Däubler/KittnerGeschichte und Zukunft der Betriebsverfassung

2. Auflage, mit einem Anhang zur Entwicklung in Österreich von Josef Cerny Bund-Verlag, Frankfurt am Main 2022 768 Seiten, gebunden, € 58,–

RUDOLF MOSLER (SALZBURG)

2. Auflage, mit einem Anhang zur Entwicklung in Österreich von Josef Cerny, Bund-Verlag, Frankfurt am Main 2022 768 Seiten, gebunden, € 58,–

Die erste Auflage dieses Monumentalwerks zur Betriebsverfassung wurde in DRdA 2020, 426 ff von Josef Cerny ausführlich gewürdigt. Kritisch merkte Cerny allerdings an, dass trotz der vielen Gemeinsamkeiten mit dem deutschen Betriebsverfassungsrecht auf das österreichische Pendant nur in einer einzigen Fußnote hingewiesen wird. Es werde nicht einmal erwähnt, dass das österreichische Betriebsrätegesetz 1919 weltweit das erste einschlägige Gesetz gewesen ist. Däubler/Kittner haben auf diese Kritik ungewöhnlich reagiert, indem sie Cerny für die zweite Auflage ins Boot geholt und ihn für einen über 70-seitigen „Anhang“ zur Entwicklung in Österreich gewonnen haben. Das war zweifellos eine kluge Entscheidung, weil es kaum jemanden gibt, der berufener wäre, die österreichische Betriebsverfassung von der Entstehungsgeschichte bis zu Zukunftsperspektiven darzustellen. Cerny erläutert nicht nur die Grundstrukturen und Besonderheiten der österreichischen Betriebsverfassung in einer Weise, dass sie auch für den deutschen Leser gut nachvollziehbar sind. Er geht auch auf das politische Umfeld ein und hebt zu Recht die spezifisch österreichische Ausprägung der Sozialpartnerschaft hervor (vgl auch die Besprechung von Schneller, SR 2023, 122 f ). Außer der Ergänzung zum österreichischen Recht wurde das Werk aktualisiert, insb das Betriebsrätemodernisierungsgesetz eingearbeitet und das Thema „Umwelt- und Klimaschutz“ angesprochen, sonst nicht wesentlich verändert. Ein Großteil des Buches (über 400 Seiten) beschäftigt sich mit der historischen Entwicklung der deutschen Betriebsverfassung, ca 140 Seiten betreffen das geltende BetrVG 1972, ca 80 Seiten Herausforderungen und Zukunftsperspektiven. Die Aufarbeitung erfolgt sehr umfassend, so wird etwa dem öffentlichen Dienst ein eigenes Kapitel gewidmet, aber auch der betrieblichen Interessenvertretung in der DDR. Besonders an dem Buch ist vor allem die Verknüpfung der Rechtsentwicklung mit der Schilderung der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen. Kittner (der für die Zeit bis 1945 hauptverantwortlich zeichnet) und Däubler (ab 1945) belassen es nicht bei der bloßen Faktendarstellung, sondern beziehen engagiert Stellung und bewerten die gesetzliche Entwicklung wie auch die Rsp. Die Ankündigung im Klappentext, das Buch integriere Rechtwissenschaft, Rechtsgeschichte und Lebenserfahrung, unterstützt durch Erkenntnisse der Betriebssoziologie, wird zweifellos erfüllt.

Beispielhaft kann auf § 37 „Das große Defizit: Betriebe ohne Betriebsrat“ hingewiesen werden. Nach einer Bestandsaufnahme (Ergebnis: 9 % aller erfassten Betriebe haben einen BR, ca 40 % der AN werden durch einen BR vertreten) werden die Schwierigkeiten der Betriebsratsgründung von erwartbaren Nachteilen über ungewisse Vorteile bis zum komplizierten Wahlverfahren ausführlich erläutert. Däubler sieht in manchen Betrieben auch die Zufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen und insgesamt gesamtgesellschaftliche Faktoren wie die zunehmende Individualisierung als Gründe dafür an, dass immer weniger AN von einem BR vertreten werden. Für Österreich besonders interessant ist der Hinweis, dass das Betriebsrätemodernisierungsgesetz einen Sonderkündigungsschutz für Personen geschaffen hat, die Vorbereitungshandlungen zur Errichtung eines BR vornehmen (§ 15 Abs 3a KSchG), zB Gespräche mit potenziell Interessierten führen. Ob das viel weiter geht als der Motivkündigungsschutz 75 nach § 105 Abs 3 lit c ArbVG ist fraglich, weil auch zu dieser Bestimmung vertreten wird, dass nicht nur die Einberufung der Betriebsversammlung zur Wahl des Wahlvorstandes zum Zweck der Errichtung eines BR dem Schutz unterliegen, sondern auch entsprechende Vorbereitungshandlungen (Gahleitner in Gahleitner/Mosler [Hrsg], Arbeitsverfassungsrecht 36 § 105 Rz 74). Freilich ist § 15 Abs 3a KSchG insofern weiter, als grundsätzlich alle Vorbereitungshandlungen erfasst sind, ein Bezug zum konkreten Beginn des Verfahrens ist nicht erforderlich. Die Absicht, einen BR zu errichten, muss jedoch in einer notariell beglaubigten Erklärung bescheinigt werden. Die Rechtsfolge ist ein dreimonatiger Ausschluss der Kündigung aus verhaltens- oder personenbedingten Gründen. Däubler kritisiert die Bestimmung als defizitär und fordert bei Vorbereitungshandlungen zur Errichtung eines BR, die Kündigung – wie bei den Mitgliedern des Wahlvorstands – von der Zustimmung des Arbeitsgerichts abhängig zu machen.

Im letzten Teil geht Däubler ua auf die Herausforderungen der Globalisierung und Digitalisierung näher ein. Die Positionen von Däubler sind aufgrund vieler Publikationen zum Thema bekannt und werden im Buch noch einmal prägnant zusammengefasst. Dass der betriebliche Umwelt- und Klimaschutz auch ein Thema für den BR ist, wird in einem eigenen Kapitel behandelt. Obwohl das BetrVG die Förderung des betrieblichen Umweltschutzes ausdrücklich erwähnt, scheinen die Mitwirkungsrechte des BR auch nicht weiter als im ArbVG zu gehen. Allerdings können nach der Rsp des BAG gesetzliche Mitwirkungsrechte sowohl durch BV als auch durch Tarifvertrag erweitert werden. Das ist in Österreich nach hA nicht möglich. Däubler weist aber auch darauf hin, dass das Thema in der betrieblichen Praxis noch wenig Rolle spielt.

Das Buch ist trotz seines Umfangs wirklich lesenswert, was nicht nur an seinem Inhalt liegt, sondern auch an der leserfreundlichen Aufbereitung. Es ist spannend, abwechslungsreich und verständlich geschrieben, das Lesen bereitet durchaus Vergnügen. Von den Autoren hat man freilich nichts anderes erwartet.