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Kostenerstattung für Behandlung mit Medikament im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation

CHRISTINASCHNITTLER (WIEN)
  1. Ein Anspruch auf Kostenerstattung für eine medikamentöse Behandlung scheidet nicht bloß deswegen aus, weil die Behandlung in einem (zeitlichen oder örtlichen) Zusammenhang mit einer (nicht von der gesetzlichen KV zu erstattenden) In-vitro-Fertilisation steht, es sei denn, mit der Behandlung wird kein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand beeinflusst.

  2. Das IVF-Fonds-Gesetz umfasst nur jene Kosten einer In-vitro-Fertilisation, die nicht als Krankenversicherungsleistung erstattungsfähig sind, weil kein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand vorliegt. Ein darüberhinausgehender Ausschluss eines Kostenersatzes für Behandlungen im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation kann daraus nicht geschlossen werden.

[1] Gegenstand des Verfahrens ist der von der Kl geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der Kosten einer Behandlung mit dem Medikament „Ig VENA“.

[2] Nach insgesamt vier fehlgeschlagenen Versuchen einer In-vitro-Fertilisation wurde der Kl Ig VENA verordnet.

[3] Ig VENA ist ein wissenschaftlich anerkanntes und regulatorisch gut positioniertes Präparat, das in Österreich zur Anwendung im Rahmen einer Substitutionsbehandlung bei primären Immunmangelkrankheiten mit eingeschränkter Antikörperproduktion sowie sekundären Immunmangelerkrankungen und zur Immunmodulation bei primärer Immunthrombozytopenie, Erkrankungen des peripheren Nervensystems sowie dem Kawasaki-Syndrom zugelassen ist. Diese Krankheiten liegen bei der Kl nicht vor. Es liegt keine Zulassung für [...] die Verbesserung von Fertilität und Schwangerschaftsverlauf vor.

[4] Bei der Kl lagen eine primäre Sterilität, eine latent humorale, isoliert das Mannose bindende Lectin (MBL) betreffende, primäre Immundefizienz sowie eine autoimmune Hyperthyreose vor, weiters hinsichtlich einer möglichen Schwangerschaft die Neigung zu habituellem Abort. Bei primärer Sterilität, wie bei der Kl vorgelegen, wurde zudem eine latente humorale primäre Immundefizienz Lectin betreffend festgestellt, aber auch eine erhöhte Anzahl von uterinen natürlichen Killerzellen. In der Literatur werden diese Auffälligkeiten mit wiederkehrendem Implantationsversagen assoziiert. Wissenschaftliche Studien liefern Hinweise, dass eine intravenöse Behandlung mit Ig VENA eine immunmodulierende Funktion hat und die Aktivität der uterinen natürlichen Killerzellen in der Gebärmutterschleimhaut abschwächt. Aufgrund dieser Erkenntnisse ist die Anwendung von Ig VENA bei rekurrentem Implantationsversagen und wiederholtem Abortusgeschehen eine seit Jahren gelebte Praxis in sehr vielen Fertilitätszentren national und international. Da die bisherige wissenschaftliche Datenlage jedoch kontroversiell ist, hat die systematische Anwendung von Ig VENA bei rekurrentem Implantationsversagen und wiederholtem Abortusgeschehen noch nicht Eingang in die Leitlinien zu deren Behandlung gefunden.

[5] Aufgrund der klinisch nur latent ausgeprägten (MBL-)Immundefizienz und der autoimmunen Hyperthyreose bestand bei der Kl keine Behandlungsnotwendigkeit.

[6] Aufgrund der immunologischen Abweichungen war bei der Kl trotz guter Eizellqualität eine Schwangerschaft allein mit In-vitro-Fertilisation nicht zu erzielen. Wegen der immunologischen Abweichungen war die bei der Kl konkret durchgeführte Behandlung mit Ig VENA aus medizinischer Sicht indiziert und gerechtfertigt. Diese Behandlung führte auch zu einer insgesamt erfolgreichen Schwangerschaft. Erfolgversprechende (zulässige) alternative Behandlungsmethoden bestanden keine.

[7] Sämtliche Behandlungen erfolgten nach dem positiven Schwangerschaftstest vom 10.1.2019.

[8] Mit Bescheid [...] lehnte die bekl Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) den Antrag der Kl [...] auf Erstattung der Kosten für die Behandlung mit dem Präparat Ig VENA [...] ab.

[9] Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrte die Kl die Erstattung des Kostenbetrags von insgesamt 5.448 €. Der Versicherungsfall der Krankheit liege vor, weil durch die Behandlung mit Ig VENA einer bei der Kl vorliegenden Antikörperstörung begegnet worden sei. Die Kriterien des § 133 ASVG für eine Kostenerstattung seien erfüllt, zumal die Behandlung alternativlos und auch erfolgreich gewesen sei.

[10] Die Bekl beantragte die Abweisung der Klage. Die Gabe von Ig VENA stelle hier bloß eine Vorbereitungs- und Begleitbehandlung zur In-vitro- Fertilisation dar; dies sei jedoch keine Krankenbehandlung. Zudem erfülle die Therapie mit Ig VENA aus medizinischer Sicht nicht die Vorgaben des § 133 ASVG [...].

[11] Das Erstgericht wies die Klage ab. Die In-vitro- Fertilisation sei keine Krankenbehandlung. Dies müsse umso mehr für die diese vorbereitenden und begleitenden Maßnahmen gelten. Die Leiden der Kl selbst seien zwar als Krankheit zu qualifizieren. Durch die Behandlung mit Ig VENA sei es aber zu keiner Besserung des Gesundheitszustands der Kl gekommen und sei keines der in § 133 Abs 2 Satz 2 ASVG genannten Ziele erreicht worden, weshalb streng genommen bereits die Behandlungsfähigkeit zu verneinen sei. Bejahe man hingegen die Behandlungsbedürftigkeit, lägen die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme in Bezug auf die gewählte Außenseitermethode nicht vor. Die letzte In-vitro-Fertilisation sei zwar erfolgreich gewesen; es stehe aber insb nicht fest, dass die Gabe von Ig VENA tatsächlich kausal für die Schwangerschaft gewesen sei oder ob sie die Zeit zum Behandlungserfolg verkürzt habe. 64

[12] Das Berufungsgericht sprach die Wirkungslosigkeit des Ersturteils im Umfang der abweislichen Entscheidung über das in der Berufungsverhandlung eingeschränkte Kostenerstattungsbegehren [...] aus und änderte das Ersturteil im Übrigen dahin ab, dass es die Bekl zur Erstattung der Kosten der Behandlung mit dem Medikament Ig VENA [...] verpflichtete.

[13] Es ging – zum Teil abweichend von den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen – vom eingangs wiedergegebenen Sachverhalt aus.

[14] Grund für die Behandlung mit Ig VENA sei nicht die bei der Kl vorgenommene In-vitro- Fertilisation als solche gewesen, sondern deren immunologische Abweichungen und damit ein regelwidriger Körperzustand. Sämtliche Behandlungen mit Ig VENA seien nach dem positiven Schwangerschaftstest durchgeführt worden und hätten daher zwangsläufig den Zweck gehabt, eine Abstoßung des Embryos infolge des regelwidrigen Körperzustands der Kl zu verhindern. Diese seien auch erfolgreich gewesen und hätten im Ergebnis zur Geburt eines (gesunden) Kindes geführt. Da eine erfolgversprechende alternative Behandlungsmethode nicht zur Verfügung gestanden und die grundsätzliche Wirtschaftlichkeit der Behandlung von der Bekl im gesamten Verfahren (zu Recht) nicht in Zweifel gezogen worden sei, lägen alle Voraussetzungen für eine Kostenerstattung dem Grunde nach vor. [...]

[15] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil eine aufgrund eines regelwidrigen Körperzustands erforderliche medikamentöse Behandlung im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation noch nicht Gegenstand höchstgerichtlicher Rsp gewesen sei.

[16] Dagegen richtet sich die Revision der Bekl mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Ersturteils.

[...]

[18] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

[19] 1.1. Als aktenwidrig sieht die Bekl die vom Berufungsgericht getroffene Feststellung an, dass sämtliche Behandlungen nach dem positiven Schwangerschaftstest vom 10.1.2019 erfolgten. [...] Dem angeführten Gutachten sei gerade nicht zu entnehmen, dass am 10.1.2019 bereits ein positiver Schwangerschaftstest bei der Kl [...] vorgelegen ist.

[...]

[20] 1.2. Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt nur dann vor, wenn der Akteninhalt in einem wesentlichen Punkt unrichtig wiedergegeben wird [...]. Abgesehen davon, dass – wie bei der Behandlung der Rechtsrüge zu zeigen sein wird (unten Pkt 2.3.3.) – für das vorliegende Verfahren nicht relevant ist, ob im Zeitpunkt der ersten Infusionsbehandlung bereits ein positiver Schwangerschaftstest vorlag [...], stützte das Berufungsgericht die als aktenwidrig bezeichnete Feststellung auf die Ausführungen des Sachverständigen im Gutachten [...]. Eine unrichtige Wiedergabe des Akteninhalts ist dabei nicht ersichtlich [...].

[22] 2.1. In der Rechtsrüge steht die Bekl auf dem Standpunkt, dass eine In-vitro-Fertilisation keine Krankenbehandlung iSd § 133 ASVG darstelle und [22] 2.1. In der Rechtsrüge steht die Bekl auf dem Standpunkt, dass eine In-vitro-Fertilisation keine Krankenbehandlung iSd § 133 ASVG darstelle und die vorliegende Behandlung eine Vorbereitungshandlung zur anschließenden In-vitro-Fertilisation gewesen sei. [...]

[23] 2.2.1. Voraussetzung für einen Anspruch aus der KV ist der Eintritt des Versicherungsfalls. Das ist im Versicherungsfall der Krankheit ihr Beginn; Krankheit definiert das Gesetz dabei als regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, der die Krankenbehandlung notwendig macht (§ 120 Z 1 ASVG), durch die wiederum nach § 133 Abs 2 ASVG die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden sollen. Eine notwendige Krankenbehandlung und damit eine Krankheit in sozialversicherungsrechtlichem Sinn ist nach der Rsp auch dann anzunehmen, wenn die Behandlung geeignet erscheint, eine Verschlechterung des Zustandsbildes hintanzuhalten (RS0106403). Eine notwendige Krankenbehandlung muss daher nicht die endgültige und vollständige Heilung des Patienten zum Ziel haben; es genügt vielmehr, wenn sie die Besserung des Leidens oder die Verhütung von Verschlimmerungen bezweckt (RS0106245 [T1]).

[24] 2.2.2. Ausgehend davon wurde in der (älteren) Rsp ein Kostenerstattungsanspruch für die Vornahme einer extrakorporalen Fertilisation (Invitro- Fertilisation) verneint: Der regelwidrige Körperzustand einer sterilen Frau bestehe nicht im Fehlen einer Schwangerschaft, sondern in der Unfähigkeit zur Empfängnis. Die Behandlung mit dem Zweck der Behebung des medizinischen Konzeptionshindernisses müsse grundsätzlich als Krankenbehandlung iSd Sozialversicherungsgesetze betrachtet werden, was freilich voraussetze, dass es mit begründeter Aussicht auf Erfolg iS einer Wiederherstellung der Konzeptions- bzw Zeugungsfähigkeit behandelbar sei. Der regelwidrige Körperzustand werde durch die In-vitro-Fertilisation aber nicht beeinflusst. Insb würde sich der Gesundheitszustand der Betroffenen – anders als bei der Behandlung eines Zuckerkranken mit Insulin, bei einer Dialysebehandlung bei Niereninsuffizienz, bei Anwendung von Brillen, orthopädischen Schuheinlagen oder Bruchbändern – auch ohne die außerkörperliche Befruchtung nicht verschlechtern (10 ObS 247/98s; 10 ObS 193/98z SSV-NF 12/153; vgl auch 10 ObS 115/98d SSV-NF 12/82 [Vorliegen psychischer Probleme infolge auf Zeugungsunfähigkeit des Gatten zurückgehender Kinderlosigkeit] und 10 ObS 2371/96s SSV-NF 11/2 [von der Betroffenen geltend gemachte Kosten für Fertilisationsmaßnahme als Behandlung des zeugungsunfähigen Mannes]).

[25] 2.2.3. Daraus kann aber – entgegen der von der Bekl in der Revision vertretenen Rechtsauffassung – nicht geschlossen werden, dass ein Anspruch auf Kostenerstattung bloß deswegen ausscheidet, weil eine Behandlung in einem (zeitlichen oder ursächlichen) Zusammenhang mit einer In-vitro-Fertilisation steht. Ein Kostenersatz ist in diesen Fällen vielmehr nur ausgeschlossen, soweit damit kein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand beeinflusst wird. 65

[26] 2.2.4. Daran ändert auch das IVF-Fonds-Gesetz nichts, das zwar (unter bestimmten Voraussetzungen) einen Anspruch auf Tragung (von 70 %) der Kosten einer In-vitro-Fertilisation durch den IVF-Fonds regelt. Dieser Anspruch soll erkennbar der Überbrückung einer Deckungslücke in der KV dienen, ging der Gesetzgeber doch davon aus, dass für eine In-vitro-Fertilisation kein Anspruch auf Kostenerstattung aus der KV bestehe (AB 2010 BlgNR 20. GP 2). Dabei legte er der Regelung allerdings die zitierte Rsp des OGH zugrunde, sodass daraus kein genereller, über diese Rsp hinausgehender Ausschluss eines Kostenersatzes abgeleitet werden kann. Vom IVF-Fonds-Gesetz sind vielmehr – entsprechend der zitierten Rsp nur jene Kosten einer In-vitro-Fertilisation erfasst, die nicht als Krankenversicherungsleistung erstattungsfähig sind, weil dadurch ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand nicht beeinflusst wird.

[27] 2.3. Die vorliegenden Behandlungen beeinflussten jedoch einen regelwidrigen Körperzustand der Kl.

[28] 2.3.1. Nach dem vom Berufungsgericht angenommenen Sachverhalt bestand bei der Kl (ua) eine immunologische Abweichung, aufgrund derer die Kl hinsichtlich einer möglichen Schwangerschaft die Neigung zu habituellem Abort aufwies. Dass (auch) dies ein regelwidriger Körperzustand ist, wird von der Bekl in der Revision zu Recht nicht in Frage gestellt.

[29] 2.3.2. Das Berufungsgericht ging auf Tatsachenebene weiters davon aus, dass sämtliche gegenständlichen Behandlungen den Zweck hatten, eine Abstoßung des Embryos infolge dieses regelwidrigen Körperzustands der Kl zu verhindern. Dies steht im Einklang mit der (weiteren) Feststellung, nach der bei der Kl eine erhöhte Anzahl von uterinen natürlichen Killerzellen festgestellt wurde, und der ebenso festgestellten Studienlage, wonach die Behandlung eine immunmodulierende Funktion hat und die Aktivität der uterinen natürlichen Killerzellen in der Gebärmutterschleimhaut abschwächt. Die Behandlung wirkte somit unmittelbar auf den regelwidrigen Körperzustand ein, indem sie die Auswirkungen der immunologischen Abweichungen der Kl milderte und der Neigung zum habituellen Abort entgegenwirkte. Die von der zitierten Rsp bei einer extrakorporalen Befruchtung vermisste Beeinflussung des regelwidrigen Körperzustands ist hier also zu bejahen. [...]

[30] 2.3.3. Entgegen der in der Revision vertretenen Rechtsauffassung kommt es dabei auch nicht darauf an, ob bei Beginn der Behandlung bzw bei der ersten Behandlung bereits ein positiver Schwangerschaftstest oder überhaupt eine Schwangerschaft vorlag, ist damit doch nicht gesagt, dass diese Behandlung nicht gleichermaßen dem Zweck dienen hätte können, einen späteren Abort zu verhindern. Tatsächlich erfolgte die erste Behandlung der Kl aber ohnedies – auch nach dem von der Bekl für die Begründung ihrer Rechtsansicht ins Treffen geführten Sachverständigengutachten – erst nach dem Embryotransfer. [...]

[31] 2.4. Die weitere Beurteilung des Berufungsgerichts, nach dem die vorliegende Behandlung einer zweckmäßigen Krankenbehandlung entsprochen habe und das Maß des Notwendigen nicht überschritten habe, weil eine zumutbare erfolgversprechende Behandlung nach wissenschaftlich anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst nicht zur Verfügung gestanden sei, während die hier vorliegende Außenseitermethode bei der Kl erfolgreich gewesen sei (vgl dazu RS0102470 [T6]), zieht die Bekl in der Revision nicht in Zweifel.

[32] 3.1. Die Bejahung des Anspruchs der Kl auf Erstattung der geltend gemachten und in ihrer Höhe unstrittigen Kosten durch das Berufungsgericht erfolgte somit frei von Rechtsirrtum. Der Revision war daher nicht Folge zu geben. [...]

ANMERKUNG
1.
Einleitung

Der OGH hatte sich (erstmals) mit der Frage nach einem Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem Krankenversicherungsträger (hier der bekl ÖGK) für eine medikamentöse Behandlung (mit dem Immunglobulin „Ig VENA“) im Rahmen einer Invitro- Fertilisation zu befassen. Das Medikament wurde der an primärer Sterilität leidenden Kl verabreicht, da diese aufgrund immunologischer Abweichungen (ua aufgrund einer erhöhten Anzahl an uterinen Killerzellen) eine Neigung zu einem habituellen Abort bei einer möglichen Schwangerschaft aufwies. Die Bekl lehnte den Antrag der Kl auf Kostenerstattung – nach Ansicht des Erstgerichts zu Recht – unter Berufung auf die Rsp zu In-vitro-Fertilisationen, wonach ein Kostenerstattungsanspruch stets verneint wird, ab. Es handle sich bei der Medikamentengabe um eine bloße Vorbereitungs- und Begleitbehandlung zur In-vitro-Fertilisation. Anders der OGH: Die Behandlung mit dem Medikament und die In-vitro-Fertilisation sind sozialversicherungsrechtlich getrennt voneinander zu beurteilen. Das Höchstgericht bejahte im Ergebnis den Anspruch auf Kostenerstattung für das Immunglobulin und bestätigte damit die Entscheidung des Berufungsgerichts.

2.
Versicherungsfall der Krankheit – sozialversicherungsrechtlicher Krankheitsbegriff

Ein Anspruch aus der gesetzlichen KV (hier auf Kostenerstattung; siehe 4.) setzt den Eintritt des Versicherungsfalls der Krankheit voraus. Mit diesem Stehsatz beginnt der OGH seine Ausführungen zur Rechtsrüge – und trifft damit den Kern der Sache. Der Versicherungsfall gilt gem § 120 Z 1 ASVG mit dem Beginn der Krankheit als eingetreten, die als ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der die Krankenbehandlung notwendig macht, zu verstehen ist. Für den sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriff sind damit zwei Kriterien erforderlich (RIS-Justiz RS0084692).

Eine Regelwidrigkeit des Körper- oder Geisteszustandes liegt vor, wenn aus Versichertensicht aufgrund störender Symptome das Bedürfnis nach ärzt 66

licher Behandlung besteht und aus Sicht des Arztes ärztliches Tätigwerden in Form von Diagnose und Behandlung erforderlich ist (OGH10 ObS 12/06x mit Verweis auf Schrammel, ZAS 1986, 145 [149]; Windisch-Graetz in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 120 ASVG Rz 4). Zu Recht bejahte der OGH bei der Kl einen regelwidrigen Körperzustand auch – dh neben jener der Sterilität – betreffend die Neigung zum habituellen Abort bei einer möglichen Schwangerschaft, die durch die immunologischen Abweichungen, ua aufgrund einer erhöhten Anzahl uteriner Killerzellen, bedingt ist. Bei der Kl lagen damit unterschiedliche regelwidrige Körperzustände vor.

Für die Behandlungsbedürftigkeit (notwendige Krankenbehandlung) sind die in § 133 Abs 2 Satz 2 ASVG festgelegten Ziele zu berücksichtigen, wonach durch die Krankenbehandlung die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden soll. Ein tatsächlicher Behandlungserfolg ist nicht maßgebend (OGH10 ObS 99/08v ZAS 2010, 87 [Firlei]); es reicht vielmehr, wenn die Regelwidrigkeit des Körper- oder Geisteszustandes „ohne ärztliche Hilfe nicht mit Aussicht auf Erfolg behoben, zumindest aber gebessert oder vor Verschlimmerung bewahrt werden kann oder wenn die ärztliche Behandlung erforderlich ist, um Schmerzen oder sonstige Beschwerden zu lindern oder um eine Verlängerung des Lebens zu erreichen“ (Windisch-Graetz in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 120 ASVG Rz 5 mwN). Es muss sich um einen (noch) einwirkungsfähigen bzw beeinflussbaren Körper- oder Geisteszustand handeln (Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 133 ASVG Rz 30). Demnach ist eine In-vitro-Fertilisation nach der stRsp nicht als geeignete Krankenbehandlung anzusehen, da der regelwidrige Körperzustand (die Sterilität) durch die Behandlung nicht beeinflusst wird und das Ziel der Behandlung nicht die Beseitigung der Sterilität, sondern die Geburt eines Kindes ist. Ein Kostenersatz seitens der gesetzlichen KV steht damit nicht zu (RIS-Justiz RS0111045). Unter gewissen Voraussetzungen besteht aber nach dem IVF-Fonds-Gesetz ein Anspruch gegenüber dem IVF-Fonds auf Tragung von 70 % der Kosten der In-vitro-Fertilisation für höchstens vier Versuche pro Paar (§ 4 IVF-Fonds-Gesetz). Der Krankenversicherungsträger ist an der Finanzierung des Fonds beteiligt (§ 3 Abs 1 Z 2 leg cit).

Laut OGH scheide eine Kostenerstattung für eine Behandlung (hier mit Ig VENA) aber nicht bloß deshalb aus, weil sie in einem zeitlichen oder ursächlichen Zusammenhang mit einer (nicht erstattungsfähigen) In-vitro-Fertilisation erfolge. Dies sei nur dann der Fall, wenn kein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand vorliege. Eine Regelwidrigkeit ist für die immunologisch bedingte Neigung zum habituellen Abort aber zu bejahen (siehe oben). Auch die Behandlungsbedürftigkeit ist gegeben: zu Recht führte der OGH aus, dass der regelwidrige Körperzustand durch die Gabe von Ig VENA – entgegen der Sterilität – sehr wohl beeinflusst werden kann (29); im konkreten Fall sogar, obgleich für die Behandlungsbedürftigkeit nicht erforderlich, mit dem Behandlungserfolg einer Abschwächung der Aktivität der uterinen Killerzellen und damit der tatsächlichen Verhinderung eines Abortes. Die Kosten sind damit vom Krankenversicherungsträger zu erstatten. Daran ändere auch das IVF-Fonds- Gesetz nichts. Der Fonds decke nur Kosten, die gerade nicht als Leistung der KV erstattungsfähig sind. Da der Gesetzgeber von der obgenannten Rsp ausging, wonach für In-vitro-Fertilisationen kein Kostenerstattungsanspruch besteht, könne daraus auch kein über diese Rsp hinausgehender Ausschluss eines Kostenersatzes abgeleitet werden (26).

3.
Getrennte Beurteilung und Zusammenhänge von Medikamentengabe und In-vitro- Fertilisation

Aus der höchstgerichtlichen Beurteilung geht nun hervor, dass die Behandlungsbedürftigkeit der regelwidrigen Körperzustände (Neigung zum habituellen Abort und Sterilität) getrennt zu beurteilen ist, wenngleich die eine Behandlung (mit Ig VENA) im zeitlichen sowie im ursächlichen Zusammenhang mit der anderen Behandlung (In-vitro-Fertilisation) erfolgt, und diese andere Behandlung den sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriff nicht erfüllt.

– Zum ursächlichen Zusammenhang: Laut wissenschaftlicher Studien (4) wird das Medikament Ig VENA sowohl bei wiederkehrendem Implantationsversagen als auch einem wiederholten Abortusgeschehen eingesetzt (zur Außenseitermethode siehe 4). Beides war bei der Kl aufgrund ihrer immunologischen Abweichungen gegeben. Ohne In-vitro-Fertilisation wäre das Medikament nicht zum Einsatz gekommen.

– Zum zeitlichen Zusammenhang: Die erste Behandlung der Kl mit Ig VENA erfolgte nach dem Embryotransfer auf Basis eines positiven Schwangerschaftstests (20). Die von der Bekl geltend gemachte Aktenwidrigkeit betreffend den Zeitpunkt des Behandlungsbeginns, der vor dem positiven Schwangerschaftstest liege, verneinte der OGH; dies sei aber ohnedies irrelevant. Es komme für die Kostenerstattung nämlich gar nicht darauf an, ob zu Beginn der Behandlung bzw bei der ersten Behandlung schon ein positiver Schwangerschaftstest oder überhaupt eine Schwangerschaft vorgelegen sei. Begründend zieht der OGH den Zweck der Behandlung heran. Dieser liege – so schon das Berufungsgericht – darin, eine Abstoßung des Embryos (durch die Abschwächung der Aktivität der uterinen Killerzellen) zu verhindern. Es sei nicht gesagt, dass die Behandlung (zu diesem früheren Zeitpunkt) nicht auch dem Zweck hätte dienen können, einen späteren Abort zu verhindern (30). Damit tendiert der OGH – obiter dictum – zu einer Kostentragung durch den Krankenversicherungsträger auch im Fall einer Behandlung schon vor Eintritt einer Schwangerschaft (siehe auch Noe, RdM-LS 2023/102, 156). Ob 67 die Regelwidrigkeit einer Neigung zum habituellen Abort bereits zu diesem Zeitpunkt ein einwirkungsfähiger bzw beeinflussbarer Körperzustand sein kann, für den die Behandlungsbedürftigkeit medizinisch geboten ist (Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 133 ASVG Rz 27, 31), obliegt letztlich aber der ärztlichen Beurteilung (etwa OGH10 ObS 145/03a

).

4.
Kostenerstattung für „Außenseitermethode“

In der gegenständlichen E wird die Behandlung mit Ig VENA im Rahmen der In-vitro-Fertilisation als „Außenseitermethode“ bezeichnet. Darunter werden grundsätzlich Behandlungsmethoden verstanden, die von der Wissenschaft nicht oder noch nicht anerkannt sind (Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 133 ASVG Rz 59). Nach der stRsp ist eine Kostenerstattung – in Ausnahmefällen – auch für Außenseitermethoden nicht ausgeschlossen (zB RIS-Justiz RS0104903).

Aus arzneimittelrechtlicher Sicht handelt es sich bei der Gabe von Ig VENA um einen „off-labeluse“, da für das Medikament keine Zulassung für die Verbesserung von Fertilität und Schwangerschaftsverlauf vorliegt, sondern nur für bestimmte andere Krankheiten (3). Ig VENA wird bei rekurrentem Implantationsversagen und wiederholtem Abortusgeschehen zwar als gelebte Praxis in vielen Fertilitätszentren (national und international) angewandt. Die wissenschaftliche Datenlage ist jedoch kontroversiell, weshalb die beschriebene Anwendung auch noch nicht Eingang in die Leitlinien zur Behandlung von rekurrentem Implantationsversagen und wiederholtem Abortusgeschehen gefunden hat (4). Vor diesem Hintergrund wird von einer Außenseitermethode auszugehen sein.

Auch bei Außenseitermethoden sind aber die in § 133 Abs 2 Satz 1 ASVG normierten Leistungsschranken einer ausreichenden, zweckmäßigen und notwendigen Krankenbehandlung (sinngemäß) zu beachten. Ausreichend und zweckmäßig sind sie demnach dann, wenn sie den Zielen des § 133 Abs 2 Satz 2 ASVG dienen (siehe 2) und nach Umfang und Qualität eine hinreichende Chance auf einen Heilungserfolg bieten. Notwendigkeit liegt vor, wenn die Behandlung zur Zweckerreichung unentbehrlich oder unvermeidbar ist (Schober in Sonntag [Hrsg], ASVG14 § 133 Rz 4 f , 13 ff; Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 133 ASVG Rz 50, 53 mwN). Da das Vorliegen dieser Voraussetzungen in der Revision nicht in Zweifel gezogen wurde, musste sich der OGH auch nicht näher damit befassen. Ausgehend von der medizinischen (wenn auch kontroversiellen) Datenlage ist bei der Behandlung mit Ig VENA aber wohl jedenfalls von einer hinreichenden Chance auf einen Heilungserfolg auszugehen, sodass sie als ausreichend und zweckmäßig angesehen werden kann – im konkreten Fall wurde sogar eine erfolgreiche Schwangerschaft erreicht. Notwendig war die Behandlung, weil keine alternativen erfolgversprechenden (und zugelassenen) Behandlungsmethoden zur Verfügung standen.

5.
Resümee

Mit der vorliegenden E wird zunächst (erneut) die Sichtweise des OGH in Bezug auf die Kostenerstattung für In-vitro-Fertilisationen vergegenwärtigt: Die Kosten sind nicht von der gesetzlichen KV zu tragen. Klargestellt wird aber, dass für Behandlungen, auch wenn sie im Rahmen einer Invitro- Fertilisation erfolgen, sehr wohl ein Anspruch auf Kostenerstattung gebühren kann, wenn ein eigenständiger regelwidriger und behandlungsbedürftiger Körper- oder Geisteszustand iSd § 120 Z 1 ASVG vorliegt. Dass diese Kosten daher auch nicht vom IVF-Fonds zu übernehmen sind, mit dem Deckungslücken in der KV überbrückt werden sollen, ist überzeugend. Interessant sind die Ausführungen zum zeitlichen Zusammenhang der Behandlung mit der In-vitro-Fertilisation. Der OGH bejaht einen Kostenerstattungsanspruch für das Medikament zur Verhinderung eines möglichen (späteren) Aborts offenbar auch schon für Behandlungen vor Eintritt einer Schwangerschaft. In solchen Fällen wird es aber darauf ankommen, ob aus medizinischer Sicht zu diesem Zeitpunkt schon ein einwirkungsfähiger regelwidriger Körperzustand vorliegt. 68