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Pflegegeldverfahren: Unzulässigkeit einer amtswegigen Überprüfung der erstgerichtlichen Zulassung einer Klagsänderung durch das Berufungsgericht

ELISABETHBISCHOFREITER

Mit Bescheid vom 14.10.2022 entzog die bekl Pensionsversicherungsanstalt dem 2010 geborenen Kl das seit 1.2.2017 gewährte Pflegegel der Stufe 1 mit Ende November 2022. Der Kl begehrte die Weitergewährung von Pflegegeld „zumindest“ der Stufe 1 über den 30.11.2022 hinaus. Nach Vorliegen des Sachverständigengutachtens beantragte der Kl die Gewährung eines höheren Pflegegeldes und dehnte das Klagebegehren auf Gewährung von Pflegegeld der Stufe 3 ab 1.3.2023 unter der Begründung, dass ihm unter Berücksichtigung eines Erschwerniszuschlages Pflegegeld der Stufe 3 zustehe, aus.

Das Erstgericht gab dem (ausgedehnten) Klagebegehren zur Gänze Folge. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte es aus, dass der Antrag im konkreten Fall im Verfahren gestellt werden habe können, ohne dass ein Bescheid abzuwarten gewesen wäre, weil ein Gerichtsverfahren anhängig sei.

Aus Anlass der Berufung der Bekl wies das Berufungsgericht (funktional als Rekursgericht) die Änderung des Klagebegehrens hinsichtlich der Gewährung der Pflegegeldstufe 3 ab 1.3.2023 zurück, hob das angefochtene Urteil im Umfang der Anfechtung bezüglich des geänderten Klagebegehrens und das vorangegangene Verfahren als nichtig auf und verwies die Bekl mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung. Über die Weitergewährung eines Pflegegeldes einer höheren Stufe habe die Bekl bislang nicht abgesprochen, sodass insofern der Rechtsweg nicht zulässig sei. 49

Der OGH betrachtete den dagegen erhobenen Revisionsrekurs als zulässig und iSd hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch als berechtigt.

Der Kl macht zutreffend geltend, dass die Bekl sich in der Berufung nicht gegen den Zuspruch eines allfälligen Pflegegeldes der Stufe 3 ab 1.3.2023 gewendet habe, sondern lediglich die Zuerkennung des Erschwerniszuschlags durch das Erstgericht moniert habe. Damit wurde zutreffend aufgezeigt, dass die Zulassung der Klageänderung durch das Erstgericht einer Prüfung durch das Berufungsgericht entzogen war. Nach stRsp bedarf die Zulassung einer Klageänderung nicht notwendig eines gesondert ausgefertigten Beschlusses, sondern sie kann auch implizit, durch eine Sachentscheidung über das geänderte Begehren, bewilligt werden. Wird eine solche Bewilligung nicht bekämpft, erwächst sie in Rechtskraft. Das Berufungsgericht kann die Zulässigkeit der Klageänderung in einem solchen Fall auch nicht nach § 462 Abs 2 ZPO amtswegig prüfen. Diese Bestimmung gilt schon nach ihrem klaren Wortlaut nicht für solche Beschlüsse, die infolge Unterlassung des Rekurses unabänderlich geworden sind. Durch die Sachentscheidung des Erstgerichts wurde die Klageänderung zugelassen, was die Bekl in der Berufung nicht bekämpfte oder sonst thematisierte, indem sie darin lediglich einen sekundären Feststellungsmangel zu den Voraussetzungen für die Gewährung des Erschwerniszuschlags geltend machte. Aus dem gleichen Grund scheidet auch eine amtswegige Wahrnehmung der Unzulässigkeit des Rechtswegs gem § 73 ASGG aus: Dass die Unzulässigkeit des Rechtswegs gem § 73 ASGG in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen ist, gilt auch im Verfahren in Sozialrechtssachen dann nicht, wenn eine die Zulässigkeit des Rechtswegs bejahende gerichtliche Entscheidung entgegensteht.

Die Fragen, ob die Klageänderung vom Erstgericht zu Recht zugelassen oder die Zulässigkeit des Rechtswegs vom Erstgericht zutreffend bejaht wurden, waren der Kognition des Berufungsgerichts somit entzogen. Der (funktional als Rekursgericht getroffenen) Entscheidung des Berufungsgerichts stand die Rechtskraft der genannten Beschlüsse entgegen, sodass sie ersatzlos zu beheben war. Da das Berufungsgericht die Berufung der Bekl inhaltlich nicht erledigt hat, wurde an das Berufungsgericht zurückverwiesen.