die dogmatische Begründung fällt unterschiedlich aus.
Dieser Abwägungsvorgang bedarf einer Strukturierung, um ihn irgendwie nachvollziehbar – und auch vorhersehbar – zu machen. In die Waagschale geworfen werden dabei Schutzzweckerwägungen in Bezug auf die Beweisverwertung: Die Verwertung des rechtswidrig erlangten Beweismittels soll dann ausgeschlossen sein, wenn die Rechtsfolge dem Sinn und Zweck der verletzten Norm entspricht. Gebietet also der Schutzzweck der verletzten Norm (auch) die prozessuale Sanktion eines Verwertungsverbots? Schutzzweckerwägungen sind naturgemäß selbst mit großen Unsicherheiten behaftet, außerdem sind die materiellrechtlichen Normen typischerweise nicht darauf ausgerichtet, Konsequenzen im Fall eines Zivilprozesses mitzuregeln. Also alles andere als einfach, zu einem schlüssig nachvollziehbaren Ergebnis zu gelangen.
Anders als die österreichische und die deutsche Zivilprozessordnung enthält die seit 1.1.2011 in Geltung stehende Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19.12.2008 in ihrem Art 152 Abs 2 eine ausdrückliche Regelung eines Beweisverwertungsverbots, die eine Abwägung vorgibt: „(2) Rechtswidrig beschaffte Beweismittel werden nur berücksichtigt, wenn das Interesse an der Wahrheitsfindung überwiegt.“
Es wundert daher nicht, dass das schweizerische Bundesgericht in der folgenden Situation ein Beweisverwertungsverbot im arbeitsrechtlichen Verfahren anerkannt hat: Ein AG hat die Computeraktivitäten seiner AN wegen eines Verdachts auf Missbrauch der Informatikanlage heimlich überwacht. Aus der Überwachung ergab sich bei einem AN die Nichteinhaltung der Arbeitszeit, weshalb er entlassen wurde. Nach dem Bundesgericht dürfen die Ergebnisse der Überwachung im Prozess wegen der Entlassung nicht verwendet werden.* Zentrale Bedeutung schrieb das Gericht dem Umstand zu, dass dem AG legale Möglichkeiten zur Verfügung gestanden wären, etwaige Missbräuche der Informatikanlage festzustellen und zu verfolgen. Da das rechtswidrig erlangte Beweismittel als im Prozess 357 unverwertbar qualifiziert wurde, stellte das Bundesgericht fest, dass eine Grundlage für die Entlassung (fristlose Kündigung) nicht mehr gegeben war.
Die Rule 90 („Illegally Obtained Evidence“) der 2021 veröffentlichten ELI-UNIDROIT Model European Rules of Civil Procedure hält klar in ihrem Abs 1 fest: „Except where Rule 90(2) applies, illegally obtained evidence must be excluded from the proceedings.“
* Die in Abs 2 vorgesehene Ausnahme nimmt auf einen Beweisnotstand Bezug: „Exceptionally, the court may admit illegally obtained evidence if it is the only way to establish the facts. In exercising its discretion to admit such evidence the court must take into account the behaviour of the other party or of non-parties and the gravity of the infringement.“
In den Comments heißt es in Anmerkung 3: „Exceptions to the general rule, under Rule 90(2), should be rare.“
Kann man vom EGMR in Straßburg nähere Vorgaben erhoffen? Wohl kaum. Denn der EGMR setzt den Maßstab an der Fairness eines Prozesses insgesamt an und nicht an einem einzelnen Beweismittel.
Die Frage der Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel war schon mehrfach Gegenstand von Beschwerden an den EGMR, darunter in zwei älteren Entscheidungen, die sich auf Scheidungssachen bezogen. In der Beschwerdesache 7508/02, L. L. gegen Frankreich, ging es um die Verwertbarkeit eines ärztlichen Operationsberichts, den die Ehefrau in einem Scheidungsverfahren dem Gericht vorgelegt hatte. Darin wurde dem Ehemann Alkoholismus attestiert. Das Gericht verwertete diese Information in seiner Beweiswürdigung, wenn auch nur hilfsweise. Der EGMR* sah in der Verwendung des medizinischen Dokuments als Beweismittel durch den Richter einen Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung seines Privatlebens gem Art 8 Abs 1 EMRK; dieser Eingriff war infolge Unverhältnismäßigkeit der Heranziehung der personenbezogenen Daten nicht nach Art 8 Abs 2 EMRK gerechtfertigt.
Der Beschwerdesache 65097/01 lag zugrunde, dass die beiden Beschwerdeführer N. N. und T. A. eine langjährige homosexuelle Beziehung geführt hatten. Im August 1979 heiratete Herr T. A. Frau B. V. Diese reichte im Dezember 1993 beim Gericht erster Instanz in Brügge einen Antrag auf Scheidung wegen Verschuldens ihres Mannes ein. Sie verwies auf die romantische Beziehung ihres Mannes zu N. N. und legte private Briefe und Dokumente von T. A. vor, darunter auch von den Beschwerdeführern ausgetauschte Liebesbriefe. N. N. trat dem Verfahren als Nebenintervenient bei und beantragte – gleich wie T. A. – unter Berufung auf sein Recht auf Achtung seines Privatlebens und auf die Geheimhaltung seiner Korrespondenz, die Herausgabe dieser Briefe zu verbieten oder sie vom Verfahren auszuschließen. Die belgischen Gerichte gaben den Anträgen der beiden Beschwerdeführer nicht statt. Der EGMR* bejahte einen Eingriff in die Privatsphäre der Antragsteller (Art 8 Abs 1 EMRK) und wog im Rahmen der Rechtfertigung nach Art 8 Abs 2 EMRK das Recht der Frau auf ein faires Verfahren und das Recht der Gegenpartei auf Privatsphäre ab; das Recht auf Privatsphäre könne dem Staat möglicherweise eine positive Verpflichtung auferlegen, die Verwendung von Beweismitteln zu verhindern. Da die beiden genannten Rechte von vornherein die gleiche Achtung verdienten, sei die Situation als Ganzes zu prüfen („ce qui amène la Cour à examiner l‘ensemble de la situation“). Da es in einem Scheidungsverfahren wahrscheinlich ist, dass Aspekte der Intimsphäre der Parteien offengelegt werden und das Verfahren nicht öffentlich ist, sah der EGMR die Verhältnismäßigkeit als gewahrt an und verneinte eine Konventionsverletzung.
Im arbeitsrechtlichen Kontext sind aus der jüngeren Zeit zwei Entscheidungen der Großen Kammer zu nennen, Bărbulescu gegen Rumänien aus dem Jahr 2017* und López Ribalda ua gegen Spanien aus dem Jahr 2019.* Die Akzentuierungen sind wohl ein wenig unterschiedlich.
Herr Bărbulescu war von 2004 bis 2007 bei einem privaten Unternehmen in Rumänien angestellt. Auf Anweisung des AG richtete er zur Kommunikation mit den Kund:innen ein Yahoo-Konto ein, das nach den internen Richtlinien nur zu dienstlichen Zwecken genutzt werden durfte; der AG informierte die Mitarbeiter:innen auch darüber, dass er die Einhaltung dieser Regeln überwache. Später stellte der AG fest, dass das dienstliche Yahoo-Konto während der Dienstzeit zu privaten Zwecken genutzt worden war. Da Herr Bărbulescu dies leugnete, wurde das Dienstverhältnis vom AG beendet. Innerstaatliche Rechtsmittel gegen diese Beendigung blieben ohne Erfolg, worauf sich Herr Bărbulescu an den EGMR wandte. In diesem Fall geht es also nicht um die Beweisverwertung in einem Prozess, sondern um die Rechtmäßigkeit der Beweiserlangung. Die Entscheidung ist deshalb erwähnenswert, weil der EGMR bereits auf der Ebene der Beweiserlangung mit einer Interessenabwägung ansetzte und hier einen Verstoß gegen Art 8 EMRK annahm, aus folgenden Gründen: Die rumänischen Gerichte wären verpflichtet gewesen, die widerstreitenden Interessen von AG und AN abzuwägen. Dabei seien im konkreten Fall bspw Umfang und Intensität der Überwachung durch den AG nicht ausreichend gewürdigt worden. Auch die Erforderlichkeit des Zugriffs auf den Inhalt der Nachrichten sei ebenso 358 wenig geprüft worden wie die Angemessenheit der Strenge der Konsequenzen, die den AN getroffen hätten. Diese Gesamtsicht führte den EGMR zur Annahme einer Verletzung des Art 8 EMRK.
López Ribalda ua gegen Spanien:
Die Beschwerdeführerinnen arbeiteten als Kassiererinnen in einem spanischen Supermarkt. Im Jahr 2009 stellte der AG Bestandsdifferenzen fest und ließ dann sowohl offene als auch verdeckte Videokameras installieren und überwachte die Beschwerdeführerinnen. Er fand dabei heraus, dass die Beschwerdeführerinnen Kunden bei Diebstählen halfen und auch selbst Waren aus dem Supermarkt entwendeten; sie wurden daraufhin entlassen. Die innerstaatlichen Rechtsbehelfe der Beschwerdeführerinnen blieben erfolglos, worauf sie sich wegen Verletzung des Art 8 EMRK an den EGMR wandten. Angesichts der Umstände des Falls und der ausführlichen Prüfung und Abwägung durch die innerstaatlichen Gerichte kam der EGMR zum Ergebnis, dass keine Verletzung des Art 8 EMRK stattgefunden habe. Die Gerichte hätten erwogen, dass mit dem Verdacht des Diebstahls ein legitimer Grund für die Überwachung vorgelegen habe, der Einsatz der Videokameras nur im Bereich des Ein- und Ausgangs und daher räumlich begrenzt erfolgt sei und die Beschwerdeführerinnen in einem öffentlich zugänglichen Bereich, in dem sie gearbeitet hätten, überwacht worden seien. Der EGMR stellte klar, dass die Anforderungen an die Wahrung der Privatsphäre je nach Ort der Überwachung unterschiedlich zu bewerten sind: In Toilettenräumen und Umkleiden sind sie besonders hoch, in Räumen, die für die Öffentlichkeit zugänglich sind, entsprechend niedriger. Im vorliegenden Fall habe die Überwachung nur zehn Tage gedauert und das Videomaterial sei nur von wenigen Personen zum Zweck der Auswertung angesehen worden. Die Videoüberwachung sei die einzige Möglichkeit des AG gewesen, das Fehlverhalten festzustellen, und das Videomaterial sei nur zu diesem Zweck verwendet worden. Das innerstaatliche Recht sehe Sicherungen vor einer missbräuchlichen Verwendung des Materials vor.
Auch hier ging es wieder nicht um ein Verwertungsverbot im Prozess, sondern um die Rechtmäßigkeit der Beweiserlangung selbst, die anhand einer Interessenabwägung geprüft wird. Ein vager Verdacht eines Fehlverhaltens auf Seiten der AN kann eine Überwachung nicht rechtfertigen, wohl aber ein begründeter Verdacht strafbarer Handlungen zu Lasten des AG.
Nach diesem Blick über die Staatsgrenzen und zum EGMR zurück nach Österreich.
Die Trennungsthese könnte nahelegen, dass sich die von einer unrechtmäßigen Beweiserlangung betroffene Person zwar nicht gegen die prozessuale Verwertung zur Wehr setzen kann, wohl aber zB bei Verletzung eines Persönlichkeitsrechts einen eigenen, auf den materiellrechtlichen Anspruch gestützten Prozess einleiten kann, zB auf Unterlassung der Verwendung des Beweismittels oder auf Schadenersatz. Dem erteilt die österreichische Rsp eine Absage* – und das zu Recht, denn es kann nicht der Ausgang eines Prozesses durch Führung eines anderen Prozesses überprüft oder beeinflusst werden.*
Wenn dem also so ist, dass die Durchsetzung eines materiellrechtlichen Anspruchs – im Hinblick auf die Unüberprüfbarkeit und Unbeeinflussbarkeit des Prozessergebnisses durch einen anderen Prozess – versagt wird, dann stellt sich die Frage, ob es nicht zur Effektuierung des materiellrechtlichen Anspruchs – vor allem auf Unterlassung, Löschung von Daten etc – notwendig ist, die Beweisverwertung zu versagen. Die Versagung beider Möglichkeiten käme einer „Doppelmühle“ gleich, die die Effektivität des Rechtswidrigkeitsverdikts über die Beweiserlangung in Frage stellt.
Wie bereits Alexander Wilfinger prophezeit hat,* liegt das letzte Wort zum Beweisverwertungsverbot wohl beim EuGH. Und der EuGH hat am 2.3.2023 auch schon gesprochen, in Form der Entscheidung in der Rs Norra Stockholm Bygg.*
Die Firma Fastec (Kl) führte für die Firma Nycander (Bekl) einen Bauauftrag aus. Die AN von Fastec erfassten für Steuerzwecke (Bekämpfung von Schwarzarbeit) ihre Anwesenheitszeiten in einem elektronischen Personalverzeichnis, das im Auftrag von Fastec durch die Firma Entral bereitgestellt wurde.
Im Prozess wegen des Werklohns machte Nycander geltend, die von Fastec für die Arbeiten aufgewendete Zeit sei kürzer gewesen als der abgerechnete Zeitraum. Nycander stellte den Antrag, Entral die Vorlage des Personalverzeichnisses aufzutragen; Fastec stellte sich dem Antrag entgegen, ua mit der Begründung, dass die Offenlegung gegen die DSGVO verstoße. Erstgericht und Berufungsgericht trugen Entral die Vorlage auf; der Högsta domstolen (Oberstes Gericht) stellte ein Vorabentscheidungsersuchen zu Art 6 Abs 3 und 4 DSGVO. Nach Art 6 Abs 3 DSGVO muss der Zweck der Datenverarbeitung in einer Rechtsgrundlage des 359 Unionsrechts oder des Rechts eines Mitgliedstaats festgelegt sein. Das Unionsrecht oder das Recht der Mitgliedstaaten müssen ferner ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel verfolgen und in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Zweck stehen. Erfolgt die Verarbeitung personenbezogener Daten zu einem anderen Zweck als zu demjenigen, zu dem die Daten erhoben wurden („Zweckänderung“), ergibt sich aus Art 6 Abs 4 DSGVO, dass eine solche Verarbeitung insb dann zulässig ist, wenn sie auf dem Recht eines Mitgliedstaats beruht und in einer demokratischen Gesellschaft eine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme zum Schutz eines der in Art 23 Abs 1 DSGVO genannten Ziele darstellt. Diese Ziele umfassen auch den Schutz der Unabhängigkeit der Justiz und den Schutz von Gerichtsverfahren (Art 23 Abs 1 lit f DSGVO) sowie die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche (Art 23 Abs 1 lit j DSGVO). Nach ErwGr 50 der DSGVO ist der Verantwortliche zum Schutz dieser wichtigen Ziele des allgemeinen öffentlichen Interesses berechtigt, die personenbezogenen Daten ungeachtet dessen weiterzuverarbeiten, ob sich die Verarbeitung mit den Zwecken, für die die personenbezogenen Daten ursprünglich erhoben wurden, vereinbaren ließ.
In seinem Urteil weist der EuGH zunächst darauf hin, dass die DSGVO sowohl für Verarbeitungsvorgänge von Privaten als auch von Behörden gilt, also ohne Unterschied, wer der Urheber der Datenverarbeitung ist. Auch die von einem Gericht angeordnete Vorlage eines digitalen oder physischen Dokuments zu Beweiszwecken unterfällt dem Anwendungsbereich der DSGVO, weshalb die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des Art 6 DSGVO gewahrt werden müssen. Es liegt in der Verantwortung des nationalen Gerichts, die Einhaltung der DSGVO sicherzustellen und dabei einen fairen Ausgleich zwischen den Rechten der Verfahrensbeteiligten und den Zielen des Datenschutzrechts zu gewährleisten. Effektiver Rechtsschutz kann den Zugang zu zur Rechtsverfolgung erforderlichen Beweisen umfassen, selbst wenn dabei personenbezogene Daten Dritter betroffen sind. Datenschutz muss sich mit dem Justizgewährungsanspruch vereinbaren lassen und allenfalls sogar hinter diesen zurücktreten. Jedenfalls muss dafür Sorge getragen werden, dass dem Prinzip der Datenminimierung Rechnung getragen wird (zB durch Heranziehung anderer Beweismittel, durch Pseudonymisierung oder durch Beschränkung des Zugangs der Öffentlichkeit).*
Über die EuGH-E in der Rs C-268/21 hinausgehend ist noch auf Art 17 DSGVO zu verweisen. Nach dieser Bestimmung kann die Löschung von unrechtmäßig verarbeiteten Daten verlangt werden (Abs 1 lit d), es sei denn, die Verarbeitung ist „zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen“ erforderlich (Abs 3 lit e). MaW: Es wird geregelt, dass unrechtmäßig verarbeitete Daten (im hier interessierenden Kontext: als Beweismittel) zu dem genannten Zweck „aufbewahrt“ werden können. Allerdings: Im Datenschutzrecht ist sehr umstritten, ob Daten für ein absehbares Verfahren aufgehoben werden dürfen.* Insofern ist unklar, ob wirklich jede rechtswidrige Beschaffung von Daten gerade für Beweiszwecke durch Art 17 DSGVO immunisiert wird.
In der E mit dem Fokus auf dem Datenschutzrecht anerkennt der EuGH zwar den hohen Wert des Beweisinteresses, das die in der prozessualen Verwendung liegende Datenverarbeitung in der Regel rechtfertigen wird. Schließlich ist „Datenschutz kein Tatschutz“. Allerdings genießt das Beweisinteresse keinen uneingeschränkten Vorrang, denn der Justizgewährungsanspruch muss immer noch mit dem gebotenen Datenschutz in Einklang gebracht werden. In einer zweiten datenschutzrechtlichen Abwägung müssen nationale Gerichte – selbst bei rechtmäßig erhobenen Daten – iSd Gebots der Datenminimierung von Amts wegen die Angemessenheit, Erheblichkeit und Verhältnismäßigkeit der Offenlegung personenbezogener Daten prüfen und mögliche Alternativen in Betracht ziehen.* Die vom EuGH geforderte Vorgangsweise einer dem Beweisverfahren vorgelagerten Prüfung von Beweismitteln auf ihre datenschutzrechtliche Eingriffsintensität und verfügbare Alternativen macht die Verfahren zweifellos aufwändiger und anfälliger für taktische Verzögerungsmaßnahmen.*
Für das hier behandelte Thema ergibt sich im datenschutzrechtlichen Kontext, dass in vielen Fällen schon kein Verstoß gegen das Datenschutzrecht vorliegen wird, weshalb sich das Gericht bei datenschutzkonform verarbeiteten Daten „nur mehr“ an die weiteren Vorgaben der Norra Stockholm Bygg-E zu halten hat. Die Frage der Unzulässigkeit der Beweismittelverwertung stellt sich dann nicht mehr. In diesem Sinn hat der EuGH zuletzt auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 27.1.2022 geantwortet, dass die fraglichen „technischen“ Verstöße gegen Art 26 DSGVO (fehlende Vereinbarung der Verantwortlichen) und Art 30 DSGVO (fehlendes Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten) gegenüber der betroffenen Person gar nicht als „unrechtmäßige Verarbeitung“
anzusehen seien.* Wenn schon auf der datenschutzrechtlichen Ebene die Rechtswidrigkeit gegenüber der betroffenen Person zu verneinen ist, kann auch kein unrechtmäßig erlangtes Beweismittel vorliegen.
Zweifellos bezieht sich die Norra Stockholm Bygg-E „nur“ auf das im Kompetenzbereich des Unionsgesetzgebers liegende Datenschutzrecht, nicht generell auf das Zivilverfahrensrecht, das weiterhin 360 in der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten liegt. Allerdings schiene es mir naiv anzunehmen, dass die Abwägungsjudikatur an den Grenzen des Datenschutzrechts haltmacht. Zu nahe stehen sich Persönlichkeitsrechte und auf ihren Schutz abzielende Datenschutzbestimmungen, dass eine klare Trennung und Verschiedenbehandlung aufrechterhalten werden könnte. Es ist zu erwarten, dass die Grundsätze der Entscheidung über das Datenschutzrecht hinausweisen werden. Auch die EGMR-Rsp zu den Scheidungsverfahren legt nahe, dass der „Abwägungsdruck“ auf die nationalen Zivilverfahrensordnungen zunehmen wird.
In diesem Sinn ist im Fall eines relevanten Verstoßes gegen das Datenschutzrecht in einem weiteren Prüfungsschritt im Beweisverfahren eine Abwägung des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gegen die zu wahrenden Persönlichkeitsrechte vorzunehmen. Dabei ist nach allgemeinen Regeln zu beachten, dass der Schutzzweck des verletzten Rechts der Verwertung entgegenstehen muss.* Ausgehend von den vom EuGH in der Norra Stockholm Bygg-E genannten Kriterien kommt weiterhin dem Recht auf ein faires Verfahren eine hervorgehobene Rolle zu. Persönlichkeitsrechte werden umso mehr zu beachten sein, je stärker die Individualsphäre der betroffenen Person berührt ist. Auch der EGMR hat in der López Ribalda-E darauf abgestellt, inwieweit sich die betroffene Person in einer öffentlich zugänglichen Sphäre oder in einem rein privaten Umfeld bewegt. Je weniger sich eine Person selbst in die Öffentlichkeit begibt und je stärker sie „ausspioniert“ wird, umso stärker wiegen die Persönlichkeitsrechte. Je stärker Persönlichkeitsrechte durch Eindringen in die Privatsphäre tangiert sind, umso mehr gebietet die Effektivität des Individualschutzes auch ein Beweisverwertungsverbot.* Für die Abwägungsentscheidungen können auch Individualvereinbarungen und Betriebsvereinbarungen eine Rolle auf der materiellrechtlichen Ebene spielen, soweit sie den Umfang der geschützten Sphäre in einem weiteren Rahmen definieren. Die weitgehende Amtswegigkeit bei der Anwendung der Prozessregeln setzt hier den Vorgaben durch Prozessparteien allerdings Grenzen.
9.1. Angesichts des Ausbaus von materiellen Unterlassungsansprüchen (allgemeines Persönlichkeitsrecht nach dem ABGB, Ansprüche nach der DSGVO) wird es immer schwerer rechtfertigbar, dass solche Ansprüche ohne Wirkung auf einen Zivilprozess bleiben, nämlich sowohl in Form des Ausschlusses von Unterlassungsansprüchen auf der einen Seite als auch in Form der Verneinung eines Beweisverwertungsverbots.
9.2. Auch wenn der EuGH im Urteil C-268/21, Norra Stockholm Bygg, das Recht auf effektiven Rechtsschutz hervorgehoben hat, hat er der Trennungsthese in seiner reinen Form eine Absage erteilt.* Der OGH wird voraussichtlich wenig Gelegenheit haben, dazu Stellung zu nehmen, weil er nach seiner Rsp zu den Revisionsgründen kaum in die Situation kommt, über Fragen der Beweisaufnahme zu entscheiden, so wichtig dies zur Konkretisierung der Abwägungsgrundsätze auch wäre. 9.3. Die weiteren Konturen bleiben noch im Dunkeln. Der EuGH gibt im Urteil C-268/21, Norra Stockholm Bygg, vorsichtig eine – von Amts wegen vorzunehmende – Interessenabwägung vor: Die datenschutzrechtliche Illegalität der Beweiserlangung kann – wie bereits in der deutschen Rsp – zu einem Beweisverwertungsverbot führen, muss es aber nicht;* entscheidend ist, ob der Schutzzweck des verletzten Rechts der Verwertung entgegensteht. Schwierig bleibt die nachvollziehbare Abwägung, müssen doch Äpfel mit Birnen verglichen werden: Das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz muss gegen materiellrechtliche Persönlichkeitsrechte abgewogen werden. Je stärker Persönlichkeitsrechte durch Eindringen in die Privatsphäre tangiert sind, umso mehr gebietet die Effektivität des Individualschutzes auch ein Beweisverwertungsverbot. Die „Feinprüfung“ mündet in einer Interessenabwägung.
9.4. Es kann durchaus sein, dass aus Über-/Unterordnungsverhältnissen wegen des „Ausgeliefert- Seins“ des schwächeren Parts strengere Anforderungen an die Abwägungsentscheidung gestellt werden. So wie etwa die Klausel-Rsp das Verbraucherzivilprozessrecht in unerwarteter Weise durchgemischt hat, könnte die DSGVO einen ähnlichen Effekt in Arbeitsrechtssachen haben. Vielleicht hat das Datenschutzrecht gar das Zeug in sich, das Diskriminierungsrecht als so eine Art bestimmenden Faktor im Arbeitsrecht abzulösen.*
9.5. Einfacher wird es nicht, voraussehbarer auch nicht. 361