48Geschlechterdiskriminierung bei Betriebspensionen
Geschlechterdiskriminierung bei Betriebspensionen
Geschlechtsspezifische Bestimmungen in kollektivvertraglichen Betriebspensionssystemen, die Männern und Frauen nur aufgrund ihres Geschlechts unterschiedlich hohe Ansprüche vermitteln, verstoßen gegen Art 157 AEUV und sind unwirksam. Die Ansprüche des benachteiligten Geschlechts richten sich nach dem System des bessergestellten Geschlechts.
Für das bessergestellte Geschlecht hat eine Nivellierung nach unten außer Betracht zu bleiben, da es – mangels Benachteiligung – nicht als diskriminiert gilt.
[1] Der 1947 geborene Kl war von 1973 bis 2012 bei der Bekl als Angestellter beschäftigt. Ab Ende des Abfertigungszeitraums bezog er entsprechend dem „Kollektivvertrag über die neue Regelung der Pensionsrechte in der ab 1997 geltenden Fassung, abgeschlossen zwischen dem Verband Österreichischer Banken und Bankiers und dem ÖGB“ (KollV) eine „Besitzstandspension“.
[2] Nach diesem KollV gebührt [...] Frauen der Geburtsjahrgänge 1947-1951 eine „Übergangspension“, im selben Zeitraum eingetretenen bzw geborenen Männern dagegen eine „Besitzstandspension“. Die Pensionshöhe dieser beiden Arten von Pensionen wird unterschiedlich berechnet.
[3] Mit Urteil des OGH vom 27.2.2019, 9 ObA 25/18v, dem eine Klage eines ehemaligen (männlichen) AN der Bekl zugrunde lag, der nach dem KollV Anspruch auf eine „Besitzstandspension“ hatte, wurde dem Feststellungsbegehren stattgegeben, dass die Bekl dem dortigen Kl nach dem Zeitraum, für den die Betriebspension wegen des Bezugs einer Abfertigung ruht, eine monatlich fällige Betriebspension zu zahlen habe, die – unter Anwendung der kollektivvertraglichen Regelungen für Übergangspensionen – ebenso zu berechnen sei, wie wenn es sich beim (dortigen) Kl um eine Frau handeln würde. In der Begründung wurde ausgeführt, dass der KollV bei den Pensionsregelungen Frauen und Männer, die sich in einer vergleichbaren Situation (gleiches Eintrittsdatum, gleiches Lebensalter) befänden, nur aufgrund des Geschlechts unterschiedlich behandle, indem er sie einem unterschiedlichen Pensionsregime unterstelle. Darin liege eine unmittelbare Geschlechtsdiskriminierung. [...]
[5] Der Kl, der von einem Kollegen auf die Entscheidung hingewiesen wurde, wandte sich direkt an den Klagevertreter des Vorverfahrens. Dieser richtete daraufhin namens des Kl ein Schreiben an die Bekl, in dem er ua ausführte: „Entsprechend der höchstgerichtlichen Entscheidung 9 ObA 25/18v schuldet Ihre Mandantschaft meinem Mandanten eine geschlechtsneutrale Berechnung seiner Betriebspension bzw die laufenden Differenzbeträge der Besitzstandspension-Übergangspension. [...]“
[6] Die Beklagtenvertreterin antwortete darauf [...], dass die Übergangspension beim Kl geringer sei als die von ihm bisher bezogene Besitzstandspension. Weiters führte sie aus: „Meine Mandantschaft wird eine entsprechende Anpassung der Pensionsleistung bereits ab dem nächsten Monat vornehmen und eine Rückforderung der zu viel bezahlten Pension für ein Jahr vornehmen.“
[...] In seiner Replik verwies der Klagevertreter darauf, dass, sofern die Berechnung der Bekl richtig sei, es bei der bisherigen Besitzstandspension zu bleiben habe.
[7] Ab 1.2.2020 zahlte die Bekl dem Kl die Pension, berechnet nach den Bestimmungen für Übergangspensionen, nicht mehr für Besitzstandspensionen. Die Differenz zwischen Februar 2020 bis Dezember 2020 beträgt insgesamt 2.591,20 € brutto.
[8] Der Kl begehrt von der Bekl die Zahlung von 2.591,22 € brutto sA und die Feststellung, dass er Anspruch auf künftig monatlich fällig werdende Betriebspensionszahlungen habe, die unter Anwendung der kollektivvertraglichen Bestimmungen für Besitzstandspensionen und Außerachtlassung der kollektivvertraglichen Bestimmung für Übergangspensionen zu berechnen seien. Die Berechnungen entsprechend der jeweiligen Bestimmungen haben ergeben, dass der Kl nicht diskriminiert worden sei. Die von der Bekl vorgenommene Kürzung auf das Niveau einer fiktiven Übergangspension sei unberechtigt. Die Bekl verstoße damit gegen § 13 GlBG. Es liege nur eine relative Nichtigkeit vor. Hilfsweise werde der Anspruch auch auf eine konkludent zustande gekommene Einzelvereinbarung auf Basis betrieblicher und/oder individueller Übung sowie den Gleichheitsgrundsatz gestützt.
[9] Die Bekl stellte das Zahlungsbegehren der Höhe nach außer Streit, bestritt es jedoch dem Grunde nach, ebenso das Feststellungsbegehren. Der Kl habe durch seinen Vertreter geltend gemacht, dass die Ergebnisse der Vorentscheidung auch auf ihn anwendbar seien und er einen Anspruch darauf habe, eine Übergangspension statt einer Besitzstandspension zu erhalten. Es sei explizit eine geschlechtsneutrale Berechnung gefordert worden. Die Bekl habe den Anspruch anerkannt und den Kl mit Frauen des gleichen Geburtsjahrgangs gleichgestellt. Dementsprechend sei eine Übergangspension des Kl errechnet und ab Februar 2020 ausbezahlt worden. Dass diese geringer sei als die ursprüngliche Besitzstandspension, könne der Bekl nicht angelastet werden. Durch die Vorentscheidung sei klargelegt, dass die Bekl verpflichtet sei, die diskriminierenden Bestimmungen außer Acht zu lassen und nicht mehr anzuwenden. § 13 GlBG sei nicht verletzt worden, da die Bekl nur dem Wunsch des Kl nachgekommen sei. Eine Einzelvereinbarung sei nicht zustande gekommen, der Kl habe nicht davon ausgehen können, dass die Bekl ihm einen höheren Pensionsanspruch gewähren wolle, als ihm nach dem KollV zustehe. Aus der vorherigen Gewährung der Besitzstandspension könne auch keine betriebliche Übung und kein Rechtsanspruch des Kl abgeleitet werden. 412 Auch aus § 18 BPG könne kein Anspruch abgeleitet werden.
[10] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren [...] statt. Die Frage, ob die kollektivvertragliche Bestimmung diskriminierend sei, sei im Einzelfall zu prüfen. Der Kl sei durch das unterschiedliche Alter für den Zugang zur Übergangspension nicht gegenüber einer vergleichbaren Frau finanziell benachteiligt. Damit sei aber die kollektivvertragliche Bestimmung weiterhin anzuwenden, was dazu führe, dass er einen Anspruch auf eine Besitzstandspension habe. Ein Verzicht auf kollektivvertraglich eingeräumte Rechte durch den AN sei unwirksam. [...]
[11] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl gegen den klagsstattgebenden Teil dieser Entscheidung Folge [...]. Aus der Vorentscheidung ergebe sich, dass die Kollektivvertragsbestimmungen, die bei gleichem Dienstantrittsdatum und Lebensalter für Männer eine Besitzstandspension, für Frauen eine Übergangspension vorsähen, absolut unwirksam seien. Es handle sich dabei nicht nur um eine relative Nichtigkeit. Vielmehr führe dieser Verstoß gegen Art 157 AEUV zur absoluten Unwirksamkeit der davon betroffenen Bestimmung. Diese dürfe nicht mehr angewendet werden. Die unmittelbare Wirkung des Grundsatzes der Entgeltgleichheit verpflichte nicht nur den Staat, sondern auch den privaten AG. Die nationalen Gerichte hätten diskriminierende nationale Bestimmungen unangewendet zu lassen. Im vorliegenden Fall habe das Gericht hinsichtlich der Männer die gleiche kollektivvertragliche Regelung anzuwenden wie hinsichtlich der Frauen. Die für die Frauen existierende kollektivvertragliche Regelung bleibe das einzige gültige Bezugssystem, solange keine geänderte Regelung erlassen sei. Dass dies in Ausnahmefällen mit finanziellen Nachteilen verbunden sei, führe nicht dazu, dass dieses Bezugssystem nicht anzuwenden wäre. [...] Darüber hinaus habe der Kl selbst begehrt, dass ihm eine Übergangspension nach den für Frauen geltenden Regeln ausbezahlt werde. Da auch vertragliche Regelungen, die in Widerspruch zum Grundsatz der Entgeltgleichheit stünden, unangewendet zu lassen seien, könne auch aus einer Einzelvereinbarung auf Basis betrieblicher oder individueller Übung kein Anspruch abgeleitet werden. Nach den Feststellungen gebe es aber auch keine ausreichende Grundlage für eine konkludent zustande gekommene Einzelvereinbarung. Auch ein Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz sowie gegen § 13 GlBG scheide aus. Die Klage sei daher abzuweisen.
[12] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil fraglich sei, ob zu Lasten des AN von einer Unanwendbarkeit der kollektivvertraglichen Regelung über die Besitzstandspension ausgegangen werden könne.
[13] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Kl mit dem Antrag, die erstinstanzliche Entscheidung wiederherzustellen und dem Klagebegehren stattzugeben. [...]
[15] Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig und auch berechtigt.
[16] 1. Nach Art 2 Abs 1 lit a der RL 2006/54/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung) bzw seiner Umsetzung in § 5 Abs 1 GlBG liegt eine unmittelbare Diskriminierung dann vor, wenn eine Person aufgrund ihres Geschlechts in einer vergleichbaren Situation eine weniger güns tige Behandlung als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Auf Basis dieser Bestimmungen hat der OGH zu9 ObA 25/18v die [Bestimmung] im KollV betreffend „Neuregelung der Pensionsrechte [...]“, die für Übergangspensionen und Besitzstandspensionen eine Regelung vorsah, die hinsichtlich Frauen und Männern [...] differenziert als unmittelbar geschlechtsdiskriminierend beurteilt und dem damals unstrittig dadurch benachteiligten Kl die Übergangspension zuerkannt. In dem Verfahren war nicht strittig, dass die Männer [...] deshalb eine geringere Betriebspension als Frauen beziehen.
[17] 2. Das trifft im vorliegenden Verfahren ebenfalls unstrittig auf den Kl nicht zu. Er hat zwar Anspruch auf eine Besitzstandspension, bezieht aber unstrittig dessen ungeachtet eine höhere Pension als eine Frau in einer vergleichbaren Situation, die Anspruch auf eine Übergangspension hat. Der Kl wird durch die Ungleichbehandlung daher nicht benachteiligt. Eine Diskriminierung des Kl liegt daher nicht vor.
[18] 3. Entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichts rechtfertigt die allgemeine Aussage über die Diskriminierung von Männern bei der Abgrenzung von Besitzstands- und Übergangspension im Vorverfahren keine Umstellung der Besitzstandspension des Kl auf eine niedrigere Übergangspension.
[19] 4. Richtig ist, dass die Gerichte auch Kollektivverträge dahin zu überprüfen haben, ob sie allenfalls gegen Unionsrecht verstoßen [...]. Ein Verstoß gegen unmittelbar anzuwendendes Unionsrecht zieht die Unwirksamkeit des davon betroffenen KollV(-Teils) nach sich [...].
[20] Wie das Berufungsgericht dargelegt hat, kann nach der Rsp des EuGH die Wahrung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, wenn eine unionsrechtswidrige Diskriminierung festgestellt worden ist und solange keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen worden sind, dadurch gewährleistet werden, dass den Benachteiligten dieselben Vorteile gewährt werden, wie die, die den Angehörigen der privilegierten Gruppe zu Gute kommen, wobei diese Regelung, solange das Unionsrecht nicht richtig durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt. [...] Die Benachteiligten müssen also in die gleiche Lage versetzt werden wie die Personen, denen der betreffende Vorteil zukommt [...].
[21] Weiters ist zu beachten, dass nach der Rsp des EuGH zu Betriebspensionssystemen das Unionsrecht es auch verbietet, eine Diskriminierung im Rahmen der Anpassung dadurch zu beenden, dass den Angehörigen der bevorzugten Gruppe ihre Vergünstigungen für die Vergangenheit entzogen werden [...].
[22] 5. Nach der Rsp des EuGH tritt also nach dem Unionsrecht, solange keine „Maßnahmen“ zur 413 Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen worden sind, keine Veränderung des Betriebspensionssystems eines KollV ein, sondern haben nur die Benachteiligten Anspruch darauf, dass die sie benachteiligenden Regelungen „unangewendet“ bleiben (vgl allgemein RS0133974) und sich ihre Ansprüche nach dem Bezugssystem für die Bessergestellten richten.
[23] Der Grundsatz der Entgeltgleichheit nach Art 157 Abs 1 AEUV stellt ein subjektives Recht der einzelnen AN dar (EuGHC-43/75Defrenne II ECLI:EU:C:1976:56, Rn 40). Diese können jedenfalls bei der hier von den Parteien gewählten pauschalen Betrachtung des Ergebnisses aber dann nicht als diskriminiert erachtet werden, wenn die bestehenden – nicht angepassten – Regelungen zu gar keiner Benachteiligung führen.
[24] Eine – wie die Bekl vermeint – Angleichung „nach unten“ lässt sich aus den Wirkungen des Unionsrechts alleine nicht ableiten.
[24] Eine – wie die Bekl vermeint – Angleichung „nach unten“ lässt sich aus den Wirkungen des Unionsrechts alleine nicht ableiten.
[25] In welcher Weise innerstaatlich die Maßnahmen zur Anpassung des Betriebspensionssystems zu erfolgen haben und welche weiteren Wirkungen sich aus dem Anwendungsvorrang ergeben, richtet sich nach der jeweiligen Art der Rechtsquelle (vgl §§ 878, 879 ABGB, ArbVG, vgl auch Art 28 EGRC). Alleine das Begehren eines sich ohne Kenntnis der konkreten unterschiedlichen Pensionshöhe sich als benachteiligt einstufenden AN hat jedenfalls nicht die Wirkung, dass ihn begünstigende kollektivvertragliche Regelungen nicht weiter wirksam wären.
[26] 6. Anders als von der Bekl angenommen, handelte es sich dabei nicht um ein sogenanntes „Rosinenpicken“, weil schon gar nicht ersichtlich ist, woraus sich ein Vorteil des Kl ergeben sollte. Der Kl möchte nicht für ihn jeweils günstige Vorschriften aus den unterschiedlichen Systemen angewendet wissen, sondern fordert die Beibehaltung des für ihn nach den Kollektivverträgen geltenden Pensionssystems in seiner Gesamtheit.
[27] 7. Auch aus dem Schreiben des Klagevertreters vom 2.12.2019 ist für die Bekl nichts zu gewinnen. Aus diesem ergibt sich eindeutig, dass der Kl davon ausgeht, durch die Besitzstandspension benachteiligt zu sein und eine Änderung der Pensionsberechnung nur für den Fall zu wünschen, dass es zu einer Nachverrechnung, also einer finanziellen Besserstellung, kommt. Der redliche Erklärungsempfänger konnte dieses Schreiben nicht anders verstehen. Eine Vereinbarung über eine geringere Pension ist daher auch nicht durch das „Anerkenntnis“ der Bekl zustande gekommen. Ob ein solches „Verlangen“ nach Angleichung nach unten trotz des Bestehens eines KollV rechtlich überhaupt zulässig wäre, kann daher schon im Ansatz dahingestellt bleiben (vgl im Übrigen § 3 ArbVG).
[28] 8. Insgesamt hat der Kl [...] Anspruch auf eine Weiterzahlung der Besitzstandspension. Die klagsstattgebende erstinstanzliche Entscheidung war daher wiederherzustellen. [...]
Der erste Eindruck täuscht: Die E dreht sich nur in zweiter Linie um Betriebspensionen. Im Zentrum steht viel mehr eine Frage des Gleichbehandlungsrechts. Ein AN vermutete, dass er durch geschlechterbezogene Unterschiede in einem kollektivvertraglichen Betriebspensionssystem benachteiligt werde. Die Nachberechnung ergab das Gegenteil: Der AN bekam mehr als nach den Regelungen für Frauen. Der AG kürzte daraufhin die Leistung entsprechend. Doch darf er das? Der OGH verneint, und hat recht damit.
Eine unmittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person aufgrund ihres Geschlechts in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde (§ 5 Abs 1 GlBG; Art 2 Abs 1 lit a RL 2006/54/EG). Die Qualifikation als solche war in der Vorgänger-E – der dasselbe zwischen den Geschlechtern differenzierende, kollektivvertragliche Betriebspensionssystem zugrunde liegt – unproblematisch (OGH9 ObA 25/18vDRdA-infas 2019/100, 185 [Schrattbauer]): Bei einer Nachberechnung wurde evident, dass da der dortige Kl eine geringere Betriebspension erhielt, als eine Frau in vergleichbarer Situation.
In der vorliegenden E scheitert die Beurteilung als (un)mittelbare Diskriminierung jedoch bereits an einer simplen Wortinterpretation. Der Kl erhoffte sich – angetrieben durch das Urteil der Vorgänger-E – durch die aufgeforderte Nachberechnung eine Erhöhung seiner Betriebspension, er war jedoch bereits besser gestellt als Frauen in vergleichbarer Position. Er erhielt demnach eine bessere und nicht eine „weniger günstige Behandlung“, weshalb eine Berufung auf § 5 Abs 1 und 2 GlBG scheitern muss (Mohr in Franzen/Gallner/Oetker [Hrsg], Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht4 [2022] RL 2006/54/EG Art 2 Begriffsbestimmungen Rn 3). Statt einer höheren Betriebspension sah sich der Kl nun allerdings mit der Kürzung seines Anspruchs und dem Argument der Bekl konfrontiert, dass die gesamte Regelung unangewendet zu bleiben habe, weil sie diskriminierend sei.
Zur Beantwortung dieser Frage lohnt sich ein Blick ins Primärrecht, da der unmittelbar anwendbare Grundsatz der Entgeltgleichheit den Ausgangspunkt der flankierenden Gleichbehandlungs-RL bildet (Art 157 AEUV; Krebber in Calliess/Ruffert [Hrsg], EUV/AEUV6 [2022] AEUV Art 157 Rn 2). Die Rechtsfolge einer Missachtung dieses Grundsatzes ergibt sich mangels expliziter Normierung nicht aus der Bestimmung selbst, sondern aus dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts (Franzen in Franzen/Gallner/Oetker, Arbeitsrecht, AEUV Art 157 Rn 56). Benachteiligende Regelungen werden daher schlicht außer Acht gelassen, wodurch sich zwangsläufig der Grundsatz der „Gleichbehandlung nach oben“ ergibt, da nur die besserstellenden Bestimmungen zur Anwendung gelangen 414 (Franzen in Franzen/Gallner/Oetker, Arbeitsrecht, AEUV Art 157 Rn 56; vgl auch EuGHC-43/75, Defrenne II, ECLI:EU:C:1976:56).
Dem OGH ist daher zuzustimmen, dass der Kl sich nicht iS einer Kürzung seiner privilegierten Position „nach unten“ orientieren muss, selbst wenn er dies in falscher Hoffnung selbst initiiert hat. Gleichsam bedeutet dies aber auch, dass es weibliche AN im Betrieb der Bekl geben muss, die eine geringere Betriebspension als der Kl beziehen und die sich am Niveau des Kl bei Formulierung ihrer Ansprüche orientieren können.
Abschließend soll noch auf ein wesentliches Detail eingegangen werden, das im Urteil zwar nicht erörtert wurde, aber wohl entscheidend in dem Rechtsstreit war: die verschiedenen Lösungsansätze der Verfahrensparteien und auch beteiligten Gerichte für eine Kollision zwischen unmittelbar anwendbarem Unionsrecht und innerstaatlichem Recht.
So spricht der Kl in der nachgelagerten Verteidigung seines höheren Anspruchs davon, dass im Lichte der Vorgänger-E nur von einer „relativen Nichtigkeit“ der kollektivvertraglichen Betriebspensionsregelungen für Männer auszugehen sei. Die Regelungen müssten bei ihm – im Gegensatz zur Vorgänger-E – zur Anwendung gelangen. Für ihn seien sie besserstellend und konkret nicht diskriminierend. Im Kern wird also argumentiert, dass dieselben Bestimmungen in unterschiedlichen Fallkonstellationen jedes Mal erneut geprüft werden müssen und nur bei einer Schlechterstellung von AN gegenüber Kolleg:innen des anderen Geschlechts unwirksam sind.
Die Bekl und das Berufungsgericht gingen hingegen im Verfahren davon aus, dass ein Verstoß gegen Art 157 AEUV zur „absoluten Unwirksamkeit“ der Bestimmung führe. Die Aussagen des OGH in der Vorgänger-E müssten beachtet werden, weshalb die in der Fallkonstellation der Vorgänger-E benachteiligenden Betriebspensionsbestimmungen für Männer aufgrund ihrer Unwirksamkeit für folgende Rechtsstreitigkeiten generell außer Acht zu bleiben haben. Erst dieser Ansatz zur Auflösung einer derartigen Normenkollision führte dazu, dass sich der Rechtsstreit in dieser Form entfaltete. Die Bekl hätte sonst sicherlich den eigenen Rechtsstandpunkt als aussichtslos betrachtet.
Der OGH selbst bietet in seiner Rsp durchaus Anknüpfungspunkte für die Sichtweise der Bekl. So geht er in stRsp und sogar noch in der Vorgänger-E davon aus, dass Verstöße gegen unmittelbar anzuanzuwendendes Recht, die „Unwirksamkeit“ der davon betroffenen innerstaatlichen Gesetze, Kollektivverträge, Betriebsvereinbarungen oder Einzelarbeitsverträge nach sich ziehen (RIS-Justiz RS0117073). Konkret betraf dies in der Vorgänger-E dieselben kollektivvertraglichen Betriebspensionsregelungen, die in der dort vorliegenden Fallkonstellation für den AN zu einer Diskriminierung gegenüber weiblichen Kolleginnen führte. In der jetzigen E bringt er jedoch genau die in der Vorgänger-E für unwirksam erklärten Bestimmungen zur Anwendung, da er sie im konkreten Einzelfall zurecht als nicht-diskriminierend betrachtete. Er verwirft daher indirekt den Ansatz der absoluten Unwirksamkeit.
Der EuGH sieht das in stRsp freilich gänzlich anders als alle Verfahrensbeteiligten und hat für solche Normenkollisionen das System des Anwendungsvorrangs von Unionsrecht gegenüber innerstaatlichem Recht entwickelt (die zentralen Entscheidungen des EuGH auf dem Weg zum Anwendungsvorrang: EuGHC-26/62, van Gend & Loos, ECLI:EU:C:1963:1; EuGHC-6/64, Costa/ENEL, ECLI:EU:C:1964:66; EuGHC-70/77, Simmenthal II, ECLI:EU:C:1978:139). Dabei bleiben die innerstaatlichen Bestimmungen in Geltung, haben jedoch für den konkreten Fall unangewendet zu bleiben. Was gleichsam auch ermöglicht, dass die Bestimmungen in anderen Konstellationen volle Wirkung entfalten (Thiele, Europarecht13 [2016] 111; Öhlinger/Potacs, EU-Recht und staatliches Recht7 [2020] 89 ff). Bislang hat der EuGH der Versuchung widerstanden, einen über den Anwendungsvorrang hinausgehenden Geltungsvorrang zu judizieren, der abweichendes innerstaatliches Recht für unwirksam erklärt (Öhlinger/Potacs, EU-Recht7 90 f).
Interessant ist nun Folgendes: Der OGH kann mit einer gewissen Anstrengung auch diese E mit seiner Unwirksamkeit-Rsp in Einklang bringen. Dazu könnte er – ähnlich wie Erstgericht und Kl – argumentieren, dass die Bestimmungen nur in der Fallkonstellation der Vorgänger-E gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht verstoßen. Die Unwirksamkeit wäre damit keine absolute, sondern müsste in jedem Einzelfall geprüft werden.
Wenn er sich allerdings entsprechend der Argumentation des EuGH auf den Anwendungsvorrang beruft, käme das Urteil natürlicher. In der Vorgänger-E hätten die mit Unionsrecht im Widerstreit befindlichen Kollektivvertragsbestimmungen unangewendet bleiben müssen (anstatt für unwirksam erklärt zu werden). Und in der vorliegenden E wären sie dann (Anwendungsvorrang sei Dank) unverändert in Geltung und entfalten mangels Konflikts zum Unionsrecht volle Wirkung. 415