51Besondere Verhaltenspflichten des Arbeitnehmers in der Freizeit während einer Dienstfreistellung gem § 735 Abs 3 ASVG?
Besondere Verhaltenspflichten des Arbeitnehmers in der Freizeit während einer Dienstfreistellung gem § 735 Abs 3 ASVG?
§ 735 Abs 3 ASVG bezweckt den Schutz jener AN, die aufgrund einer Vorerkrankung besonders gefährdet sind, vor jenen Infektionsrisiken, denen sie an ihrem Arbeitsplatz ausgesetzt wären. Es würde deshalb dem Gesetzeszweck widersprechen, wenn der AN die Zeit seiner Dienstfreistellung nutzt, um sich Infektionsrisiken auszusetzen, die jenen am Arbeitsplatz entsprechen oder sogar darüber hinausgehen.
Gleichzeitig ist eine Freistellung nach § 735 Abs 3 ASVG von vornherein nicht dazu geeignet, den AN vor jeden Infektionsrisiken zu schützen, die mit einer Freizeitgestaltung verbunden sind. Dem Gesetz sind auch keine konkreten Hinweise zu entnehmen, dass ein AN, der als Angehöriger der COVID-19-Risikogruppe eine Freistellung in Anspruch genommen hat, besonderen Verhaltenspflichten unterliegen würde, die über die sich im Allgemeinen in einem Arbeitsverhältnis ergebenden Verhaltenspflichten hinausgehen. Dem Gesetzgeber kann auch nicht unterstellt werden, dass er eine bestimmte Personengruppe aufgrund ihrer Vorerkrankung massiven Bewegungseinschränkungen unterwerfen hätte wollen.
[1] Nach dem Auftreten der COVID-19-Pandemie informierte die Bekl ihre DN mit „interner Mitteilung“ vom 18.3.2020, dass sie aufgrund ihrer Treuepflicht auch in der Freizeit verpflichtet seien, alle Tätigkeiten und Verhaltensweisen zu unterlassen, die zu einer Erhöhung des Infektionsrisikos führen, weshalb bspw eine Tätigkeit als freiwillige Rettungssanitäter mit den Dienstpflichten nicht vereinbar sei. Erst ab 1.7.2020 erlaubte die Bekl ihren DN ehrenamtliche Tätigkeiten „unter Beachtung des sich aus der Treuepflicht ergebenden Verhaltens“.
[2] Der Kl war seit dem Jahr 2004 bei der Bekl als „administrative Fachkraft“ beschäftigt. Er ist begünstigter Behinderter iSd BEinstG und gehört zur COVID-19-Risikogruppe, weshalb ihn die Bekl aufgrund der Empfehlung ihres arbeitsmedizinischen Dienstes bereits ab 31.3.2020 vom Dienst freistellte. Nachdem die Bekl den Kl über die Notwendigkeit der Vorlage eines „COVID-19-Risiko-Attests“ informierte, legte er ein solches Attest vor. Daraufhin stellte die Bekl den Kl am 27.5.2020 nach § 735 Abs 3 ASVG dienstfrei.
[3] Im Sommer 2020 nahm der Kl an mehreren Sportschützenveranstaltungen teil, die jeweils am 460 Wochenende stattfanden. Bei diesen Veranstaltungen herrschte Maskenpflicht. Die Teilnehmer muss ten sich die Hände desinfizieren und am Schießstand Sicherheitsabstände einhalten. Nur während des Schießens durfte die Maske abgenommen werden, doch mussten die Teilnehmer den Schießstand nach dem Ende des Schießdurchgangs desinfizieren. Der Kl hielt sich an diese Vorgaben. Nur bei der Siegerehrung und dem anschließenden Gruppenfoto nahm er die Maske kurzfristig ab, setzte sie danach aber sogleich wieder auf. Nachdem Bilder einer Siegerehrung, auf denen der Kl zu sehen war, im September 2020 in einer Gemeindezeitung veröffentlicht wurden, erklärte die Bekl dem Kl am 16.10.2020 die Entlassung.
[4] Der Kl begehrt die Feststellung des aufrechten Bestands des Dienstverhältnisses, in eventu der Unwirksamkeit der ausgesprochenen Entlassung. Er habe keinen Entlassungsgrund gesetzt. Die kurzzeitige Nichteinhaltung des vorgeschriebenen Mindestabstands und der Maskenpflicht sei bloß eine geringfügige Verwaltungsübertretung. Die Teilnahme an Sportwettbewerben, die weder durch Gesetz noch durch VO untersagt gewesen seien, falle in die Privatsphäre des Kl, ohne dass dienstliche Interessen der Bekl konkret oder abstrakt gefährdet worden seien.
[5] Die Bekl wendet ein, dass sie ihren DN die Weisung erteilt habe, in der Freizeit alle Tätigkeiten zu unterlassen, die zu einer Erhöhung des Infektionsrisikos führen. Der Kl habe auch gegen die damals geltende COVID-19-Lockerungs-VO verstoßen. Er habe dadurch in Kauf genommen, dass der Bekl seine Arbeitskraft für längere Zeit nicht zur Verfügung stehen könnte. Die Entlassung des Kl sei gerechtfertigt, weil er die durch die Dienstfreistellung gewonnene Freizeit entgegen der gesetzlichen Intention gesundheitsgefährdend genutzt und missbraucht habe, indem er sich rechtswidrig und schuldhaft genau jener Situation ausgesetzt habe, die eine Beschäftigung bei der Bekl unmöglich gemacht habe.
[6] Das Erstgericht qualifizierte die Entlassung als unwirksam und stellte den aufrechten Bestand des Dienstverhältnisses fest. Weisungen des DG, welche die Privatsphäre betreffen und betriebliche Belange nicht berühren, seien unzulässig und könnten keine Entlassung rechtfertigen. Die Teilnahme an den Veranstaltungen sei damals aufgrund der vergleichsweise günstigen epidemiologischen Lage weder durch VO noch durch Gesetz untersagt gewesen. Die Situation des Kl sei mit einem Krankenstand nicht vergleichbar, weil keine Krankheit eingetreten sei, deren Heilung verzögert wurde. Dass der Kl bei den Fotoaufnahmen gegen die COVID-19-Lockerungs-VO verstoßen habe, könne angesichts seines sonst vorsichtigen Verhaltens keine Entlassung rechtfertigen.
[7] Das Berufungsgericht bestätigte diese E. Dienstliche Belange der Bekl seien durch das Verhalten des Kl nur insoweit gefährdet gewesen, als er sich selbst einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt habe. Entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts sei die Situation des Kl mit einem Krankenstand vergleichbar, wenngleich kein schwerer und grober Verstoß gegen ärztliche Anordnung oder allgemein anerkannte Verhaltenspflichten vorliege, der eine Entlassung rechtfertigen könnte. Die ordentliche Revision sei mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[8] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Bekl, mit der sie eine Klagsabweisung anstrebt.
[9] Der Kl beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
[10] Die Revision ist entgegen dem den OGH nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil keine Rsp zu den Verhaltenspflichten eines DN während einer Dienstfreistellung nach § 735 Abs 3 ASVG vorliegt. Sie ist aber nicht berechtigt.
[11] Nach § 27 Z 1 AngG ist der DG zur vorzeitigen Entlassung berechtigt, wenn sich der DN einer Handlung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des DG unwürdig erscheinen lässt. Dies erfordert eine Verhaltensweise, die befürchten lässt, dass der DN seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen wird, sodass die dienstlichen Interessen des DG gefährdet sind (RS0029547). Auch ein Verhalten, das – wie im vorliegenden Fall – außerhalb des Dienstes gesetzt wurde, kann die Entlassung rechtfertigen, wenn es geeignet war, das dienstliche oder geschäftliche Vertrauen des DG zu beeinträchtigen (RS0080088). Bei der Beurteilung, ob der DN den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit gesetzt hat, ist aber nicht auf das subjektive Empfinden des DG abzustellen, sondern stets eine objektive Wertung des Verhaltens des DN vorzunehmen (RS0029733; RS0029833).
[12] Unstrittig ist, dass der Kl durch sein Verhalten beim Erstellen der Gruppenfotos gegen § 8 Abs 1 der damals geltenden COVID-19-Lockerungs-VO (BGBl II 197/2020) verstoßen hat, wonach beim Betreten von Sportstätten gegenüber Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten und eine Maske zu tragen war. Aber nicht jede Ordnungswidrigkeit ist bereits ein Entlassungsgrund (RS0028609; RS0029095). Dafür ist vielmehr erforderlich, dass der DN Interessen des DG so schwer verletzt, dass diesem eine weitere Zusammenarbeit auch nicht für die Zeit der Kündigungsfrist zugemutet werden kann (RS0029009; RS0029020; RS0028475).
[13] Nach der Rsp des OGH kann der Umstand, dass ein DN ungeachtet einer mit Absonderungsbescheid auferlegten Quarantäne seinen Dienst verrichtet, einen Entlassungsgrund bilden, weil eine solche Verhaltensweise geeignet ist, die Gesundheit der Arbeitskollegen und den Betrieb zu gefährden (8 ObA 54/21f; 9 ObA 8/22z). Im vorliegenden Fall ist eine Gefährdung des Dienstbetriebs der Bekl aber schon deshalb ausgeschlossen, weil der Kl dienstfreigestellt war. Im Übrigen kann die bloß kurzfristige Missachtung des verordneten Mindestabstands und der Maskenpflicht schon aufgrund der Geringfügigkeit des Verstoßes keine Entlassung rechtfertigen. 461
[14] Die Zuordnung eines DN zur COVID-19- Risikogruppe setzt das Vorliegen einer der in der COVID-19-Risikogruppe-VO (BGBl II 203/2020) genannten schweren Erkrankungen voraus. Solche DN haben nach § 735 Abs 3 ASVG Anspruch auf Freistellung und Fortzahlung des Entgelts, wenn die Bedingungen für die Erbringung ihrer Arbeitsleistung in der Arbeitsstätte nicht so gestaltet werden können, dass eine Ansteckung mit COVID-19 mit „größtmöglicher Sicherheit“ ausgeschlossen ist, und die Arbeitsleistung auch nicht im Homeoffice erbracht werden kann.
[15] § 735 Abs 3 ASVG bezweckt den Schutz jener DN, die aufgrund einer Vorerkrankung besonders gefährdet sind, vor jenen Infektionsrisiken, denen sie an ihrem Arbeitsplatz ausgesetzt wären. Es würde deshalb dem Gesetzeszweck widersprechen, wenn der DN die Zeit seiner Dienstfreistellung nutzt, um sich Infektionsrisiken auszusetzen, die jenen am Arbeitsplatz entsprechen oder sogar darüber hinausgehen. Gleichzeitig ist eine Freistellung nach § 735 Abs 3 ASVG von vornherein nicht dazu geeignet, den DN vor jeden Infektionsrisiken zu schützen, die mit einer Freizeitgestaltung verbunden sind. Dem Gesetz sind auch keine konkreten Hinweise zu entnehmen, dass ein DN, der als Angehöriger der COVID-19-Risikogruppe eine Freistellung in Anspruch genommen hat, besonderen Verhaltenspflichten unterliegen würde, die über die sich im Allgemeinen in einem Arbeitsverhältnis ergebenden Verhaltenspflichten hinausgehen. Dem Gesetzgeber kann auch nicht unterstellt werden, dass er eine bestimmte Personengruppe aufgrund ihrer Vorerkrankung massiven Bewegungseinschränkungen unterwerfen hätte wollen, ist doch auch ein Verbleib am Arbeitsplatz möglich, wenn entsprechende Sicherheitsmaßnahmen bestehen.
[16] Dem Berufungsgericht ist dahin zuzustimmen, dass sich ein DN im Falle einer Krankheit und einer dadurch ausgelösten Arbeitsunfähigkeit nach stRsp so verhalten muss, dass seine Arbeitsunfähigkeit möglichst bald wiederhergestellt wird (RS0060869). Eine Pflichtverletzung liegt nicht nur dann vor, wenn es tatsächlich zu einer Gesundheitsbeeinträchtigung gekommen ist, sondern es genügt schon, dass das Verhalten geeignet war, den Gesundheitszustand negativ zu beeinflussen oder die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu verzögern (RS0029337). Diese Rsp lässt sich aber nicht unmittelbar auf die Freistellung nach § 735 Abs 3 ASVG übertragen, weil es hier gar nicht um die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit bei einer konkreten Krankheit geht, sondern um die Vermeidung von Risiken für DN mit einer Vorerkrankung.
[17] Natürlich kann eine Infektion im Fall eines schweren Verlaufs der Erkrankung dazu führen, dass der DN auch nach Ablauf der Dienstfreistellung arbeitsunfähig ist. Der OGH hat bereits darauf hingewiesen, dass ein Verschulden des DN jedenfalls dann anzunehmen ist, wenn er die Dienstverhinderung durch sein ungewöhnlich leichtfertiges Verhalten herbeigeführt hat, weil er sich mutwillig Gefahren aussetzt, die erheblich über das bei einer normalen und vernünftigen Lebensweise eines DN in dieser Situation hinausgehen (RS0027960). In der Literatur wird deshalb die Auffassung vertreten, dass auch grobe Verstöße gegen die anlässlich der COVID-19-Pandemie gemachten Empfehlungen ein Verschulden des DN begründen können (Drs in Resch, Corona-HB1.06 Kap 5 Rz 20).
[18] Es wurde aber auch darauf hingewiesen, dass bei Anforderungen an das Verhalten des DN in der Freizeit, die über die behördlich verordneten Verhaltensregeln hinausgehen, äußerste Zurückhaltung geboten ist, weil auch eine Pandemie die Privatsphäre des DN nicht über Gebühr einschränken darf (T. Dullinger, ZAS 2021, 17). Es ist auch allgemein anerkannt, dass DN die regelgerechte Ausübung selbst gefährlicher Sportarten nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, auch wenn damit erhöhte Risiken verbunden sind, die zu einer Arbeitsunfähigkeit führen können (Melzer-Azodanloo in Löschnigg10 § 8 AngG Rz 101 mwN). Dass der Kl der COVID-19-Risikogruppe zugehört und im Fall einer Infektion besonders gefährdet ist, kann jedenfalls nicht dazu führen, dass ihm jede Teilnahme am öffentlichen Leben von vornherein versagt wäre. In diesem Sinne ist dem Kl die Teilnahme an den Sportschützenveranstaltungen auch deshalb nicht vorzuwerfen, weil die strengen Sicherheitsvorkehrungen das ihn spezifisch treffende Risiko einer Infektion minimiert haben.
[19] Die Bekl hat sich auch darauf berufen, dass der Kl gegen die Weisung verstoßen habe, alle Tätigkeiten zu unterlassen, die zu einer Erhöhung des Infektionsrisikos führen. Eine Anordnung des DG, deren Nichtbefolgung einen Entlassungsgrund rechtfertigt, muss sich nämlich innerhalb der durch den Arbeitsvertrag und durch die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten gezogenen Grenzen halten und sich auf die nähere Bestimmung der konkreten Arbeitspflicht oder auf das Verhalten des DN im Betrieb erstrecken (RS0029849). Demgegenüber unterliegt der DN bei der Gestaltung seiner Freizeit grundsätzlich nicht dem Weisungsrecht seines DG (Dusak, Die arbeitsrechtliche Relevanz außerdienstlichen Verhaltens, RdW 1988, 355; Marhold/Brameshuber/Friedrich, Arbeitsrecht4 [2021] 150). Die aus der Treuepflicht abgeleiteten Verhaltensvorgaben müssen sich daran messen lassen. Es wird nun nicht verkannt, dass die Bekl zur Erfüllung ihres Versorgungsauftrags (vgl § 3 ORF-Gesetz) gerade im Falle einer Pandemie auch im personellen Bereich entsprechende Maßnahmen zu setzen hat. Ab 1.7.2020 bestanden aber keine konkreten Anordnungen und waren die Vorgaben der VO II 197/2020 offenbar auch für die Bekl ausreichend.
[20] Im Ergebnis kann dem Kl allein die Teilnahme an den Sportschützenveranstaltungen angesichts der dort maßgeblichen Sicherheitsvorkehrungen trotz seiner Zugehörigkeit zur COVID-19-Risikogruppe nicht zum Vorwurf gemacht werden und ist der Verstoß gegen die VO II 197/2020 so geringfügig, dass die Bekl nicht zur Entlassung berechtigt war.
Der OGH-E ist im Ergebnis zuzustimmen. Die Entlassung war im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt. Hält ein Angestellter bei einer in der Freizeit besuchten Sportschützenveranstaltung alle Sicherheitsvorkehrungen ein (Desinfektion der Hände und des Schießstands, Tragen von Maske, Einhalten des Sicherheitsabstands) und nimmt nur für ein Gruppenfoto bei der Siegerehrung kurzfristig die Maske ab, rechtfertigt dieser bloß geringfügige Verstoß keine Entlassung gem § 27 Z 1 AngG, selbst wenn der AN dadurch gegen die damals geltende COVID-19-Lockerungs-VO II 197/2020 verstoßen hat. Da der AN jedoch zur COVID-19-Risikogruppe gehörte und gem § 735 Abs 3 ASVG freigestellt war, stand die in der Literatur bislang nicht näher untersuchte Frage im Mittelpunkt, ob einen solchen AN in der Freizeit besondere Verhaltenspflichten treffen und – sollte dies der Fall sein – ob ein Verstoß gegen solche besonderen Verhaltenspflichten eine Entlassung rechtfertigen kann. Der OGH nimmt zu dieser Frage erstmals Stellung und verneint sie im vorliegenden Fall zu Recht. Dennoch bedürfen die Ausführungen des OGH zu dieser Problemstellung in den Rz 15-18 einer näheren Untersuchung. Wäre der vorliegende Sachverhalt etwa anders zu entscheiden gewesen, wenn der AN während seiner Dienstfreistellung gem § 735 Abs 3 ASVG in der Freizeit regelmäßig Sportschützenveranstaltungen besucht hätte und dort die notwendigen Schutzvorkehrungen gar nicht eingehalten hätte, also nie den Schießstand desinfiziert, nie Maske getragen und nie den Sicherheitsabstand eingehalten hätte? Oder, um es noch deutlicher auf den Punkt zu bringen: Hätte der AN entlassen werden dürfen, wenn er zwar gem § 735 Abs 3 ASVG auf Kosten der Gemeinschaft dienstfrei gestellt worden ist, sich aber in seiner Freizeit so verhalten hätte, als existierte Corona nicht und täglich Partys mit einer Vielzahl an Menschen ohne Maske gefeiert und auch alle sonstigen Schutzvorkehrungen in seiner Freizeit missachtet hätte?
Der Gesetzeswortlaut des § 735 ASVG bietet auf diese Fragen keine Antwort, zumal er zu den Verhaltenspflichten des AN während einer Dienstfreistellung nach § 735 ASVG keinerlei Regelungen trifft. Auch die Gesetzesmaterialien (StenProt 22. Sitzung des NR, 3.4.2020, 27. GP 97; IA 483/A 27. GP 6 f) schweigen dazu. Die Literatur hat sich zwar bereits mit unterschiedlichen Aspekten des § 735 ASVG ausführlich befasst und für diese zahlreiche Lösungsvorschläge entwickelt (zB Dullinger, COVID-19-bedingte Dienstverhinderung in der Arbeitnehmersphäre, ZAS 2021, 12 ff; Streithofer, Schutz der COVID-19-Risikogruppe, Teil 2, DRdA-infas 2020, 282 ff; Zankel, Freistellung von Dienstnehmern, die zur COVID-19-Risikogruppe gehören, ASoK 2020, 202 ff); die hier interessierende Frage nach den Verhaltenspflichten des AN in der Freizeit während einer Dienstfreistellung gem § 735 ASVG wurde jedoch – soweit überblickbar – in der Literatur bislang nicht näher untersucht. Der vorliegende Beitrag soll aus diesem Grund diesem Problem gewidmet werden.
Der Gesetzgeber hat mit dem 3. COVID-19-Gesetz (BGBl I 2020/23) für AN mit Vorerkrankungen, die den Verlauf einer COVID-19-Erkrankung erheblich verschlechtern können, in § 735 Abs 3 ASVG einen Rechtsanspruch auf bezahlte Freistellung für eine befristete Zeit geschaffen, sofern ihnen die Erbringung ihrer Arbeitsleistung im Homeoffice oder unter adäquaten und ausreichenden Schutzmaßnahmen, durch die das Infektionsrisiko mit größtmöglicher Sicherheit ausgeschlossen wird, weiterhin an ihrem Arbeitsplatz nicht möglich ist. Mit dem 9. COVID-19-Gesetz (BGBl I 2020/31) wurde die Bestimmung näher präzisiert (siehe dazu zB Dullinger, ZAS 2021, 12 ff; Lindmayr, ARD 6699/5/2020; Zankel, ASoK 2020, 202 ff). Der Zweck von § 735 ASVG liegt darin, AN mit Vorerkrankungen, die den Verlauf einer COVID-19-Erkrankung erheblich verschlechtern können, am Arbeitsplatz keinem Infektionsrisiko auszusetzen und dadurch eine Ansteckung zu verhindern (StenProt 22. Sitzung des NR, 3.4.2020, 27. GP 97). Finanziert wurde der in der Zwischenzeit mit 30.6.2023 aufgehobene Anspruch durch den Bund. Gem § 735 Abs 4 ASVG hatte der AG Anspruch auf Erstattung des für die Zeit der Freistellung geleisteten Entgelts sowie der Steuern und Abgaben und der zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge und Arbeitslosenversicherungsbeiträge durch den jeweils zuständigen Krankenversicherungsträger; der Bund hatte dem Krankenversicherungsträger die daraus resultierenden Aufwendungen aus dem COVID-19-Krisenbewältigungsfonds zu ersetzen.
Stellt man sich nun die Frage, ob einen gem § 735 Abs 3 ASVG dienstfreigestellten AN auch in der Freizeit besondere Verhaltenspflichten treffen oder – um es deutlicher zu formulieren – ob die Gemeinschaft auch solchen AN einen solchen Anspruch finanzieren muss, die sich anders als im vorliegenden Sachverhalt in ihrer Freizeit an keine Schutzvorkehrungen halten und sich bewusst den gleichen oder sogar höheren Ansteckungsrisiken aussetzen als am Arbeitsplatz, sucht man in § 735 ASVG vergeblich nach einer Regelung. Auch in den Gesetzesmaterialien wird man nicht fündig. Weder die Wort- noch die historische Interpretation können daher zu dieser Problemstellung etwas beitragen. Systematisch ist zu beachten, dass trotz der Verankerung des Freistellungsanspruchs im ASVG in der Literatur zutreffend davon ausgegangen wird, dass es sich um einen individualarbeitsrechtlichen Anspruch handelt (Dullinger, 463 ZAS 2021, 13; Streithofer, DRdA-infas 2020, 282). Dennoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Finanzierung nicht durch den AG erfolgt, weil dieser die Kosten vom zuständigen Krankenversicherungsträger erstattet erhält und dieser wiederum die Kosten vom Bund ersetzt bekommt. Insb vor dem Hintergrund des hier zu untersuchenden Problems des Verhaltens des AN während einer Dienstfreistellung nach § 735 ASVG in seiner Freizeit ist das Dreiecksverhältnis zwischen Bund, AG und AN durchaus von großer Bedeutung. Tastet man sich nämlich an die Analyse des Telos von § 735 ASVG heran, kommen zwei Perspektiven in Betracht: Aus der Perspektive des AG kann argumentiert werden, dass er auf die Arbeitsleistung des AN verzichten muss, obgleich sich der AN in seiner Freizeit bewusst den gleichen oder sogar höheren Ansteckungsrisiken als am Arbeitsplatz aussetzt, indem er etwa Veranstaltungen mit Menschenansammlungen besucht und sich dabei nicht an die Sicherheitsmaßnahmen (Maske tragen, Abstand halten etc) hält. Aus der Perspektive der Gemeinschaft, die diesen Anspruch finanziert, lässt sich ebenso argumentieren, dass diese kein Interesse daran hat, den betroffenen AN die Freistellung zu finanzieren, wenn sich diese in der Freizeit dem Infektionsrisiko, das am Arbeitsplatz vermieden werden soll, erst recht bewusst aussetzen. Denkt man daher den Schutzzweck von § 735 ASVG, der darin liegt, aufgrund einer Vorerkrankung besonders gefährdete AN vor jenen Infektionsrisiken zu schützen, denen sie an ihrem Arbeitsplatz ausgesetzt wären und dadurch eine Ansteckung zu verhindern (siehe dazu StenProt 22. Sitzung des NR, 3.4.2020, 27. GP 97), weiter, kann der Freistellungsanspruch unter Entgeltfortzahlung solchen AN, die sich in der Freizeit bewusst den gleichen oder sogar höheren Infektionsrisiken als am Arbeitsplatz aussetzen, mE nicht zustehen.
Dem OGH ist aus diesem Grund zuzustimmen, wenn er in Satz 2 der Rz 15 der E aus dem Schutzzweck von § 735 Abs 3 ASVG ableitet, dass es „dem Gesetzeszweck von § 735 Abs 3 ASVG widersprechen [würde], wenn der Dienstnehmer die Zeit der Dienstfreistellung nutzt, um sich Infektionsrisiken auszusetzen, die jenen am Arbeitsplatz entsprechen oder sogar darüber hinausgehen“. Verständlich ist auch der folgende Satz 3 in Rz 15 der OGH-E, wonach jedoch die Freistellung gem § 735 Abs 3 ASVG nicht dazu geeignet ist, den AN vor jeden Infektionsrisiken zu schützen, die mit einer Freizeitgestaltung verbunden sind. Denn – lässt man Satz 4 in Rz 15 vorerst weg – dem Gesetzgeber kann nach Satz 5 in Rz 15 der OGH-E nicht unterstellt werden, dass er die betroffenen AN aufgrund ihrer Vorerkrankung massiven Bewegungseinschränkungen unterwerfen hätte wollen; immerhin könnten sie unter Einhaltung entsprechender Sicherheitsmaßnahmen auch weiterhin am Arbeitsplatz tätig sein. Damit hat der OGH teleologisch die beiden Enden der Skala abgesteckt: Einerseits dürfen die betroffenen AN nicht massiv in ihrer Freizeit eingeschränkt werden; maW darf nicht verlangt werden, dass sie gar nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen. Andererseits ist es aber auch nicht so, dass ihnen in der Freizeit gar keine Grenzen gesetzt sind. Denn Infektionsrisiken, die denen am Arbeitsplatz entsprechen oder sogar darüber hinaus gehen, dürfen sie sich nicht aussetzen. Andernfalls besteht der Freistellungsanspruch gem § 735 Abs 3 ASVG mE nicht.
Wo die Grenze genau liegt, kann immer nur im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Umstände und des Risikoausmaßes entschieden werden. ME darf aber – und so sind mMn auch die Ausführungen des OGH zu verstehen – kein grobes Missverhältnis zwischen dem Risiko, vor dem der AN durch die Freistellung geschützt wird, und dem Risiko, dem er sich in der Freizeit aussetzt, vorliegen. Handelt es sich daher etwa um einen Arbeitsplatz, an dem ein sehr hohes Ansteckungsrisiko besteht (zB Krankenhauspersonal), wird es dennoch zulässig sein, dass der AN in der Freizeit ein niedrigeres Risiko eingeht. Lässt sich der AN allerdings bereits von einem „risikoarmen Arbeitsplatz“ freistellen, wird er auch in der Freizeit ein solches niedriges Risiko nicht mehr eingehen dürfen. Dabei handelt es sich um eine zusätzliche Anspruchsvoraussetzung, die vorliegen muss, damit sich der AN auf § 735 Abs 3 ASVG berufen kann. Liegt diese Voraussetzung nicht vor, steht ihm der Anspruch mE nicht zu.
Unverständlich bleibt in diesem Zusammenhang dann aber noch Satz 4 in der Rz 15 der OGH-E: „Dem Gesetz sind auch keine konkreten Hinweise zu entnehmen, dass ein Dienstnehmer, der als Angehöriger der COVID-19-Risikogruppe eine Freistellung in Anspruch genommen hat, besonderen Verhaltenspflichten unterliegen würde, die über die sich im Allgemeinen in einem Arbeitsverhältnis ergebenden Verhaltenspflichten hinausgehen.“
Das steht mit den anderen Sätzen der Rz 15 der E, die gerade erläutert wurden, nicht in Einklang. Denn wie gerade ausgeführt, müssen teleologisch sehr wohl in § 735 Abs 3 ASVG besondere Verhaltenspflichten des AN in der Freizeit hineingelesen werden. Ferner ist fraglich, warum der OGH in Satz 4 der Rz 15 von Verhaltenspflichten spricht, die sich „im Allgemeinen in einem Arbeitsverhältnis“ ergeben. Nicht nur ist unverständlich, was mit „im Allgemeinen“ gemeint ist; auch ist bei einem dienstfreigestellten AN gerade zu berücksichtigen, dass er keine Arbeitsleistung erbringen muss und ihn daher nicht die gleichen Verhaltenspflichten treffen können wie AN im „laufenden“ Arbeitsverhältnis. Im Ergebnis wirft dieser Satz mehr Fragen auf als er Antworten gibt und bringt auch keinen Mehrwert zu der hier interessierenden Problemstellung. Den anderen Sätzen in Rz 15 ist jedoch unter Zugrundelegung der teleologischen Interpretation im oben erläuterten Sinne zuzustimmen.
Zu folgen ist den Ausführungen des OGH auch in Rz 16, in denen er eine Übertragbarkeit der Verhaltenspflichten eines AN im Krankenstand auf die Verhaltenspflichten des AN während einer Dienstfreistellung gem § 735 ASVG verneint. Während sich entsprechende Verhaltenspflichten des AN im Krankenstand mit dem Ziel, die Arbeitsfähigkeit möglichst bald wieder herzustellen, aus 464 dem Arbeitsvertrag ableiten lassen, ist das bei einer Dienstfreistellung gem § 735 ASVG nicht der Fall. Denn das Ziel von § 735 Abs 3 ASVG besteht darin, dass sich der AN nicht mit COVID-19 ansteckt. Da der AN aber sowieso dienstfreigestellt ist, ist es für den AG während der Zeit der Dienstfreistellung irrelevant, ob sich der AN mit COVID-19 infiziert oder nicht, weil der AN während der Dienstfreistellung sowieso keine Arbeitsleistung erbringt.
Verwirrend und missverständlich sind dann aber wieder Rz 17 und 18 der OGH-E, in denen der Gerichtshof, nachdem er in Rz 16 gerade die Parallele zwischen dem Fehlverhalten des AN im Krankenstand und während der Dienstfreistellung gem § 735 ASVG verneint hat, erst recht wieder prüft, ob eine Ansteckung während der Dienstfreistellung gem § 735 ASVG grob fahrlässig herbeigeführt worden ist. Dies kann nur für die Zeit nach Ablauf der Dienstfreistellung relevant sein, wenn der AN deshalb nicht zur Arbeit erscheint. Für die Frage des Verhaltens des AN während der Dienstfreistellung gem § 735 ASVG ist das jedoch nicht von Bedeutung. Immerhin lässt sich aber aus Rz 18 die korrekte Wertung ableiten, dass – wie Dullinger (ZAS 2021, 17) treffend hervorhebt – die Privatsphäre des AN auch in einer Pandemie nicht über Gebühr eingeschränkt werden darf und ein AN, der gem § 735 ASVG dienstfreigestellt ist, nicht gänzlich vom öffentlichen Leben ausgeschlossen werden darf. Dies ist letztlich die weiter oben abgeleitete „untere“ teleologische Grenze des § 735 Abs 3 ASVG.
Aus dem bisher Gesagten ergibt sich, dass sich unter Zugrundelegung der teleologischen Interpretation mE sehr wohl besondere Verhaltenspflichten des AN während einer Freistellung gem § 735 Abs 3 ASVG ableiten lassen. Dass es nicht zulässig sein kann, sich gem § 735 Abs 3 ASVG auf Kosten der Gemeinschaft dienstfreistellen zu lassen, aber in der Freizeit überhaupt keine Sicherheitsmaßnahmen einzuhalten, ist in Extremfällen bei missbräuchlicher Inanspruchnahme der Freistellung einleuchtend. Die genaue Grenzziehung ist freilich deutlich komplizierter. Eine solche ist nur im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Umstände und des Risikoausmaßes möglich, wobei mE eine Abwägung zwischen dem Risiko, dem der AN in der Arbeit ausgesetzt wäre, und demjenigen, dem er sich in der Freizeit aussetzt, vorzunehmen ist. Hierbei darf kein grobes Missverhältnis bestehen. Entgegen der Ansicht von Drs (Verhaltenspflichten eines Dienstnehmers während einer Dienstfreistellung nach § 735 Abs 3 ASVG, EvBl 2023, 726 [728]) lassen sich solche besonderen Verhaltenspflichten des AN mE jedoch nur aus § 735 ASVG ableiten, nicht aber aus den gegenseitigen Interessenwahrungspflichten. Ein Rückgriff auf die Nebenpflichten ist methodisch auch gar nicht notwendig, wenn eine Herleitung der entsprechenden Verhaltenspflichten des AN ohnehin teleologisch aus § 735 Abs 3 ASVG gelingt.
Fraglich bleibt dann noch, welche Rechtsfolgen ein Verstoß des AN gegen solche besonderen Verhaltenspflichten in der Freizeit nach sich zieht. Da es sich bei der Befolgung der Verhaltenspflichten mE um eine Anspruchsvoraussetzung für die Freistellung nach § 735 Abs 3 ASVG handelt, steht dem AN bei Verstoß dagegen eine Freistellung gem § 735 Abs 3 ASVG nicht zu. Für eine allfällige Entlassung ergibt sich die Rechtswidrigkeit dann nicht aus dem Freizeitverhalten des AN an sich, sondern daraus, dass er sich auf den Freistellungsanspruch gem § 735 Abs 3 ASVG gestützt hat, obgleich ihm ein solcher aufgrund seines Verhaltens in der Freizeit nicht zusteht.
Ungeklärt ist bislang auch, ob der AG einen gem § 735 Abs 3 ASVG dienstfreigestellten AN, der etwa in der Freizeit ausgiebig Partys feiert und dabei keine Sicherheitsmaßnahmen einhält, sofort entlassen darf oder ob er ihn zunächst zur Aufnahme der Arbeitsleistung auffordern muss, weil die Freistellung gem § 735 Abs 3 ASVG als beendet gilt, und die Entlassung erst aussprechen darf, wenn sich der AN weiterhin auf seinen Freistellungsanspruch berufen und die Aufnahme der Arbeitsleistung verweigern sollte. Bei Angestellten ist gem § 27 Z 1 AngG bei der Prüfung der Vertrauensunwürdigkeit an das Verhalten des Angestellten ein objektiver Maßstab anzulegen, sodass entscheidend ist, ob das Verhalten des Angestellten nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Verkehrskreise als so schwerwiegend anzusehen ist, dass dem AG eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar ist (siehe dazu zB Pfeil in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 27 AngG Rz 21 ff mwN). Ob bei Angestellten der Zwischenschritt einer Aufforderung zur Aufnahme der Arbeitsleistung notwendig ist, ist daher durchaus fraglich. Bei Arbeitern kommt dagegen der Entlassungsgrund gem § 82 lit d GewO 1859 nicht in Betracht, wenn keine strafbare Handlung vorliegt. Der Entlassungsgrund der beharrlichen Pflichtverletzung gem § 82 lit f GewO wird hingegen die Aufforderung zur Aufnahme der Arbeitsleistung erfordern, bevor die Entlassung ausgesprochen werden darf.
In der Rz 19 setzt sich der OGH zuletzt auch noch mit der Frage auseinander, ob der AG dem AN während einer Dienstfreistellung gem § 735 ASVG die Weisung erteilen darf, alle Tätigkeiten zu unterlassen, die zu einer Erhöhung des Infektionsrisikos führen. Der Gerichtshof betont treffend, dass der AN bei der Gestaltung seiner Freizeit grundsätzlich nicht dem Weisungsrecht des AG unterliegt. Sofern sich aber besondere Verhaltenspflichten des AN in der Freizeit aus § 735 ASVG ableiten lassen, was mE der Fall ist (dazu siehe oben), hat der AN diese ohnehin einzuhalten. Eine generelle Weisung des AG, alle Tätigkeiten zu unterlassen, die zu einer Erhöhung des Infektionsrisikos führen, ist aber mE jedenfalls überschießend (so auch Drs, EvBl 2023, 728) und geht auch in Zeiten der Pandemie und 465 bei COVID-19-Risikopatienten zu weit. Da jedoch im konkreten Fall ab 1.7.2020 ohnehin keine konkreten Anordnungen des AG mehr bestanden und sich der Vorfall erst im Sommer 2020 ereignet hat, musste sich der OGH auch nicht näher mit den Grenzen des Weisungsrechts des AG auseinandersetzen und sollen diese auch hier aus Platzgründen ausgespart bleiben.
Es ist unverständlich, warum der Gesetzgeber in § 735 ASVG keinerlei Regelungen zu den Verhaltenspflichten des AN in der Freizeit normiert hat. Zumindest in den Gesetzesmaterialien hätte er dazu Stellung beziehen können, um der Praxis Anhaltspunkte für die vorzunehmende Abwägung zu bieten, wenn sich der AN in der Freizeit bewusst Infektionsrisiken aussetzt. Wenngleich Satz 4 in Rz 15 der OGH-E dagegen zu sprechen scheint, ist mE teleologisch die Voraussetzung in § 735 Abs 3 ASVG hineinzulesen, dass kein grobes Missverhältnis zwischen den Infektionsrisiken, vor denen der AN durch die Freistellung geschützt werden soll, und jenen, denen er sich bewusst in der Freizeit aussetzt, vorliegen darf. Andernfalls besteht der Freistellungsanspruch gem § 735 Abs 3 ASVG nicht. Die Rechtswidrigkeit für den Entlassungsgrund ergibt sich daraus, dass sich der AN auf einen Freistellungsanspruch stützt, der ihm nicht zusteht. Sind auch die sonstigen Voraussetzungen des § 27 Z 1 AngG gegeben, darf der AG die Entlassung des AN aussprechen; Arbeiter müssen zuerst aufgefordert werden, die Arbeit wieder anzutreten, bevor sie gem § 82 lit f GewO entlassen werden dürfen.
In der vorliegenden E hat der AN nicht gegen § 735 Abs 3 ASVG verstoßen; von einem groben Missverhältnis zwischen den Infektionsrisiken, vor denen er in der Arbeit geschützt werden soll, und jenen, denen er sich in der Freizeit beim Gruppenfoto ausgesetzt hat, kann keine Rede sein. Der Entlassungsgrund gem § 27 Z 1 AngG wurde daher zu Recht verneint.