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Betriebsvereinbarung kann nicht Verpflichtung zur Verankerung eines erweiterten Kündigungsschutzes im Arbeitsvertrag anordnen

MARTINACHLESTIL

Die Kl ist seit 1.9.2004 bei der bekl AG als Angestellte beschäftigt. Die bekl AG und deren BR schlossen am 6.2.2020 eine BV mit Datum des Inkrafttretens am 1.7.2010 ab. Diese lautet auszugsweise wie folgt:

„§ 19 Erweiterter Kündigungsschutz

19.1. Nach 10 Dienstjahren gebührt der/dem AN der erweiterte Kündigungsschutz. Dieser wird von der GF (Anm: Geschäftsführung der bekl AG) als Zusatz zum Arbeitsvertrag schriftlich verankert.

19.2. Die Kündigung eines/einer AN, dem/der der erweiterte Kündigungsschutz zuerkannt wurde, darf nur aus einem der nachstehend angeführten Gründen erfolgen, nämlich wenn

  • die * (Anm: Bekl) im Falle einer dauernden Einstellung oder Einschränkung des Betriebes dem zuständigen Gremium den Nachweis erbringt, dass es die/den betroffene/n AN trotz seines/ihres Verlangens an einem anderen Arbeitsplatz im 16Betrieb ohne erheblichen Schaden nicht weiter beschäftigen kann,

  • der/die AN unfähig wird, die im Arbeitsvertrag vereinbarte Arbeit zu leisten, sofern in absehbarer Zeit eine Wiederherstellung seiner/ihrer Arbeitsfähigkeit nicht zu erwarten ist und der Partei die Weiterbeschäftigung oder die Erbringung einer anderen Dienstleistung durch den Angestellten/die Angestellte, zu deren Verrichtung sich dieser/diese bereit zu erklären hat, nicht zugemutet werden kann,

  • nach eingehender Prüfung und unter Beiziehung von Fachpersonen und in Abklärung mit allen zuständigen Gremien und dem BR eine Zusammenarbeit nicht mehr möglich ist.“

Seit dem 6.2.2020 kam es bei der bekl AG zu keiner Kündigung, bei welcher der gekündigte AN der BV unterfallen wäre.

Die Kl begehrt nun gegenüber der bekl AG, die in der gegenständlichen BV ersichtliche unbedingte, rechtsgeschäftliche Willenserklärung iZm einem erweiterten Kündigungsschutz als Zusatz zum zwischen den Parteien abgeschlossenen Arbeitsvertrag vom 17.10.2008 schriftlich und von ihr unterfertigt abzugeben; dieser Rechtsanspruch ergäbe sich aufgrund der BV.

Die bekl AG wandte ein, dass die Normierung eines erweiterten Kündigungsschutzes nicht vom Ermächtigungstatbestand des § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG umfasst sei. Der in der BV vorgesehene erweiterte Kündigungsschutz sei sittenwidrig, weil überschießend und völlig unbestimmt geregelt und daher könne auch kein Rechtsanspruch abgeleitet werden, diesen in einen Arbeitsvertrag zu verankern.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht gab der Berufung der bekl AG nicht Folge: § 19 der BV stelle einen zulässigen Inhalt nach § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG dar. Da diese Bestimmung die Betriebsvereinbarungsparteien ermächtige, Kündigungs- und Entlassungsgründe festzulegen, sei es auch zulässig, in einer BV einen erweiterten Kündigungsschutz vorzusehen. Der Anspruch auf einzelvertragliche Verankerung des erweiterten Kündigungsschutzes ergebe sich unmittelbar aus § 19.1 der BV, insoweit könne ein Kontrahierungsgebot – hier die Pflicht zum individualarbeitsvertraglichen Abschluss eines schriftlichen Zusatzes zum Arbeitsvertrag – durchaus zulässiger Inhalt einer BV sein.

Die ordentliche Revision zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine BV nach § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG auch die Beschränkung des Kündigungsrechts auf bestimmte Kündigungsgründe regeln könne, wurde zugelassen. Nach dem OGH ist die Revision der bekl AG zulässig und berechtigt:

Die Kl stützt ihren Anspruch auf einzelvertragliche Ergänzung des erweiterten Kündigungsschutzes iSd § 19 der BV auf § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG. Nach dieser Bestimmung können Betriebsvereinbarungen in Angelegenheiten der „Kündigungsfristen und Gründe zur vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ abgeschlossen werden. Diese Ermächtigung betrifft die Schaffung von Inhaltsnormen, also von Bestimmungen, die den typischen Inhalt des Arbeitsvertrags, die gegenseitigen aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Rechte und Pflichten der AG und AN, betreffen. Inhaltsnormen entfalten gem § 31 Abs 1 ArbVG Normwirkung. Als Bestimmungen, die nicht die Rechtsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien regeln, sind sie innerhalb ihres Geltungsbereichs unmittelbar rechtsverbindlich. Normative Bestimmungen einer BV schaffen objektives Recht. Sie sind als Gesetze im materiellen Sinn zu qualifizieren und wirken auf die erfassten Arbeitsverhältnisse unmittelbar ein, ohne dass es zB einer Zustimmung der betroffenen AN bedarf. Die Normwirkung setzt allerdings voraus, dass sich die BV im Rahmen ihrer gesetzlichen oder kollektivvertraglich eingeräumten Regelungsbefugnisse bewegt und gehörig kundgemacht ist.

Nach Ansicht des OGH umfasst der Ermächtigungstatbestand des § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG nach seinem klaren Wortlaut aber nicht die Anordnung einer Kontrahierungspflicht auf einzelvertraglicher Ebene, wie sie § 19 Abs 1 Satz 2 der BV vorsieht. Eine andere (ergänzende) Auslegung des § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG stünde auch mit dem Grundsatz nicht in Einklang, dass die Betriebsvereinbarungsparteien grundsätzlich nicht befugt sind, sogenannte Abschlussnormen, also Normen betreffend das Zustandekommen von Arbeitsverhältnissen zu statuieren. (Ausnahmeregelungen zu diesem grundsätzlichen Verbot betreffen die Sonderfälle eines „Kontrahierungszwangs“ iZm der Arbeitskräfteüberlassung gem § 97 Abs 1 Z 1a ArbVG oder etwa auch die Festlegung einer Wiedereinstellungszusage in einem Sozialplan nach § 97 Abs 1 Z 4 ArbVG. In diesen Fällen ist – anders als in § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG – der entsprechende Ermächtigungstatbestand allgemein formuliert.)

Gegenständlich stellt laut OGH daher jener Teil der BV, der die schriftliche Verankerung des erweiterten Kündigungsschutzes als Zusatz zum Arbeitsvertrag vorsieht (§ 19 Abs 1 Satz 2 der BV), einen unzulässigen Regelungsgegenstand dar und ist somit nichtig. Demgemäß könnte diese Verpflichtung zur schriftlichen Verankerung des erweiterten Kündigungsschutzes als Zusatz zum Arbeitsvertrag, wenn überhaupt, nur auf einer unzulässigen, sogenannten freien BV beruhen.

Die Rsp sieht solche unzulässigen Betriebsvereinbarungen als Vertragsschablonen an, deren Inhalt ausdrücklich oder schlüssig nach § 863 ABGB zu einer Änderung bzw Ergänzung des Einzelvertrags führen kann. Im Einzelnen kommt es für die Beurteilung der einzelvertraglichen Rechtswirksamkeit einer unzulässigen BV vor allem auf den Wissensstand der 17 Arbeitsvertragsparteien und den Inhalt der unzulässigen BV an. Maßgebend ist, dass die Arbeitsvertragsparteien vom Abschluss und vom Inhalt der unzulässigen BV Kenntnis hatten und (zumindest) schlüssig zu erkennen geben, sich dennoch an die Regelungen halten zu wollen. Im vorliegenden Fall liegen aber keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Betriebsvereinbarungsparteien bzw der AG und die Gesamtheit der AN durch ihr Verhalten eindeutig zu erkennen gegeben haben, dass sie sich an den unzulässigen Teil der BV (§ 19 Abs 1 Satz 2) halten wollten. Auch steht fest, dass es bislang bei der bekl AG zu keiner Kündigung gekommen ist, bei welcher der gekündigte AN der BV unterfallen wäre.

Da die Kl daher mangels Rechtsgrundlage keinen Anspruch auf Ausstellung des mit der Klage begehrten schriftlichen Zusatzes zum Arbeitsvertrag hat, musste auf die Rechtsfrage, ob die Festlegung eines erweiterten Kündigungsschutzes in einer BV vom Kompetenztatbestand des § 97 Abs 1 Z 22 ArbVG umfasst ist, nicht mehr eingegangen werden.

Der Revision der bekl AG ist daher Folge zu geben, die Entscheidungen der Vorinstanzen sind iSe Klagsabweisung abzuändern.