GreinerDie Massenkündigung nach § 45a AMFG

Linde Verlag, Wien 2023, 136 Seiten, kartoniert, € 38,–

KLAUSBACHHOFER (WIEN)

Das Recht des sogenannten „Kündigungsfrühwarnsystems“ des § 45a Arbeitsmarktförderungsgesetz (AMFG) basiert auf der „Massenentlassungsrichtlinie“ RL 98/59/EG. Der Autor Conrad Greiner, Universitätsassistent am Institut für Rechtswissenschaften der Universität Klagenfurt, scheute sich deswegen nicht, den eher despektierlichen Begriff der „Massenkündigung“ in den Titel seiner Veröffentlichung aufzunehmen. Bei dem Buch handelt es sich um die ausgeführte Masterarbeit, die der Autor noch am Institut für Österreichisches und Europäisches Arbeitsrecht und Sozialrecht der Wirtschaftsuniversität Wien verfasst hat. Es bietet eine umfassende dogmatische Untersuchung der wesentlichen Tatbestandsmerkmale einer „Massenkündigung“ iSd § 45a AMFG, die – wie eingangs angemerkt – auch unter der Bezeichnung „Kündigungs-Frühwarnsystem“ terminologisch erfasst wird. Die drei maßgeblichsten Tatbestände des § 45a AMFG – „Betrieb“, „Arbeitnehmer“ und „Auflösung“ – werden anhand der bestehenden Literatur und Judikatur und insb am Maßstab der „Massenentlassungsrichtlinie“ RL 98/59/EG unionsrechtlich umfassend beleuchtet.

Hinsichtlich des Betriebsbegriffs des § 45a AMFG kommt Greiner zum Ergebnis, dass dieser weiter als der Betriebsbegriff des § 34 ArbVG zu sehen ist. Insofern komme daher auch Filialen und Zweigniederlassungen, aber auch Baustellen mit einer Bestandsdauer von drei bis vier Monaten, Betriebsqualität zu. Insofern ruft der Autor sogleich Widerspruch hervor, als insb Baustellen von kurzfristiger Dauer wohl kaum dem Erfordernis der Regelmäßigkeit und Dauerhaftigkeit gerecht werden und eine Einbeziehung derselben Kündigungen einer insgesamt größeren Anzahl von AN ohne Schwellenwertüberschreitung möglich machte, als wenn sie in einem größeren Betriebsbegriff aufgingen.

Auch die Grenzen des AN-Begriffs des § 45a AMFG werden vom Autor in wesentlichen Aspekten weiter als von § 36 ArbVG gezogen. So spricht er sich für die Einbeziehung überlassener AN (im Verhältnis zum Beschäftiger), von AG-Vorstandsmitgliedern und GmbH-Geschäftsführern, freien DN und „echten Praktikanten“ in den AN-Begriff des § 45a AMFG aus. Im Falle der freien DN erfolgt dies durchaus entgegen einigen Stimmen in der Literatur, entspricht aber der (durch die Einbeziehung freier DN in das AlVG sich aufdrängenden) herrschenden Auffassung. Als Orientierungshilfe zur nach Meinung Greiners gebotenen Einzelfallbetrachtung biete sich die in § 4 Abs 4 ASVG vorgenomvorgenommene Abgrenzung zwischen „dienstnehmerähnlichen“ und „unternehmerischen“ freien DN an, wobei erstere schon, letztere jedoch nicht den AN-Begriff des § 45a AMFG erfüllen. Ob dies tatsächlich hilfreich ist, mag zu bezweifeln sein, zumal erst recht wieder ein interpretationsbedürftiges Begriffskriterium geschaffen wird.

Der Autor schlägt auch zur Ermittlung der maßgeblichen Betriebsgröße eine eigene Berechnungsmethode vor, derzufolge die Zahl der zum Auflösungszeitpunkt beschäftigten AN anhand einer Prognose der zukünftigen Einstellungen und eines Rückblicks auf die bisherige Personalentwicklung zu ergänzen ist. Auf diese Weise wäre den schwierig zu ermittelnden Erfordernissen der Regelmäßigkeit und der Dauerhaftigkeit in diesem Zusammenhang am ehesten Genüge getan.

Schließlich wendet sich die umfassende Untersuchung Greiners dem Begriff der „Auflösung“ gem § 45a AMFG zu. Diese umfasse neben den vom nationalen Gesetzgeber normierten Beendigungsarten jede vom AG aus betrieblichen oder wirtschaftlichen Gründen vorgenommene oder veranlasste Vertragsbeendigung. Im Rahmen eines beweglichen Systems spräche die arbeitsmarktpolitische Relevanz für eine positive Erfassung als relevante Beendigungsart, wobei eine Einbeziehung in den „Massenentlassungsschutz“ wiederum den AG in seinen Grundrechten nicht verletzen darf. Daraus folgert der Autor insb, dass personen- und verhaltensbedingte Kündigungen (worunter jene gem § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG zu verstehen wären) keine Auflösungen iSd § 45a AMFG sind. Dementsprechend wäre auch eine unberechtigte Entlassung nur dann eine Auflösung iSd § 45a AMFG, wenn sie – so der Autor – aus betrieblichen oder wirtschaftlichen Gründen vorgenommen wird. Dies irritiert insofern, als eine Entlassung regelmäßig ein persönliches Verhalten sanktioniert und nicht auf wirtschaftliche Anlässe reagiert. Dementsprechend könnte so gut wie keine (unberechtigte) Entlassung als relevante Beendigungsart wahrgenommen werden und einem missbräuchlichen Ausspruch zum Unterlaufen des Kündigungsschutzes wäre Tür und Tor geöffnet.

Mit der Proklamation, dass personen- und verhaltensbedingte Kündigungen überhaupt keine Auflösungen iSd § 45a AMFG seien, löst Greiner wohl den größten Widerspruch aus. Damit trifft er unter Berufung auf den Wortlaut der RL eine Unterscheidung, die vom österreichischen Gesetzgeber wohl bewusst nicht vorgenommen wurde und auch von der überwiegenden Ansicht in Literatur und Lehre nicht geteilt wird. Diese Auffassung würde in der Praxis eine Fülle von Problemen der Definition und Bestimmung konkreter „verhaltensbedingter Beendigungen“ nach sich ziehen und der Rechtssicherheit keinen guten Dienst erweisen. Überdies würde dadurch der arbeitsmarktpolitische Schutzgedanke verfehlt, da es für den dadurch belasteten Arbeitsmarkt unerheblich ist, aus welchem Motiv heraus eine Beendigung erfolgte. Warum in diesem Zusammenhang vom Autor auch das Grundrecht der Erwerbsfreiheit des AG argumentativ ins Spiel gebracht wird, erscheint ebenso fraglich, da eine gewisse Einschränkung der Erwerbsfreiheit jedem Kündigungsschutz, so insb auch der Massenentlassungs-RL, immanent ist.

Zum Abschluss wendet sich das Werk noch dem in der jüngeren Vergangenheit auch von der Judi 77 katur (OGH 29.4.2021, 9 ObA 33/21z und 9 ObA 41/21a) behandelten Problem der zeitlichen Streuung von Auflösungen zur Vermeidung des Erreichens der Schwellenwerte zu. Es wird die (in der Praxis nicht immer leicht zu übernehmende) oberstgerichtliche Wertung festgehalten, wonach eine Streuung immer der ursprünglichen Absicht des AG entsprechen muss, um eine Zusammenrechnung der einzelnen Auflösungen zu vermeiden. Erstrecken sich die Auflösungserklärungen des AG entgegen seiner ursprünglichen Absicht über einen längeren Zeitraum, unterfallen sämtliche Beendigungen dem Verfahren nach § 45a AMFG. Um festzustellen, ob bzw wann der AG die Vornahme einer Massenkündigung ursprünglich bzw erstmals beabsichtigt, wird auf die sogenannte „Manifestationstheorie“ des OGH referenziert, wonach auf Handlungen (wie zB die Unterbreitung einvernehmlicher Lösungen mit einem „Frühabschlussbonus“, vgl dazu OGH 25.4.2018, 9 ObA 119/17s) abzustellen ist, in denen sich die Absicht des AG, Arbeitsverhältnisse zu einem bestimmten Zeitpunkt aufzulösen, manifestiert.

Das ua mit Inhalts-, Abkürzungs-, Literatur-, Judikatur- und Stichwortverzeichnis beeindruckend klar strukturierte Buch, das sich Fragestellungen des Kündigungsfrühwarnsystems des § 45a AMFG dogmatisch aus mitunter zu „freizügiger“ unionsrechtlicher Perspektive der Massenentlassungs-RL nähert, besticht durch Übersichtlichkeit und bietet sowohl Wissenschaft wie auch der praktischen Rechtsanwendung Orientierung und Trittsicherheit in dem oft als „juristisches Minenfeld“ bezeichneten Rechtsgebiet.