Wen schützt die Schutzklausel? Hintergrund und Wirkung des neuen § 34 APG
Wen schützt die Schutzklausel? Hintergrund und Wirkung des neuen § 34 APG
Nachdem die drohenden Pensionsverluste und allfällige Schutzmöglichkeiten bereits seit dem Frühjahr 2023 in Expert:innenkreisen, aber auch medial, immer wieder diskutiert wurden, wurde letztlich am 11.10.2023 ein bereits im Sommer 2023 eingebrachter Initiativantrag mittels dem Abänderungsantrag 3533/A im Nationalrat um eine entscheidende Bestimmung ergänzt: Zu Pensionen in der gesetzlichen PV mit einem Stichtag im Jahr 2024 wird ein Erhöhungsbetrag hinzugerechnet. In der öffentlichen Diskussion wird diese Regelung auch als „Schutzklausel“ bezeichnet (vgl Parlamentskorrespondenz NR 1075, 18.10.2023). Mit BGBl I 2023/133 wurde die Bestimmung schließlich in den Rechtsbestand aufgenommen. Neben einer Vorstellung der Regelung zeigt der Beitrag die Hintergründe und beantwortet die Frage, weshalb ein Erhöhungsbetrag für Pensionen des Jahres 2024 geboten war. Im Besonderen wird zudem auf den persönlichen Anwendungsbereich der Schutzklausel eingegangen, der im Fall der Korridorpension Raum für Interpretation zulässt.
Pensionen in der gesetzlichen PV werden für Versicherte ab Geburtsdatum 1.1.1955 nach dem Allgemeinen Pensionsgesetz (APG) berechnet. Kernstück ist die Führung eines individuellen Pensionskontos, das den aktuellen Pensionsanspruch verbüchert und als aktuelle Jahrespension, genannt Gesamtgutschrift gem § 12 Abs 3 APG, darstellt. Das Pensionskonto hat in Österreich stark dazu beigetragen, die Transparenz und die individuelle Planbarkeit von Pensionsansprüchen zu verbessern und ermöglicht Versicherten, besser informierte Entscheidungen im Hinblick auf ihre finanzielle Vorsorge im Ruhestand zu treffen (Rainer/Pöltner in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm Vor §§ 1 ff APG Rz 13 [Stand 1.12.2021, rdb.at]).
Die Pensionshöhe nach dem APG berechnet sich als Prozentsatz des Einkommens der gesamten Erwerbskarriere und zielt nach der sogenannten Pensionsformel 80-65-45 (siehe hierzu ErläutRV zum PensionsharmonisierungsG 653 BlgNR 22. GP 3 ff) darauf ab, dass die Versicherten bei einem Pensionsantritt mit 65 Jahren bei 45 Versicherungsjahren 80 % des mit der Beitragsgrundlagenentwicklung aufgewerteten Lebensdurchschnittseinkommens erhalten. Dazu werden jährlich Teilgutschriften im Ausmaß von 1,78 % (sogenannter Kontoprozentsatz) des beitragspflichtigen Bruttoeinkommens auf dem Pensionskonto erworben. Gleichzeitig wird jährlich die Gesamtgutschrift mit der Aufwertungszahl (§ 108a ASVG), die die Beitragsgrundlagenentwicklung darstellt, valorisiert. Gem § 5 Abs 1 APG ist das Ausmaß der monatlichen Bruttopension die bis zum Stichtag ermittelte Gesamtgutschrift, geteilt durch 14.
Durch die Aufwertung mit der durchschnittlichen Beitragsgrundlagenentwicklung wird vor allem für jedes Jahr die relative Einkommensposition im Vergleich zum Durchschnittseinkommen gewahrt. Die in der Vergangenheit liegenden Einkommen werden bis zum Stichtagsjahr mit der durchschnittlichen Lohnentwicklung wertgesichert. Ein Einkommen in Höhe der durchschnittlichen Beitragsgrundlage von € 1.553,- aus dem Jahr 2000 wird bis zum Pensionsantritt auf die durchschnittliche Beitragsgrundlage des Stichtagsjahres aufgewertet. So wurden aus € 1.553,- im Jahr 2000 bei einem Pensionsstichtag 2021 € 2.484,-. Die zeitliche Lagerung des Einkommenserwerbes tritt damit in den Hintergrund. Für die Pensionshöhe zählt somit jedes Einkommen und jedes Einkommen wird mit der Lohnentwicklung bis zum Stichtag wertgesichert. Wer seine guten Einkommen in jungen oder mittleren Jahren hatte (zB durch Überstunden), bewahrt den Pensionswert dieser Einkommen bis zum Stichtag. Ein Einkommen von € 3.000,- im Jahr 2000 (=193 % der durchschnittlichen Beitragsgrundlage von € 1.553,-) wurde bei einem Stichtag im Jahr 2021 auf € 4.794,- aufgewertet (= 193 % der durchschnittlichen Beitragsgrundlage von € 2.484,-).
Die Valorisierung vergangener Beitragsgrundlagen geschieht auf dem Pensionskonto gem § 12 Abs 3 Z 2 APG über eine jährliche Aufwertung der Gesamtgutschrift mit dem Aufwertungsfaktor gem § 108a ASVG. Die Aufwertungszahl eines Jahres beruht auf der Veränderung der durchschnittlichen Beitragsgrundlage in der gesetzlichen PV vom jeweils drittvorangegangenen Kalenderjahr zum jeweils zweitvorangegangenen Kalenderjahr. Aufgrund dieser Berechnungsmethodik finden Beitragsgrundlagen erst mit einer Verzögerung von zwei Jahren Eingang in 63 die Aufwertungszahl und damit auch in die Aufwertung des Pensionskontos. Durch diese zeitverzögerte Aufwertung kommt es bei einer sprunghaften Veränderung der Beitragsgrundlagen für die nachfolgenden zwei Stichtagsjahre zu Aufwertungs- und damit Pensionsverlusten. In Österreich setzte ab dem Frühjahr 2021 eine hohe Inflation ein. Im Mai 2021 wurde erstmals die 2 %-Marke – das Preisstabilitätsziel der Europäischen Zentralbank – verlassen und erreichte mit Jänner 2023, und einer Inflationsrate von 11,2 %, einen neuen historischen Höchstwert, der seit der Einführung des Verbrauchpreisindex im Jahr 1958 durch das damalige Österreichische Statistische Zentralamt (heute: Statistik Austria) noch nicht verzeichnet wurde. Diese sprunghaft hohe Inflation führte auch zu vergleichbar hohen Kollektivvertragsabschlüssen, die wiederum in die Beitragsgrundlagenentwicklung eingehen. Die höheren Beitragsgrundlagen des Jahres 2023 finden jedoch erst ab Pensionsstichtagen 2025 Eingang in die Aufwertung. Erst die Aufwertungszahl 2025 vergleicht das Beitragsgrundlagenwachstum von 2022 auf 2023. Für Stichtage im Jahr 2024 wird die Beitragsgrundlagensteigerung von 2021 auf 2022 herangezogen, die 3,5 % betragen wird. Die Aufwertung mit 3,5 % ist weit entfernt von der tatsächlichen Lohnentwicklung im Zeitraum von 2022 bis 2024. Dieses Auseinanderklaffen von tatsächlicher Lohnentwicklung und Aufwertungszahl führt zu einer Nichtberücksichtigung der sprunghaft höheren Löhne (Beitragsgrundlagen) im Pensionskonto. Die durchschnittlichen Löhne werden von 2022 auf 2023 um rund 8 % steigen und von 2023 auf 2024 in einer vergleichbaren Höhe. Insgesamt werden die durchschnittlichen Löhne im Zeitraum von 2022 auf 2024 in einer Größenordnung von 15 % steigen. Die für die Aufwertung im Pensionskonto herangezogenen Aufwertungszahlen betragen 3,1 % für 2023 und 3,5 % für 2024. Daraus ergibt sich ein Delta zur erwartbaren tatsächlichen Beitragsgrundlagenentwicklung im Ausmaß von 8 bis 9 %. Nachdem die Beitragsgrundlagenentwicklung bis 2024 aktuell noch nicht feststeht, wurde für die Schutzklausel näherungsweise der Anpassungsfaktor herangezogen.
Der Anpassungsfaktor basiert auf dem arithmetischen Mittel der 12 Inflationsraten zwischen August 2022 und Juli 2023 (rollierende Inflation). Daher sind Pensionsanspruch und bestehende Pensionen unterschiedlich wertgesichert, wobei die Wertsicherung einer bestehenden Pension mittels Anwendung des Anpassungsfaktors – aufgrund eines jüngeren Betrachtungszeitraums – aktueller ist. Eine steigende Inflation wirkt sich daher früher in einem höheren Anpassungsfaktor aus als in der Aufwertungszahl, das als Grundlage – wie oben beschrieben – den Vergleich von Beitragsgrundlagen vom jeweils drittvorangegangenen Kalenderjahr zum jeweils zweitvorangegangenen Kalenderjahr heranzieht.
Der Anpassungsfaktor für 2023 wurde mit 5,8 % festgesetzt, die Differenz zur Aufwertungszahl 2023 in Höhe von 3,1 % beträgt 2,7 %. Der Anpassungsfaktor für 2024 beträgt 9,7 % und die Differenz zur Aufwertungszahl 2024 in Höhe von 3,5 % ergibt 6,2 %. In Summe ergibt die Differenz aus den beiden Anpassungsfaktoren im Vergleich zu den Aufwertungszahlen mit 8,9 % in etwa die Differenz der Aufwertungszahlen zur erwartbaren Lohnentwicklung. Die Schutzklausel ist damit eine Annäherung an die erwartbare durchschnittliche Beitragsgrundlage über die Pensionsanpassung.
Der neue § 34 APG ist nun mit „Erhöhung von Pensionen mit Stichtag 2024“ betitelt. § 34 Abs 1 leg cit normiert, wer von der Regelung umfasst ist, wobei er sich auf die betroffenen Pensionsarten bezieht. § 34 Abs 3 APG stellt klar, dass der Erhöhungsbetrag ab Zuerkennung der Pension Bestandteil der Pensionsleistung ist. Weiters wird in Abs 4 geregelt, dass der Erhöhungsbetrag auch zu Pensionsleistungen nach Abs 1 gebührt, die für die Ermittlung von Hinterbliebenenpensionen zu berechnen sind.
In Abs 2 ist die genaue Berechnung des Erhöhungsbetrags vorgegeben. Dieser beläuft sich auf 6,2 % der Gesamtgutschrift 2022, geteilt durch 14 und vermindert oder erhöht im gleichen prozentuellen Ausmaß wie die Leistung selbst – also um Zu- oder Abschläge. Der Prozentsatz ergibt sich aus der Differenz des Anpassungsfaktors 2024 (mit dem die laufenden Pensionen im Jänner 2024 angepasst werden) in Höhe von 9,7 % und der Aufwertungszahl 2024 (mit dem die Gesamtgutschrift 2022 Ende 2023 auf dem Pensionskonto aufgewertet wird) in Höhe von 3,5 %.
Für die Pensionsantritte 2024 wird zwar die Differenz zwischen der Aufwertungszahl 2024 und dem Anpassungsfaktor für 2024 ausgeglichen, nicht jedoch der Unterschied zwischen dem Anpassungsfaktor 2023 (5,8 %) und der Aufwertungszahl 2023 (3,1 %). Damit bleibt ein Teil des Pensionsverlustes im Ausmaß von rund 3 % bestehen.
In ihrer letzten Ausgestaltung umfasst die Schutzklausel nun fast alle Pensionsantritte 2024. Bloß bei Korridorpensionen gibt es eine Sonderregelung, auf die später noch im Detail eingegangen wird. Zur Gänze umfasst sind nach Abs 1 Z 1 und Z 4 alle Alterspensionen, alle Schwerarbeitspensionen, alle vorzeitigen Alterspensionen sowie alle Invaliditätspensionen, die im Jahr 2024 angetreten werden.
Bei den Korridorpensionen enthalten Abs 1 Z 2 und Z 3 Sonderregelungen, wonach nicht alle Pensionsantritte 2024 von der Schutzklausel umfasst sind. 64 Demnach sind alle Korridorpensionen umschlossen, für die bereits am 31.12.2023 die Anspruchsvoraussetzungen – außer das Fehlen einer Erwerbstätigkeit bzw eines Einkommens über der Geringfügigkeitsgrenze – erfüllt waren. Ebenfalls unter den Erhöhungsbetrag fallen all jene Korridorpensionen, „die infolge der Beendigung des Arbeitslosengeld- oder des Notstandshilfeanspruchs nach §§ 22 und 38 AlVG im Kalenderjahr 2024 angetreten werden“. Nach dem Gesetzeswortlaut ist daher eine vorangehende Arbeitslosigkeit notwendig, da nur so ein Arbeitslosengeld- oder Notstandshilfeanspruch beendet werden kann. Die Frage, wie die entsprechenden Ansprüche nach dem AIVG beendet werden müssen, lässt Raum für Interpretation zu. Auf dies wird nachfolgend in Zusammenschau mit den Erläuterungen und der darin genannten Zielsetzung, sowie den Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsrechts, näher eingegangen.
Die Regelung in § 34 Abs 1 Z 3 APG bezieht sich auf §§ 22 und 38 AlVG, weshalb eine Beschäftigung mit den Details dieser Bestimmungen für das Verständnis des Anwendungsbereichs der Schutzklausel unabdingbar ist. § 38 AlVG normiert, dass die Bestimmungen des ersten Abschnitts auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden sind, soweit nichts anderes bestimmt ist. Darunter fällt auch § 22 AlVG, wodurch sich die Ausführungen auf Arbeitslosengeld- und Notstandshilfebezieher:innen erstrecken.
§ 22 Abs 1 AlVG normiert, dass Arbeitslose, die eine Pension beziehen oder die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, grundsätzlich keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld mehr haben. Dasselbe gilt auch für das Sonderruhegeld nach dem Nachtschwerarbeitsgesetz (NSchG) und einen Ruhegenuss nach einem Dienstverhältnis zu einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft. Ziel des § 22 AlVG ist es, eine Doppelversorgung aus dem öffentlichen System der sozialen Sicherheit zu vermeiden, wobei die Pension als Dauerleistung hier vorrangig gegenüber der kurzfristigen Absicherung durch Arbeitslosengeld gesehen wird (vgl Zechner, Arbeitslosenversicherungsgesetz [21. Lfg 2023] zu § 22 AlVG). Von diesem Grundsatz, dass bei Anspruch auf eine Pensionsleistung kein Arbeitslosengeld mehr bezogen werden kann, gibt es hinsichtlich der Korridorpension eine Ausnahme.
All jene Arbeitslose, die die Voraussetzungen für die Korridorpension bereits erfüllen, können dennoch maximal für ein Jahr lang Arbeitslosengeld beziehen, wenn ihr letztes Beschäftigungsverhältnis in einer der im Gesetz genannten Formen beendet wurde. Es handelt sich dabei insb um jene Beendigungsarten, die der/dem DN nicht vorwerfbar sind. Darunter fällt die Kündigung durch den AG, der berechtigte vorzeitige Austritt, die ungerechtfertigte oder sonstig unverschuldete Entlassung, die Lösung während der Probezeit und der Fristablauf bei befristeten Arbeitsverhältnissen (nur wenn vor dem befristeten Arbeitsverhältnis kein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit demselben AG bestand).
Eine Beendigung durch einvernehmliche Auflösung fällt dann darunter, wenn diese zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem darauf vertraut werden konnte, dass damit keine nachteiligen Auswirkungen in der AlV verbunden sein werden oder wenn sie nachweislich unter Umständen erfolgte, welche eine Abstandnahme von der einvernehmlichen Auflösung unzumutbar machten. Der erste Fall war aber nur für all jene einvernehmlichen Auflösungen anwendbar, die vor Kundmachung des Pensionsreformgesetzes am 15.12.2004 (mit dem die Korridorpension ab 1.1.2005 eingeführt wurde) vereinbart wurden und ist daher für die gegenständliche Problematik nicht relevant. Für den zweiten Fall wird in den Erläuterungen als Beispiel die Umwandlung einer zuvor vom AG ausgesprochenen Kündigung in eine einvernehmliche Auflösung angeführt, insb wenn auf Anraten einer beruflichen Interessenvertretung zwecks Sicherung bestimmter Ansprüche ohne Prozessrisiko oder wenn im Zuge eines Vergleichs zur Beendigung eines Arbeitsgerichtsverfahrens der einvernehmlichen Auflösung zugestimmt wurde.
Damit soll die Wahlmöglichkeit, die die Korridorpension den Anspruchsberechtigten bietet, nämlich die Pension innerhalb des Pensionskorridors flexibel anzutreten, zumindest zeitlich befristet für ein Jahr, für jene Arbeitslosengeldbezieher:innen erhalten bleiben, deren letzte Beschäftigung ohne ihre eigene Mitwirkung beendet wurde. Zechner zeigt in ihrem Kommentar zu § 22 AlVG mittels Fallbeispielen auf, dass dies mit der eben erläuterten Regelung nicht zur Gänze gelungen ist (vgl Zechner, Arbeitslosenversicherungsgesetz [21. Lfg 2023] zu § 22 AlVG).
An dieser Stelle soll die Bestimmung des § 34 Abs 1 Z 3 APG nochmals in Erinnerung gerufen werden. Demnach erhalten den Erhöhungsbetrag Korridorpensionen, „die infolge der Beendigung des Arbeitslosengeld- oder des Notstandshilfeanspruchs nach §§ 22 und 38 AlVG im Kalenderjahr 2024 angetreten werden“. Nach den Erläuterungen sollen damit jene nicht erfasst werden, bei denen der Zeitpunkt ihres Pensionsantritts ihrer Disposition unterliegt (vgl ErläutRV 1077 BlgNR 24. GP 18). Die Parlamentshomepage spricht von jenen, die „(…) gezwungenermaßen – aus der Arbeitslosigkeit in die Korridorpension wechseln” (Nationalrat beschließt Deckel für Pensionserhöhung 2024 und Schutzklausel für Pensionsneuzugänge (PK1075/18.10.2023) | Parlament Österreich, https://www.parlament.gv.at/aktuelles/pk/jahr_2023/pk1075). Es sollen damit Anreize für einen längeren Verbleib im Erwerbsleben gesetzt werden.
Was also nach diesen Ausführungen unter einem Korridorpensionsantritt im Jahr 2024 infolge der 65 Beendigung des Arbeitslosengeldes oder des Notstandshilfeanspruchs nach §§ 22 und 38 AlVG verstanden wird, kann auf verschiedene Weise ausgelegt werden. Dabei stehen insb zwei Interpretationsmöglichkeiten zur Verfügung, die zu diametral anderen Ergebnissen führen.
Diese Interpretation stützt sich vorrangig auf den expliziten Wortlaut der Gesetzesbestimmung. Unter „Beendigung des Arbeitslosengeld- oder des Notstandshilfeanspruchs nach §§ 22 und 38 AlVG“ werden damit jene subsumiert, deren Anspruch aufgrund der Erfüllungen der Anspruchsvoraussetzungen der Korridorpension gesetzlich beendet wird, weil sie nicht unter die Ausnahmebestimmung fallen, wonach sie trotz Erfüllung noch ein Jahr Arbeitslosengeld beziehen können.
Gemeint sind damit alle, die nach den Bestimmungen des § 22 AlVG die Möglichkeit haben, weiterhin für ein Jahr Leistungen aus der AlV zu beziehen und ihren Pensionsantritt dadurch zeitlich nach hinten zu verlegen. Auch die einjährige Begrenzung schadet hierbei nicht. Arbeitslose, deren Bezug aufgrund der zeitlichen Begrenzung des § 22 AlVG im Jahr 2024 beendet wird und die daher gezwungen sind, ihre Pension anzutreten, sind sowieso von § 34 Abs 1 Z 2 APG umfasst, da sie bereits im Jahr 2023 die Anspruchsvoraussetzungen für die Korridorpension erfüllt haben müssen.
Damit adressieren die Bestimmungen jene Betroffenen, die nicht in die Begünstigung des § 22 AlVG fallen. Das sind insb Arbeitslose, deren letztes Beschäftigungsverhältnis aufgrund einer AN-Kündigung beendet wurde oder wegen einer einvernehmlichen Auflösung, die nicht unter den oben bereits ausgeführten Umständen erfolgt ist. Beschäftigte, die gekündigt wurden oder aus sonstigen Beendigungsgründen, die ihnen nicht vorwerfbar sind, arbeitslos geworden sind, können von der Schutzklausel nicht profitieren, wenn sie die Korridorpension trotz des Anspruchs auf Arbeitslosengeld im Jahr 2024 antreten würden. Damit wären beispielsweise Beschäftigte in Altersteilzeit, deren Beschäftigungsverhältnisse in der Regel einvernehmlich nach Altersteilzeit zum Antritt der Pension beendet werden, vom Erhöhungsbetrag ausgeschlossen.
Diese Interpretationsmöglichkeit ist zwar weiter entfernt vom Wortlaut, würde aber zu rechtspolitisch nachvollziehbareren Ergebnissen in Einzelfällen führen. Unter „Beendigung des Arbeitslosengeld- oder des Notstandshilfeanspruchs nach §§ 22 und 38 AlVG“ werden dabei jene Personen subsumiert, die ihren besonderen Anspruch auf Arbeitslosengeld trotz Erfüllung der Voraussetzungen für die Korridorpension, aufgrund des Korridorpensionsantritts 2024, freiwillig beenden.
Aufgrund der Begünstigung in § 22 AlVG und des ausdrücklichen gesetzlichen Vorrangs von Pensionsleistungen gegenüber der Absicherung aus der AlV wäre eine solche Regelung innerhalb des Systems konsistent. Es würden damit auch jene vom Erhöhungsbetrag profitieren, die auch nach dem Arbeitslosenversicherungsrecht begünstigt behandelt werden. Damit wären auch Beschäftigte in Altersteilzeit, deren Altersteilzeit im Jahr 2024 endet, wonach in der Regel deren Dienstverhältnis nach vorheriger Vereinbarung automatisch einvernehmlich gelöst wird, ebenso umschlossen wie all jene älteren AN, deren Dienstverhältnisse von Seiten des DG gelöst werden und die arbeitsmarktpolitisch nur mehr wenig Chancen auf eine neue Vermittlung haben. Diese Personen wären dann nicht gezwungen, ein Jahr lang Arbeitslosengeld zu beziehen und dem Arbeitsmarktservice (AMS) zur Verfügung zu stehen, um 2025 erst die Korridorpension antreten zu können.
Die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) und das Sozialministerium haben auf Anfrage der Arbeiterkammer bestätigt, dass von der Schutzklausel jene Korridorpensionist:innen erfasst sein sollen, die keinen Anspruch auf Leistungen gem § 22 AlVG haben, wenn sie die Voraussetzungen für eine Korridorpension erfüllen. Die Bestimmung wird also nach der Variante 4.2.1. vollzogen werden. Aufgrund der Ausführungen in den Erläuterungen, wonach insb die fehlende Dispositionsmöglichkeit der Versicherten hinsichtlich ihres Pensionsantrittszeitpunkts im Mittelpunkt der Abgrenzung für den Anspruch auf den Erhöhungsbetrag steht sowie des Gesetzeswortlauts der Bestimmung, ist dieser Interpretationsmöglichkeit auch der Vorzug zu geben. Auch wenn es auf den ersten Blick fragwürdig erscheinen mag, genau die Arbeitslosen in den Genuss des Erhöhungsbetrags kommen zu lassen, deren letztes Beschäftigungsverhältnis aufgrund eigenen Betreibens beendet wurde, ist nur diese Interpretationsmöglichkeit mit dem Gesetzeswortlaut und den Zielsetzungen in den Erläuterungen in Einklang zu bringen.
Betroffene, die Anspruch auf eine Leistung gem § 22 AlVG haben und somit noch ein Jahr Arbeitslosengeld beziehen können, fallen laut PVA und Sozialministerium nicht unter die Schutzklausel. Es werden somit keine Anreize gesetzt, den vorhandenen Arbeitslosengeldanspruch vorzeitig durch den Pensionsantritt zu beenden. Im Gegenzug haben die Betroffenen, die noch ein Jahr Anspruch 66 auf Arbeitslosengeld haben, damit die Möglichkeit, ihre Pension weiter zu erhöhen. Gleichzeitig müssen sie der Arbeitsmarktvermittlung noch ein weiteres Jahr zur Verfügung stehen und es besteht die Chance, dass das Beschäftigungspotential noch weiter genutzt werden kann, auch wenn die Realität des Arbeitsmarktes hier oftmals entgegensteht. Nachdem die Sachlichkeit einer solchen Regelung erheblichen Zweifeln unterliegt, wird sie wohl ihren Weg zum VfGH finden.
Grundsätzlich sind fast alle Berufsgruppen von der Schutzklausel umfasst, da das APG gem § 1 Abs 1 leg cit das Ausmaß der Alters-, Invaliditäts-, Berufsunfähigkeits- Erwerbsunfähigkeits- und Hinterbliebenenpensionen für alle nach dem ASVG (DN, Vertragsbedienstete), GSVG (Gewerbetreibende, Neue Selbständige), FSVG (freiberuflich tätige Ärzte, Mitglieder der Apothekerkammer) und BSVG (Selbständige in der Land- und Forstwirtschaft) versicherten Personen regelt.
Für beamtete Personen bestehen zahlreiche Sondersysteme, die entweder gar nicht oder nur in einem geringeren Ausmaß von der gegenständlichen Regelung betroffen sind. In der Bundesgesetzgebung hat der Gesetzgeber jedenfalls Regelungen erlassen, die die Anwendung des § 34 APG für den (geringeren) Teil des Ruhebezuges, der sich nach dem Pensionskonto berechnet, vorschreiben. Die entsprechenden Bestimmungen finden sich für Beamt:innen des Bundes im § 100 Abs 6 Pensionsgesetz 1965, für Bundestheaterbedienstete im § 19 Abs 7 BThPG sowie für Bundesbahnbedienstete im § 67 Abs 5 BB-PG. Das Pensionsrecht der Landes- und Gemeindebeamten ist landesgesetzlich unterschiedlich geregelt. Eine nähere Auseinandersetzung mit all diesen Sondersystemen würde jedoch jegliche Länge dieses Beitrags sprengen. Erwähnenswert ist allerdings, dass manche Sondersysteme nur in einem viel geringeren Ausmaß von der Problematik einer zeitverzögerten Aufwertung betroffen sind. In der Wiener Pensionsordnung (PO 1995) sind bspw alte Beitragsgrundlagen mit einem eigenen Aufwertungsfaktor nach § 4 Abs 3 PO 1995 wertgesichert. Dieser basiert auf der Erhöhung des (Wiener) Beamtengehalts der Gehaltsstufe 2 der Dienstklasse V in der Zeit nach Ablauf des letzten Erhöhungszeitraumes bis zum 30. September des dem Anpassungsjahr vorangegangenen Kalenderjahres und beträgt gem der VO der Wiener Landesreg, LGBl Nr 43/2023, 1,072 für eine Beitragsgrundlage aus dem Jahr 2022. Damit schlägt sich eine steigende Inflation auch viel rascher in einem höheren Aufwertungsmultiplikator nieder als in der gesetzlichen PV nach dem APG.
Die Einführung einer Schutzklausel war zum Ausgleich der drohenden dauerhaften Verluste für alle Pensionsantritte im Kalenderjahr 2024 aufgrund der hohen Inflation und der im ersten Teil ausführlich erklärten Pensionskontologik mit Anpassung und Aufwertung notwendig. Die beschlossene Regelung bringt für fast alle Betroffenen einen teilweisen (in etwa im Ausmaß von 2/3) Ausgleich dieser Verluste. Durch die Miteinbeziehung aller Pensionsarten, insb auch der Invaliditätspension sowie der vorzeitigen Alterspensionen, ist es gelungen, ein weitgehend umfassendes Schutznetz für alle zu gestalten, die im Jahr 2024 ihre Pension antreten. Umso weniger ist die sperrige Regelung für Korridorpensionsantritte 2024 nachvollziehbar. Mit der Begründung, Anreize für einen längeren Verbleib im Erwerbsleben bieten zu wollen, wurde eine Regelung geschaffen, die nun zu wohl ebenso ungewünschten Ergebnissen führt. In Wirklichkeit werden die Anreize für den längeren Verbleib im Erwerbsleben bereits durch das bestehende Pensionssystem gesetzt. Ein Aufschub des Pensionsantritts um ein Jahr bringt im Rahmen des Pensionskorridors zwischen 62 und 68 Jahren rund 10 % mehr Pension. Dass es hierbei zu keiner Verzerrung kommt, war ja genau einer der Gründe für die Einführung einer Schutzklausel. De facto wird mit der Regelung, wie sie nach den obigen Ausführungen verstanden werden muss und auch vollzogen wird, eine Situation erzeugt, in denen eine Beendigung des Dienstverhältnisses von Seiten der AN gefördert wird. Damit jemand, der im Jahr 2024 die Korridorpension erstmals antreten kann und dies auch möchte, vom Erhöhungsbetrag profitiert, muss das Dienstverhältnis selbst oder einvernehmlich aufgelöst werden, da insb in diesen Beendigungsfällen Arbeitslosengeld nach § 22 AlVG nur bis zur ersten Möglichkeit des Pensionsantritts zusteht. Das betrifft jene, die nach einer kurzfristigen Arbeitslosigkeit in die Korridorpension übergehen würden und nicht bereits aus einem längeren Arbeitslosengeldbezug. Ein Anreiz für einen längeren Verbleib im Erwerbsleben wird damit nicht gesetzt.
Eine zusätzliche Unsicherheit für alle Betroffenen, die nun nicht von der Schutzklausel profitieren können und daher in der Regel wohl noch ein Jahr bis zu ihrem erzwungenen Pensionsantritt 2025 der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen und Leistungen aus der AlV beziehen werden, ist, dass aktuell noch unklar ist, ob es auch für Pensionsantritte 2025 einen gleichartigen Erhöhungsbetrag geben wird. Somit drohen all jenen wiederum Pensionsverluste, da sich die beschriebene Problematik auch für Pensionsantritte 2025 wiederum ergibt.67