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Keine Neubemessung des 2022 geltend gemachten Arbeitslosengeldes aufgrund Senkung des Steuersatzes durch die Ökosoziale Steuerreform

BIRGITSDOUTZ

Der Revisionswerber verlangte nach Zugang der Mitteilung über seinen Leistungsanspruch einen Bescheid über die Höhe der Leistung. Mit Bescheid vom 11.1.2022 sprach das Arbeitsmarktservice (AMS) über die Höhe seines Bezuges ab und stellte fest, dass das Arbeitslosengeld ab 1.1.2022 täglich € 45,17 betrage. Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das AMS mit 31 Beschwerdevorentscheidung vom 22.3.2022 als unbegründet ab.

Der Revisionswerber stellte einen Vorlageantrag und brachte in der Beschwerde vor, dass bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes das Ökosoziale Steuerreformgesetz 2022 Teil I (BGBl I 2022/10) unberücksichtigt geblieben sei. Mit diesem werde in § 33 Abs 1 EStG 1988 der Steuersatz der zweiten Tarifstufe von 35 % auf 30 % gesenkt. Nach § 124b Z 390 lit b EStG 1988 sei insoweit für das gesamte Jahr 2022 ein Steuersatz von 32,5 % anzuwenden. Nach § 24 Abs 1 AlVG sei das Arbeitslosengeld neu zu bemessen, wenn sich eine maßgebende Voraussetzung ändere. Das AMS habe daher eine Aufrollung vorzunehmen, bei der der Ermittlung der Höhe des Arbeitslosengeldes ab 1.1.2022 der reduzierte Steuersatz von 32,5 % zu Grunde zu legen sei.

Das BVwG wies die Beschwerde als unbegründet ab und erklärte die Revision für unzulässig. Der VwGH wies dagegen die eingebrachte außerordentliche Revision mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zurück. Er bestätigte die Rechtsansicht des BVwG, wonach für die Ermittlung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes nach § 21 Abs 3 AlVG die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Geltendmachung maßgebend war, und führte dazu aus:

Es entspricht der stRsp des VwGH, dass Ansprüche auf Arbeitslosengeld – sofern der Gesetzgeber nicht anderes anordnet – zeitraumbezogen zu beurteilen sind (vgl etwa VwGH 22.2.2022, Ra 2020/08/0187). In dem – vom BVwG und in der Revision zitierten – Erkenntnis vom 11.12.2013, 2012/08/0079, hat der VwGH diesen Grundsatz wiederholt und auf die sich daraus ergebenden Implikationen für die Beurteilung des Entstehens und Erlöschens des Anspruches auf Arbeitslosengeld hingewiesen. Für den vorliegenden Fall ist aber maßgeblich, dass der VwGH – wie vom BVwG zutreffend ausgeführt – in diesem Erkenntnis festgehalten hat, dass in Abweichung von der Zweifelsregel der Zeitraumbezogenheit der Ansprüche für die Berechnung von Dauerleistungen in der AlV kraft gesetzlicher Anordnung jenes Recht heranzuziehen ist, das zum Zeitpunkt der Antragstellung gilt. So ist für die Bemessung des Arbeitslosengeldes gem § 21 AlVG die im Zeitpunkt der Antragstellung gegebene Sach- und Rechtslage maßgebend, und zwar in der Regel für den gesamten Anspruchszeitraum. Spätere Gesetzesänderungen können – abgesehen von dort allenfalls vorgesehenen Übergangsbestimmungen – nicht mehr zum Anlass genommen werden, während des Zeitraumes, für den die Leistung auf Grund einer Mitteilung oder eines Bescheides bestandskräftig zuerkannt wurde, die Höhe der Leistung zu ändern (so auch VwGH 25.10.2006, 2005/08/0193; VwGH 22.10.2004, 2002/08/0073).

Im vorliegenden Fall erfolgte eine Geltendmachung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld durch den Revisionswerber mit 1.1.2022. Zu diesem Zeitpunkt war das Ökosoziale Steuerreformgesetz 2022 Teil I und damit die mit diesem erfolgte Senkung der Tarifstufen der Einkommensteuer nach § 33 Abs 1 EStG 1988 noch nicht in Kraft, sodass laut VwGH mit Verweis auf die bisherige Judikatur die Rechtslagenänderung bei der Bemessung der Leistung nicht zu berücksichtigen ist.

Die Annahme der Revision, § 124b Z 390 lit b EStG 1988 stelle eine Übergangsbestimmung dar, in der für die Bemessung des Arbeitslosengeldes von den genannten Grundsätzen Abweichendes geregelt wäre, findet im Wortlaut der Bestimmung keine Grundlage: Nach dem ersten Halbsatz des § 124b Z 390 lit a EStG 1988 gilt die Senkung der Tarifstufe von 35 % auf 30 % ab dem 1.7.2022. § 124b Z 390 lit b EStG 1988 sieht eine (nachträgliche) Berücksichtigung der Senkung hinsichtlich der Einkommen des Kalenderjahres 2022 durch Heranziehung eines Steuersatzes von 32,5 % sowohl bei Festsetzung der Einkommensteuer durch Veranlagung als auch bei Einhebung durch Abzug durch eine Aufrollung durch den AG vor. Dem liegt nach den Materialien (1293 BlgNR 27. GP 12) zu Grunde, dass der Einkommensteuertarif kalenderjahrbezogen ist und die zur Jahresmitte erfolgte Absenkung des Steuersatzes durch den sich daraus ergebenen Mischsteuersatz von 32,5 % berücksichtigt werden soll. In die Bemessung des Arbeitslosengeldes nach § 21 AlVG nach der Rechtslage zum Zeitpunkt der Geltendmachung greift die Bestimmung damit aber nicht ein. Für diese Berechnung ist nämlich – wie dargestellt – nicht relevant, welcher Einkommensteuer das Einkommen in Zukunft – hier im Gesamtjahr 2022 – unterworfen gewesen wäre. Vielmehr wird auf Grundlage des nach § 21 Abs 1 oder Abs 2 AlVG ermittelten monatlichen Bruttoeinkommens – somit in der Vergangenheit liegender Einkünfte – nach § 21 Abs 3 AlVG ein (fiktives) tägliches Nettoeinkommen nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Geltendmachung ermittelt. Davon bilden 55 vH den Grundbetrag des Arbeitslosengeldes. Es wird somit eine Relation zwischen einem (fiktiven) aktuellen Nettoeinkommen des Arbeitslosen bei Beginn des Bezuges und der Höhe des Arbeitslosengeldes hergestellt. Für die Ermittlung des täglichen Nettoeinkommens und darauf gegründet des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes nach § 21 Abs 3 AlVG war somit iSd dargestellten Grundsätze die Sach- und Rechtslage vor Inkrafttreten des Ökosozialen Steuerreformgesetzes 2022 Teil I maßgebend.32