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Unrichtigkeit der Wählerliste und Anfechtung der Betriebsratswahl

THOMAS MATHY (INNSBRUCK)
  1. Ein Mitglied des Wahlvorstandes ist zur Anfechtung der Betriebsratswahl legitimiert, wenn diesem das aktive Wahlrecht zur Betriebsratswahl zukommt. Diese Anfechtungsberechtigung besteht auch hinsichtlich solcher Verfahrensfehler, die der Wahlvorstand verursacht hat.

  2. Das Unterlassen eines Einspruchs gegen die Wählerliste führt weder zum Verlust der Legitimation zur Anfechtung der Betriebsratswahl (Anfechtungsberechtigung) noch steht es dem Aufgreifen dieses Fehlers als Wahlanfechtungsgrund entgegen.

[1] Am 18.10.2021 wurde die Gruppenversammlung des wissenschaftlichen Personals der P* Universität * zur Wahl des Wahlvorstands für die Wahl des BR für das wissenschaftliche Personal abgehalten. Aufgrund eines von der Personalabteilung am 20.10.2021 übermittelten Verzeichnisses mit 2003 AN erstellte der Wahlvorstand eine 1982 Personen umfassende Wählerliste. Dagegen wurden keine Einsprüche erhoben.

[2] In diesem Wählerverzeichnis waren 141 Personen, vor allem Tutoren und Lektoren, nicht enthalten, deren Arbeitsverträge rückwirkend zum 1. bzw 15.10.2021 abgeschlossen wurden. Darüber hinaus fehlten im Wählerverzeichnis 19 Personen, die am Tag der Gruppenversammlung bereits für die Universität tätig waren, wovon zwei aber noch nachträglich in die Wählerliste aufgenommen wurden. Bei der Wahl des BR für das wissenschaftliche Personal am 24. und 25.11.2021 wurden 509 gültige Stimmen abgegeben, wovon 336 auf die erste 51 Liste und 173 auf die zweite Liste entfielen, was elf bzw fünf Mandaten im BR entspricht.

[3] Die Vorinstanzen haben die Wahl für ungültig erklärt, weil zumindest 17 für die Universität [sic] wahlberechtigte AN nicht in das Wählerverzeichnis aufgenommen worden seien, obwohl sich dadurch die Mandatsverteilung im BR verändern hätte können.

[4] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Bekl ist mangels einer im konkreten Fall zu lösenden Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.

[5] 1. Nach § 59 Abs 1 ArbVG sind die einzelnen Wahlberechtigten berechtigt, die Wahl des BR beim Gericht anzufechten. Der Revisionswerber macht geltend, dass die Kl als Mitglied des Wahlvorstands dennoch nicht aktiv anfechtungslegitimiert sei, weil sie die Wählerliste nicht überprüft habe und den Fehler daher selbst verantworte. Dem Gesetz ist eine solche Einschränkung der Anfechtungsbefugnis nicht zu entnehmen. Dementsprechend ist auch allgemein anerkannt, dass auch Mitglieder des Wahlvorstands anfechtungsberechtigt sind (Schneller in Gahleitner/Mosler2 § 59 ArbVG Rz 18; Jabornegg/Naderhirn/Trost, Die Betriebsratswahl6 [2014] 215). Da das Gesetz hier selbst eine klare und eindeutige Regelung trifft, liegt trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rsp des OGH keine erhebliche Rechtsfrage vor (RIS-Justiz RS0042656).

[6] 2. Der VwGH hat in einer älteren E noch zum BRG die Auffassung vertreten, dass eine Person, die in der Wählerliste nicht aufscheint und dagegen keine Einwendungen erhoben hat, nicht wahlberechtigt und damit auch nicht anfechtungsberechtigt sei (VwGH1704/64 Arb 8.193 = ZAS 1967/4 [Floretta]). Der OGH hat diese Rechtsansicht aber bereits zu 9 ObA 22/91 mit umfassender Begründung verworfen und ausgesprochen, dass das Unterlassen eines Einspruchs das Recht zur Anfechtung der Betriebsratswahl nicht ausschließt. Diese Rechtsansicht wurde vom OGH zu 9 ObA 121/05t bestätigt und von der Lehre gebilligt (Geppert,

; Windisch-Graetz in Tomandl, § 59 ArbVG Rz 12; Löschnigg in Jabornegg/Resch, § 59 ArbVG Rz 21; Kallab in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 55 ArbVG Rz 18 ua). Da der Revisionswerber keine Argumente bringt, die ein Abgehen von dieser Rsp rechtfertigen könnten, liegt auch insoweit keine erhebliche Rechtsfrage vor (RS0042405; RS0103384).

[7] 3. Nach § 59 Abs 1 ArbVG setzt eine Anfechtung der Betriebsratswahl voraus, dass durch die Verletzung wesentlicher Bestimmungen des Wahlverfahrens oder leitender Grundsätze des Wahlrechts das Wahlergebnis beeinflusst werden konnte. Nach stRsp des OGH kann eine solche Verletzung wesentlicher Bestimmungen des Wahlverfahrens insb darin gelegen sein, dass wahlberechtigte Personen nicht in die Wählerliste aufgenommen wurden (9 ObA 22/91; 9 ObA 121/05t; 9 ObA 154/21v). Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, wonach die Unvollständigkeit der Wählerliste an sich geeignet war, die dort nicht angeführten AN von einer Wahlbeteiligung abzuhalten, ist damit von der bisherigen Rsp des OGH gedeckt. Der Revisionswerber kann sich auch nicht darauf berufen, dass sich die betroffenen AN auch dann nicht an der Wahl beteiligt hätten, wenn sie in die Wählerliste aufgenommen worden wären, weil nach der Rsp schon die objektive Eignung des Fehlers, das Wahlergebnis zu beeinflussen, ausreicht (RS0113481).

[8] 4. Die vom Revisionswerber relevierte Frage, ob die rückwirkende Begründung eines Arbeitsverhältnisses zur Wahlberechtigung führen kann, muss im vorliegenden Fall nicht beantwortet werden, weil schon die Beteiligung jener 17 Personen, die am Tag der Gruppenversammlung bereits für die Universität tätig und damit wahlberechtigt waren, aber nicht in die Wählerliste aufgenommen wurden, zu einer Veränderung der Mandatsverteilung führen hätte können.

[9] 5. Die außerordentliche Revision war daher [...] zurückzuweisen.

ANMERKUNG
1.
Einleitung

Die vorliegende E betrifft eine Betriebsratswahl an einer österreichischen Universität (zu den dabei vorgesehenen Modifikationen der allgemeinen Regeln vgl Pfeil in Pfeil/Grimm/Schöberl [Hrsg], Personalrecht der Universitäten [2021] § 135 UG Rz 6 ff) und veranschaulicht die Schwierigkeiten, welche bei der Ermittlung des Kreises der wahlberechtigten AN auftreten können: Zur Ausübung des aktiven Wahlrechtes bei der Betriebsratswahl genügt es nämlich nicht, bloß die materiellen Voraussetzungen des § 52 ArbVG zu erfüllen. Vielmehr muss die Wahlberechtigung auch formell festgestellt werden. Dies erfolgt durch Aufnahme der wahlberechtigten AN in die vom Wahlvorstand zu erstellende Wählerliste (Löschnigg in Jabornegg/Resch [Hrsg], ArbVG [44. Lfg, 2017] § 55 Rz 4; Schneller in Gahleitner/Mosler [Hrsg], ArbVR II6 [2020] § 55 Rz 16). Um die Erfüllung dieser Aufgabe zu ermöglichen bzw zu erleichtern, wird dem Betriebsinhaber (BI) die strafbewehrte (§ 160 ArbVG) Pflicht auferlegt, dem Wahlvorstand ein Verzeichnis aller AN zur Verfügung zu stellen, die am Tag der Betriebsversammlung zur Wahl des Wahlvorstandes (Stichtag) im Betrieb beschäftigt sind (§ 55 Abs 3 ArbVG iVm §§ 14 f BRWO).

Im vorliegenden Fall kann man sich freilich nur schwer des Eindrucks erwehren, dass der BI bei der Erstellung des AN-Verzeichnisses keine gesicherte Kenntnis davon hatte, welche bzw wie viele AN iSd § 36 ArbVG am Stichtag im Betrieb beschäftigt waren. Die rückwirkende Begründung von Arbeitsverhältnissen, auf die der OGH mangels Entscheidungsrelevanz nicht mehr eingegangen ist (dazu Mazal, ecolex 2023/383, 607 [608]), nährt bei lebensnaher Betrachtung die Vermutung, dass zumindest ein Teil dieser AN seine Tätigkeit bereits zu Semesterbeginn aufgenommen hat und damit am Stichtag freiwillig und in persönlicher Abhängigkeit für die Universität tätig war. In Anbetracht dessen war es nahezu unvermeidbar, dass die Mängel des AN-Verzeichnisses auch zur Unrichtigkeit der Wählerliste führen. Dies ist freilich nicht 52 ohne Konsequenz für die Anfechtung der Betriebsratswahl: Die Unrichtigkeit der Wählerliste stellt nämlich einen wesentlichen Verfahrensfehler iSd § 59 Abs 1 ArbVG dar (OGH9 ObA 121/05tDRdA 2007, 473 [Löschnigg]). Ein solcher führt zwar nur dann zur Aufhebung der Betriebsratswahl, wenn durch diesen „das Wahlergebnis beeinflußt werden konnte“. Dabei kommt es allerdings bloß auf die objektive Eignung des Fehlers an, das Wahlergebnis zu beeinflussen (Löschnigg in Jabornegg/Resch, ArbVG [44. Lfg] § 59 Rz 14 f ). Diese ist insb dann anzunehmen, wenn eine wahlwerbende Gruppe ein Mandat „nur knapp verfehlt“ hat (EA Klagenfurt Re 87/86 Arb 10.598). An der Eignung zur Beeinflussung des Wahlergebnisses lässt sich in Bezug auf die streitgegenständliche Betriebsratswahl nicht zweifeln: Zumindest 17 Wahlberechtigte waren wegen der unberechtigten Nichtaufnahme in die Wählerliste an der Ausübung ihres Wahlrechtes gehindert. Die Mandatsverteilung hätte sich aber bereits dann geändert, wenn nur elf Stimmen mehr auf die zweite Liste entfallen wären.

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass der bekl BR die Anfechtungslegitimation der Kl mit dem Argument in Zweifel zog, dass sie als Mitglied des Wahlvorstandes die Unrichtigkeit der Wählerliste, auf die sie sich als Anfechtungsgrund stützte, (mit-) verursacht habe. Der OGH ist dieser Argumentation zu Recht nicht gefolgt: Eine derartige Einschränkung der Anfechtungsberechtigung lässt sich weder dem ArbVG noch der BRWO entnehmen. Nicht nur, dass das Betriebsverfassungsrecht die Legitimation zur Anfechtung der Betriebsratswahl wegen der Verletzung wesentlicher Bestimmungen des Wahlverfahrens jedem zur Betriebsratswahl aktiv Wahlberechtigten (vgl § 52 ArbVG) bzw jeder wahlwerbenden Gruppe zuweist (§ 59 Abs 1 ArbVG). Vielmehr wird sowohl in der Judikatur (OLG Wien 9 Ra 95/14b ARD 6459/10/2015; EA Linz Re 126/85 Arb 10.515) als auch im Schrifttum (Floretta in Floretta/Strasser [Hrsg], ArbVG-HK [1975] 340; Löschnigg in Jabornegg/Resch, ArbVG § 59 Rz 4) darauf hingewiesen, dass es für die Anfechtung der Betriebsratswahl irrelevant ist, ob bzw von wem ein etwaiger Verfahrensfehler verschuldet wurde. Umso weniger vermag daher ein bloß (mit-)verursachter Mangel der Betriebsratswahl, die Anfechtungsberechtigung auszuschließen.

Anders als die Ausführungen zur Anfechtungslegitimation der Mitglieder des Wahlvorstandes (Rz 5) erschließen sich jene zu den Auswirkungen, welche der unterbliebene Einspruch gegen die Wählerliste auf die Anfechtung der Betriebsratswahl nach sich zieht (Rz 6), nicht auf Anhieb. Erst aus dem Kontext der gesamten E bzw manchen der zitierten Quellen ergibt sich, dass sich diese nicht bloß auf das Bestehen der Anfechtungslegitimation, sondern auch auf die Geltendmachung der Unrichtigkeit der Wählerliste als Anfechtungsgrund beziehen. Damit hält der OGH an seiner Auffassung fest, dass der unterbliebene Einspruch gegen die Wählerliste weder zum Verlust der Legitimation zur Anfechtung der Betriebsratswahl (Anfechtungsberechtigung) führt, noch dem Aufgreifen dieses Fehlers als Wahlanfechtungsgrund entgegensteht. In Bezug auf die Anfechtungslegitimation genügt es, auf ein massives Rechtsschutzdefizit zu verweisen, das aus der gegenteiligen Auffassung resultieren würde: Die zu Unrecht nicht in die Wählerliste aufgenommenen Wahlberechtigten wären, selbst wenn sie dagegen erfolglos mittels Einspruchs vorgegangen wären, nicht in der Lage, die Entscheidung eines unabhängigen Gerichtes herbeizuführen (Floretta, EAnm zu VwGH 1704/64 ZAS 1967, 18 [19 f ]). Es ist daher mittlerweile unbestritten, dass sich die Anfechtungslegitimation allein nach den Kriterien des § 52 ArbVG richtet. Daher kann die fälschliche Nichtaufnahme in die Wählerliste die Anfechtungslegitimation ebenso wenig ausschließen, wie die unrichtige Aufnahme in die Wählerliste die Anfechtungslegitimation zu begründen vermag.

Im Gegensatz dazu stellt sich die Rechtslage in Bezug auf die Geltendmachung der Unrichtigkeit der Wählerliste als Wahlanfechtungsgrund weniger eindeutig dar. Diese soll daher im Folgenden einer näheren Analyse unterzogen werden.

2.
Einspruch gegen die Wählerliste

Während die Entscheidungen des Wahlvorstandes im Allgemeinen nur durch Anfechtung der gesamten Betriebsratswahl bekämpft werden können (§ 12 Abs 4 BRWO), sieht das Betriebsverfassungsrecht hinsichtlich der vom Wahlvorstand zu erstellenden Wählerliste ein der Betriebsratswahl vorgeschaltetes Kontrollverfahren vor (§ 55 Abs 2 ArbVG iVm § 15 BRWO): Die Wählerliste ist gleichzeitig mit dem Anschlag der Wahlkundmachung für alle wahlberechtigten AN zur Einsicht aufzulegen, die binnen einer Woche wegen Unrichtigkeit der Wählerliste (Aufnahme von Nichtwahlberechtigten bzw Nichtaufnahme von Wahlberechtigten) Einspruch erheben können (§ 15 Abs 3 S 1 BRWO). Im Falle eines zeitgerecht eingebrachten sowie begründeten Einspruchs hat der Wahlvorstand die Wählerliste zu berichtigen (§ 15 Abs 4 S 1 BRWO), wohingegen verspätete Einwendungen nicht zu berücksichtigen sind (§ 15 Abs 3 S 2 BRWO). Abweichend davon dürfen „offensichtliche Irrtümer“ aber noch bis zum Wahltag berichtigt werden (§ 15 Abs 4 S 2 BRWO).

Obwohl die gegenwärtigen Regelungen zur Erstellung der Wählerliste und zur Erhebung von Einsprüchen gegen diese nahezu unverändert die einschlägigen Bestimmungen unter Geltung des BRG 1947 (vgl § 9 Abs 4 BRG 1947 iVm § 11 f BRWO 1947) bzw des BRG 1919 (vgl § 7 BRWO 1919 bzw § 7 BRWO 1928) fortschreiben, zeigt sich ein markanter Wandel hinsichtlich der Rechtsfolgen, welche sich nach hA an das Unterbleiben des Einspruchs gegen die Wählerliste knüpfen: Sowohl in der Judikatur (EA Graz 8.10.1919 Arb 2939, zitiert nach Lederer/Suchanek, Arbeitsrecht und Arbeiterschutz3 [1932] 716; EA Klagenfurt Re 4/56 Arb 6417; noch weiter VwGH1704/64 ZAS 1967, 18 [insoweit abl Floretta]: keine Anfechtungslegitimation) als auch im Schrifttum (Floretta/Strasser, BRG [1961] 126; dies, BRG2 [1973] 138 f ; Floretta, ZAS 1967, 20 f ) etablierte sich früh die Auffassung, dass die Unrichtigkeit der Wählerliste nicht als Anfechtungsgrund zu berücksichtigen sei, wenn diese 53 nicht bereits durch fristgerechten Einspruch beim Wahlvorstand releviert wurde, und blieb lange Zeit herrschend (Floretta in Floretta/Strasser, ArbVGHK 322; Cerny, ArbVG8 [1987] § 59 Anm 4; EA Graz Re 10/75 Arb 9327). Die gegenteilige Ansicht vermochte sich erst durchzusetzen, nachdem die Streitigkeiten aus der Betriebsverfassung der ordentlichen Gerichtsbarkeit unterstellt wurden (vgl OGH9 ObA 22/91

[Geppert]). Obwohl diese Auffassung bisweilen noch in Frage gestellt wird (Jabornegg/Naderhirn/Trost, Die Betriebsratswahl6 [2014] 108 f ; anders nunmehr Naderhirn/Trost, Die Betriebsratswahl7 [2023] 137 f ), hat sie eine breite Anhängerschaft gefunden (Strasser/Jabornegg, Arbeitsrecht II4 [2001] 309; Löschnigg, Arbeitsrecht13 [2017] Rz 10/055; ders in Jabornegg/Resch, ArbVG § 55 Rz 9; Schneller in Gahleitner/Mosler [Hrsg], ArbVR II6 § 59 Rz 5).

Dieser Anschauungswandel erscheint auf den ersten Blick nur schwer verständlich. Zwar bildet es den Ausgangspunkt der früher hA, dass der unterbliebene Einspruch gegen die Wählerliste nicht anders behandelt werden könne als der verspätete Einspruch, dessen Unbeachtlichkeit durch § 15 Abs 3 S 2 BRWO angeordnet wird (vgl VwGH1704/64 ZAS 1967, 18 [Floretta]; EA Klagenfurt Re 4/56 Arb 6417; EA Graz Re 10/75 Arb 9327; Floretta, ZAS 1967, 20 f ). Es wird der früher hA allerdings nicht gerecht, sie allein auf dieses formale Argument zu reduzieren. Hinter dieser Argumentation stehen vielmehr schwer von der Hand zu weisende Zwecküberlegungen. Mit den Regelungen betreffend die Bekämpfung der Betriebsratswahl strebt der Gesetzgeber einen Ausgleich zwischen dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit auf der einen Seite und dem Prinzip der Rechtssicherheit auf der anderen Seite an (Mathy, Teilanfechtung der Betriebsratswahl? wbl 2022, 373 [374 f ] mwN). Wenn dem Bedürfnis nach Rechtsrichtigkeit aber ohnehin durch ein vorgeschaltetes Einspruchsverfahren Rechnung getragen wird, scheint es dem Streben nach Ausgleich dieser widerstreitenden Prinzipien zu entsprechen, der Rechtssicherheit der Wahl dadurch Rechnung zu tragen, dass Mängel der Wählerliste im Wege einer Anfechtung der Betriebsratswahl nicht erstmals geltend gemacht werden können. Auch der Blick nach Deutschland zeigt, dass eine solche Rechtswirkung des unterbliebenen Einspruchs sich stimmig in das System des Betriebsverfassungsrechtes einfügt. Mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz (dBGBl 2021, 1762) hat die Wirkung des unterbliebenen Einspruchs gegen die Wählerliste eine ausdrückliche Regelung erfahren. Seither bestimmt § 19 Abs 3 dBetrVG, dass die Betriebsratswahl grundsätzlich nur dann wegen der Unrichtigkeit der Wählerliste angefochten werden kann, wenn dieser Mangel zuvor mittels Einspruchs beim Wahlvorstand geltend gemacht wurde.

Auch wenn sich damit stichhaltige Gründe für die früher hA anführen lassen, wurde diese dennoch zu Recht aufgegeben. Anders als die unmittelbaren Regelungen zur Erstellung der Wählerliste und zur Erhebung von Einsprüchen, die seit den Anfängen des Betriebsverfassungsrechtes im Kern unverändert fortbestehen, hat sich die Rechtsordnung, in die diese Bestimmungen eingebettet sind, tiefgreifend gewandelt. Besonders die gesteigerten Anforderungen, welche der VfGH an den Determinierungsgrad von Gesetzen stellt (Art 18 B-VG), zieht die Notwendigkeit nach sich, Bedeutung und Tragweite der zur Ausdeutung des Betriebsverfassungsrechtes ergangenen Verordnungen auf den Prüfstand zu stellen (vgl Strasser/Jabornegg, Arbeitsrecht II4 292; sowie VfGH V 72/11 VfSlg 19.669 = ecolex 2012, 807 [Mazal]: zu § 53 BRGO). Nicht nur, dass das ArbVG selbst das Recht zur Anfechtung der Betriebsratswahl wegen Unrichtigkeit der Wählerliste nicht einschränkt, vielmehr lässt sich diese Rechtsfolge auch der BRWO nicht explizit entnehmen. Damit lassen sich für die früher hA zwar teleologische Erwägungen anführen, allerdings finden diese weder im Wortlaut des ArbVG noch der BRWO Deckung (vgl demgegenüber die ausdrückliche Unterscheidung zwischen Wahlanfechtung gem Art 141 Abs 1 lit a B-VG auf der einen Seite und Bekämpfung der Wählerevidenz bzw des Wählerverzeichnisses gem Art 141 Abs 1 lit i B-VG auf der anderen Seite im Rahmen der Prüfung der politischen Wahlen durch den VfGH). Gerade weil sich aber die demokratische Ausgestaltung der Betriebsratsorganisation als unabdingbare Voraussetzung für ihre Vereinbarkeit mit den Grundrechten der AN erweist (Mathy, Minderheitsrechte im Betriebsrat [2022] 50 ff), ist in Bezug auf eine interpretatorische Einschränkung des Rechtes, sich auf Fehler im Wahlverfahren zu berufen, Zurückhaltung geboten.

3.
Unrichtige Wählerliste vs unzulässige Berichtigung?

Die Möglichkeit, die Betriebsratswahl wegen der Unrichtigkeit der Wählerliste anzufechten, auch wenn dieser Mangel nicht mittels Einspruchs beim Wahlvorstand geltend gemacht wurde, zieht freilich für die Durchführung der Betriebsratswahl ein regelrechtes Dilemma nach sich: Wird nämlich erst nach dem Ende der Einspruchsfrist die Unrichtigkeit der Wählerliste entdeckt, besteht keine Möglichkeit mehr, die drohende Anfechtung der ausgeschriebenen Betriebsratswahl abzuwenden. Einerseits ist die Betriebsratswahl durch die Nichtaufnahme von Wahlberechtigten bzw die Aufnahme von Nichtwahlberechtigten in die Wählerliste mit einem wesentlichen Verfahrensfehler behaftet (VwGH86/01/0115 infas 1987 A 42; OGH9 ObA 22/91

[Geppert]), andererseits soll aber auch die nach Ablauf der Einwendungsfrist erfolgte Berichtigung – sofern sie über die Korrektur offensichtlicher Irrtümer hinausgeht (§ 15 Abs 4 BRWO) – einen wesentlichen Verfahrensfehler darstellen (OLG Linz11 Ra 111/10p ARD 6150/4/2011; ebenso BAG 7 ABR 37/92 NZA 1993, 949: zu § 4 Abs 3 dWahlO 1953). Damit verbleibt als einzige Möglichkeit zur Gewährleistung einer fehlerfreien Betriebsratswahl die Abberaumung der ausgeschriebenen Betriebsratswahl und eine neuerliche Einleitung des Wahlverfahrens durch eine neue Wahlkundmachung (idS zur deutschen Rechtslage BAG 7 ABR 37/92 NZA 1993, 949: zu 54 § 4 Abs 3 dWahlO 1953; Forst in Richardi [Hrsg], BetrVG17 § 4 WO Rz 13). Eine derartige Vorgangsweise wird durch die BRWO zwar nur in zwei Fällen ausdrücklich angeordnet (vgl § 21 Abs 4, § 29 Abs 2 BRWO). Mit Blick auf sein Ermessen bei der Festlegung des Wahltermins (§ 55 Abs 1 ArbVG iVm § 13 Abs 1 BRWO) sowie seiner demokratischen Legitimation durch bzw seiner Verantwortung gegenüber der Betriebsversammlung (§ 54 Abs 1, § 55 Abs 5 ArbVG iVm §§ 11, 13 Abs 3 BRWO) wird man dem Wahlvorstand diese Rechtsmacht aber auch sonst nicht absprechen können (vgl auch EA Klagenfurt Re 13/69 Arb 8783, wo nicht die Verlegung der Betriebsratswahl, sondern die Nichtverständigung zweier Wahlberechtigter als wesentlicher Verfahrensfehler angesehen wurde). Die damit typischerweise einhergehende Verzögerung der Wahldurchführung steht allerdings im Widerspruch gerade zu jenem Zweck, welchen der OGH in der Befristung der Einspruchsmöglichkeit gegen die Wählerliste erkennt, nämlich „eine Vereitelung des Wahltermins [...] zu verhindern“ (OGH9 ObA 22/91 [Geppert]).

Ein naheliegender Ausweg könnte nun darin erblickt werden, die verspätete Korrektur der Wählerliste nicht als Verletzung einer wesentlichen Bestimmung des Wahlverfahrens zu interpretieren. Die Zuordnung von Verfahrensvorschriften zur Kategorie der wesentlichen Bestimmungen des Wahlverfahrens wird durch das Betriebsverfassungsrecht nämlich nicht näher determiniert (Naderhirn/Trost, Betriebsratswahl7 243). Zwar wird die Wesentlichkeit vereinzelt mit der Eignung zur Beeinflussung des Wahlergebnisses gleichgesetzt (Dullinger/Windisch-Graetz in Brameshuber/Tomandl [Hrsg], ArbVG [16. Lfg, 2023] § 59 Rz 15; aA OGH8 ObA 287/99k Arb 12.013), diese Auffassung verliert freilich dadurch erheblich an Überzeugungskraft, dass sie letztlich das Tatbestandsmerkmal der Wesentlichkeit als überflüssigen Gesetzestext deutet. Näherliegend erscheint es daher, alle zwingenden Bestimmungen des Wahlverfahrens auch als wesentlich zu qualifizieren (vgl BAG 7 ABR 93/87 NZA 1989, 360) und lediglich sanktionslose Ordnungsvorschriften (Sollvorschriften) als nicht wesentliche Bestimmungen des Wahlverfahrens anzusehen. In Bezug auf § 15 Abs 3 S 2 BRWO sprechen sowohl der Wortlaut („[...] sind nicht zu berücksichtigen“) als auch der auf das Hintanhalten von Manipulationen gerichtete Zweck (vgl BAG 7 ABR 37/92 NZA 1993, 949: zu § 4 Abs 3 dWahlO 1953) klar gegen die Annahme einer bloßen Ordnungsvorschrift. Anderes lässt sich auch daraus nicht ableiten, dass das ArbVG weder eine Frist für das Erheben von Einsprüchen gegen die Wählerliste noch die Unbeachtlichkeit verspäteter Einsprüche anordnet (vgl § 55 Abs 2 ArbVG). Beides wird man als diesem Rechtsinstitut wesensimmanent anzusehen haben (vgl § 28 NRWO, § 23 oö LTWO, § 22 TLWO, § 20 Abs 2 PVG uvm), weshalb sich § 15 BRWO wohl noch auf die Konkretisierung der bereits im ArbVG angelegten Rechtswirkungen des Einspruchs gegen die Wählerliste beschränkt.

Vor diesem Hintergrund lässt sich dem drohenden Wertungswiderspruch nur durch eine extensive Auslegung der Befugnis des Wahlvorstandes

begegnen, offensichtliche Irrtümer der Wählerliste bis zum Wahltag zu berichtigen (idS Naderhirn/Trost, Betriebsratswahl7 139). Die Möglichkeit zur Korrektur offensichtlicher Fehler beschränkt sich nicht allein auf die im Verordnungstext beispielhaft erwähnten Schreibfehler (idS aber OLG Linz11 Ra 111/10p ARD 6150/4/2011). Anders als die vergleichbare Regelung im deutschen Betriebsverfassungsrecht (§ 4 Abs 3 S 2 dWO) knüpft der Wortlaut des § 15 Abs 4 S 2 BRWO nicht an die zivilprozessuale Möglichkeit zur Urteilsberichtigung an (vgl § 419 ZPO: „Schreib- und Rechnungsfehler oder andere offenbare Unrichtigkeiten“), weshalb man die Möglichkeit zur Korrektur der Wählerliste nicht allein auf einen „mangelhaften Willensausdruck“ (Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka [Hrsg], ZPO5 [2019] § 419 ZPO Rz 3 mwN) des Wahlvorstandes zu beschränken braucht. Vielmehr folgt die Notwendigkeit, die Wählerliste bis zum Wahltag laufend zu aktualisieren, bereits aus dem Charakter der Wählerliste als formelle Feststellung des Kreises der Wahlberechtigten: Personen, die die AN-Eigenschaft iSd § 36 ArbVG verlieren, weil sie bspw aus dem Betrieb ausscheiden oder zu leitenden Angestellten aufsteigen, müssen bis zum Wahltag aus der Wählerliste gestrichen werden (Floretta, ZAS 1967, 21). Ganz idS wird die Teilnahme eines noch auf der Wählerliste aufscheinenden, am Tag der Betriebsratswahl aber nicht mehr im Betrieb beschäftigten AN als wesentlicher Verfahrensfehler qualifiziert (VwGH86/01/0115 infas 1987 A 42). Mit Floretta wird man die Einschränkung des § 15 Abs 4 S 2 BRGO auf offensichtliche Irrtümer dahin zu verstehen haben, dass der Wahlvorstand lediglich von langwierigen Ermittlungsverfahren freigespielt werden soll (zur dabei gebotenen „Hilfestellung“ durch den BI vgl VwGH 11.11.2011, 2009/09/0303: zu § 20 Abs 2 PVG), wohingegen dieser die mitunter komplexen Rechtsfragen in Bezug auf das aktive Wahlrecht selbst zu lösen hat (Floretta, ZAS 1966, 21). Dies ist schon deshalb sachgerecht, weil der Wahlvorstand auf das Fachwissen der überbetrieblichen Interessenvertretungen zurückgreifen kann: Nicht nur, dass es dem Wahlvorstand als Organ der Arbeitnehmerschaft (vgl § 40 Abs 2 Z 3 und Abs 3 Z 2 ArbVG) gestattet ist, zu seinen Beratungen Vertreter der überbetrieblichen Interessenvertretungen beizuziehen (§ 39 Abs 4 ArbVG). Vielmehr darf ein solcher in Betrieben mit dauernd mehr als 20 AN sogar in den Wahlvorstand gewählt werden (§ 54 Abs 3 ArbVG). Dementsprechend sind – solange der zugrundeliegende Sachverhalt klar erkennbar ist – Wahlberechtigte in das Wählerverzeichnis aufzunehmen, die zuvor aufgrund eines Fehlers aus dem Wählerverzeichnis gestrichen (Naderhirn/Trost, Betriebsratswahl7 139) bzw bei der Erstellung der Wählerliste übersehen wurden (Fitting, BetrVG-HK31 [2022] § 4 WO Rz 15). Entgegen dem OLG Linz sind daher Fehler der Wählerliste, welche bloß auf einen schlichten Eingabefehler im Computersystem der Personalabteilung bei der Erstellung des AN-Verzeichnisses zurückzuführen sind, als offensichtliche Irrtümer zu berichtigen (aA OLG Linz111/10p ARD 6150/4/2011). 55

4.
Einspruch gegen die Aufnahme in den Wahlvorschlag

Die Behandlung des unterbliebenen Einspruchs gegen die Wählerliste wirft schließlich noch eine weitere Frage auf: Das Betriebsverfassungsrecht sieht einen Einspruch beim Wahlvorstand sowohl hinsichtlich einer unrichtigen Wählerliste (§ 55 Abs 2 ArbVG iVm § 15 Abs 3 BRWO) als auch hinsichtlich einer ohne bzw gegen den Willen des Kandidaten erfolgten Aufnahme in den Wahlvorschlag einer wahlwerbenden Gruppe vor (§ 21 Abs 1 und 3 BRWO). Während der unterbliebene Einspruch gegen die unrichtige Wählerliste der auf diesen Fehler gestützten Anfechtung nicht entgegensteht, soll dies bei einem unterbliebenen Einspruch gegen die Aufnahme in den Wahlvorschlag nach Judikatur (OGH9 ObA 230/90DRdA 1991, 308 [abl Trost]) und Lehre (Strasser/Jabornegg, Arbeitsrecht II4 309; Dullinger/Windisch-Graetz in Brameshuber/Tomandl [Hrsg], ArbVG § 59 Rz 23) der Fall sein. Nun wäre es zwar unstimmig, aber nicht ausgeschlossen, dass das Betriebsverfassungsrecht die Rechtsfolgen des unterbliebenen Einspruchs in diesen beiden Fällen unterschiedlich ausgestaltet. Dem ist allerdings nicht so: Die Konsequenzen, welche der unterbliebene Einspruch gegen die Aufnahme in einen Wahlvorschlag für die Anfechtung der Betriebsratswahl nach sich zieht, entbehren ebenso einer ausdrücklichen Regelung wie jene des unterbliebenen Einspruchs gegen die Wählerliste (vgl Trost, Zustimmung zur Aufnahme in eine BR-Kandidatenliste,

[310]). Es ist daher nicht einsichtig, weshalb die ohne bzw gegen den Willen eines Kandidaten erfolgte Aufnahme in einen Wahlvorschlag nur dann zur Anfechtung der Betriebsratswahl berechtigen soll, wenn rechtzeitig und erfolglos Einspruch beim Wahlvorstand erhoben wurde.

Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass weder das ArbVG noch die BRWO die Aufnahme eines Kandidaten in einen Wahlvorschlag ausdrücklich von dessen Zustimmung abhängig machen. Zwar scheidet aus diesem Grund eine Anfechtung der Betriebsratswahl wegen Verletzung wesentlicher Bestimmungen des Wahlverfahrens im Allgemeinen aus. Dieser Anfechtungsgrund kommt nur in Betracht, wenn der Wahlvorstand seiner Verpflichtung gem § 21 Abs 1 und 3 BRWO nicht nachkommt, Wahlwerber aus Wahlvorschlägen zu streichen, die gegenüber dem Wahlvorstand erklärt haben, dass sie gegen ihren Willen in den Wahlvorschlag aufgenommen worden sind. Neben der Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften lässt sich die Anfechtung der Betriebsratswahl gem § 59 Abs 1 ArbVG aber auch auf die Verletzung leitender Grundsätze des Wahlrechtes stützen. Die bloße Beachtung der im ArbVG und der BRWO niedergelegten Wahlvorschriften vermag deren Einhaltung nämlich nicht zwangsläufig zu gewährleisten (vgl zum Grundsatz der geheimen Wahl bspw EA KlagenfurtRe 87/86 Arb 10.598; weiters Trost,

 f mwN). Eine Aufzählung leitender Grundsätze des Wahlrechtes findet sich in § 51 ArbVG. Diese erweist sich allerdings nicht als abschließend: Obwohl die „Freiheit der Wahl“ in § 51 Abs 2 ArbVG nicht explizit erwähnt wird, ist diese auch im Betriebsverfassungsrecht als leitender Grundsatz des Wahlrechtes anerkannt (OGH 8 ObA 61/17d DRdA 2018, 403 [Schneller] = ZAS 2018, 297 [Hörmann]; Schneller in Gahleitner/Mosler, ArbVR II6 § 51 Rz 3; Dullinger/Windisch-Graetz in Tomandl, ArbVG § 59 Rz 16). Diesem Grundsatz läuft es allerdings zuwider, wenn ein passiv Wahlberechtigter ohne sein Wissen oder gegen seinen Willen in einen Wahlvorschlag aufgenommen wird (vgl VfGH WI-9/50 VfSlg 2037: „[...] widerspräche dem Grundsatz der Freiheit der politischen Willensbildung und Betätigung und dem Postulat der Reinheit der Wahlen [...]“). Vor diesem Hintergrund muss auch das Betriebsverfassungsrecht dahin ausgelegt werden, dass ein „Kandidiert Werden“ gegen einen leitenden Grundsatz des Wahlrechtes verstößt (Trost, ; Mathy, Minderheitsrechte im Betriebsrat 387 f).

5.
Fazit

Mit der vorliegenden E schreibt der OGH seine bisherige Judikatur zu den Konsequenzen einer unrichtigen Wählerliste fort und erteilt einer dem Betriebsverfassungsrecht nicht zu entnehmenden Beschränkung des Rechtes zur Anfechtung der Betriebsratswahl eine deutliche Absage.

Die Legitimation zur Anfechtung der Betriebsratswahl wegen Fehler iSd § 59 Abs 1 ArbVG kommt allen aktiv Wahlberechtigten bzw allen wahlwerbenden Gruppen zu. Diese Anfechtungsberechtigung wird durch die (Mit-)Verursachung des Wahlmangels nicht ausgeschlossen. Das betrifft die unzureichende Prüfung der Wählerliste durch Mitglieder des Wahlvorstandes ebenso wie das Unterlassen des Einspruchs gegen die Wählerliste durch schlichte Wahlberechtigte.

Das Unterbleiben des Einspruchs gegen die Wählerliste beschränkt de lege lata auch nicht die Möglichkeit, sich auf die Unrichtigkeit der Wählerliste als Wahlanfechtungsgrund zu berufen. Daraus resultiert freilich ein Dilemma, wenn die Unrichtigkeit der Wählerliste erst nach dem Ende der Einspruchsfrist entdeckt wird. Sowohl die Korrektur der Wählerliste als auch das Unterlassen einer Korrektur soll die ausgeschriebene Betriebsratswahl mit einem Anfechtungsgrund belasten. Mit Blick auf den vom OGH aus der Befristung der Einspruchsmöglichkeit abgeleiteten Zweck, eine Vereitelung des Wahltermins zu verhindern, muss daher die Befugnis des Wahlvorstandes, offensichtliche Fehler der Wählerliste bis zum Wahltag zu berichtigen, weit interpretiert werden.

Gleiches wie in Bezug auf den unterbliebenen Einspruch gegen die Wählerliste muss schließlich – entgegen der hA – auch in Bezug auf ein „Kandidiert Werden“ gelten: Wird ein „Wahlwerber“ gegen seinen Willen in einen Wahlvorschlag aufgenommen, belastet dies die Betriebsratswahl auch dann mit einem Anfechtungsgrund iSd § 59 Abs 1 ArbVG, wenn dieser beim Wahlvorstand keinen Einspruch gegen die Aufnahme in den Wahlvorschlag erhebt. 56