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Zur Haftung bei Regressansprüchen von Sozialversicherungsträgern gegenüber einer juristischen Person – wer ist Repräsentant?

GREGORKaltschmid

Die erstbekl Gesellschaft mbH wurde mit dem Austausch von Glaselementen beauftragt. Bei diesen Arbeiten stürzte der bei der Erstbekl beschäftigte S* unter Anleitung der Zweitbekl aus ca 7,5 Meter Höhe mit der auszutauschenden 120–130 Kilo wiegenden Glasscheibe zu Boden und verletzte sich dabei schwer. Die klagenden Sozialversicherungsträger haben an den Verletzten Leistungen aus der gesetzlichen UV, KV und PV erbracht. Mit der vorliegenden Klage begehren sie von den Bekl deren Ersatz.

Die Vorinstanzen stellten mit Teilzwischenurteil fest, dass die Leistungsbegehren dem Grunde nach zu Recht bestehen. Das grob fahrlässige Verhalten des Zweitbekl begründe eine Haftung der Erstbekl nach § 335 Abs 1 iVm § 334 Abs 1 ASVG. Der Zweitbekl selbst hafte als Vertreter des DG iSd §§ 334 Abs 1, 333 Abs 4 ASVG.

Das Berufungsgericht ließ die Revision nicht zu.

Der OGH erachtete die Revision als nicht zulässig und führte aus:

Der originäre Ersatzanspruch eines Sozialversicherungsträgers nach § 334 Abs 1 ASVG setzt nach stRsp grobes Verschulden des DG selbst voraus; das Verhalten anderer Personen wird ihm grundsätzlich nicht nach § 1313a oder § 1315 ABGB zugerechnet. Nach § 335 Abs 1 ASVG ist § 334 ASVG allerdings (ua) auch dann anzuwenden, wenn der DG eine juristische Person ist und der Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig durch ein „Mitglied des geschäftsführenden Organs der juristischen Person […] verursacht worden ist“.

Wie der OGH aber bereits ausgesprochen hat, ist § 335 Abs 1 ASVG auch dann anzuwenden, wenn ein Arbeitsunfall durch das vorsätzliche oder grob fahrlässige Verhalten eines Repräsentanten der juristischen Person verursacht wurde.

Die Haftung des AG für seine Repräsentanten gründet darauf, dass das Verschulden von Personen, die in der Organisation der juristischen Person eine leitende oder überwachende Stellung innehaben und dabei mit eigenverantwortlicher Entscheidungsbefugnis ausgestattet sind, der juristischen Person (AG) zuzurechnen ist, weil diese als solche nicht deliktsfähig ist.

Repräsentant ist jeder, der in verantwortlicher, leitender oder überwachender Funktion Tätigkeiten für die juristische Person ausübt. Auf das Erfordernis eines Wirkungskreises, der jenem eines Organs annähernd entspricht, kommt es dabei nicht an. Lediglich Personen, die untergeordnete Tätigkeiten ausüben, kommen nicht in Betracht. So hat die Rsp etwa einen Polier als Repräsentanten beurteilt, der den Austausch von Fensterblechen angeordnet hat, obwohl beim oberen Gebäudeteil das Gerüst noch ungesichert war, ebenso einen Baustellenkoordinator, der in dieser Eigenschaft für seine DG als Projektleiterin tätig war und den für eine Straßenbaustelle bauleitenden Ingenieur.

Ob jemand als Repräsentant einer juristischen Person anzusehen ist, richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, weshalb darin regelmäßig keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO liegt. Die übereinstimmende Rechtsauffassung der Vorinstanzen, der Zweitbekl sei in verantwortlicher, leitender und überwachender Funktion für die Erstbekl tätig gewesen, bei diesem Aufgabenbereich könne jedenfalls nicht mehr von einer untergeordneten Tätigkeit ausgegangen werden, bewegt sich im Rahmen der Grundsätze der Rsp zur Qualifikation eines AN als Repräsentant.

Der Zweitbekl hat auf den Baustellen der Erstbekl regelmäßig die Leitung inne, ist Ansprechpartner vor Ort und sorgt ua dafür, dass die vom Geschäftsführer der Erstbekl erteilten Anordnungen und Weisungen zur Einhaltung der AN-Schutzvorschriften von den anwesenden Arbeitern auch eingehalten werden. Auch am Tag des Unfalls oblag dem Zweitbekl als einzigem Facharbeiter und Vorarbeiter die Verantwortung über die Baustelle. Er hatte an diesem Tag die Leitung über seine Arbeitskollegen und die durchzuführenden Arbeiten inne und war für die Einhaltung der vom Geschäftsführer erteilten Anordnungen und Weisungen zur Einhaltung der AN-Schutzvorschriften von sämtlichen Arbeitern verantwortlich.

Wenn das Berufungsgericht davon ausgegangen ist, dass diese dem Zweitbekl von der Erstbekl übertragene Leitung der Baustelle und die damit verbundene Verantwortung eine „eigenverantwortliche“ Entscheidungsbefugnis begründet, so ist dies nicht zu 21 beanstanden. Gerade aus der ihm von der Erstbekl gegenüber allen AN übertragenen Verantwortung für die Einhaltung der AN-Schutzvorschriften an Ort und Stelle leitet sich notwendigerweise eine eigenständige Kontroll- und Weisungsbefugnis ab. Richtig ist zwar, dass nicht jeder Aufseher im Betrieb als Repräsentant einer juristischen Person angesehen werden kann. Die Ansicht, nach den konkreten Umständen sei dies hier aber der Fall, hält sich aber innerhalb des dem Berufungsgericht offenstehenden Ermessensspielraum.

Ob jemand einen Arbeitsunfall durch grobe Fahrlässigkeit verursacht hat, ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und stellt – von Fällen einer vom OGH iSd Rechtssicherheit wahrzunehmenden Fehlbeurteilung abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar. Die angefochtene Entscheidung, die das Fehlverhalten des Zweitbekl als grob fahrlässig beurteilte, bewegt sich im Rahmen des den Gerichten eingeräumten Beurteilungsspielraums.

Nach den Feststellungen standen der Versicherte und der Zweitbekl ungesichert auf einer ca 40 cm breiten Brüstung in einer Höhe von 7,5 Metern, um sämtliche Schrauben einer 120–130 kg wiegenden Glasscheibe zu lösen und diese händisch aus dem Rahmen herauszuheben und auf den zwischen der Fassade und der Brüstung befindlichen Gang zu stellen, anstatt entsprechend der Weisung der Erstbekl die Demontage lediglich vorzubereiten und auf den Kran samt Arbeitskorb zu warten, um die Glasscheibe herauszuheben. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, unter den gegebenen Umständen sei der Eintritt des Schadens nicht nur allenfalls möglich, sondern vielmehr durchaus wahrscheinlich gewesen, ist jedenfalls vertretbar.