Anzenberger/Radner/Rauscher-Kalod (Hrsg)COVID-19 in der Arbeitswelt – Eine juristische Aufarbeitung
Verlag des ÖGB, Wien 2022, 240 Seiten, broschiert, € 45,–
Anzenberger/Radner/Rauscher-Kalod (Hrsg)COVID-19 in der Arbeitswelt – Eine juristische Aufarbeitung
Der 16. März 2020 kann nur als historisch bezeichnet werden. Es war der Beginn des ersten Lockdowns in Österreich aufgrund einer Infektionskrankheit, die ein paar Monate zuvor nur unter ausgewiesenen ExpertInnen bekannt war. COVID-19 veränderte gefühlt über Nacht die Art, wie wir leben. Diese Verwerfungen hinterließen auch im Arbeitsrecht Spuren. Insgesamt 15 AutorInnen widmeten sich in vier Kapiteln unterschiedlichsten Aspekten der Pandemie und ihrer Auswirkungen auf das Arbeitsrecht. Und obwohl die Pandemie auch nach dem Publikationszeitpunkt des Werks weiter grassierte, wurden selbst im Rückblick die wichtigsten Fragen bereits in diesem Werk umfassend bearbeitet.
Im ersten Kapitel „Die Sphären und die Lasten“ macht Reissner mit einem Beitrag zum Dienstverhinderungsrecht den Beginn. Dabei gliederte er in dogmatischer Feinarbeit auf, welche der Arbeitsvertragsparteien in coronatypischen Fallkonstellationen die Folgen des Nichtzustandekommens der Arbeit zu tragen haben. Besonders positiv ist dabei aus rechtswissenschaftlicher Sicht seine Positionierungsfreudigkeit zu werten: er argumentiert bei der Auslegung von § 1155 ABGB für die Lokalisierungstheorie und belegt dabei gleichsam, dass es in Fällen höherer Gewalt irrelevant sei, ob der AG das die Dienstverhinderung auslösende Ereignis beeinflussen könne. Es müsse sich nur im Betrieb des AG lokalisieren lassen, wie bspw die während der Pandemie verhängten Betriebssperren. Zur umstrittenen Frage der neutralen Sphäre folgert er darauf fußend mit guten Argumenten, dass Fälle der neutralen Sphäre zwar denkbar, allerdings im Rahmen der Pandemie noch nicht vorgekommen seien. Eine wohlbegründete Ansicht, der der OGH in einer seiner jüngsten Entscheidungen begrüßenswert zu folgen scheint (OGH 27.9.2023, 9 ObA 133/22g).
Geiblinger widmete sich folgend den Auslandsreisen zu Zeiten der COVID-Pandemie. Wenngleich die COVID-19-EinreiseV nicht mehr verlängert wurde und mit 30.6.2023 außer Kraft trat (BGBl II 2022/367), stellt die Darstellung der getroffenen Regelungen einen wertvollen Beitrag zur rechtlichen Aufarbeitung der COVID-Pandemie dar. Darüber hinaus sind viele seiner Ausführungen auch fernab der COVID-Pandemie weiterhin von Bedeutung, so bspw zu Dienstreisen in Risikogebiete.
Speziell den arbeitnehmerseitigen Dienstverhinderungen widmete sich Stiboller in ihrem Beitrag. Besonders hervorzuheben ist dabei ihre Conclusio, dass § 32 EpiG einen orginären Entgeltfortzahlungsanspruch begründet, der die anderen verdrängt. Außerdem finden sich in ihrem Beitrag immer wieder Vorschläge für den Gesetzgeber, um für kommende Pandemien besser gerüstet zu sein.
Blumencron fasste in seinem Teil die wichtigsten Eckpunkte des Homeoffice-Pakets zusammen und begrüßte die Klarstellung des Gesetzgebers, dass Homeoffice Vereinbarungssache ist. Wie vielfach im Schrifttum teilt er jedoch gleichzeitig auch die Kritik, dass die Definition des Begriffs Homeoffice unnötig eng gezogen und dabei mobiles Arbeiten nicht berücksichtigt wurde.
Im folgenden Kapitel „Kurzarbeit und Kündigungsschutz“ beginnt Radlingmayr mit einer gelungenen Erklärung des Kurzarbeitsmodells, bevor Meißl zur Frage des Kündigungsschutzes während der Kurzarbeit die relevante Judikatur und zuvor ergangene Meinungen im Schrifttum erörtert. Die Frage war von besonderer Brisanz, weil zwei Oberlandesgerichte in der Frage zu konträren Schlussfolgerungen kamen (individuellen Kündigungsschutz bejahend OLG Wien 21.9.2021, 10 Ra 38/21p; verneinend OLG Linz 10.2.2021, 12 Ra 6/21w). Der OGH folgte bekanntlich dem OLG Linz und befand, dass sich aus den COVID-Kurzarbeitsvereinbarungen kein individueller Kündigungsschutz ableiten lässt (OGH 29.11.2021, 8 ObA 50/21t).
Radner nahm anschließend das Arbeitsmarktservice-( AMS-)Kündigungsfrühwarnsystem genauer unter die Lupe. Neben seinen allgemeinen Ausführungen stach dabei vor allem seine Kritik am OGH hervor. Dieser verneinte die Rechtsunwirksamkeit einer arbeitgeberinitiierten einvernehmlichen Auflösung bei unterlassener AMS-Anzeigepflicht (OGH 24.6.2021, 9 ObA 47/21h). Er argumentiert dabei überzeugend, dass die konträre Auslegung genauso möglich gewesen wäre und der Intention des Gesetzgebers besser entsprochen hätte.
Das vorletzte Kapitel widmete sich den Herausforderungen besonderer Berufsgruppen während der Pandemie. So schilderte Gratzer eingangs Aspekte des Berufsrechts des Pflegepersonals und nimmt einen dabei bis ins steiermärkische Krankenanstaltengesetz mit. Letzteres, da der steirische Landesgesetzgeber als einziger den Nachweis eines gewissen Impfstatus für Teile seines Krankenhauspersonals vorsah.
Anschließend schilderte Alfons die Situation der Angehörigen der Gesundheitsberufe exemplarisch anhand des niederösterreichischen Landesrechts. Er bedauerte dabei, dass ihm die Darstellung der rechtlichen Auswirkungen der Pandemie auf den Dienstbetrieb nicht tiefgehender möglich war, da die meisten Dienstanweisungen nur in Form von „FAQs“ ergingen, deren Veröffentlichung nicht freigegeben wurde.
Radischnig erläuterte in ihrem Beitrag die wichtigsten Fragen zum Thema Sonderbetreuungszeit. Insb die prägnante, chronologische Aufarbeitung der verschiedenen Phasen der Sonderbetreuungszeit bis zum Publikationszeitpunkt ist hierbei hervorzustreichen. Sie blieb dabei gnädig mit dem Gesetzgeber und übte keine Kritik an der stückweisen, zum Teil rückwirkenden Verlängerung in insgesamt acht Umsetzungphasen, die mit 7.7.2023 nun wohl endgültig auslief (§ 19 Abs 1 Z 54 AVRAG).
Huber nahm sich in ihrem Beitrag vor allem Rechtsfragen im Zusammenhang mit Lehrlingen und 509 COVID-19 an und fokussierte sich dabei vor allem auf Fragen des Homeoffice und der Kurzarbeit.
Der schwierigen Aufgabe der Interessenabwägung bei Abfrage des betreffenden G-Status oder Einführung bestimmter, strengerer Präventivmaßnahmen bis hin zur Unzulässigkeit einer betrieblichen Impfpflicht widmete sich Wassner.
Den Abschluss im Kapitel „Ziviles und öffentliches Recht“ machten Melzer und Anzengruber. Erstere schilderte die Auswirkungen auf das arbeits- und sozialgerichtliche Verfahren, wie zB die Hemmung von Fristen, die Abhaltung von Verhandlungen während der Pandemie und Sicherheitsvorkehrungen bei Gericht. Zweiterer rundete als Mitherausgeber den Sammelband mit Gedanken zur Verfassungskonformität der Impfpflicht und dem Spannungsverhältnis zu einer unveränderten 3G-Pflicht am Arbeitsplatz ab. Wer hätte zum Zeitpunkt der Publikation gedacht, dass diese Frage nur theoretischer Natur bleibt?
Abschließend bleibt jedoch eine andere Frage: Warum dieses Werk lesen, wenn die COVID-Pandemie nun wohl endgültig hinter uns liegt? Drei Gründe: (1) Die Beiträge sind informativ, kurzweilig und praxisnah geschrieben. (2) Sie drehen sich mitunter um Themenfelder, die unabhängig von COVID zu beachten bleiben und bei denen gerade die COVID-Pandemie zu einer intensiveren Auseinandersetzung geführt hat. Und (3) es bleibt ein leider gar nicht so geringes Restrisiko, dass es in (hoffentlich erst weit entfernter) Zukunft wieder zu einer derartigen Ausnahmesituation kommen könnte; und dann ist völlig klar, dass just auf den Gedanken, Normen und Diskussionen aufgebaut werden wird, die in diesem Werk behandelt wurden.