Die „Dienstbotenfrage“: Kämpfe um ein neues Recht
Die „Dienstbotenfrage“: Kämpfe um ein neues Recht
Die Dienstbotenfrage war um die Wende zum 20. Jahrhundert in bürgerlichen Kreisen in aller Munde. Über Jahre tauchten Beschwerden über die „Dienstbotennot“, also den Mangel an geeigneten Arbeitskräften im Haushalt, in Form von Leser*innenbriefen und Artikeln in bürgerlichen Zeitungen und Hausfrauenmagazinen auf. Darin klagten DG auch über den angeblichen Niedergang der Tugenden des Personals: Bedienstete seien oft untreu, unehrlich, gar liederlich und unfähig gewesen und hätten ihren Dienst vernachlässigt. Neu waren derlei Beschwerden nicht. Aber um die Wende zum 20. Jahrhundert zeigten sie nicht nur die Abwertung von Frauen unterer sozialer Schichten; sie waren ebenso Ausdruck der Veränderungen von Arbeit, die den häuslichen Dienst nach und nach erfassten. Außerdem zeugten sie von der Handlungsmacht der Hausbediensteten in Zeiten des Dienstbotinnenmangels, der bis in die Anfangsjahre der Ersten Republik andauerte.
Aus der Perspektive vieler DG ging es dabei um mehr als die Verteidigung der eigenen Interessen. Für sie stand der Familienfrieden und das Wohl der Hausbewohner*innen auf dem Spiel: „die Dienstbotenfrage“, so schrieb eine DG etwa in einem Leserinnenbrief, „ist aber ein Stück der socialen Frage auch [...] für die Hausfrau, welche nicht selten durch Untüchtigkeit und Pflichtvergessenheit ihrer Dienstleute an der Erfüllung ihrer wichtigsten Aufgabe, das häusliche Leben für alle Familienangehörigen behaglich und harmonisch auszugestalten, ernstlich gehindert wird
“.*
Gemäß der damaligen Vorstellungen von geschlechtsspezifischen Eigenschaften und Fähigkeiten und dem zumindest in bürgerlichen Kreisen bereits breit durchgesetzten Familienernährer- Hausfrau-Modell hatten Bedienstete vor allem mit weiblichen DG zu tun, während sich die meist männlichen Haushaltsvorstände der Haushaltsführung enthielten. Die Gruppe der häuslichen Dienstbot*innen war im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer weiblicher und proletarischer geworden. In Wien waren 1890 mehr als 94 % der Hausbediensteten Frauen; jede achte seiner Einwohnerinnen war im Dienst. 1900 betrug der Frauenanteil an den häuslichen Dienstbot*innen bereits 97 % – weiterhin mit steigender Tendenz. Zählten zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch ganz unterschiedliche Tätigkeiten zum Dienst im Haushalt dazu, waren es am Ende des Jahrhunderts vor allem jene, die wir heute mit „Dienstmädchen“ assoziieren: Hausarbeit, Pflege, die Beaufsichtigung der Kinder, Kochen, Handarbeiten oder die Betreuung von Gästen. Die meisten der Beschäftigten stammten aus ärmeren Haushalten in ländlichen Gegenden – um die Wende zum 20. Jahrhundert kamen die Wiener Dienstbotinnen vor allem aus Böhmen und Mähren, Ungarn, anderen Gegenden in Niederösterreich und Oberösterreich.*
Was den viel beklagten Personalmangel betraf, hatten die Beschwerden der DG eine reale Grundlage: Tatsächlich nahmen Ende des 19. Jahrhunderts weniger Frauen Dienststellen an als noch einige Jahre zuvor. Besonders stark sank die Zahl der Hausbediensteten in den 1880er-Jahren, nämlich in der westlichen Reichshälfte von 775.882 auf 456.277 Personen bzw um 41 %.* Frauen ergriffen zunehmend neue Erwerbsmöglichkeiten, die nach und nach in Industrie und Gewerbe, Handel und Büros entstanden und die ein größeres Maß an persönlicher Freiheit erlaubten. Über ungelernte Tätigkeiten als Hilfsarbeiterinnen und über Fabriklöhne, die um 30 %/40 % geringer als jene von Männern waren, kamen Arbeiterinnen allerdings kaum hinaus. Nicht nur wurden die Fähigkeiten und Fertigkeiten von Frauen selten als solche anerkannt, sondern sie hatten auch wenig Zugang zu Ausbildungsberufen.* Einen weiteren Rückgang der häuslich Bediensteten brachte der Erste Weltkrieg, als Frauen in großer Zahl die als Soldaten eingerückten Männer in allen Branchen ersetzten. *
Parallel dazu rissen die Beschwerden von Bauern, Bäuerinnen und Landwirten über die „Landflucht“ um die Wende zum 20. Jahrhundert nicht ab. Mit Dienstbot*innen waren ja nicht nur die mehrheitlich69
in Städten tätigen Hausbediensteten, sondern auch jene männlichen und weiblichen Arbeitskräfte* gemeint, die rund ums Jahr als „Hausgenossen“ auf Bauernhöfen lebten und mitarbeiteten. Angeblich massenhaft wanderten diese in die Industrie bzw in die Städte ab, um dort ihr Brot auf leichtere Weise zu verdienen. Zum Teil sahen sich Landgemeinden außerdem mit städtischen DG insb um weibliche Arbeitskräfte in Konkurrenz.*
Für viele der neu in der Stadt ankommenden Frauen aus armen Verhältnissen war der häusliche Dienst zunächst eine praktische Option, hatten sie doch mit dem Lebensunterhalt auch gleichzeitig eine Unterkunft im DG-Haushalt sicher. Häufig waren sie sehr jung: Auf die ersten Haushaltsposten mit ca 14 Jahren folgten bald Stellen in nächstgrößeren Städten, dann oft in Großstädten wie Wien. Aber die Bedingungen im Dienst waren hart und immer wieder von Konflikten, Herabsetzung oder den Bemühungen der DG um Distanzierung vom Personal geprägt.
Entsprechend blieben häusliche Dienstbotinnen selten lange auf ihren Posten. Laut einer Grazer Erhebung aus den Jahren 1898/99 machte sich mehr als ein Fünftel der erfassten Dienstmädchen bereits nach nicht einmal drei Wochen in einer Stelle wieder auf den Weg. Mehr als die Hälfte hielt es keine drei Monate dort aus.* Wenn häufige Stellenwechsel im Haushaltsdienst international auch der Normalfall waren, ist deren hohe Frequenz in dieser Studie dennoch bemerkenswert. Käthe Leichter, Leiterin des Frauenreferats der Wiener Arbeiterkammer, stellte dagegen in einer eigenen Erhebung fest, dass in den Jahren 1924- 1926 immerhin 36 % auf ein und demselben Posten verblieben waren.*
Fanden sie eine Stelle anderswo, die bessere Bedingungen versprach, verließen Hausbedienstete ihre DG, ohne lange darüber nachzudenken. Der viel beklagte Mangel an Treue und Verlässlichkeit des Personals rührte nicht zuletzt von den Bedingungen am Dienstplatz her. Nicht immer waren diese anderen Erwerbsmöglichkeiten tatsächlich vorteilhafter oder von Dauer. Aber Kündigungen – insb, wenn es an Arbeitskräften fehlte – waren eine Möglichkeit, Druck auf die DG auszuüben oder sich zumindest schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen zu entziehen. In ihrem Bemühen, sich unter prekären Bedingungen ihr Auskommen auf bestmögliche Weise zu erwirtschaften, wechselten viele zeitweilige Dienstbotinnen zwischen unterschiedlichen Posten in Haushalt, Landwirtschaft und Gewerbe hin und her.
In die Debatten um die Dienstbotenfrage mischte sich durchaus auch Kritik an den Bedingungen und vor allem an der rechtlichen Verfasstheit der Arbeitsverhältnisse im Haushalt. Sozialist*innen, liberale und christliche Sozialreformer*innen, Demokrat*innen und/oder DG verfassten Bücher oder beteiligten sich an Konferenzen und Enquêten, um zur Lösung der Frage beizutragen. Den häuslichen Dienst in seiner damaligen Form brandmarkten sie als inhuman und als Relikt aus feudaler Zeit. „Haussklavinnen“ war etwa die Bezeichnung, die die prominente sozialdemokratische Politikerin und spätere Nationalratsabgeordnete Adelheid Popp (1869-1939) 1912 in ihrer gleichnamigen Kampfschrift für die Stellung der Hausbediensteten fand.* Sie und andere, darunter auch (nach eigenem Ermessen) aufgeklärte DG, setzten sich für eine grundlegende Neuformulierung des Dienstbotenrechts sowie für eine Erweiterung der sozialen Rechte von Dienstbotinnen ein.
Bis in die Zwischenkriegszeit wurden Dienstverhältnisse sowohl im Haushalt als auch in der Landwirtschaft einerseits durch das ABGB von 1811, andererseits durch Dienstbotenordnungen geregelt, die jeweils auf Ebene der Kronländer bzw der Hauptstädte gültig waren. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges galten allein in der westlichen Reichshälfte noch 24 verschiedene Ordnungen nebeneinander. Sie alle schrieben die hausrechtliche Abhängigkeit der Dienstbot*innen von den (in der Regel männlichen) Haushaltsvorständen fest: Dienstbot*innen waren in diesem Sinne keine Arbeiter*innen, die ihre Arbeitskraft für eine bestimmte Zeit zur Verfügung stellten, sondern abhängige „Hausgenossen“ des DG, die sich für eine bestimmte Zeit in dessen Haus verdingten. Zwar gab es gewisse Schutzbestimmungen, aber grundsätzlich mussten Dienstbot*innen den DG während der Dauer des Dienstes unbegrenzt zur Verfügung stehen. Arbeits- und Freizeiten oder Urlaub waren nicht in den Dienstbotenordnungen festgelegt.* Erst die neuere Wiener Dienstordnung für das Hauspersonal, in Kraft 1912, legte einen mehrstündigen Ausgang alle zwei Wochen am Sonntag fest.*12)
Davon abgesehen war es Dienstbot*innen nicht gestattet, ohne Erlaubnis der DG das Haus zu verlassen oder sogar Besuch zu empfangen. Sie unterlagen den weitreichenden Erwartungen an ihr Verhalten, die in den Dienstbotenordnungen festgeschrieben waren. Demnach waren sie den DG allseits zu Gehorsam verpflichtet, hatten treu, fleißig, ehrlich und sittsam zu sein. Tratsch und Zank sollten sie meiden, stattdessen Maßregelungen und Strafen der DG mit Demut und Bescheidenheit 70 annehmen. DG hingegen hatten sogar ein Züchtigungsrecht, um die Bediensteten zu disziplinieren. Sie waren befugt, das Verhalten des Personals zu überwachen und auch dessen Habseligkeiten zu inspizieren, wenn es beliebte – Dienstbot*innen war es zur Sicherung der Kontrollmöglichkeiten sogar untersagt, Hab und Gut außerhalb des Hauses der Herrschaften aufzubewahren. Beide Seiten hatten die Möglichkeit zur Kündigung, aber DG standen nach den Dienstbotenordnungen deutlich mehr Gründe zu, das Dienstverhältnis fristlos zu beenden. Die zuständige Behörde für Streitigkeiten aus dem Dienstverhältnis war anstelle der ordentlichen oder der Gewerbegerichte bis in Zwischenkriegszeit die Polizei, die sich aber selten auf die Seite der Hausangestellten (oder auch der bäuerlichen Dienstbot*innen) stellte.*
Die Kritik an der Verfasstheit häuslicher Dienstverhältnisse erfasste 1910 auch das niederösterreichische Parlament. In der Debatte um eine neue Dienstbotenordnung für Wien, die die bereits seit einem Jahrhundert gültige ältere Wiener Dienstbotenordnung von 1810 ablösen sollte, betonten Abgeordnete aus dem gesamten politischen Spektrum die Notwendigkeit von Gesetzesänderungen. Der christlichsoziale Politiker Josef von Baechlé (1868-1933) etwa war Berichterstatter des Gemeinde- und Verfassungsausschusses, welcher den Gesetzesentwurf beraten hatte. Ihm zufolge fanden sich in Österreich, vom ABGB abgesehen, „noch eine Reihe anderer Gesetze aus der vorkonstitutionellen und patriarchalischen Ära, die wie eine Ruine in die moderne Zeit hineinragen. Zu diesen – ich möchte sagen Anachronismen unseres Privatrechtes – gehört auch die in Geltung stehende Wiener Gesindeordnung
“.*
Mit vielen seiner Nachredner war er sich darin einig, dass sich der Dienst im Haushalt immer mehr zu einem Arbeitsverhältnis entwickelt hatte, was sich nun auch gesetzlich niederschlagen sollte. Eine „moderne“ Rechtsauffassung sollte den „Patriarchalismus“ der alten Ordnung verdrängen. Es brauchte demnach eine Ausgestaltung der Dienstverhältnisse, „[...] welche in dem Dienstboten keinen Leibeigenen des Dienstgebers, sondern einen Arbeitnehmer erblickt, der sich von anderen Arbeitnehmern im wesentlichen nur durch die Hausgenossenschaft mit dem Arbeitgeber unterscheidet
“.*
Dieser kleine Unterschied war allerdings weitreichend, bot er doch gleichsam ein Argument, rechtliche Unterschiede zwischen Dienstbot*innen und anderen Arbeitskräften beizubehalten. Die Sozialdemokraten im Parlament hatten sich dagegen für eine Angleichung von Dienst- und Arbeitsverhältnissen und für eine Überführung der Dienste in die Gewerbeordnung ausgesprochen.* Die neue Dienstordnung für Wien, die letztlich 1912 in Kraft trat, brachte kaum wesentliche Veränderungen. Zu groß waren die Vorbehalte der konservativen parlamentarischen Vertreter, selbst in der Regel DG von Hausangestellten, deren Rechte auszuweiten und die Dienstverhältnisse im Haushalt anderen Arbeitsverhältnissen anzugleichen.
Möglich wurde ein grundlegend neues Arbeitsrecht für die Dienstverhältnisse im Haushalt erst zu Beginn der Ersten Republik. Nun hatten sich einerseits die politischen Kräfteverhältnisse verschoben: Vielen vormals davon ausgeschlossenen AN wurden in dieser Phase erstmals die Errungenschaften der Arbeiter*innenbewegung zuteil. Andererseits sollten Frauen ihre Arbeitsplätze in Industrie, Gewerbe, Handel und Büros zugunsten der männlichen Kriegsrückkehrer räumen und in den Haushalt „zurückgeführt“ werden, so dass ein attraktiverer Hausdienst notwendig schien.
Mit dem „Gesetz über den Dienstvertrag der Hausgehilfen (Hausgehilfengesetz)“ von 1920 erhielten Hausgehilfinnen beispielsweise erstmals einen Anspruch auf Ruhezeiten von neun Stunden in der Nacht und Pausen von zwei Stunden tagsüber zur Einnahme der Mahlzeiten zugesprochen. Hinzu kam eine geringe, aber festgelegte Freizeit, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Urlaub zumindest ab dem zweiten Beschäftigungsjahr.*17) Darüber hinaus wurden Hausgehilfinnen 1922 in die gesetzliche KV für Arbeiter*innen einbezogen. Allerdings blieben die neuen Regelungen inkonsequent. So erlaubten Ruhezeit und Pausen zusammengenommen etwa weiterhin eine tägliche Arbeitszeit von 13 Stunden, wohingegen für Arbeiter*innen und Angestellte bereits 1919 der Achtstundentag verabschiedet worden war.* Festgelegte Arbeitszeiten waren im Parlament am Widerstand der Christlichsozialen gescheitert. Ähnlich wie 1910 verwiesen sie auf das besondere Verhältnis zwischen DG und Personal und die Erfordernisse des Haushalts, die eine Regelung der Arbeitsverhältnisse wie im Gewerbebetrieb verunmöglichen würden. Hildegard Burjan, die auf christlichsozialer Seite das Gesetz angestoßen hatte, erklärte dort: „Wir dürfen doch nicht außeracht lassen, daß die Hausgehilfin in die häusliche Gemeinschaft aufgenommen wird, das Verhältnis zwischen Dienstgeber und Hausgehilfin wird immer ein Vertrauensverhältnis sein.
“*71
Diese Ambivalenz setzte sich bei anderen Bestimmungen und auch in der SV fort. So wurden Hausgehilfinnen ua von der 1920 eingeführten AlV ausgenommen. Zudem wurde das Hausgehilfengesetz mangels von Kontrollen nur äußerst unzureichend durchgesetzt.* Meilensteine waren die neuen arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Regelungen dennoch. Am Höhepunkt der Debatten um die Dienstbotenfrage 20 Jahre zuvor waren derlei weitreichende Gesetzesänderungen noch in weiter Ferne gewesen.
All diese Veränderungen waren aber nicht lediglich Resultat medialer oder politischer Debatten und Konflikte. Dienstbotinnen selbst brachten sich in die Auseinandersetzungen um die Dienstbotenfrage ein und setzten sich mitunter vehement gegen die vorgefundenen Arbeits- und Lebensbedingungen im Haushalt zur Wehr.*
Bereits im Revolutionsjahr 1848 hatten etwa 400 Dienstmädchen in Wien für eine Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen demonstriert.* Danach kam es erst in den 1890er-Jahren wieder zu größeren Protesten. Häuslich Bedienstete nahmen an der ersten Maidemonstration 1890 teil, für die Sozialdemokratinnen einen eigenen Frauenblock organisiert hatten, und sie waren auch bei Sitzungen des erst kürzlich ins Leben gerufenen sozialdemokratischen Arbeiterinnen-Bildungsvereins vertreten. Im Oktober 1893 beriefen Sozialdemokratinnen erste Dienstbotinnenversammlungen in Wien und den Kronländern ein, die sie in den Folgemonaten wiederholten. Ferner intervenierten sie in besonders berüchtigten Häusern und bei der Polizei für die Belange von häuslichen Dienstbotinnen. Nach anfänglichem Erfolg konnte allerdings das Geld für die Versammlungen bald nicht mehr aufgebracht werden. „[...] die Zeit war noch nicht reif“, resümierte Adelheid Popp später.* Bis zur Gründung einer eigenen sozialdemokratischen Interessenorganisation im Jahr 1911, des Vereins „Einigkeit“, sollten noch fast 20 Jahre vergehen.
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Die „Einigkeit“ knüpfte in ihren ersten Forderungen an den Protesten der 1890er-Jahre an; zum Teil hatten Dienstbot*innen aber bereits zur Jahrhundertmitte Ähnliches verlangt. Die Aktivistinnen strebten etwa eine reichseinheitliche Dienstbotenordnung, die Abschaffung einiger Momente des Sonderrechts für Dienstverhältnisse (etwa die Polizeigerichtsbarkeit) sowie die Einführung nächtlicher Ruhezeiten, eines freien Tages in der Woche, eine Kranken-, Unfall-, Invaliditäts- und Altersversicherung und Schutzbestimmungen gegen willkürliche Entlassungen von Dienstbotinnen an. Auf lange Sicht ging es der „Einigkeit“ um die Angleichung der Dienstverhältnisse an gewerblich-industrielle Lohnarbeit sowie die Integration von häuslich Bediensteten in die Arbeiter*innenbewegung. Gleichzeitig betonte die Organisation deren besondere Ausbeutung im fremden Haushalt, wo Dienstbotinnen den DG rund um die Uhr ausgeliefert seien, und propagierte eine Trennung von Arbeitsund Lebensmittelpunkt im häuslichen Dienst.
Im Jahr 1909, also sogar noch etwas früher als die „Einigkeit“, hatte sich als „christlicher Verband der weiblichen Hausbediensteten in Wien“ bereits eine katholische Organisation konstituiert.* Diese eröffnete in der Folge Filialen in anderen Kronländern; 1917 wurde der „Reichsverband der christlichen Hausgehilfinnen“ gegründet und in den 1920er- und 1930er-Jahren weiter ausgebaut. Die „Einigkeit“ war hingegen wesentlich auf Wien konzentriert. Zwar ähnelten sich viele Forderungen der beiden Organisationen auf den ersten Blick, aber im Gegensatz zur „Einigkeit“ strebte der katholische Reichsverband einen Interessenausgleich zwischen Hausgehilfinnen und DG an, um Klassenkampf und Arbeitskonflikte zu vermeiden. So setzte sich der Verband einerseits für die Verbesserung der Lebensund Arbeitsbedingungen von Hausbediensteten ein, appellierte andererseits aber an die Loyalität, das Verständnis und den Fleiß der Mitglieder. Hausgehilfinnen waren für diese Organisation sowohl Mitglieder des DG-Haushalts, in den sie sich einfügen und auf den sie Rücksicht nehmen mussten, als auch Arbeitskräfte mit verbrieften Rechten, Pflichten und Ansprüchen. Die Integration in den DG-Haushalt sahen die Funktionärinnen gleichsam als Schutz vor Stellen- und Obdachlosigkeit, Elend und einem Abgleiten in die Prostitution.
Beide Vereine boten ua Rechtsberatung, Stellenvermittlung, Fortbildungsunterricht, Unterkünfte für Stellensuchende und alte Hausbedienstete, der katholische Verband sogar Erholungsaufenthalte für rekonvaleszente Beschäftigte und (bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs) auch Krankenund Stellenlosenunterstützungen für Mitglieder an. Obwohl sie jeweils in der Zwischenkriegszeit an Mitgliedern gewannen und auch die einzigen Organisationen waren, die auf Seiten der Beschäftigten in Mindestlohnverhandlungen (für Wien und Linz) und Enquêten zur Regelung der Dienstverhältnisse im Haushalt einbezogen wurden, blieb ihr Einfluss insgesamt doch relativ gering. So verzeichnete die „Einigkeit“ in ihren besten Zeiten (1928) ca 4.700 Mitglieder, während beim Wiener „Verband der christlichen Hausgehilfinnen“ in seinem mitgliederstärksten Jahr (1920) knapp 5.300 Personen organisiert waren. Angesichts von 66.000 bis 70.000 Hausgehilfinnen zwischen 1920 und 1938 in Wien waren das nicht viele. Im Austrofaschismus, als sozialdemokratische Organisationen verboten worden waren, verblieb der „Reichsver- 72 band der christlichen Hausgehilfinnen“ als einzige Interessenvertretung mit lediglich knapp 4.500 Mitgliedern in Wien (1935).
Dabei war die Fluktuation der Mitglieder hoch; in manchen Jahren verzeichneten die Vereine eine ähnlich hohe Zahl der Austritte wie der Neueintritte. Die Isolation der Hausgehilfinnen, die insb nach dem Ersten Weltkrieg meist die einzigen Arbeitskräfte im Haushalt waren, war also keineswegs der einzige Grund für den geringen Organisationsgrad. Vielmehr legten einige Hausgehilfinnen ein pragmatisches Verhältnis zur Organisation an den Tag: Viele schienen die Angebote der Vereine wie Stellenvermittlung bei Bedarf zu nutzen – im Anschluss daran die Organisation aber wieder zu verlassen.
Die „Einigkeit“ und der „Reichsverband der christlichen Hausgehilfinnen“ appellierten immer wieder an die Hausgehilfinnen, sich den Organisationen anzuschließen und den Dienst mit der geballten Kraft des Kollektivs zu verändern. Aber obwohl sich dennoch nur wenige in die Vereine einbrachten, setzten sich Bedienstete zur Wehr – mal im Streit, mal still, aber nicht minder wirkungsvoll. Nicht umsonst fürchteten sich DG vor dem Tratsch der Dienstleute, die jeden Streit im Haus und jeden Spleen der DG täglich vor Augen hatten und potentiell in die Außenwelt tragen konnten. So weit das Kontrollbedürfnis der DG auch reichte, es war nie umfassend. Auch ihrer eigenen Abhängigkeit vom Gesinde wurden sich die DG immer wieder bewusst – insb, wenn das angeheuerte Personal den vereinbarten Dienst nicht antrat oder den Dienstplatz beispielsweise nach einem Streit Hals über Kopf verließ. Angesichts der oftmals dürftigen Bedingungen, die häusliche Dienstbotinnen in den Häusern vorfanden, war es mit der gewünschten Loyalität für die DG sogar während der wirtschaftlichen Krisen der Zwischenkriegszeit nicht weit her – lieber versuchten die Beschäftigten, ihren Lebensunterhalt auf bestmögliche Weise zu erwirtschaften. 73