16Keine objektive Gefährdung des Heilungsverlaufs bei Teilnahme an nächtlicher Feier im Krankenstand wegen Depression – Entlassung nicht gerechtfertigt
Keine objektive Gefährdung des Heilungsverlaufs bei Teilnahme an nächtlicher Feier im Krankenstand wegen Depression – Entlassung nicht gerechtfertigt
Der Kl war seit 1.9.1999 als Vertragsbediensteter bei der Bekl beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis kommt die Vertragsbedienstetenordnung 1995 (VBO) zur Anwendung.
Am 19.7.2022 meldete sich der Kl krank. Die behandelnde Ärztin legte keine (gemeint: Beschränkungen der) Ausgehzeiten fest, verordnete auch keine Bettruhe und gab dem Kl keine Anweisungen für das Verhalten im Krankenstand. Am 6.8.2022 nahm der Kl nachts an der 35-Jahr-Feier seines Motorradclubs teil. Sein Aufenthalt beschränkte sich nicht auf bloß 30 bis 40 Minuten. Er konnte nicht davon ausgehen, dass die Teilnahme an einer nächtlichen Feier gemeinsam mit Mitgliedern seines Motorradclubs seinen Krankheitsverlauf positiv beeinflussen würde. Er konnte nicht ausschließen, dass durch eine solche Teilnahme der Heilungsverlauf gefährdet würde.
Der Kl gab am 22.8.2022 telefonisch gegenüber seiner Vorgesetzten an, dass er einen in Aussicht gestellten Termin nicht wahrnehmen könne, weil seine Ärztin ihm davon abgeraten hätte. In Wahrheit hatte weder die Ärztin noch die Psychotherapeutin eine Empfehlung gegeben, dass der Kl ein solches Gespräch nicht wahrnehmen könne. Der Kl wollte das Gespräch allerdings vermeiden, weil er sich dabei nicht wohlgefühlt hätte.
Das Dienstverhältnis des Kl wurde mit Schreiben der Bekl vom 23.8.2022, dem Kl zugegangen am 24.8.2022, gem § 45 Abs 2 Z 2 VBO vorzeitig aufgelöst.
Der Kl begehrte die Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses über den 24.8.2022 hinaus. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl Folge, änderte die Entscheidung in eine Stattgabe des Klagebegehrens ab und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei. In ihrer außerordentlichen Revision beantragte die Bekl, die angefochtene Entscheidung iS einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.
Aus dem Arbeitsvertrag besteht für den AN die Verpflichtung, sich im Fall einer Krankheit und einer dadurch ausgelösten Arbeitsunfähigkeit so zu verhalten, dass die Arbeitsfähigkeit möglichst bald wiederhergestellt 28 wird. Schon die Eignung des Verhaltens, den Krankheitsverlauf negativ zu beeinflussen oder den Heilungsprozess zu verzögern, kann den Entlassungsgrund verwirklichen. Ein DN darf ärztlichen Anordnungen jedenfalls nicht schwerwiegend bzw betont und im erheblichen Maß zuwiderhandeln und die nach der allgemeinen Lebenserfahrung allgemein üblichen Verhaltensweisen im Krankenstand nicht betont und offenkundig verletzen.
Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung diese höchstgerichtliche Rsp zugrunde gelegt und sie überschreitet den ihm danach zukommenden Beurteilungsspielraum nicht.
Die Bekl behauptet nicht, dass der Kl ärztlichen Anordnungen zuwider gehandelt hätte. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass sich dem festgestellten Sachverhalt eine objektive Eignung, den Heilungsverlauf der beim Kl bestehenden Depression zu gefährden, nicht entnehmen lasse, ist laut OGH nicht korrekturbedürftig. Dass der Kl – wie das Erstgericht feststellte – „nicht ausschließen“ konnte, dass der Heilungsverlauf durch sein Verhalten gefährdet würde, betrifft eine allfällige subjektive Vorwerfbarkeit gegenüber dem Kl, worauf es aber nicht ankommt, weil schon ein objektiv sorgfaltswidriges Verhalten auf Basis des festgestellten Sachverhalts nicht ersichtlich ist. Entgegen der Ansicht der Bekl besteht kein (von der speziellen Erkrankung unabhängiger) Erfahrungssatz dahin, dass „kranke“ Personen (generell) nachts (besonderer) Ruhe bedürfen und eine Störung der Nachtruhe den Heilungsverlauf (jedenfalls) gefährdet. Im vorliegenden Fall steht auch nur fest, dass der Kl nachts an einer Feier teilnahm und sich diese Teilnahme nicht auf bloß 30 bis 40 Minuten beschränkte. Daraus lässt sich schon nicht ableiten, dass der Kl wegen seines Verhaltens nicht ausreichend Schlaf gefunden hätte. Im Übrigen legt die Bekl nicht dar, aus welchen Gründen die Teilnahme des Kl an der Feier geeignet gewesen wäre, die bei ihm vorliegende psychische Erkrankung zu prolongieren, also die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu verzögern, zumal weder die Ausgehzeiten des Kl beschränkt waren noch ihm Bettruhe verordnet wurde und ihm Spaziergänge (mit dem Hund) sowie Treffen mit Arbeitskollegen empfohlen waren.
Bei der Beurteilung, ob der DN den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit gesetzt hat, ist nicht auf das subjektive Empfinden des DG abzustellen, sondern es ist stets eine objektive Wertung des Verhaltens des DN vorzunehmen. Dieser Bewertung ist somit das konkret gesetzte Verhalten des Kl zugrunde zu legen. Von dieser Rsp weicht die Beurteilung des Berufungsgerichts nicht ab. Von welchem Verhalten die Bekl oder ihre Beschäftigten aufgrund von Facebook-Kommentaren, Fotos oder Videos ausgingen oder ausgehen hätten können, ist demgegenüber ohne Bedeutung. Darauf, dass das festgestellte Verhalten geeignet sei, die Arbeitsmoral der übrigen Beschäftigten zu senken, hat sich die Bekl im Verfahren erster Instanz nicht berufen.
Soweit die Bekl in der Revision meint, der Kl sei für seine Behauptung beweispflichtig, dass er an einer Depression leide, zu deren Behandlung das Pflegen von Sozialkontakten samt Besuch einer nächtlichen Feier förderlich sei, zeigt sie eine aufzugreifende Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht nicht auf.
Die Bekl hat die Entlassung im Verfahren erster Instanz nicht darauf gestützt, dass der Kl den in Aussicht genommenen Gesprächstermin (während des Krankenstandes) nicht wahrgenommen oder über den Grund dafür unwahre Angaben gemacht habe. Die diesbezüglichen Revisionsausführungen sind daher wegen des Verstoßes gegen das Neuerungsverbot unbeachtlich. Die vom Erstgericht dazu getroffenen Feststellungen sind insofern überschießend und wären nur dann zu berücksichtigen, wenn sie sich – was hier nicht der Fall ist – im Rahmen der Einwendungen der Bekl hielten.
Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass das Verhalten des Kl auch keinen Kündigungsgrund iSd § 42 Abs 2 VBO erfüllt, wird in der Revision nicht bekämpft.