20Tätigkeit als Begleitperson bei Krankenrücktransporten: Pflichtversicherung als dienstnehmerähnlicher freier Dienstnehmer
Tätigkeit als Begleitperson bei Krankenrücktransporten: Pflichtversicherung als dienstnehmerähnlicher freier Dienstnehmer
Die erstrevisionswerbende Partei betreibt ein Unternehmen, das für Versicherungsunternehmen tätig ist und ua die Rückholung von Versicherten von beliebigen Orten organisiert. Wenn eine Begleitung erforderlich war, wurden im verfahrensgegenständlichen Zeitraum der Aufenthaltsort der Person und der voraussichtlich benötigte Zeitraum an einen Pool von bei der erstrevisionswerbenden Partei tätigen medizinisch ausgebildeten Begleitpersonen übermittelt. Die von der erstrevisionswerbenden Partei kontaktierten Personen hatten dann zwei Stunden Zeit, um sich für den Auftrag zu melden. Danach erfolgte die Entscheidung durch die erstrevisionswerbende Partei, wer den Auftrag konkret bekam. Nach Annahme eines Auftrags wurden die Flüge für die jeweilige Begleitperson gebucht.
Die zweitrevisionswerbende Partei war im verfahrensgegenständlichen Zeitraum (2014 bis 2020) bei 66 Rücktransporten für die erstrevisionswerbende Partei als Begleitung tätig, wobei die einzelnen Einsätze zwischen zehn Stunden und fünf Tagen dauerten. Die zweitrevisionswerbende Partei hatte sich nicht zur Übernahme einer bestimmten Mindestanzahl von Einsätzen verpflichtet.
Bei den Rücktransporten kam es regelmäßig zu zeitlichen Verschiebungen oder Verlängerungen des Einsatzes auf Grund einer Änderung des gesundheitlichen Zustands der zu begleitenden Personen oder der medizinischen Einschätzung. In diesen Fällen war die zweitrevisionswerbende Partei nicht verpflichtet, den Auftrag zu einem anderen Zeitpunkt durchzuführen oder den Auftrag trotz Verlängerung des Zeitraums abzuschließen. Es war der zweitrevisionswerbenden Partei möglich, bereits übernommene Aufträge ohne Bekanntgabe von Gründen wieder abzusagen.
Die zweitrevisionswerbende Partei ist seit 2007 selbständig für verschiedene Auftraggeber tätig gewesen. Mit Bescheid der Sozialversicherung der Selbständigen (SVS) vom 23.6.2021 wurde ausgesprochen, dass sie auf Grund ihrer Tätigkeit als Seminarleiterin und Qualitätsmanagerin der Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG sowie der UV gem § 8 Abs 1 Z 3 lit a ASVG unterliegt. Sie verfügt für die Ausübung ihrer selbständigen Tätigkeit für andere Auftraggeber über eine betriebliche Struktur, bestehend aus IT-Infrastruktur, Drucker, Kopierer und Mobiltelefon.
Mit Bescheid vom 25.7.2022 stellte die Österreichische Gesundheitskasse betreffend die Tätigkeit als Begleitperson bei Krankenrücktransporten fest, dass eine Pflichtversicherung gem § 4 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 ASVG als DN vorliegt.
Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 16.5.2023 betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG stellte das BVwG fest, dass die zweitrevisionswerbende Partei auf Grund ihrer Tätigkeit als Begleitperson bei Krankenrücktransporten der Pflichtversicherung gem § 4 Abs 1 Z 14 iVm Abs 4 ASVG als freier DN und der AlV gem § 1 Abs 1 lit a AlVG unterliegt.
Das BVwG verneinte – insb mangels vertragsmäßiger Konkretisierung des Werks – das Vorliegen eines Werkvertrags bzw einzelner Werkverträge. Die zweitrevisionswerbende Partei ist nach Ansicht des BVwG auch kein echter DN iSd § 4 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 ASVG gewesen; dies schon deshalb nicht, weil sie angesichts des ihr eingeräumten sanktionslosen Ablehnungsrechts keine persönliche Arbeitspflicht getroffen habe. Nach Ansicht des BVwG sei aber ein freies Dienstverhältnis iSd § 4 Abs 4 ASVG vorgelegen. Die zweitrevisionswerbende Partei habe sich zur Erbringung von Dienstleistungen gegenüber der erstrevisionswerbenden Partei verpflichtet. Sie habe diese Dienstleistungen persönlich erbracht und dafür ein Entgelt erhalten. Sie habe über keine wesentlichen eigenen Betriebsmittel verfügt; die Schaffung einer unternehmerischen Infrastruktur für die gegenständlich zu beurteilende Tätigkeit sei nicht zu erkennen. Die zweitrevisionswerbende Partei habe nur ihr Mobiltelefon verwendet und dieses nicht steuerlich als Betriebsmittel geltend gemacht. Die erstrevisionswerbende Partei habe ihr zudem selbst ein Mobiltelefon zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus habe sie nur ein Erste-Hilfe-Set bei ihren Einsätzen mitgeführt, worin angesichts von dessen Geringwertigkeit keine Schaffung einer betrieblichen Struktur erkannt werden könnte. Auch im Vorhandensein von für eine Vertretung ansprechbaren Kollegen und der Beauftragung einer Steuerberaterin läge noch keine betriebliche Struktur vor, zumal die Vertretungen tatsächlich durch die erstrevisionswerbende Partei organisiert worden seien und die Steuerberaterin schon allein auf Grund des Umstands, dass die zweitrevisionswerbende Partei mehreren Erwerbstätigkeiten nachgegangen wäre, zweckdienlich sein könne. Der Umstand, dass die erstrevisionswerbende Partei das Entgelt und die Modalitäten der Berechnung durch die den Verträgen angeschlossene Entgeltaufstellung festgesetzt hätte, belege außerdem, dass der zweitrevisionswerbenden 33 Partei diesbezüglich kein unternehmerischer Gestaltungsspielraum zugekommen sei.
Der VwGH verwies auf die stRsp (ua VwGH 25.6.2018, Ra 2017/08/0079), wonach es zur Abgrenzung des Werkvertrags von Dienstverträgen iSd § 4 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 ASVG bzw § 4 Abs 4 ASVG entscheidend darauf ankommt, ob sich jemand auf gewisse Zeit zur Dienstleistung für einen anderen verpflichtet (diesfalls liegt ein Dienstvertrag vor) oder ob er die Herstellung eines Werkes gegen Entgelt übernimmt (in diesem Fall liegt ein Werkvertrag vor). Bei einem Werkvertrag handelt es sich um eine im Vertrag individualisierte und konkretisierte Leistung, also eine in sich geschlossene Einheit, während es beim Dienstvertrag primär auf die rechtlich begründete Verfügungsmacht des DG über die Arbeitskraft des DN, also auf die Bereitschaft des Letzteren zur Erbringung von Dienstleistungen für eine bestimmte Zeit, ankommt. Der Werkvertrag begründet in der Regel ein Zielschuldverhältnis. Die Verpflichtung besteht darin, die genau umrissene Leistung – idR bis zu einem bestimmten Termin – zu erbringen. Mit der Erbringung der Leistung endet das Vertragsverhältnis. Das Interesse des Bestellers und die Vertragsverpflichtung des Werkunternehmers sind lediglich auf das Endprodukt als solches gerichtet.
Ein „Endprodukt“ im genannten Sinn war nach Ansicht des VwGH bei der Tätigkeit der zweitrevisionswerbenden Partei aber nicht ersichtlich. Der VwGH führte dazu unter Verweis auf das Erkenntnis VwGH vom 25.6.2018, Ra 2017/08/0079, aus, dass kein Maßstab dafür vorhanden war, nach welchem die für den Werkvertrag typischen Gewährleistungsansprüche bei Nichtherstellung oder mangelhafter Herstellung des Werkes beurteilt werden sollten. Der erfolgreiche Rücktransport der jeweiligen Person sei nicht geschuldet gewesen, da dieser „Erfolg“ zum einen auch von der Tätigkeit von Personen außerhalb der Ingerenz der zweitrevisionswerbenden Partei – insb in der Einsatzzentrale der erstrevisionswerbenden Partei – und zum anderen von durch ihn nicht beeinflussbaren äußeren Umständen – etwa in Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand der zu begleitenden Person – abhing. Bei durch solche Umstände bedingten zeitlichen Verschiebungen war die zweitrevisionswerbende Partei gerade nicht verpflichtet, den Auftrag abzuschließen. Umgekehrt hätte sie bei einer kürzeren Dauer eines Einsatzes einen geringeren Anspruch auf das zeitbezogene Entgelt gehabt.
Nach Ansicht des VwGH entsprach die Verneinung des Vorliegens eines Werkvertrags durch das BVwG daher der Rsp des VwGH und erzielte das Erkenntnis des BVwG auch kein unvertretbares Ergebnis.
Dem Vorbringen der Revision, dass das BVwG zu Unrecht eine Verpflichtung der zweitrevisionswerbenden Partei zur Erbringung von Dienstleistungen angenommen hätte, entgegnete der VwGH, dass diese Annahme dem vom BVwG festgestellten Recht der zweitrevisionswerbenden Partei zur Ablehnung von Aufträgen widersprechen würde. In diesem Zusammenhang hielt der VwGH unter Verweis auf Mosler in Mosler/Müller/Pfeil (Hrsg), Der SV-Komm zu § 4, fest, dass das vom BVwG festgestellte Ablehnungsrecht nicht iS einer völligen Unverbindlichkeit zu verstehen sei, die selbst ein freies Dienstverhältnis ausschlösse. Vielmehr ist nach dem VwGH vor dem Hintergrund aller festgestellten Umstände des Vertragsverhältnisses von einer grundsätzlichen Verpflichtung zum Tätigwerden nach Übernahme eines Auftrags auszugehen, wobei der zweitrevisionswerbenden Partei aber der Sache nach ein jederzeitiges fristloses Kündigungsrecht zukam. Nach Ansicht des VwGH konnte angesichts der damit eingeräumten Dispositionsfreiheit von keiner persönlichen Abhängigkeit iSd § 4 Abs 2 ASVG ausgegangen werden, was aber nichts daran ändert, dass sie, solange sie von der ihr zugestandenen Option keinen Gebrauch machte, zu Dienstleistungen für die erstrevisionswerbende Partei verpflichtet war.
Schließlich stellte der VwGH zum Einwand, dass es keine „eindeutige bzw. einheitliche“ Rsp des VwGH betreffend die Frage des Einsatzes wesentlicher Betriebsmittel gebe und daher eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliege, Folgendes fest:
Nach der stRsp des VwGH ist bei der Beurteilung des Vorhandenseins wesentlicher Betriebsmittel zu untersuchen, ob sich der freie DN mit Betriebsmitteln eine eigene betriebliche Infrastruktur geschaffen hat. Nach der stRsp kommt es dabei weder auf die Notwendigkeit oder Unerlässlichkeit der Verwendung eines Betriebsmittels noch auf den Betriebsgegenstand jenes Unternehmens an, für welches der freie DN tätig ist. Nach dem VwGH ist weiters zu beachten, dass § 4 Abs 4 ASVG nicht bloß dann zur Anwendung kommt, wenn keinerlei eigene Betriebsmittel eingesetzt werden, sondern (umgekehrt) nur dann nicht, wenn derjenige, der die Leistung erbringt, im Wesentlichen nicht auf ihm zur Verfügung gestellte Betriebsmittel angewiesen ist. Der VwGH verwies in diesem Zusammenhang insb auf das grundlegende Erkenntnis VwGH 24.1.2006, 2004/08/0101.
Es kommt nach Ansicht des VwGH – iSd „Angewiesenseins“ auf fremde Betriebsmittel – letztlich auf die wirtschaftliche Abhängigkeit vom DG bzw Auftraggeber bei der konkreten Tätigkeit an (bereits VwGH 24.1.2006, 2004/08/0101, mit Verweis auf die Gesetzesmaterialien, insb den Ausschussbericht 912 BlgNR 20. GP 5). Nach dem VwGH ist dabei davon auszugehen, dass eine unternehmerische Tätigkeit grundsätzlich eine gewisse unternehmerische Struktur voraussetzt. Auch wenn im Dienstleistungssektor Anlagegüter wie Geräte und Maschinen eine geringere Rolle spielen, bedarf es im Allgemeinen auch hier zumindest einer Ausstattung mit Bürobedarf und 34 elektronischen Kommunikationsmitteln, um nicht nur die Erbringung der Leistung, sondern vor allem auch deren Anbieten am Markt zu ermöglichen. Über eine solche unternehmerische Struktur verfügte die zweitrevisionswerbende Partei nach Ansicht des VwGH bei der Ausübung ihrer Tätigkeit als Krankentransportbegleiter nicht. Vielmehr war es die erstrevisionswerbende Partei, die ihr mit der bei ihr vorhandenen betrieblichen Infrastruktur die Aufträge verschaffte und deren Durchführung ermöglichte.
Angesichts dieser Rahmenbedingungen der Tätigkeit der zweitrevisionswerbenden Partei für die erstrevisionswerbende Partei begegnet es nach Ansicht des VwGH keinen Bedenken, dass das BVwG iSd § 4 Abs 4 ASVG das Vorhandensein wesentlicher eigener Betriebsmittel verneint hat. Darauf, dass die zweitrevisionswerbende Partei über Betriebsmittel für die Ausübung anderer Erwerbstätigkeiten verfügte, kommt es nach Ansicht des VwGH bei der Beurteilung der Tätigkeit für die erstrevisionswerbende Partei nicht an. Die von der Revision in diesem Zusammenhang ins Treffen geführte Wortfolge „auch sonst“ bzw „losgelöst vom konkreten Auftrag“ aus der Rsp des VwGH (zB VwGH 23.1.2008, 2007/08/0223, wonach es darauf ankommt, ob der DN „– losgelöst vom konkreten Auftrag – spezifische Betriebsmittel anschafft, werbend am Markt auftritt, auch sonst über eine gewisse unternehmerische Infrastruktur verfügt und seine Spesen in die dem Auftraggeber verrechneten Honorare selbst einkalkuliert“), bezieht sich nach Ansicht des VwGH nicht auf Betriebsmittel für einen anderen Tätigkeitsbereich (im Fall der zweitrevisionswerbenden Partei: Seminarleitung und Qualitätsmanagement), sondern auf solche für potentielle weitere Aufträge (auch anderer Auftraggeber) im gleichen Tätigkeitsbereich.
Da die Revision nach Ansicht des VwGH keine Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung iSd Art 133 Abs 4 B-VG aufgeworfen hat, hat der VwGH die Revision gem § 34 Abs 1 und 3 VwGG zurückgewiesen.