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Angebot der Rücknahme der Entlassung bei Zustimmung zur einvernehmlichen Auflösung: Einforderung des Beratungsrechts mit dem Betriebsrat nach § 104a ArbVG führt nicht zum Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses

RICHARDHALWAX

Zu Beginn des Gesprächs vom 31.8.2021 um 16:00 Uhr wurde dem Kl gegenüber die Entlassung ausgesprochen. Auf dessen Frage, „wo denn sein Betriebsrat sei“, wurde ihm mitgeteilt, dass bei einer Entlassung ein BR nicht zwingend erforderlich sei. Nach einer längeren Diskussion über die den Anlass für die Entlassung bildenden Kundenbeschwerden bot die Geschäftsführerin der Bekl dem Kl statt der 18 Entlassung die einvernehmliche Auflösung zum 30.9.2021 an. Sie räumte ihm eine Überlegungsfrist bis 18:00 Uhr ein, worauf der Kl unter Mitnahme des Entlassungsschreibens und des schriftlichen Entwurfs für die einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses den Raum verließ. Anschließend fragte er einen Kollegen um Rat, der ehemals Betriebsratsvorsitzender im Betrieb gewesen war. Nachdem ihm dieser die Vor- und Nachteile beider Beendigungsvarianten aufgezählt hatte, unterfertigte der Kl die einvernehmliche Auflösung (nach der ihm 12 Monatsbezüge an Abfertigung „alt“ zustehen sollten).

Der Kl begehrte die Feststellung des aufrechten Bestehens des Dienstverhältnisses über den 30.9.2021 hinaus. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge. Die außerordentliche Revision des Kl war laut OGH zurückzuweisen.

Schließt ein AN unter dem Eindruck einer bereits ausgesprochenen Entlassung die ihm gleichzeitig angebotene Auflösungsvereinbarung ab, so kommt es für die Redlichkeit des AG darauf an, ob für ihn zu diesem Zeitpunkt plausible und objektiv ausreichende Gründe für einen Entlassungsausspruch gegeben waren. Ist dies der Fall, kann nicht von der Ausübung ungerechtfertigten psychologischen Drucks die Rede sein. Mit dieser Rsp steht die Beurteilung des Berufungsgerichts in Einklang, im Hinblick auf das – auch nach mehrfachen Ermahnungen – weiterhin gegebene Verhalten des Kl gegenüber Kunden habe die Bekl objektiv plausible Gründe für einen Entlassungsausspruch gehabt. Die Schlussfolgerung, die Bekl habe den Kl über das Vorliegen eines Entlassungsgrundes nicht in die Irre geführt, sodass er sich nicht auf die Ausübung ungerechtfertigten psychologischen Drucks berufen könne, ist daher nicht zu beanstanden.

Durch die Entlassung wäre das Arbeitsverhältnis, ungeachtet des Umstands, ob die Entlassung berechtigt oder unberechtigt erfolgt ist, endgültig beendet gewesen. Dass ein bestandgeschütztes Dienstverhältnis vorgelegen gewesen wäre, ist aus der Aktenlage nicht ersichtlich.

Die Zurücknahme einer Entlassung kann – sobald sie dem anderen Teil zugegangen und damit wirksam geworden ist – nur sofort (was hier nicht der Fall war) oder mit Zustimmung des Erklärungsempfängers erfolgen. Ob eine unbedingte oder unter einer Bedingung stehende Rücknahme einer Entlassungserklärung vorliegt, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Nach den bindenden Tatsachenfeststellungen hat die Bekl nicht erklärt oder auch nur den Eindruck erweckt, von einer Entlassung absehen zu wollen, falls die von ihr angebotene einvernehmliche Beendigung nicht zustande kommen sollte. Inhalt der vorgeschlagenen Auflösungsvereinbarung war vielmehr, die bereits ausgesprochene Entlassung dann zurückzunehmen, wenn der Kl der vorgeschlagenen einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Zug um Zug) zustimmt. Soweit sich daher die Parteien einigten, die bereits ausgesprochene Entlassung in eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses umzuwandeln, wurde dem Kl eine „gesichtswahrende“ Auflösungsart unter gleichzeitiger Wahrung des Abfertigungsanspruchs (Abfertigung „alt“ in Höhe von 12 Monatsbezügen) eingeräumt. Es lag im beiderseitigen Interesse, strittige oder zweifelhafte Tatumstände durch beiderseitiges Nachgeben mit streitbereinigender Wirkung einvernehmlich neu festzulegen. Eine solche aus Anlass der Beendigung getroffene abschließende Reglung ist als Vergleich anzusehen, da die Vereinbarung auch noch ungewisse Rechte umfasst.

Der Kl vermeint in seiner Revision, auch in dieser Situation wäre § 104a ArbVG anwendbar.

Verlangt der AN vor der Vereinbarung einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Betriebsinhaber nachweislich, sich mit dem BR zu beraten, so kann gem § 104a Abs 1 ArbVG innerhalb von zwei Arbeitstagen nach diesem Verlangen eine einvernehmliche Lösung rechtswirksam nicht vereinbart werden („Vereinbarungssperre“). Zweck der Vorschrift ist ein Übereilungsschutz für den AN: Dieser soll nicht unüberlegt eine einvernehmliche Auflösung mit der Folge der Aufgabe des Arbeitsplatzes abschließen. Eine entgegen der Vereinbarungssperre getroffene Einigung ist rechtsunwirksam (§ 104a Abs 2 ArbVG). Ihre Nichtigkeit kann vom AN geltend gemacht werden.

Selbst wenn man (ohne weitere Prüfung) dem Standpunkt des Kl folgend auch im vorliegenden Fall die Anwendbarkeit des § 104a ArbVG bejahen und weiters davon ausgehen wollte, mangels Einhaltung der Voraussetzungen des § 104a ArbVG wäre die Geltendmachung der Rechtsunwirksamkeit bzw Nichtigkeit der einvernehmlichen Auflösung erfolgreich, könnte das aber dennoch nicht dazu führen, dass – wie der Kl anstrebt – lediglich die einvernehmliche Auflösung wegfiele und das Arbeitsverhältnis fortbestünde. Vielmehr wäre zugleich die mit der einvernehmlichen Beendigung untrennbar verknüpfte Rücknahme der Entlassung beseitigt, sodass das Arbeitsverhältnis durch Entlassung beendet wäre. Auch unter der Annahme der Anwendbarkeit und erfolgreichen Geltendmachung des § 104a ArbVG wäre daher das auf Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses über den 30.9.2021 hinaus gerichtete Klagebegehren abzuweisen.

Auf die Frage, ob das nach Ausspruch der Entlassung geäußerte Verlangen des Kl, sich mit einem BR beraten zu wollen, in einem inneren, „thematischen“ Zusammenhang zur nachfolgenden einvernehmlichen Lösung steht, musste daher nicht näher eingegangen werden.19