54Die Aufrechnung mit und die Verjährung von Beitragsschulden
Die Aufrechnung mit und die Verjährung von Beitragsschulden
In einem Bescheid wird nicht über die Beitragsschuld abgesprochen, wenn im Spruch nur die Beitragsgrundlagen sowie die Höhe der Beiträge genannt werden und auch die Begründung weder die Gesamtvorschreibesumme noch den offenen Rückstand enthält.
Die Beitragsschuld und deren Höhe sind eine Vorfrage für die Vorschreibung des Beitragszuschlags und als solche nicht rechtskraftfähig.
Die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass die Verjährung unterbrechende Handlungen gesetzt wurden, trifft denjenigen, der die dem Verjährungseinwand ausgesetzte Forderung geltend macht.
Die Kl war bis 28.1.2000 mit F* verheiratet und führte mit ihm gemeinsam einen landwirtschaftlichen Betrieb. Bis etwa Mitte 2001 wurden die Beiträge zur SV beiden Gatten gemeinsam vorgeschrieben und von F* bezahlt. Nachdem die (damalige) Sozialversicherungsanstalt (SVA) der Bauern von der im Jänner 2000 erfolgten Scheidung erfahren hatte, erstattete sie F* jene Beiträge zur SV zurück, die er seit der Scheidung für die Kl bezahlt hatte, und schrieb ihm sowie der Kl die Beiträge in der Folge gesondert vor.
Mit Bescheid vom 11.3.2003 stellte die SVA der Bauern die Beitragspflicht der Kl für den Zeitraum von 28.1.2000 bis 15.3.2002 in der KV und UV sowie vom 1.2.2000 bis 31.3.2002 in der PV getrennt nach monatlichen Beitragsgrundlagen und den sich daraus ergebenden Monatsbeiträgen fest.
In der Folge erhielt die Kl mehrmals Rückstandsausweise der SVA der Bauern; auch seit ihrer Pensionierung im Jahr 2014 wurden ihr solche zwei Mal übermittelt.
Seit 2014 bezieht die Kl von der bekl Pensionsversicherungsanstalt eine Alterspension samt Ausgleichszulage. [...]
Über die ihres Erachtens für den Zeitraum von 1.2.2000 bis 30.9.2007 offenen Beiträge zur SV, Nebengebühren und Beitragszuschläge erließ die SVA der Bauern am 21.11.2016 einen vollstreckbaren Rückstandsausweis über 12.272,65 €. Aufgrund dieses Rückstandsausweises ersuchte sie (unter einem) die Bekl um Aufrechnung der Schuld auf die Pension der Kl und anschließende Überweisung auf deren Beitragskonto. Mit Bescheid vom 30.11.2016 ordnete die Bekl an, dass die offene Forderung der SVA der Bauern von 12.272,65 € ab 1.12.2016 auf die Pension der Kl aufgerechnet wird. [...]
Mit Beschluss vom 21.10.2019 unterbrach das Erstgericht sein Verfahren analog § 74 ASGG bis zur rechtskräftigen E der SVA der Bauern „über den Rückstand 1.2.2000 bis 31.3.2002“ (ON 7). Darauf übermittelte die SVA der Bauern den schon erwähnten Bescheid vom 11.3.2003 über die Beitragspflicht der Kl. Das Erstgericht unterbrach neuerlich sein Verfahren gem § 74 ASGG, „bis ein die Höhe der von der Kl geschuldeten Beiträge gegenüber der SVA der Bauern (nunmehr SVS) genau feststellender rechtskräftiger Bescheid vorliegt“
(ON 13). Mit Bescheid vom 24.9.2020 sprach die SVA der Selbständigen (SVS) (vgl § 47 Abs 1 SVSG) aus, dass die Kl betreffend den Beitragszeitraum 1.1.2000 bis 31.3.2002 [richtig:] für die noch nicht entrichteten Pflichtbeiträge von 10.562,01 €, Beitragszuschläge von gesamt 1.400,02 € und Nebengebühren (inkl Postauftragsgebühren) von 74,41 € zu entrichten hat. Der Bescheid erwuchs nach Abweisung der von der Kl dagegen erhobenen Beschwerde durch das Erk des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.4.2021, AZ W145 2238296 1/11E, in Rechtskraft.
Das Erstgericht wies das (erkennbar) auf Abstandnahme von der Aufrechnung gerichtete Klagebegehren ab und sprach aus, dass die Kl zur Deckung der offenen Beitragsschuld der (nunmehr) SVS von insgesamt 12.272,65 € ab 1.12.2016 die Aufrechnung im Umfang des § 103 Abs 2 ASVG zu dulden habe. [...]
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. [...] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu.
Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Kl, mit dem Antrag, der Klage stattzugeben. Hilfsweise stellt sie auch einen Aufhebungsantrag.
In der ihr vom OGH freigestellten Revisionsbeantwortung beantragte die Bekl, die Revision zurück, hilfsweise abzuweisen.
Hierzu hat der OGH erwogen:
Die Revision ist zulässig und im Umfang des eventualiter gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
1.1. Nach den auf die hier zu beurteilenden Beitragsrückstände anwendbaren §§ 34 Abs 2, 36 BSVG hat der Versicherungsträger nicht rechtzeitig entrichtete Beiträge zunächst einzumahnen. Werden sie nicht beglichen, ist ein Rückstandsausweis auszufertigen. Dieser bildet zwar die Grundlage für die Eintreibung der Beitragsforderung. Er ist aber kein (anfechtbarer) Bescheid (RIS-Justiz RS0053380; 10 ObS 150/03m SSV-NF 18/17 uva), weshalb eine Bindung der Gerichte in dem Sinn, dass endgültig und bindend über eine Vorfrage abgesprochen wird, nicht in Frage kommt (RS0037038; 10 ObS 55/07x SSV-NF 21/36 ua). Anderes gilt insb für dem Rückstandsausweis zugrunde liegende Bescheide, für die E der Behörde über die Berechtigung von Einwendungen gegen die im Rückstandsausweis ausgewiesene Beitragsforderung oder für Bescheide, mit denen gem § 410 Abs 1 Z 7 ASVG (iVm § 182 BSVG) über die Beitragsschuld abgesprochen wird (vgl 10 ObS 164/06z SSV-NF 20/76).
1.2. Gem § 103 Abs 1 Z 1 ASVG dürfen die Versicherungsträger auf die von ihnen zu erbringenden Geldleistungen ua fällige Beiträge aufrechnen, die der Anspruchsberechtigte einem Versicherungsträger nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz schuldet, soweit das Recht auf Einforderung 475 nicht verjährt ist. Im gerichtlichen Verfahren kann über die Aufrechnung von geschuldeten Beiträgen nur dann entschieden werden, wenn die Beitragsschuld entweder unbestritten ist oder rechtskräftig festgestellt wurde (RS0118869; RS0084111 [T1]). Liegt keine dieser Voraussetzungen vor, hat das Erstgericht sein Verfahren in analoger Anwendung des § 74 ASGG zur Klärung der Beitragsschuld bei der SVA zu unterbrechen. Die Prüfung der Frage der Beitragsschuld ist als Verwaltungssache den Gerichten auch im Vorfragenbereich entzogen (RS0121466; RS0037262 [T4] ua).
2. Diese Grundsätze sind im Verfahren nicht strittig. Ausgehend davon spricht die Kl in der Revision zwei Bereiche an: Einerseits vertritt sie den Standpunkt, dass im Bescheid vom 24.9.2020 nur über den Ersatz von Beitragszuschlägen und Nebengebühren, nicht aber über die Pflichtbeiträge selbst abgesprochen worden sei. Andererseits rügt sie, dass ihr das Berufungsgericht zu Unrecht die Behauptungslast auch für die mögliche Unterbrechung der Einforderungsverjährung auferlegt habe, weil sie lediglich den Beginn der Verjährungsfrist behaupten (und beweisen) müsse. Beide Argumente treffen zu.
3. Zur Feststellung der Beitragsschuld
3.1. Eine Beitragsschuld ist dann rechtskräftig festgestellt, wenn die der Rechtskraft fähige E im administrativen Instanzenzug unanfechtbar ist (10 ObS 43/12i SSV-NF 26/40; 10 ObS 164/06z SSV-NF 20/76; Fellinger in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm [132. Lfg] § 103 ASVG Rz 10 ua). Es muss mit Rechtskraftwirkung über Bestand und Höhe der (allenfalls) offenen Beitragsschulden abgesprochen worden sein (vgl 10 ObS 55/07x SSV-NF 21/36 [ErwG 4.]).
3.2.1. Im Bescheid vom 11.3.2003 wurde über die Beitragspflicht, nicht aber über die (damals) offene Beitragsschuld abgesprochen, woran nichts ändert, dass im Spruch die Beitragsgrundlagen und die Höhe der Beiträge genannt werden. Eine Feststellung auch der Beitragsschuld könnte nur dann unter Umständen angenommen werden, wenn in der Bescheidbegründung ausgeführt worden wäre, welche Gesamtvorschreibesumme sich aus den im Spruch genannten monatlichen Beträgen ergibt und dass diese (allenfalls zuzüglich Nebengebühren) auch den offenen Rückstand bildet (vgl 10 ObS 25/08m SSV-NF 22/19). Das ist hier aber nicht der Fall.
3.2.2. Mit dem Bescheid vom 24.9.2020 wurde wiederum nur über die Beitragszuschläge und die Nebengebühren, nicht aber über die offenen Pflichtbeiträge erkannt. Zwar werden im Spruch des Bescheids die „noch nicht entrichteten Pflichtbeiträge“ mit 10.562,01 € angeführt und in der Begründung erläutert, wie sich dieser Betrag zusammensetzt. Der Ansicht des Berufungsgerichts, damit seien auch die offenen Pflichtbeiträge (bindend) festgestellt worden, steht aber entgegen, dass die Beitragsschuld und deren Höhe nach stRsp lediglich eine Vorfrage für die Vorschreibung des Beitragszuschlags ist (VwGH2004/08/0141, 2000/08/0021 ua). Als solche ist sie nicht der Rechtskraft fähig und kann auch keine Bindungswirkung entfalten (VwGHRo 2022/03/0016, Ro 2020/03/0014ua; RS0049680; vgl auch RS0042554 [insb T6]). Fragen der Auslegung des Bescheids vom 24.9.2020 oder der Tragweite seines Spruchs (vgl dazu RS0008822; RS0049680 ua) stellen sich daher nicht. Zudem hat die SVS bekannt gegeben, in dem über Anregung des Erstgerichts eingeleiteten Verfahren zur Klärung der offenen Beitragsschuld gar nicht über die offenen Pflichtbeiträge, sondern ausschließlich die Beitragszuschläge entscheiden zu wollen bzw zu können, weil mit dem Bescheid vom 11.3.2003 bereits eine rechtskräftige E über die Beitragspflicht vorliege (ON 15).
3.2.3. Ungeachtet der vom Erstgericht bereits zweimal angeordneten Unterbrechung des Verfahrens zur Klärung der offenen Beiträge durch die Verwaltungsbehörden hat das von der SVS geführte Verfahren die Beitragsschuld daher nicht zur Gänze rechtskräftig festgestellt.
4. Zur Behauptungslast der Verjährung
4.1. Bei der Aufrechnung auf die von den Versicherungsträgern zu erbringenden Geldleistungen handelt es sich um die Feststellung des Bestands oder des Umfangs eines Anspruchs auf eine Versicherungsleistung und damit um eine Sozialrechtssache iSd § 65 Abs 1 Z 1 ASGG (RS0084111; 10 ObS 124/07v SSV-NF 21/80; Neumayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 65 ASGG Rz 11 ua). Einer der besonders geregelten Fälle des § 87 Abs 4 ASGG liegt daher nicht vor, sodass von den allgemeinen Grundsätzen für die Verteilung der (Behauptungs- und) Beweislast auszugehen ist (RS0086050; RS0039936 [T4] ua).
4.2. Nach diesen hat derjenige, der Verjährung einwendet, jene Tatsachen, die seine Einrede schlüssig begründen, vorzubringen und auch zu beweisen (RS0034198 [T2]; RS0034326 [T6]). Demgemäß ist im Verfahren über die Aufrechnung zwar der bekl Versicherungsträger mit der Behauptung und dem Nachweis der Voraussetzungen für die Aufrechnung belastet (10 ObS 43/12i SSV-NF 26/40). Für den (anspruchsvernichtenden) Einwand der Verjährung ist jedoch der Kl behauptungs- und beweispflichtig (10 ObS 50/04g SSV-NF 18/38). Das betrifft aber nur die die Verjährung begründenden Umstände (RS0034456 [T4]). Die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass die Verjährung unterbrechende Handlungen gesetzt wurden, trifft hingegen denjenigen, der die dem Verjährungseinwand ausgesetzte Forderung geltend macht (RS0034456 [T1]; RS0034805 [T27]; 4 Ob 27/22g ua).
4.3. Darauf aufbauend hatte die Kl den Beginn der Frist der – im sozialgerichtlichen Verfahren allein zu prüfenden (Atria in Sonntag, ASVG13 § 103 Rz 14) – Einforderungsverjährung, die Bekl dagegen die den Lauf der Frist unterbrechenden oder hemmenden Umstände (§ 39 Abs 3 BSVG [Bauern-Sozialversicherungsgesetz]) zu behaupten und zu beweisen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat daher nicht die Kl den negativen Beweis anzutreten, dass die Verjährungsfrist 476 nicht unterbrochen wurde, sondern im Gegenteil die Bekl nachzuweisen, dass sie in der durch § 39 Abs 3 BSVG vorgegebenen zeitlichen Abfolge verjährungsunterbrechende Schritte gesetzt hat. Dieser Pflicht ist sie bislang aber nicht ausreichend nachgekommen. Anhand des derzeit feststehenden Sachverhalts, wonach die Kl „mehrmals Rückstandsausweise“ bzw Zahlungsaufforderungen (Mahnungen) erhalten habe, kann die Frage der Unterbrechung der Verjährungsfrist noch nicht abschließend beantwortet werden.
4.4. Wie der OGH unter Verweis auf die Rsp des VwGH unlängst ausgesprochen hat, beginnt die Einforderungsverjährungsfrist frühestens mit dem Eintritt der Rechtskraft des Bescheids über die strittige Beitragsschuld (10 ObS 96/21x SSVNF 35/49). Wann diese eingetreten ist, steht hier aber nicht fest (vgl oben 3.). Das trifft ebenso auf die Zuschläge und die Nebengebühren zu. Nach den vom Bundesverwaltungsgericht in seiner Beschwerdeentscheidung getroffenen Feststellungen hat die SVA der Bauern nämlich mit Bescheid vom (offensichtlich:) ebenfalls 11.3.2003 ua festgestellt, dass die Beitragsschuld der Kl für den Zeitraum 1.2.2000 bis 31.3.2002 „samt Nebengebühren“ 11.617,83 € beträgt (Beilage ./5 Seite 3). Träfe das zu, wären die Pflichtbeiträge (von 10.562,01 €) und zumindest ein – nicht näher bekannter – Teil der „Nebengebühren“ schon lange rechtskräftig festgestellt und damit in diesem Umfang die Verjährungsfrist in Gang gesetzt worden.
5. Zusammenfassend ist die für die abschließende E notwendige Voraussetzung, dass die Beitragsschuld (unbestritten oder) im Verwaltungsverfahren rechtskräftig festgestellt ist, noch nicht endgültig geklärt, weil mit dem Bescheid vom 24.9.2020 nur über Beitragszuschläge und Nebengebühren abgesprochen wurde. Zudem ist derzeit offen, ob über die Beitragsschuld, also die offenen Pflichtbeiträge, und Teile der „Nebengebühren“ unter Umständen schon mit (weiterem) Bescheid vom 11.3.2003 – und damit am selben Tag wie über die Beitragspflicht – entschieden wurde. Darauf aufbauend kann auch die Frage der Einforderungsverjährung derzeit nicht beurteilt werden, weil deren Beginn weder für die Pflichtbeiträge noch die einzelnen „Nebengebühren“ klar ist und zum – bislang auch nicht weiter substantiierten – Gegeneinwand der Unterbrechung der Verjährungsfrist keine ausreichenden Feststellungen getroffen wurden.
6. In Stattgebung der Revision sind die Urteile der Vorinstanzen daher aufzuheben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. [...]
Die Kl wollte eine Aufrechnung mit ihrer Pension verhindern. Anlassfallbezogen konnte eine solche temporär an einer nicht rechtskräftig festgestellten Beitragsschuld scheitern, dauerhaft ist dies vielleicht aufgrund einer Einforderungsverjährung der Fall.
Zunächst legt das Höchstgericht die Voraussetzungen dar, wann ein Versicherungsträger auf die von ihnen zu erbringenden Geldleistungen fällige Beiträge aufrechnen darf. Verfahrensrelevant war der Umstand, dass im gerichtlichen Verfahren über die Aufrechnung von geschuldeten Beiträgen nur dann entschieden werden kann, wenn die Beitragsschuld entweder unbestritten ist oder durch den zuständigen Sozialversicherungsträger mittels Bescheids rechtskräftig festgestellt wurde.
Da die Beitragsschuld nicht unbestritten war, musste die Beitragsschuld bescheidmäßig festgestellt worden sein. Diese Voraussetzung erkannte das Erstgericht im Bescheid vom 11.3.2003, das Berufungsgericht hingegen im Bescheid vom 24.9.2020. Der OGH teilte keine der beiden Ansichten.
Bezüglich des Bescheids vom 11.3.2003 ist das Höchstgericht der Meinung, dass in diesem nur über die Beitragspflicht, nicht aber über die offene Beitragsschuld abgesprochen worden sei.
Obwohl sich der exakte Wortlaut dem Sachverhalt nicht entnehmen lässt, wäre es mE sogar irrelevant, wenn im Bescheidspruch ausdrücklich nur von einer Beitragspflicht die Rede wäre. Beitragspflicht und Beitragsschuld vereinen sich in derselben Person (Kl) und die Beitragspflicht für einen abgeschlossenen Zeitraum impliziert die Beitragsschuld. Für den Umfang der Rechtskraft ist der Spruch des Bescheids maßgeblich. In diesem waren – der Sachverhaltsangabe folgend – die monatlichen Beitragsgrundlagen und die sich daraus ergebenden Monatsbeiträge für einen bereits abgeschlossenen Zeitraum genannt. Es wurde daher mit Rechtskraftwirkung über Bestand und Höhe der offenen Beitragsschulden abgesprochen. Die abweichende Rechtsmeinung des Höchstgerichts ist nur in seinem meiner Meinung nach unangebrachten Zweifeln begründet, wenn man folgende Aussage mit ins Kalkül zieht: „Eine Feststellung auch der Beitragsschuld könnte nur dann unter Umständen angenommen werden, wenn in der Bescheidbegründung ausgeführt worden wäre, welche Gesamtvorschreibesumme sich aus den im Spruch genannten monatlichen Beträgen ergibt und dass diese (allenfalls zuzüglich Nebengebühren) auch den offenen Rückstand bildet [...].“
Mit dieser Aussage gibt der OGH zu verstehen, dass die Begründung als Auslegungsbehelf dazu führen kann, dass der verfahrensgegenständliche Bescheidspruch doch als rechtskräftige Feststellung der Beitragsschuld gewertet werden kann. IdZ gilt es Folgendes zu beachten: Nur wenn der Bescheidspruch auslegungsbedürftig dahingehend ist, dass er für sich allein betrachtet Zweifel an seinem Inhalt aufkommen lässt, dann kann und muss seine Begründung zur Deutung von Sinn und Inhalt der darin verkörperten Norm herangezogen werden (vgl hierzu mit zahlreichen Judikaturnachweisen Hengstschläger/Leeb, AVG § 59 Rz 111 [Stand März 2023]). Ohne Zweifel am Inhalt des Bescheidspruchs besteht daher auch keine Notwendigkeit, die Begründung als Auslegungsbehelf heranzuziehen. 477
Zu einem anderen Ergebnis kann auch nicht der Umstand führen, dass im Bescheidspruch keine Addition der Monatsbeiträge zu einer Gesamtsumme erfolgt ist. § 103 Abs 1 Z 1 ASVG spricht nur von „geschuldeten fälligen Beträgen“ und diese sind auch dann rechtskräftig festgestellt, wenn sie im Bescheidspruch isoliert angeführt werden.
Hinsichtlich des Bescheids vom 24.9.2020 ist der OGH der Ansicht, dass nur über die Beitragszuschläge und die Nebengebühren, nicht aber über die offenen Pflichtbeiträge erkannt wurde. Dies verwundert zunächst, weil sich im Bescheidspruch die noch nicht entrichteten Pflichtbeiträge finden und in der Begründung erläutert wird, wie sich dieser Betrag zusammensetzt. Die Erklärung des Höchstgerichts dafür ist, dass die Beitragsschuld und deren Höhe nach stRsp lediglich eine Vorfrage für die Vorschreibung des Beitragszuschlags sei. Die Beitragsschuld sei aufgrund ihres Vorfragencharakters nicht der Rechtskraft fähig und könne daher auch keine Bindungswirkung entfalten. Dieser Aussage ist zuzustimmen. Ein anderes Ergebnis lässt sich auch nicht aus dem irreführenden Wortlaut der relevanten Gesetzesstelle ableiten. Vorfragen sind verfahrensrechtlich nach § 38 AVG (Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz) zu beurteilen. Dessen Wortlaut hat ein engeres Verständnis der Vorfrage: Eine solche liegt dann vor, wenn sie als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder von Gerichten zu entscheiden wären. Nach Rsp (vgl etwa VwGH 31.1.2003, 2002/02/0158; VwGH 4.8.2015, 2013/06/0050; VwGH 27.6.2019, Ra 2019/02/0017) und Lehre (vgl etwa Hengstschläger/Leeb, AVG § 38 Rz 5 [Stand März 2021]) findet die Gesetzesstelle aber auch auf jene Fälle Anwendung, in denen dieselbe Behörde aber in einem anderen Verfahren über die Vorfrage zu entscheiden hat.
Somit wird die hier vertretene Rechtsmeinung exakt durch die im Urteil wiedergegebene Rechtsmeinung der SVS zusammengefasst, wenn diese ausführt, dass sie in dem über Anregung des Erstgerichts eingeleiteten Verfahren zur Klärung der offenen Beitragsschuld gar nicht über die offenen Pflichtbeiträge, sondern ausschließlich die Beitragszuschläge entscheiden wollte bzw konnte, weil mit dem Bescheid vom 11.3.2003 bereits eine rechtskräftige E über die Beitragspflicht vorgelegen ist.
Nachdem im konkreten Fall keine Sonderregelung zur Beweislastverteilung zur Anwendung gelangt, gilt der allgemeine Grundsatz, dass derjenige, welcher ein Recht behauptet, die rechtsbegründenden Tatsachen beweisen und derjenige, welcher ein Recht leugnet, die rechtsverhindernde Tatsache beweisen muss (vgl hierzu Nunner-Krautgasser in Ballon/Nunner-Krautgasser/Schneider [Hrsg], Zivilprozessrecht13 [2018] Rz 358). Für den Einwand der Verjährung war daher die Kl und für die Setzung von verjährungsunterbrechenden bzw -hemmenden Handlungen die Bekl beweispflichtig.
Im Gegensatz zur Meinung des OGH lässt sich aber schon jetzt der Beginn der Einforderungsverjährungsfrist feststellen; selbst dann, wenn man – wie das Höchstgericht – davon ausgeht, dass in dem Bescheid vom 11.3.2003 nicht rechtskräftig über die Beitragsschuld abgesprochen wurde. Für den Beginn der Einforderungsverjährungsfrist ist nämlich nicht zwingend wie bei der Aufrechnung die bescheidmäßige Feststellung der Beitragsschuld notwendig. Vielmehr muss der Zahlungspflichtige nur in irgendeiner Weise darüber informiert worden sein, dass eine Zahlungsverpflichtung besteht (vgl hierzu Julcher in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 68 Rz 17). Die Verständigung kann daher beispielsweise durch eine formlose Mitteilung, etwa über das Ergebnis einer Beitragsprüfung, durch die Erlassung eines Rückstandsausweises (vgl zu diesen Beispielen VwGH 25.6.2013, 2013/08/0036 und Julcher in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 68 Rz 17) und wohl auch dadurch erfolgen, dass ein Bescheid die Beitragsgrundlagen und die Höhe der Beiträge für einen abgeschlossenen Zeitraum nennt. Aus Sicht des OGH ist die zuletzt genannte Art der Mitteilung dann formlos, weil die Beitragsschuld nicht rechtskräftig festgestellt wurde.
Diese Form der Bekanntgabe wäre erst dann nicht mehr ausreichend, wenn die „festgestellten Beitragsschulden“ bestritten werden. Dies war aber nicht der Fall, der Bescheid aus 2003 wurde rechtskräftig (ausführlich hierzu BVwG 21.4.2021, W145 2238296-1) und auch auf die folgenden Rückstands ausweise wurde nicht in bestreitender Weise reagiert. Aus diesem Grund ist von einem unstrittigen „Ergebnis der Feststellung“ auszugehen. Gleicher Ansicht scheint auch Julcher (in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 68 Rz 19) zu sein, die gleichzeitig klärt, welche Auswirkungen eine spätere Bescheiderlassung im Zuge des Verfahrens über die Aufrechnung auf die Feststellungs- und Einforderungsverjährung hat: „Ist die Feststellung – sei es formlos oder mittels Rückstandsausweises, sei es durch Bescheid erfolgt, ohne dass sich daran ein (weiterer) Streit anschließt, so kann nur mehr das Recht auf Einforderung der festgestellten Beitragsschulden verjähren, weil das Recht auf Feststellung bereits ausgeübt worden ist. Das schließt nicht aus, dass nach einer zunächst nicht bestrittenen formlosen Feststellung innerhalb der Einforderungsverjährungsfrist – insb auf Antrag des Beitragsschuldners oder etwa aus Anlass eines Aufrechnungsverfahrens – noch ein (Feststellungs-) Bescheid erlassen wird, wobei aber die vor Ablauf der Feststellungsverjährungsfrist (wenn auch formlos) festgestellten Beitragsschulden betragsmäßig die Obergrenze bilden“
(idS auch VwGH 24.2.2016, 2013/08/0177). 478