7Kein Tätigkeitsschutz nach § 255 Abs 4 ASVG aufgrund Selbstversicherung nach § 19a ASVG
Kein Tätigkeitsschutz nach § 255 Abs 4 ASVG aufgrund Selbstversicherung nach § 19a ASVG
Beitragsmonate der Selbstversicherung gem § 19a ASVG können nicht als Monate gewertet werden, in denen die versicherte Person eine „Tätigkeit“ iSd § 255 Abs 4 Satz 1 ASVG ausgeübt hat.
Der 1960 geborene Kl hat den Beruf des Elektroinstallateurs erlernt, jedoch keine Lehrabschlussprüfung abgelegt. In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1.4.2021) war er als Elektrotechniker-Servicetechniker für Alarmanlagen tätig und erwarb in diesem Zeitraum (April 2006 bis März 2021) 96 Beitragsmonate der Pflichtversicherung. Der Kl ist aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr in der Lage, als Elektrotechniker- Servicetechniker für Alarmanlagen zu arbeiten. In dem auf die Berufsgruppe der Elektroniker eingeschränkten Arbeitsmarkt ist der Kl jedoch noch in der Lage, als Prüffeldtechniker zu arbeiten. [...]
[3] Mit Bescheid vom 5.8.2021 lehnte die bekl Pensionsversicherungsanstalt (PVA) den Antrag des Kl auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension vom 24.3.2021 ab, weil Berufsunfähigkeit nicht vorliege. [...]
[4] Mit seiner Klage begehrt der Kl die Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension in gesetzlicher Höhe ab 1.4.2021. Der Kl genieße „Tätigkeitsschutz“ nach § 255 Abs 4 ASVG, weil auch die Zeiten der geringfügigen Beschäftigung als Tätigkeitszeiten nach § 255 Abs 4 ASVG zu beurteilen seien, sodass der Kl in den letzten 180 Kalendermonaten über mehr als 120 Kalendermonate hindurch als Elektrotechniker für Alarmanlagen tätig gewesen sei. [...]
[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge. Zeiten der Selbstversicherung gem § 19a ASVG seien nicht in Zeiten einer Tätigkeit iSd § 255 Abs 4 ASVG einzurechnen, weil während Zeiten einer freiwilligen Versicherung kein versicherungspflichtiger Beruf ausgeübt werde. Maßgeblich für das Vorliegen einer Tätigkeit iSd § 255 Abs 4 ASVG sei, dass es sich um eine versicherungspflichtige Beschäftigung handle. Wer nicht in das Sozialversicherungssystem integriert sei, solle mit einer nicht versicherten Tätigkeit auch nicht in den Genuss des § 255 Abs 4 ASVG kommen.
[8] Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision des Kl. [...]
[9] Die Revision ist zulässig, weil zur Frage, ob auch Zeiten einer geringfügigen Beschäftigung, für die gem § 19a ASVG eine Selbstversicherung abgeschlossen wird, die Ausübung einer „Tätigkeit“ iSd § 255 Abs 4 ASVG darstellen, Rsp fehlt. Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.
[10] 1. Der Kl behauptet in der Revision nur mehr das Vorliegen von Berufsunfähigkeit gem § 273 Abs 3 iVm § 255 Abs 4 ASVG. [...]
[11] 2.1 § 255 Abs 4 Satz 1 ASVG lautet: „Als invalid gilt auch der (die) Versicherte, der (die) das 60. Lebensjahr vollendet hat, wenn er (sie) infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande ist, einer Tätigkeit, die er (sie) in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen.
“
[12] 2.2 § 255 Abs 4 ASVG wurde in seiner für den hier gegebenen Zusammenhang im Wesentlichen auch heute noch geltenden Gestalt mit dem SVÄG 2000, BGBl I 2000/43, geschaffen. Nach den Gesetzesmaterialien (AB 187 BlgNR XXI. GP 4) sollte damit als flankierende Maßnahme zur Abfederung von Härten infolge der Aufhebung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (§ 253d ASVG aF) der Berufsschutz für Personen, die das (damals) 57. Lebensjahr bereits vollendet und durch 10 Jahre während der letzten 15 Jahre vor dem Pensionsstichtag eine bestimmte Tätigkeit ausgeübt haben, verbessert werden. Das 57. Lebensjahr wurde mit dem 2. StabG, BGBl I 2012/35, stufenweise (vgl § 666 Abs 4 ASVG) auf das 60. Lebensjahr angehoben
[13] 2.3 Bei § 255 Abs 4 ASVG handelt es sich – wie dies auch aus den zitierten Gesetzesmaterialien hervorgeht – nicht um einen Arbeitsplatzschutz, sondern um eine – besondere – Form des Berufsschutzes (zuletzt 10 ObS 40/22p Rz 18 mwH). § 255 Abs 4 ASVG stellt nicht auf die Anforderungen an einem bestimmten Arbeitsplatz ab, sondern auf die „Tätigkeit“ mit dem am allgemeinen Arbeitsmarkt typischerweise gefragten Inhalt (RS0087658 [T2]; RS0087659 [T9]).
[14] 2.4.1 Historisch wurde die Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG aF mit der 35. ASVG-Novelle, BGBl 1980/585, geschaffen und galt zunächst nur für ungelernte Arbeiter (umfassend dazu Weißensteiner/Warkoweil, Überlegungen zur Invaliditäts-(Berufsunfähigkeits-)Pension nach § 255 Abs 4 und § 273 Abs 2 ASVG, DRdA 2001, 145). Ein ungelernter Arbeiter war danach auch invalid, wenn er das 55. Lebensjahr vollendet hatte (lit a), in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt hatte (lit b) und infolge seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht mehr imstande ist, durch diese Tätigkeit wenigstens die Hälfte des Entgelts zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt.
[15] 2.4.2 Mit der 39. ASVG-Novelle, BGBl 1983/590, wurde der bessere Verweisungsschutz gem § 255 Abs 4 ASVG aF auf alle älteren AN ausgedehnt. Erforderlich war der Erwerb von 180 Versicherungsmonaten zum Stichtag (lit b) und die Ausübung einer gleichen oder gleichartigen Tätigkeit in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach 57 dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag.
[16] 2.4.3 Mit der 51. ASVG-Novelle, BGBl 1993/335, wurde § 255 Abs 4 ASVG aF aufgehoben und die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit in § 253d ASVG als neue Leistung eingeführt. Darin wurden die Anspruchsvoraussetzungen aus § 255 Abs 4 ASVG aF im Wesentlichen übernommen. Im gegebenen Zusammenhang ist jedoch hervorzuheben, dass nach § 253d Abs 1 Z 2 ASVG der Erwerb einer bestimmten Anzahl von Beitragsmonaten der Pflichtversicherung innerhalb einer ebenso bestimmten Anzahl von Kalendermonaten erforderlich war.
[17] 2.4.4 Aus der historischen Betrachtung der geltenden Bestimmung zeigt sich, dass für den Erwerb des besonderen Verweisungsschutzes nach § 255 Abs 4 ASVG aF und § 253d ASVG aF immer der Erwerb von Versicherungs- und Beitragsmonaten erforderlich war. Den Begriff der Kalendermonate verwendete der Gesetzgeber neben dem Begriff der Beitragsmonate der Pflichtversicherung in § 253d Abs 1 Z 2 ASVG aF.
[18] 3.1 In Lehre und Schrifttum wird ausgeführt, dass der Begriff der Kalendermonate in § 255 Abs 4 ASVG nicht irrtümlich gewählt worden und eigentlich Beitragsmonate gemeint gewesen seien. Ganz bewusst habe der Gesetzgeber diese Voraussetzung gewählt (Födermayr, Geminderte Arbeitsfähigkeit [2009] 101 f ; Hinterobermaier, Die Invaliditätspension nach § 255 Abs 4 ASVG: Voraussetzungen und Verweisbarkeit, RdW 2004, 164 [165]). Der berufskundliche Sachverständige Christian Hampel hat im Auftrag des (damaligen) Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger ein berufskundliches Gutachten erstattet, in dem auch verschiedene in § 255 Abs 4 ASVG verwendete Begriffe unter Verwendung der Gesetzesmaterialien interpretiert werden, darunter der Begriff „hindurch“ in § 255 Abs 4 Satz 1 ASVG. Hampel führt dazu aus: „Unter dem Begriff ‚hindurch‘ ist zu verstehen, dass in den letzten 180 Monaten vor dem Stichtag 120 Beitragsmonate der Pflichtversicherung im Rahmen dieser Tätigkeit erworben worden sein müssen, wobei dieses ‚Erwerben‘ nicht in einem durch erfolgen muss, zumal ja sonst für Saisonarbeitskräfte oder bei vorübergehender Arbeitslosigkeit diese Bestimmung nie zum Tragen kommen könnte.
“ (Christian Hampel, Berufskundliches Sachverständigengutachten, 5.8.2000, abgedruckt bei Rudda, Neuer Berufsschutz in der Pensionsversicherung, SozSi 2000, 852 [858]).
[19] 3.2 Dem ist Schrammel (Der Invaliditäts-, Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeitsbegriff nach dem SVÄG 2000, ecolex 2000, 886 [888]) entgegengetreten und hat darauf hingewiesen, dass nach der Neuregelung nicht mehr die Beitragsmonate in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag entscheidend seien, sondern das Ausüben einer Tätigkeit. Auch Röhrenbacher argumentiert, dass es einen wesentlichen Unterschied mache, würde man entweder nur volle Monate der Tätigkeit als „Kalendermonat“ iSd § 255 Abs 4 ASVG berücksichtigen, oder – in Analogie zur Praxis der SozialSozialversicherungsträger zu § 253a ASVG (aF) – Kalendertage einer Beschäftigung zu Kalendermonaten umrechnen. Offen bleibe, wie ein Fall zu lösen sei, bei dem der Kl ausreichend versicherungspflichtige Beschäftigungstage habe, um 120 Kalendermonate zu erwerben, aber in einzelnen Monaten weniger als 15 Versicherungstage vorlägen, sodass diese Monate nicht zu Resttagesmonaten werden (Gedanken und Überlegungen zum neuen Invaliditätsbegriff, SozSi 2001, 846 [849]).
[20] 3.3 Überwiegend wird vertreten, dass eine wirksame Beitragsentrichtung nicht Voraussetzung dafür sei, dass die Monate der Ausübung einer Tätigkeit berücksichtigt werden. Maßgeblich sei jedoch, dass es sich um eine versicherungspflichtige Beschäftigung handle. Es reiche nicht aus, dass die eine Tätigkeit zuvor außerhalb der Versicherungspflicht ausgeübt worden sei, weil im gesamten Sozialversicherungsrecht, insb in der PV, maßgeblich auf das Vorliegen von Versicherungszeiten abgestellt werde (Födermayr in SVKomm [252. Lfg] § 255 ASVG Rz 183 f ; ebenso unter Bezugnahme auf § 4 Abs 4 ASVG Bergauer/ Urbanek, Pensionsrechtliche Fragen bei flexiblen Arbeitsverhältnissen, ZAS 2004/19, 105 [110]). Von der Notwendigkeit des Vorliegens einer versicherungspflichtigen Beschäftigung geht erkennbar auch Röhrenbacher (SozSi 2001, 850) aus, wenn er sich die Frage stellt, wie jemand zu beurteilen sein wird, der nur aufgrund mehrfach geringfügiger Beschäftigung der Pflichtversicherung unterliegt, und sich damit auseinandersetzt, ob in einem solchen Fall auf jede geringfügige Beschäftigung abzustellen und zumindest eine dieser Tätigkeiten 120 Monate ausgeübt worden sei, oder ob eine „gleiche Tätigkeit“ vorliege, wenn die Summe der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, die zur Pflichtversicherung geführt haben, über die Dauer von 120 Monaten vorliege.
[21] 4.1 Der OGH führte in der E 10 ObS 264/02z, SSV-NF 18/15, in der es darum ging, dass der Begriff der „Kalendermonate“ in § 255 Abs 4 ASVG kein Redaktionsversehen war, begründend aus, dass im Hinblick auf die inhaltliche Nähe der Regelung des § 133 Abs 3 GSVG zu jener über den Berufsschutz nach § 255 Abs 4 ASVG für die Prüfung des Tatbestandselements des § 255 Abs 4 ASVG, der Versicherte innerhalb der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch eine Tätigkeit ausgeübt hat, auf die für den Bereich des GSVG entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden kann. Dies betreffe auch den zur 60-monatigen Erwerbstätigkeitsdauer des § 133 Abs 2 GSVG entwickelten Grundsatz, dass es sich dabei um Zeiten handeln muss, die die Versicherungspflicht nach dem GSVG begründen (vgl RS0086452).
[22] 4.2.1 In der E 10 ObS 264/02z führte der OGH weiter aus, dass auch Zeiten eines Urlaubs und Zeiten der Krankheit eines AN, soweit während dieser Zeiten noch eine Entgeltfortzahlungspflicht des AG besteht, als Zeiten einer „Tätigkeit“ iSd § 255 Abs 4 Satz 1 ASVG anzusehen sind, weil es sich dabei um Zeiten handelt, die der Pflichtversicherung in der PV unterliegen (betreffend Zeiten des Kranken 58 geldbezugs vgl nunmehr die seit dem BBG 2011, BGBl I 2010/111, bestehende Regelung des § 255 Abs 4 Z 2 ASVG).
[23] 4.2.2 Hingegen wurden Zeiten einer saisonal bedingten Unterbrechung der Tätigkeit (RS0117787), Zeiten des Bezugs einer Urlaubsersatzleistung (10 ObS 62/04x SSV-NF 18/70) sowie Zeiten des Bezugs einer Kündigungsentschädigung (10 ObS 91/07s SSV-NF 21/60) nicht als Zeiten der Ausübung der unselbständigen Erwerbstätigkeit gewertet, weil – unabhängig von der Verlängerung einer Pflichtversicherung (§ 11 Abs 2 Satz 2 ASVG) – von einer faktischen „Ausübung“ einer konkreten Tätigkeit iSd § 255 Abs 4 ASVG nicht gesprochen werden kann. § 255 Abs 4 ASVG stellt nach stRsp des erkennenden Senats (RS0118621; RS0122063; RS0122455) nicht auf das Vorliegen von 120 “Beitragsmonaten“ in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag ab, sondern darauf, dass die Ausübung „einer“ Tätigkeit in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch erfolgte. Dabei sind in analoger Anwendung des § 133 Abs 2 letzter Satz GSVG jeweils 30 Kalendertage zu einem Monat zusammenzufassen (10 ObS 17/12s SSV-NF 26/18).
[24] 4.3 Im Verfahren 10 ObS 4/05v SSV-NF 19/22 entschied der OGH, dass für die Erfüllung des im § 255 Abs 4 ASVG vorgesehenen Tätigkeitszeitraums von mindestens 120 Kalendermonaten in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag auch gleichartige, nach dem GSVG versicherte selbständige Tätigkeiten zu berücksichtigen sind. Begründend führte der Gerichtshof ua aus, dass bei der Beurteilung der Frage, was als „eine“ Tätigkeit iSd § 255 Abs 4 ASVG anzusehen ist, auch inhaltlich zumindest teilweise als selbständig anzusehende Tätigkeiten herangezogen werden können. Zweifellos könnten nämlich Beitragsmonate aufgrund eines freien Dienstvertrags gem § 4 Abs 4 ASVG für § 255 Abs 4 ASVG herangezogen werden, weil durch sie die Pflichtversicherung im leistungszuständigen ASVG-System begründet wird (ebenso 10 ObS 54/05x ua; RS0119740).
[25] 4.4 Ebenso seien bei der Anwendung des § 255 Abs 4 ASVG Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit als Landwirt zu berücksichtigen, für die in Österreich eine Pflichtversicherung nach dem BSVG besteht. Ein Tätigkeitsschutz nach § 255 Abs 4 ASVG komme jedoch nur dann in Betracht, wenn im maßgebenden Beobachtungszeitraum der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag auch Zeiten einer unselbständigen Beschäftigung nach dem ASVG vorliegen. Diese Voraussetzung erweise sich auch deshalb als unabdingbar, weil nach § 255 Abs 4 Satz 2 ASVG zumutbare Änderungen „dieser“ Tätigkeit zu berücksichtigen sind und dafür nur eine nach dem ASVG versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit maßgebend ist (10 ObS 99/05i SSV-NF 20/6).
[26] 4.5 Daran hielt der OGH – entgegen den Ausführungen in der Revision – in den Entscheidungen 10 ObS 30/07w SSV-NF 21/26 und 10 ObS 42/07k SSV-NF 21/33 fest, wo er ausführt: „Nun ist dem Berufungsgericht zweifellos insoweit zu folgen, als das Abstellen auf die Person eines/einer Versicherten in § 255 Abs 4 ASVG einen gewissen Bezug zur Sozialversicherung nahe legt: Für die Beurteilung des Tätigkeitsschutzes (oder des ‚besonderen Berufsschutzes‘) können nur Monate einer die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit berücksichtigt werden (10 ObS 8/97t = SSV-NF 11/10). Wer nicht in das Pensionsversicherungssystem integriert ist (etwa eine Hausfrau oder ein Hausmann), soll mit einer nicht versicherten Tätigkeit auch nicht in den Genuss des § 255 Abs 4 ASVG kommen, selbst wenn die gleiche Tätigkeit zu einem anderen Zeitpunkt in einem der Sozialversicherungspflicht unterliegenden Dienstverhältnis ausgeführt wird (als Haushälterin oder Haushälter).“ In der E 10 ObS 30/07wergänzte der OGH, dass die wirksame Beitragsentrichtung keine Voraussetzung für die Anwendung des § 255 Abs 4 ASVG sei: Maßgeblich sei, dass die vom Kl ausgeübte selbständige Tätigkeit eine Versicherungspflicht nach dem GSVG ausgelöst hat. In der E 10 ObS 42/07k hielt der OGH – über das Zitat aus E 10 ObS 30/07w hinaus – ausdrücklich fest, dass bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 255 Abs 4 ASVG nur Monate einer „die Pflichtversicherung begründenden Tätigkeit“ berücksichtigt werden können (ebenso E 10 ObS 99/14b SSVNF 28/75).
[27] 4.6 Auch in der E 10 ObS 4/21z SSV-NF 35/42, in der es um die Frage ging, ob Zeiten der Kindererziehung sowie Zeiten der Selbstversicherung für die Pflege eines behinderten Kindes nach § 18a ASVG einen Anspruch auf Invaliditätspension oder Berufsunfähigkeitspension begründen können, wenn die versicherte Person nie ins Erwerbsleben eingetreten ist, führte der OGH im gleichen Sinn zu § 255 ASVG aus (Rz 30; Hervorhebungen durch den Senat): „§ 255 Abs 3 und § 273 Abs 2 ASVG fordern zwar – anders als § 255 Abs 2, Abs 3a oder § 255 Abs 7 ASVG – weder den Erwerb einer bestimmten Mindestanzahl von Beitragsmonaten der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit noch die Ausübung ‚einer Tätigkeit‘ in einer bestimmten Anzahl von Kalendermonaten (§ 255 Abs 4 ASVG). § 255 ASVG regelt (iVm § 273 ASVG) jedoch in seiner Gesamtheit das System des Zugangs zu einer Pensionsleistung aus der Verminderung der Arbeitsfähigkeit in Form von ausbildungs- und altersabhängigen Konstellationen. Dabei setzt der Gesetzgeber – wie die oben zitierten Formulierungen zum Ausdruck bringen – das Vorliegen einer die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit auch dann als selbstverständlich voraus, wenn er keine bestimmte Art oder Dauer einer Beschäftigung verlangt.
“
[28] 4.7 In der E 10 ObS 116/22i hielt der OGH an dieser Rechtsansicht fest und führte aus, dass das Vorliegen einer Invalidität nach § 255 Abs 1 bis 4 ASVG der Feststellung bedürfe, dass tatsächlich eine die Pflichtversicherung in der PV nach dem ASVG begründende Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts aufgenommen wurde. Im Fall der damaligen Kl, die (lediglich) eine geringfügige Beschäftigung ausgeübt hatte, wurde daher deren 59 Eintritt in das Erwerbsleben verneint, sodass ein Versicherungsfall iSd § 255 Abs 1 bis 4 ASVG nicht eingetreten sein konnte (Rz 6).
[29] 5.1 Die Selbstversicherung nach dem ASVG ist eine freiwillige Versicherung (§§ 16 ff ASVG). Die freiwillige Versicherung stellt eine Ergänzung zur Pflichtversicherung dar, um Lücken zu schließen oder das Leistungsausmaß zu erhöhen. Sie entsteht kraft Gesetzes durch den Beitritt eines dazu Berechtigten und bedarf keiner Annahme durch den Sozialversicherungsträger (Tomandl, Sozialrecht7 [2019] Rz 75). In der PV können sich alle Personen selbstversichern, die das 15. Lebensjahr vollendet haben und nicht in einer gesetzlichen PV pflicht- oder weiterversichert sind (§ 16a Abs 1 ASVG). § 19a ASVG ermöglicht unter den dort genannten Voraussetzungen die Selbstversicherung in der PV bei geringfügiger Beschäftigung. Die monatliche Beitragsgrundlage für die in der KV und PV gem § 19a ASVG Selbstversicherten ist der Betrag gem § 5 Abs 2 ASVG (§ 76b Abs 2 ASVG). Der Beitrag für Selbstversicherte in der KV und PV gem § 19a ASVG betrug gem § 77 Abs 2a ASVG beispielsweise für das Jahr 2022 monatlich 68,59 €, wovon auf die KV 27,3 % und auf die PV 72,7 % entfallen (vgl Art I § 2 Z 19 VO veränderliche Werte BGBl II 2021/590). Dieser sehr niedrige Beitrag ist die günstigste Möglichkeit, Beitragsmonate für die Wartezeit in der PV zu erwerben (Pfeil in SV-Komm [216. Lfg] § 19a ASVG Rz 2).
[30] 5.2 § 19a ASVG lautet idgF BGBl I 31/2007 auszugsweise (Hervorhebung durch den Senat):
„§ 19a (1) Personen, die von der Vollversicherung gemäß § 5 Abs 1 Z 2 oder Teilversicherung nach § 7 Z 4 ausgenommen und auch sonst weder in der Krankenversicherung noch in der Pensionsversicherung nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz pflichtversichert sind, können sich, solange sie ihren Wohnsitz im Inland haben, auf Antrag in der Kranken- und Pensionsversicherung selbstversichern. Die Pensionsversicherung nach § 8 Abs 1 Z 2 lit g dieses Bundesgesetzes [...] gilt nicht als Pflichtversicherung im Sinne des ersten Satzes. [...] Bezüglich der Gewährung von Leistungen sowohl nach diesem Bundesgesetz als auch nach dem Mutterschutzgesetz 1979 hat die Selbstversicherung in der Krankenversicherung die gleichen Rechtswirkungen wie eine Pflichtversicherung. Dies gilt auch hinsichtlich der Berechtigung zur Weiterversicherung in der Pensionsversicherung.“
[31] 5.3 Mit dem ASRÄG 1997, BGBl I 1997/139, wurde einerseits ab 1.1.1998 eine Pflichtversicherung bei mehrfach geringfügiger Beschäftigung geschaffen (für die bis dahin nur die Möglichkeit der Selbstversicherung in der KV und PV nach § 19a ASVG aF bestanden hatte), andererseits wurde für Menschen, die nur unter der Geringfügigkeitsgrenze beschäftigt sind, mit der Neufassung des § 19a ASVG eine Selbstversicherung in der KV und PV eingerichtet (Pöltner, Die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung, zuvo 2007/4, 4 [7]). Mit der 55. ASVG-Novelle, BGBl I 1998/138, wurde in § 19a Abs 1 ASVG die oben unterstrichen wiedergegebene Ergänzung angefügt, die die Subsidiarität der Selbstversicherung gegenüber der Pflichtversicherung normierte. In den Gesetzesmaterialien heißt es dazu (ErläutRV 1234 BlgNR 20. GP 29): „Durch Ergänzungen des § 19a Abs 1 ASVG soll normiert werden, dass die Selbstversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung bei geringfügiger Beschäftigung einer Pflichtversicherung in der Kranken- oder Pensionsversicherung subsidiär ist, dh sie tritt nur dann ein, wenn eine solche Pflichtversicherung nicht vorliegt. Damit soll einer missbräuchlichen Inanspruchnahme dieser Versicherungsvariante vorgebeugt werden.
“ Die freiwillige Versicherung steht der Pflichtversicherung daher nicht gleichrangig zur Seite, sofern nicht das Gesetz – wie etwa in § 19a Abs 1 Satz 2 ASVG – das an sich umfassende Prinzip der Subsidiarität durchbricht (Pfeil in SV-Komm [216. Lfg] § 19a ASVG Rz 5; 10 ObS 102/22f).
[32] 5.4.1 Nach der Rsp sind Beitragsmonate der freiwilligen Versicherung (hier: Zeiten einer Selbstversicherung bei geringfügiger Beschäftigung gem § 19a ASVG) zwar bei der Feststellung, ob ein Beruf überwiegend ausgeübt wurde, mitzuberücksichtigen, sie können aber nicht als Beitragsmonate gewertet werden, in denen eine (die Pflichtversicherung nach dem ASVG begründende) Tätigkeit ausgeübt wurde, und zwar gleichgültig, ob eine und allenfalls welche Tätigkeit in dieser Zeit tatsächlich ausgeübt wurde. Zeiten einer freiwilligen Versicherung können daher nicht als Zeiten einer Berufsausübung in einem erlernten oder angelernten Beruf gewertet werden, weil während einer freiwilligen Versicherung überhaupt kein versicherungspflichtiger Beruf ausgeübt wird; daran ändert auch eine geringfügige Beschäftigung im betreffenden Beruf nichts (10 ObS 418/02xSSV-NF 17/27 mwH; RS0085116 mwH; Pfeil in SV-Komm [216. Lfg] § 19a ASVG Rz 3).
[33] 5.4.2 In der E 10 ObS 133/09w SSV-NF 23/65 hatte der Kl in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag 85 Beitragsmonate nach dem ASVG erworben, und zwar 32 Beitragsmonate der Pflichtversicherung (31 Monate als Kfz-Mechaniker und ein Monat für eine Umschulung im Rahmen des AMFG) sowie 53 Beitragsmonate der freiwilligen Versicherung gem § 19a ASVG. Im Hinblick darauf war der Kl nicht in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag im von ihm erlernten Beruf als Kfz- Mechaniker tätig. Daran änderte der Umstand, dass der Kl während der Zeit der Selbstversicherung gem § 19a ASVG eine Beschäftigung als Reinigungskraft ausgeübt hat, nichts, weil es sich dabei um keine versicherungspflichtige Beschäftigung handelte. Der OGH führte weiter aus, dass der Erwerb weiterer Versicherungszeiten (auch durch Beitragsmonate der freiwilligen Versicherung) in der Regel dazu führe, dass die Versicherungsleistung überhaupt erst ermöglicht oder der Höhe nach verbessert wird. Der Kl habe erst durch den Erwerb der Beitragsmonate in der freiwilligen Versicherung die Wartezeit für die von ihm begehrte Invaliditätspension erfüllt. Für die von ihm begehrte Berücksichtigung der von ihm erworbenen freiwilligen Versicherungszeiten nur bei der Erfüllung 60 der Wartezeit, nicht jedoch bei der Frage der überwiegenden Ausübung einer erlernten Tätigkeit iSd § 255 Abs 2 letzter Satz ASVG (aF) biete das Gesetz jedoch keine Grundlage.
[34] 5.4.3 Auch zu § 255 Abs 2 ASVG idF des BBG 2011, BGBl I 2010/111, führte der OGH in der E 10 ObS 85/14v SSV-NF 28/49 aus, dass Zeiten einer freiwilligen Versicherung – daher auch Zeiten einer Selbstversicherung gem § 19a ASVG – bereits aufgrund des Gesetzeswortlauts nicht als Zeiten der Ausübung einer qualifizierten Tätigkeit zu berücksichtigen seien (Pkt 1.4; Födermayr in SV-Komm [252. Lfg] § 255 ASVG Rz 118). In dieser E wies der OGH zwar auf die Unterschiedlichkeit der Bestimmungen des § 255 Abs 2 und Abs 4 ASVG hin (Pkt 4.5), dies allerdings nur vor dem Hintergrund der vorrangig zu beurteilenden Rechtsfrage der Dauer eines Versicherungsmonats nach § 232 Abs 1 ASVG, die von der Frage der tatsächlichen Ausübung einer Tätigkeit iSd § 255 Abs 4 ASVG zu unterscheiden sei.
[35] 6.1 Der Revisionswerber bezieht sich mit seinem Standpunkt, es genüge, im Wege der Selbstversicherung gem § 19a ASVG in das Sozialversicherungssystem „integriert“ zu sein, erkennbar auf den die zitierten Entscheidungen 10 ObS 42/07k und 10 ObS 99/14b umfassenden Rechtssatz RS0122171 (s dazu oben Pkt 4.5).
[37] 6.3 Dem Argument des Revisionswerbers, dass § 255 Abs 4 ASVG – anders als § 255 Abs 2 Satz 2 ASVG („Pflichtversicherungsmonate“), § 255 Abs 3a Z 3 ASVG („Versicherungsmonate“, „Beitragsmonate“) oder § 255 Abs 7 ASVG („Beitragsmonate“) – lediglich von der Ausübung einer „Tätigkeit“ spricht, ist die bereits zitierte Rsp (insb 10 ObS 44/21z; 10 ObS 116/22i) entgegenzuhalten, wonach § 255 ASVG in seiner Gesamtheit das System des Zugangs zu einer Pensionsleistung aus der Verminderung der Arbeitsfähigkeit in Form von Ausbildungs- und altersabhängigen Konstellationen regelt. Der Gesetzgeber setzt auch im Anwendungsbereich des § 255 Abs 4 ASVG – wie in jenem des § 255 Abs 3 ASVG – das Vorliegen einer die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit als selbstverständlich voraus (10 ObS 44/21z Rz 30; in diesem Zusammenhang erkennbar auch zustimmend Panhölzl, Muss man erwerbstätig gewesen sein, um Anspruch auf eine Invaliditätspension zu haben? DRdA 2022, 305 [308]). Dies wird in Lehre und Schrifttum wie dargestellt bejaht und zeigt auch die oben dargestellte historische Entwicklung dieser Bestimmung. Eine Veranlassung, § 255 Abs 4 ASVG im hier gegebenen Zusammenhang anders als § 255 Abs 2 ASVG zu behandeln, besteht auch deshalb nicht, weil es sich bei beiden Bestimmungen um einen Berufsschutz handelt. Wäre tatsächlich lediglich die Ausübung einer „Tätigkeit“ iSd Argumentation des Revisionswerbers Voraussetzung für den Erwerb des besonderen Berufsschutzes nach § 255 Abs 4 ASVG, so genügte allein deren Ausübung in geringfügigem Umfang, weil der Abschluss einer Selbstversicherung gem § 19a ASVG ja freiwillig erfolgt. In einem solchen Fall fehlte jedoch jegliche Einbindung in das System der PV.
[38] 6.4 Auch im Anwendungsbereich des § 255 Abs 4 ASVG ist daher an der oben dargestellten Rsp zu § 255 Abs 2 ASVG festzuhalten, wonach Beitragsmonate der freiwilligen Versicherung (hier: der Selbstversicherung gem § 19a ASVG), die nicht die Pflichtversicherung nach dem ASVG begründen, nicht als Monate gewertet werden können, in denen die versicherte Person eine „Tätigkeit“ iSd § 255 Abs 4 Satz 1 ASVG ausgeübt hat.
[39] 7. Für den vorliegenden Fall folgt daraus, dass die vom Kl erworbenen Beitragsmonate der freiwilligen Versicherung zwischen dem 6.8.2015 und dem 31.12.2019 nicht nach § 255 Abs 4 Satz 1 ASVG zu berücksichtigen sind, weil der Kl in diesen Monaten keine eine Pflichtversicherung nach dem ASVG (GSVG, BSVG) begründende Tätigkeit ausübte. Der in diesem Zusammenhang behauptete Mangel des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
Bereits das OLG Wien hat (als bis 31.12.1986 zuständiges Höchstgericht in Leistungsstreitsachen) Zeiten der freiwilligen Versicherung bei der Feststellung, ob ein Beruf überwiegend ausgeübt wurde, nicht den Zeiten einer Berufsausübung in einem erlernten oder angelernten Beruf zugezählt, weil während einer freiwilligen Versicherung kein Beruf ausgeübt wird. Der OGH folgte dieser Rsp bereits in der in SSV-NF 3/17 veröffentlichten E, da – so die Begründung – § 255 (Abs 1 und 2) ASVG auf das „Tätigsein“ bzw das „Ausüben einer Tätigkeit“ abstelle. Der Gesetzgeber billige die privilegierende Wirkung des Berufsschutzes nur dann zu, wenn der Versicherte die erworbenen qualifizierten Kenntnisse und Fähigkeiten auch in der Praxis anwende. Zeiten der freiwilligen Versicherung seien daher zwar bei der Feststellung, ob ein Beruf überwiegend ausgeübt wurde, als Beitragszeiten mitzuberücksichtigen, sie seien jedoch nicht als „qualifizierte“ Zeiten anzurechnen (ebenso zum Tätigkeitsschutz OGH10 ObS 15/8961 SSV-NF 3/17 = SZ 62/13; OGH10 ObS 225/90 SSVNF 4/87 uva; RIS-Justiz RS0085116). Dies hat der OGH in der E 10 ObS 418/02x vom 4.3.2003 (und ebenso in OGH10 ObS 133/09w SSV-NF 23/65) bekräftigt. Zeiten der freiwilligen PV können den Berufsschutz daher zwar beseitigen (durch Überwiegen über die Zeiten der Pflichtversicherung), sie können ihn aber nicht herstellen.
Entlang der Darstellung der Geschichte des Tätigkeitsschutzes in den oben wiedergegebenen Rz 13 ff der OGH-E lässt sich übrigens der seitherige rapide Verfall der Qualität der Legistik gut nachvollziehen. Bei der Einführung des Tätigkeitsschutzes (§ 255 Abs 4 ASVG idF der 35. ASVGNovelle, BGBl 1980/585 – ursprünglich nur für Arbeiter) war das Verhältnis von Beitragsmonaten und Beschäftigungsmonaten noch klar geregelt. Mit dem SVÄG 2000, BGBl I 2000/43, kehrte man zwar wieder zum Tätigkeitsschutz alter Prägung in § 255 Abs 4 ASVG ab dem 57. Lebensjahr zurück, allerdings ist im Text nur mehr von Kalendermonaten der Tätigkeit die Rede und das Verhältnis zu den Beitragsmonaten wird nicht mehr erwähnt. ME ein legistischer Fehler, der durch die Art der Gesetzwerdung begünstigt wurde: der zugrundeliegende Initiativantrag (GP 21. IA 123/A – es gab keine RV) enthielt im wesentlichen nur Änderungen der Bestimmungen über die Entsendung der Versicherungsvertreter. Erst im Sozialausschuss (vgl 187 BlgNR 21. GP) erfolgte offenbar in größter Eile die Aufhebung des § 253d ASVG und die Änderung des § 255 Abs 4 ASVG (als Reaktion auf das „Buchner“-Erkenntnis des EuGH).
Was die sozialversicherungsrechtliche Qualität von Zeiten nach § 19a ASVG betrifft, so nimmt § 19a Abs 6 ASVG eine Gleichstellung für das Leistungsrecht (mit der Pflichtversicherung) nur hinsichtlich der KV und hinsichtlich der Berechtigung zur Weiterversicherung in der PV vor. Wörtlich und abschließend verstanden, würden Zeiten in der PV nicht einmal für die Anwartschaft zählen (vgl aber § 235 Abs 2 ASVG). Auch im Katalog der Beitragszeiten nach § 225 Abs 1 ASVG kommt die Selbstversicherung nach § 19a ASVG nicht vor. § 19a wird erst in § 225 Abs 5 ASVG erwähnt: Abweichend von Abs 1 Z 1 lit a (dort sind „Zeiten einer Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung“ gelistet) sind in jenen Fällen, in denen Beiträge für volle Kalendermonate gezahlt wurden (einschließlich der Pflichtversicherung mehrfacher geringfügig entlohnter Beschäftigungen), Zeiten der Pflichtversicherung in einem Kalendermonat als Beitragszeiten vom Beginn bis zum Ende dieses Kalendermonates im Ausmaß von 30 Tagen anzusehen (dh unabhängig vom Ausmaß der Beschäftigung in diesem Monat). Ganz am Ende kommt der erst mit dem 2. SVÄG 2003, BGBl 2003/145, ergänzte Satz: „Das Gleiche gilt für Zeiten der Selbstversicherung nach § 19a.
“ Diese Bestimmung besagt – auf einen einfachen Nenner gebracht –, dass bei geringfügigen Beschäftigungen für die Zählung als Beitragsmonate § 231 ASVG nicht anzuwenden ist, sondern dass Beschäftigungsmonate iSd § 19a unabhängig vom jeweiligen Ausmaß der Beschäftigung entsprechend der Beitragszahlungen stets als volle Beitragsmonate zählen. Und: Die Pflichtversicherung (Vollversicherung) von Personen in mehreren geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen (die vor Einführung dieser Pflichtversicherung durch das ASRÄG 1997 nur die Möglichkeit der Selbstversicherung nach § 19a ASVG hatten) ist mit der Selbstversicherung nach § 19a ASVG in diesem Punkt der Zählung der Beitragsmonate gleichgestellt. Damit wird durch § 255 Abs 5 letzter Satz ASVG spät aber doch angezeigt, dass auch Zeiten nach § 19a ASVG Beitragszeiten in der PV sind.
Die Anspruchsvoraussetzungen beim Tätigkeitsschutz iSd § 255 Abs 4 ASVG liegen seit dem 2. SVÄG 2003 zu der Definition der Beitragszeiten nach § 225 Abs 5 letzter Satz ASVG insofern quer, als es für den Tätigkeitsschutz gerade nicht auf die Zählung eines Monats als Beitragsmonat, sondern auf das Ausmaß der Beschäftigung ankommen soll, und zwar müssen nach Gesetzeswortlaut (und Rsp) in den letzten 180 Kalendermonaten mindestens 120 Kalendermonate der Beschäftigung vorliegen. Diese Monate werden also weder nach Maßgabe der Beitragszahlung iSd § 225 Abs 5 ASVG ermittelt noch nach § 231 ASVG (wonach bei inkompletten Versicherungsmonaten eine Zusammenrechnung von Tagen so lange vorgesehen ist, bis zwei Wochen der Versicherungspflicht in einem Monat erreicht sind und der letzte Monat der Hinzurechnungskette jedenfalls als Versicherungsmonat zählt).
Vielmehr wird für die Errechnung des Tätigkeitsschutzes nach § 255 Abs 4 die Bestimmung des § 133 Abs 2 GSVG sinngemäß (analog) angewendet, und zwar dessen letzter Satz: „Soweit nicht ganze Kalendermonate der Erwerbstätigkeit ...vorliegen, sind jeweils 30 Kalendertage zu einem Kalendermonat zusammenzufassen.
“ Es wird also – anders als nach § 231 ASVG – nicht auf zwei Wochen (= ein Beitragsmonat), sondern auf volle 30 Tage (= ein Beschäftigungsmonat) aufgefüllt (vgl zB Sonntag62 in Sonntag [Hrsg], ASVG Jakom § 255 Rz 151; OGH10 ObS 17/12s SSV-NF 26/18, siehe oben Entscheidungsbegründung Rz 23), anders gewendet: Die Summe der Tage der in Rede stehenden Beschäftigung wird durch 30 dividiert, um die Zahl der Monate dieser Beschäftigung zu ermitteln. Da nach § 225 Abs 5 ASVG „Zeiten der Pflichtversicherung in einem Kalendermonat als Beitragszeiten vom Beginn bis zum Ende dieses Kalendermonates im Ausmaß von 30 Tagen anzusehen
“ sind, führt also zwar jede Beschäftigungszeit nach § 19a ASVG zu einem Beitragsmonat, aber nicht jeder Beitragsmonat ist auch Beschäftigungsmonat.
Was Zeiten der Selbstversicherung nach § 19a ASVG anlangt, so unterscheiden sich diese zwar von der in der früheren Rsp zitierten freiwilligen Weiterversicherung dadurch, dass diese mit keiner Erwerbstätigkeit verknüpft war, während die Selbstversicherung an ein (teil-)versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis geknüpft ist. Die Ferne vom System der Altersversorgung ist also deutlich geringer als in den anderen Fällen.
Doch der Gesetzgeber nimmt diesen Zeiten das, was er durch die Qualifikation als volle Beitragszeiten durch § 225 Abs 5 letzter Satz ASVG gegeben hat, beim Tätigkeitsschutz durch das Abstellen auf volle Kalendermonate wieder weg. Das Ausmaß der Beschäftigungszeiten im Verhältnis zur Dauer des Kalendermonats wird bei geringfügig entlohnter Beschäftigung (Geringfügigkeitsgrenze 2023:€ 500,91) extrem gering sein (je nach Höhe des Entgelts zwischen 5 und 10 Beschäftigungstagen bzw zwischen 40 und 80 Stunden pro Monat). Bis im Rahmen einer geringfügigen selbstversicherten Beschäftigung ein Beschäftigungsmonat zustande kommt, werden wohl vier bis fünf Monate dieser Beschäftigung erforderlich sein, man wird so auf zweieinhalb bis drei Beschäftigungsmonate im Jahr kommen. Der in RS0122171 verewigte Rechtssatz, „wer nicht in das Sozialversicherungssystem integriert ist (etwa eine Hausfrau oder ein Hausmann), soll mit einer nicht versicherten Tätigkeit auch nicht in den Genuss des § 255 Abs 4 ASVG kommen, selbst wenn die gleiche Tätigkeit später in einem der Sozialversicherungspflicht unterliegenden Dienstverhältnis ausgeführt wird (als Haushälterin oder Haushälter)
“ ist daher von Zweck der Norm und vom Grundgedanken her durchaus auf geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse übertragbar, mag auch eine Selbstversicherung nach § 19a ASVG bestehen.
Bei Beschäftigungen, die knapp über der Geringfügigkeitsgrenze entlohnt werden, wird man im realen Arbeitsleben zwar naturgemäß kein wesentlich anderes Bild vorfinden, aber es liegt zweifellos im rechtspolitischen Spielraum des Gesetzgebers, bei Bagatellbeschäftigungen, die von einem typischen Arbeitsverhältnis besonders stark abweichen, irgendwo eine Grenze der Zugehörigkeit zum System der gesetzlichen Altersvorsorge zu ziehen. Und es liegt im Wesen jeder dieser Grenzziehungen, dass sich Beschäftigungsverhältnisse, deren Entlohnung knapp unter der Grenze liegt, von jenen, welche die Grenze knapp überschreiten, nur ganz geringfügig unterscheiden und die eine Seite dadurch begünstigen und die andere Seite benachteiligen. Solche Verwerfungen an der Grenzziehung treten aber geradezu zwangsläufig und unvermeidbar auf; sie ändern daher nichts an der Zulässigkeit und Sachlichkeit einer solchen Grenzziehung. Solche Verwerfungen treten überdies auch bei der Pflichtversicherung ein: Was die Chancen auf die Erlangung eines Tätigkeitsschutzes durch Beschäftigungsmonate im Ausmaß von 120 Kalendermonaten betrifft, werden Teilzeitbeschäftigungen – seien sie nun geringfügig entlohnt oder nicht – ganz allgemein wenig geeignet sein bzw eine untergeordnete Rolle spielen, zumal man selbst bei halbtägiger, vollversicherter Tätigkeit dafür schon 20 Jahre der Beschäftigung benötigen und damit den Zeitrahmen von 15 Kalenderjahren klar verfehlen würde. Die vorliegende E ist daher trotz der erkennbaren Mühsal bei der Bewältigung der bestehenden legistischen Defizite zu einem zutreffenden Ergebnis gelangt. 63