Klimakleber – „auf die Straße gesetzt“!

VERONIKASPRINGER (LINZ)BARBARATROST (LINZ)
Ein Lehrling nimmt als Mitglied einer Umweltschutzorganisation an einer unangemeldeten Straßenblockade teil und versperrt damit zufällig auch dem eigenen Lehrberechtigten den Weg. Der Lehrberechtigte reagiert letztlich mit der Auflösung des Lehrverhältnisses. In diesem einfachen lebensnahen Beispiel verbirgt sich eine Vielzahl an arbeitsrechtlichen Fragen. Sie reichen vom Wesen der Auflösung von Lehrverhältnissen und den Folgen derselben bis hin zu den Grenzen des Schutzes vor weltanschaulicher Diskriminierung.
Sachverhalt

Albert A (Alter 16) ist Lehrling zum Einzelhandelskaufmann im zweiten Lehrjahr (18. Monat) im Einzelhandelsunternehmen des Herrn Xaver X. Vor einem halben Jahr ist er der Klimaschutzbewegung „5 vor 12“ beigetreten und verbringt dort viel Zeit mit gemeinsamen Aktionen.

Am Montag, den 19.6.2023, klebt sich A gemeinsam mit vier Mitstreitern um 6:50 Uhr auf dem Asphalt der Abfahrt der Autobahn A 7 in L fest, um „für Tempo 100“ zu demonstrieren. Die Fahrbahn wird für die Dauer von 55 Minuten blockiert, ehe die Polizei die unangemeldete Demonstration auflöst. Bereits nach fünf Minuten der Blockade erreicht X am Weg in seinen Betrieb die Abfahrt und steht im Stau. Er steigt aus, um nach der Ursache zu sehen und findet seinen Lehrling auf der Straße klebend. Erbost über den Stau und darüber, dass dieser just an jener Autobahn produziert wird, auf welcher ohnehin nur Tempo 80 gefahren werden darf, geht er auf seinen Mitarbeiter zu und drückt seine Missbilligung aus. Er tut dies ua mit den Worten: „Wenn ich dich noch einmal bei so einer Aktion erwische, dann setz‘ ich dich auf die Straße – aber nicht mit Kleber, sondern mit Entlassungsschreiben.“ A rechtfertigt sich: Sein Dienst beginne ohnehin erst um 8:30 Uhr und er würde jedenfalls rechtzeitig am Arbeitsplatz sein.

Am darauffolgenden Montag wiederholt sich die Szene – nur mit dem Unterschied, dass der aufgebrachte X dieses Mal an Ort und Stelle gar nichts sagt, sondern unverzüglich nach Auflösung der Blockade und Ankunft im Betrieb handelt. Als A pünktlich um 8:30 Uhr eintrifft, erhält er ein Schreiben, in dem X die „Auflösung des Lehrverhältnisses zum 30. September 2023“ erklärt. Dem Schreiben angeschlossen ist eine Liste mit Mediatoren.

Wie ist die Rechtslage?

Lösung

1.
Grundsätzliches zur Beendigung von Lehrverhältnissen

A ist Lehrling, daher erfolgt die Beurteilung der Rechtslage primär nach dem Berufsausbildungsgesetz (BAG). Ergänzend ist aber auch zu erörtern, ob bzw inwieweit neben dem BAG auch andere Rechtsvorschriften zur Anwendung kommen können. Dies betrifft idZ vor allem ein etwaiges Zusammentreffen mit Regelungen des ArbVG, des GlBG sowie des ABGB.

Für Lehrlinge gilt ein besonderer Bestandschutz. Lehrverhältnisse sollen nach der ursprünglichen Idee des BAG nicht leichtfertig beendet werden können. Anders als verschiedene andere Arten des Bestandschutzes war jener für Lehrlinge von Beginn an nicht mit einem der Kündigung oder Entlassung222 vorgelagertem behördlichen* oder gerichtlichen* Verfahren gekoppelt. Die ursprüngliche Besonderheit beim Lehrlingsschutz ergab sich daraus, dass Lehrverhältnisse ihrer Natur nach befristet sind, und die Kündigung befristeter Arbeitsverhältnisse grundsätzlich weder von AG- noch von AN-Seite zulässig ist.* Eine dennoch ausgesprochene Kündigung beendet aber befristete Arbeitsverhältnisse grundsätzlich und zieht als Schadenersatz Kündigungsentschädigung bis zum Ende der vereinbarten Vertragslaufzeit nach sich.* Soll ein Bestandschutz freilich ein „besonderer“ sein, so genügt nicht Schadenersatz; es ist dafür die Unwirksamkeit der Beendigungserklärung gefordert.

Bis 2008 war die einzige Möglichkeit, ein Lehrverhältnis vorzeitig rechtmäßig zu beenden, die schriftliche Entlassung auf Basis eines der in § 15 BAG aufgelisteten Gründe, wobei das Fehlen von Schriftlichkeit oder Grund die Rechtsunwirksamkeit zur Folge hatte. Kündigungen konnten rechtswirksam überhaupt nicht ausgesprochen werden. Dass bei Lehrlingen auf rechtswidrige Beendigungen stets das Unwirksamkeitsprinzip (anstelle des Schadenersatzprinzips) angewendet wurde, war sogar zum Ausgangspunkt für die Entwicklung des Wahlrechts beim besonderen Entlassungsschutz geworden.* Diesem zugrunde lag die Erwägung, dass in Folge einer unwirksamen Beendigung – namentlich gerade beim Lehrverhältnis – keine dauerhafte Bindung der Vertragspartner zwingend sein sollte, wenn dies (vor allem für den Lehrling) keine lebbare Option mehr darstellte.

Mit der Einführung des § 15a BAG, der den so genannten „Ausbildungsübertritt“ regelt, hat der Gesetzgeber diese Rechtslage grundlegend geändert und in gewissem Maße dem Umstand Rechnung getragen, dass gerade für Berufsausbildung eine gewisse Harmonie zwischen Ausbildner und Auszubildenden essenziell ist. Es ist nunmehr möglich, ein Lehrverhältnis auch ohne Vorliegen eines Grundes gem § 15 BAG vor Ablauf der Lehrzeit rechtmäßig zu beenden. Zweck der Regelung war, eine erleichterte Lösungsmöglichkeit für den Fall zu schaffen, dass Lehrberechtigter und Lehrling nicht miteinander harmonieren bzw der Lehrling sich als nicht geeignet für diesen Lehrberuf erweist.* Das dafür geschaffene Verfahren soll entweder eine friedliche Beilegung allfälliger Unstimmigkeiten und Weiterbeschäftigung des Lehrlings oder aber die vorzeitige Beendigung ohne Grund durch den Lehrberechtigten zur Folge haben.

Hinsichtlich der rechtlichen Einordnung dieser Beendigungsart sind viele Fragen – sowohl begriffsjuristischer als auch inhaltlicher Art – offen. Die Problematik beginnt schon damit, dass der Gesetzgeber für die neue Beendigungsart eine dem Arbeitsrecht und auch dem Zivilrecht bisher fremde Bezeichnung wählt. Der Begriff „Ausbildungsübertritt“ lässt weder einen Rückschluss darauf zu, ob es sich hierbei um ein Rechtsgeschäft handelt, noch gar, ob dieses gegebenenfalls ein einseitiges oder ein zweiseitiges wäre. Der oft strapazierte Blick in die Materialien führt hier zu keiner Erhellung,* wird doch einerseits der Anschein erweckt, man habe keine Kündigung schaffen wollen, welche aber andererseits dennoch gem § 15a Abs 8 BAG zB einzelnen Kündigungsschutzarten unterliegen solle.* Die Verknüpfung zwischen Terminologie und Rechtsfolgen wird genau in diesem Kontext evident:

  • (a)

    Hält man den Ausbildungsübertritt (in Form der einseitigen, befristeten Beendigung durch den:die AG) für keine arbeitergeberseitige Kündigung, so wären logisch jegliche Rechtsfolgen von Kündigungen (insb die unterschiedlichsten Arten des Kündigungsschutzes) ausgeschlossen, soweit nicht der Gesetzgeber (wie in § 15a Abs 8 BAG) selbst eine Ausnahme ausdrücklich anordnet.

  • (b)

    Erkennt man aber in der arbeitgeberseitigen Auflösung am Ende des Mediationsverfahrens eine Kündigung, so lässt sich methodisch klar dokumentieren, dass dann auch alle Varianten des Kündigungsschutzes zur Anwendung kommen und die Auflistung in § 15a Abs 8 BAG also als eine bloß demonstrative (oder zwar taxative, aber erweiterungs- bzw analogiefähige) zu beurteilen wäre.*

Der bisherige Meinungsstand zur Verflechtung von Terminologie und Rechtsfolgen bietet ein einzigartiges Bild der Verwirrnisse.

In seiner jüngsten E meint der OGH, die „außerordentliche Auflösung“ iSd § 15a BAG sei „keine Kündigung“, sondern eine „Auflösungsart sui generis“.*

In der Lehre meiden Burger-Ehrnhofer/Drs zunächst den Begriff „Kündigung“ und sprechen von einer außerordentlichen Auflösungsmöglichkeit/Auflösung eigener Art, um sodann im Anschluss an die Darstellung des Inhalts des § 15a Abs 8 BAG zwanglos eine Anwendbarkeit auch des individuellen Kündigungsschutzes* unter gleichzeitigem Ausschluss des allgemeinen Kündigungsschutzes223 ohne Begründung als selbstverständlich zu erachten. *

Auch Löschnigg sieht in dieser Auflösungsart keine Kündigung, sondern eine „außerordentliche Auflösung“.*

Burger hält zunächst unter Berufung auf die Materialien die außerordentliche Auflösung für eine eigenständige Form der Beendigung, um dann aber letztlich doch auch den Charakter als Kündigung für nicht ausgeschlossen zu erachten. Wieder andererseits sei der präzisen Anordnung in Gesetz und Materialien zu entnehmen, dass die außerordentliche Auflösung nicht denselben Regelungen unterliege, wie sie für die ordentlichen Kündigungen gelten. Nur die Vorschriften, die für jegliche Formen der Beendigung eines fortlaufenden Schuldverhältnisses gelten, seien auf diese außerordentliche Auflösung anwendbar, wie zB Bestimmungen bezüglich Zustellung oder Verbot sittenwidriger Handlungen.*

Nur vereinzelt wird die Beendigungsart gem § 15a BAG – uE zu Recht – als „Kündigung“ eingeordnet,* woraus sich dann auch sämtliche Rechtsfolgen der Kündigung ergeben. Dafür spricht vor allem, dass die Verwendung in der Rechtsordnung nicht verankerter Begriffe (wie insb „außerordentliche Auflösung“ bzw „Auflösungsart sui generis“) im Gesetzwerdungsprozess auf eine fehlende klare Absicht des Gesetzgebers iSd § 6 ABGB hinweist.* Im Interpretationswege sind daher die einzelnen vom Gesetz vorgesehenen Aktionen (vom Lehrberechtigten und Lehrling) auf ihren rechtsgeschäftlichen Gehalt hin zu untersuchen.

Wenn der Gesetzgeber selbst gewisse Arten des Kündigungsschutzes auf diese Beendigungsart (die er nicht als Kündigung bezeichnet) für anwendbar erklärt, so ist dies bereits in sich unschlüssig. Immerhin anerkennt der Gesetzgeber mit der punktuellen Aufzählung, dass das Mediationsverfahren nicht genügt, um dem Lehrling ausreichenden Schutz zu bieten. Aus rechtsgeschäftlicher Betrachtung, wonach die Beendigungserklärung eindeutig alle Kriterien der Kündigung erfüllt, ist die Aufzählung in § 15a Abs 8 BAG daher entweder obsolet (weil für Kündigungen ohnehin der gesamte Kündigungsschutz gilt) oder aber lückenhaft (weil nur gewisse Arten des Kündigungsschutzes* aufgezählt werden). Trotz überzeugender Argumente* hat sich bislang an der hA,* wonach es sich bei der Beendigung gem § 15a BAG um keine Kündigung, sondern eine Beendigung der besonderen Art handle, nichts geändert. Dies erscheint uE nicht richtig. Dennoch muss für die Praxis diese Mehrheitsmeinung berücksichtigt werden.

Für den konkreten Fall ist nach all dem von folgendem Status auszugehen:

X hat im Rahmen seiner Erklärung gegenüber A nicht zum Ausdruck gebracht, dass er das Lehrverhältnis aus einem wichtigen Grund gem § 15 BAG mit sofortiger Wirkung lösen möchte. Vielmehr ist im Kontext mit dem gleichzeitig erfolgten Hinweis auf die Mediation davon auszugehen, dass X mit seinem Vorgehen ein Beendigungsverfahren gem § 15a BAG einleiten will. Am zeitlichen Ende des Sachverhalts befindet sich aufgrund der Erklärung von X gegenüber A dieses Beendigungsverfahren erst in der Startphase. Es liegt daher noch keine rechtwirksame Beendigung, sondern lediglich eine Absichtserklärung gem § 15a Abs 3 BAG vor.

2.
Das Mediationsverfahren
2.1.
Verzicht des Lehrlings auf Mediation

Mit der Erklärung des X gegenüber A wird das Beendigungsverfahren eingeleitet. Die Erklärung hat (noch) keinen rechtsgeschäftlichen Charakter und unterliegt daher weder den zivilrechtlichen Regelungen über die Bekämpfung von Rechtsgeschäften (§§ 870 ff ABGB)* noch irgendeiner Art eines Kündigungs- oder Entlassungsschutzes.* Keinen rechtsgeschäftlichen Charakter hat auch das Mediationsverfahren an sich. Anders verhält es sich mit der Erklärung des Lehrlings gem § 15a Abs 3 BAG, mit welcher dieser gegebenenfalls das Mediationsverfahren zur Gänze ablehnen und damit dem Lehrberechtigten den Weg zur sofortigen Beendigung des Lehrverhältnisses eröffnen kann.* Der Gesetzgeber spricht hier von der „schriftlichen Ablehnung“, macht aber schon durch die ausdrücklich verankerte Widerrufsmöglichkeit deutlich, dass es sich um eine Erklärung handelt, an welche Rechtsfolgen geknüpft sind. Folgerichtig müssen daher auf diese Erklärung – ungeachtet des ausdrücklich geregelten Widerrufs – auch andere, zwar nicht in der Wirkung aber hinsichtlich des Tatbestandes darüberhinausgehende zivilrechtliche Bekämpfungsmöglichkeiten grundsätzlich anwendbar sein. Wer aber in diesem Zusammenhang an die Anwendbarkeit des § 879 ABGB denkt, scheitert an dem Umstand, dass es beim Verzicht des224 Lehrlings auf ein Mediationsverfahren ja de facto um die (freiwillige) Vorbereitung der Beendigung durch den Lehrling (also AN) geht und Persönlichkeitsrechte der AN ganz prinzipiell verbieten, AN durch Rechtsunwirksamkeit einer eigenen Beendigungserklärung in ein von ihnen nicht mehr gewolltes Arbeitsverhältnis zu zwingen. Was für zB arbeitnehmerseitige Kündigungen gilt,* muss hier also auch entsprechend für die vom AN (Lehrling) ausgehende „Vorbereitung“ der Beendigung durch Verzicht auf das Mediationsverfahren gelten – auch wenn die Beendigung hier letztlich vom AG ausgesprochen wird. De facto wird diese Variante aber wohl keine Rolle spielen, weil sittenwidrige, den AG zB bewusst schädigende Absichten hinter dem Verzicht des Lehrlings auf das Mediationsverfahren schwer vorstellbar sind, zumal ja ohnehin der befristete Verzicht bereits kraft Gesetzes möglich ist.

Diese theoretische Grundlage leitet jedoch über zu möglicherweise doch praktisch denkbaren Varianten, für welche es durchaus relevant ist, ob der Verzicht des Lehrlings als rechtsgeschäftliche Erklärung – jenseits der gesetzlich befristeten Widerrufsmöglichkeit – den Bekämpfungsmöglichkeiten durch das ABGB unterliegt. Ein solcher Fall wäre etwa gegeben, wenn der Lehrling durch Irreführung, arglistige Täuschung oder Drohung (§§ 870 f ABGB) zum Verzicht auf das Mediationsverfahren gebracht worden wäre, etwa indem der Lehrberechtigte dem Lehrling in Aussicht stellt, er würde „nur für den Fall des Verzichts auf das Mediationsverfahren von einer Strafanzeige absehen“. Generell wäre in solchen Fällen zu fragen, ob der AG einen sachlichen Grund für eine Strafanzeige hat, oder ob die behaupteten Vorwürfe völlig aus der Luft gegriffen sind. Anders ausgedrückt: Handelt es sich um die Androhung eines gerechtfertigten oder eines ungerechtfertigten Übels?

Die Drohung mit einem rechtlich erlaubten Übel, das dazu dient, die eigenen Interessen zu schützen (zB Entlassung), wird im Allgemeinen nicht als unrechtmäßig angesehen. Eine Drohung ist jedoch unrechtmäßig, wenn sie dazu dient, den Vertragspartner in seinen Interessen zu schädigen, anstatt ein legitimes Eigeninteresse zu schützen, selbst wenn das angewendete Mittel an sich erlaubt ist.* Wenn ein AN infolge der Ankündigung seines AG, ihn zu entlassen, eine Auflösungsvereinbarung abschließt, hängt die rechtliche Bedeutung dieser Vereinbarung davon ab, ob zum Zeitpunkt der Entlassungsankündigung des AG plausible und objektiv ausreichende Gründe für die Entlassung vorlagen.*

Angewandt auf den konkreten Fall könnte zB der AG den Aktivisten, welcher ja auch ihm selbst den Weg versperrt hat, wegen Nötigung (§ 105 StGB) anzeigen. Egal ob eine solche Anzeige tatsächlich zu einer Anklage oder gar Verurteilung führen würde, so wäre jedenfalls die Androhung einer solchen Strafanzeige nicht völlig aus der Luft gegriffen, sodass es sich iSd § 870 ABGB nicht um eine unzulässige Drohung handeln würde.* Nur im Falle der Androhung eines unzulässigen Übels (zB körperliche Gewalt) wäre die Vertragsanfechtung gem § 870 ABGB geboten.

Die Einbettung der Erklärung des Lehrlings in das Gesamtkonzept des § 15a BAG verbietet allerdings in letzter Konsequenz eine rein rechtsgeschäftliche Betrachtung iSd ABGB. Es stellt nämlich das Recht auf Verzichtserklärung einschließlich des Rechts auf Widerruf derselben in § 15a Abs 3 BAG eine lex specialis im Verhältnis zu den allgemeinen Rechtsgeschäftsregeln dar, und zwar in der Weise, dass der Aufgriff allfälliger Willensmängel explizit auf die 14-tägige Frist beschränkt wurde.

Zu fragen wäre aber noch, ob die Lex-specialis-Regelung wirklich alle Eventualitäten veranlasster Willensmängel erfasst. Wie bereits mehrfach ausgeführt, kann eine Spezialregelung die allgemeine zivilrechtliche Norm nur insoweit verdrängen, als ihr Regelungsumfang reicht.* Wenn der Zweck des unbegründeten befristeten Widerrufsrechts darin besteht, den Lehrling vor vorschnellen Entscheidungen zu schützen, so umfasst dieser Regelungszweck nicht auch den Fall, dass der Lehrling für seine Verzichtsentscheidung unter Druck gesetzt wurde und die Drohung über den Zeitraum der 14-tägigen Widerrufsfrist anhält. Für diesen – aber wohl auch nur für diesen – Fall bleibt überschießend § 870 ABGB trotz Spezialnorm anwendbar. Allerdings wäre selbst eine anhaltende Androhung eines gerechtfertigten Übels hinsichtlich des Willensmangels irrelevant. Am Ergebnis ändert sich dadurch also für den konkreten Fall nichts.

2.2.
Mediationsverfahren durchgeführt – Relevanz?

Verzichtet der Lehrling nicht auf das Mediationsverfahren, so beginnt an dieser Stelle ein Vorgehen, das letztlich nach Ablauf und Inhalt von keinerlei Relevanz für eine allfällige Beendigung oder deren Wirksamkeit ist. Wenn also Lehrberechtigter und Lehrling unter Anleitung eines eingetragenen Mediators darüber diskutieren, welchen Anlass der Lehrberechtigte für die beabsichtigte Beendigung hat und warum dieser Anlass aus Sicht des Lehrlings nicht „gerechtfertigt“ erscheint, so dient dies ausschließlich dem Zweck, auszuloten, ob es noch zu einer „Versöhnung“ und in der Folge zu einer erfolgversprechenden weiteren Lehrausbildung bei diesem Lehrberechtigten kommen kann. Aussagen und Erklärungen im Rahmen des Mediationsverfahrens haben keinen rechtsgeschäftlichen Charakter und sind als faktisches Verhalten bzw225 Realakte keiner Bekämpfung wegen rechtsgeschäftlicher Mängel zugänglich.* Dies gilt auch für das Mediationsverfahren an sich, was sich für den Fall einer Einigung von selbst ergibt und aber auch für den Fall der Nichteinigung von Gesetzes wegen vorgegeben ist, löst doch jegliche Art der Beendigung des Mediationsverfahrens das Recht des Lehrberechtigten zum Ausspruch der Beendigungserklärung aus.

3.
Beendigungserklärung durch den Lehrberechtigten – Bekämpfung durch den Lehrling

Hat der Lehrling auf ein Mediationsverfahren verzichtet oder wurde ein solches durchgeführt und konnte keine Einigung erzielt werden, so kommt es am Ende zur einseitigen Auflösungserklärung durch X. Wie bereits unter 1. ausgeführt, geht die hM davon aus, dass diese Beendigung keine Kündigung darstellt und demgemäß nur die im Gesetz genannten (§ 15a Abs 8 BAG) Varianten des besonderen Kündigungsschutzes auf die – mehrheitlich als „Beendigung sui generis“ betrachtete – Auflösung zur Anwendung kommen.

3.1.
Beendigungserklärung rechtswirksam?

Zu fragen ist daher, ob bei A die Voraussetzungen für das Vorliegen eines besonderen Kündigungsschutzes (iSd Auflistung in § 15a Abs 8 BAG) vorliegen. Aus dem Sachverhalt ergeben sich dafür (zB Vorliegen einer Elternschaft, Behinderung, Tätigkeit in Belegschaftsvertretung usw) keine Anhaltspunkte, und es ist vom Vorliegen eines besonderen Kündigungsschutzes nicht auszugehen.

Zu klären ist nun, ob eine Beendigung gem § 15a BAG sittenwidrig iSd § 879 ABGB sein könnte. Dass § 879 Abs 1 ABGB trotz des auf „Verträge“ eingeschränkten Wortlautes grundsätzlich auch auf Kündigungen (und Entlassungen – aber zB auch auf Weisungen) zur Anwendung kommt,* wird mit einem Redaktionsversehen im ABGB sowie dem historischen Nachweis begründet, dass zweifelsfrei auch einseitige Rechtsgeschäfte erfasst sein sollten.* Ungeachtet der unterschiedlichen Auffassungen zu Terminologie und Einordnung steht außer Frage, dass die einseitige Erklärung des Lehrberechtigten rechtsgeschäftlichen Charakter hat und mit dieser eine neue Rechtslage (aufgelöstes Lehrverhältnis) gestaltet wird. Es handelt sich daher jedenfalls um ein einseitiges Gestaltungsrechtsgeschäft, sodass auch § 879 ABGB Anwendung findet. Allerdings kommt ein Rückgriff auf die allgemeine Sittenwidrigkeit nur dann in Betracht, wenn nicht eine Spezialregelung auf den konkreten Sachverhalt Anwendung findet.* Dies könnten hier die einschlägigen Regelungen des GlBG sein (siehe sogleich 3.2.). Alle dort aufgelisteten Diskriminierungen könnten außerhalb des Geltungsbereichs des GlBG Anwendungsfälle für Sittenwidrigkeit bei einseitigen Rechtsgestaltungsgeschäften sein, so prinzipiell auch Diskriminierungen aufgrund der Weltanschauung. Diese können aber nur dann relevant werden, wenn die (nicht-religiöse) Weltsicht in ihrer Komplexität und Ausgereiftheit hinsichtlich eines Bildes des Weltganzen einer anerkannten Religion nahekommt.* Zwar hat die Thematik die Rsp schon mehrfach beschäftigt, doch existieren kaum Entscheidungen in der Sache* – mehrheitlich waren Abweisungen bzw Zurückweisungen aus verfahrenstechnischen Gründen bzw mangels ausreichenden Vorbringens der Parteien erfolgt.* Selbst die Mitgliedschaft in einer politischen Partei sei demnach nur eingeschränkt „Weltanschauung“.* Ob demgegenüber auch Parteilosigkeit eine Weltanschauung sein kann, wurde mangels ausreichenden Vorbringens zur Glaubhaftmachung nicht entschieden.* Allerdings wurden in anderem Kontext* die Objektivität und Freiheit von politischer Ideologie gerade nicht als den Begriff der Weltanschauung erfüllend erkannt.* Anders als nach dem ersten Eindruck zu vermuten sein mag, existiert keine (ständige oder herrschende) „Rechtsprechung“ – ja nicht einmal eine einzelne höchstgerichtliche Entscheidung – darüber, ob Pazifismus als Weltanschauung anerkannt wird. Auch Grabenwarter,* der mit dieser Aussage immer wieder zitiert wird,* verweist hierzu lediglich auf die seinerzeitige Stellungnahme der Europäischen Kommission für Menschenrechte,*226 wonach Pazifismus als Philosophie in den Bereich des Rechts auf Gedanken- und Gewissensfreiheit falle.* Und schließlich wurde zuletzt auch die grundsätzliche Ablehnung eines körperlichen Eingriffs (konkret: Impfung) in einem konkreten Fall nicht als Weltanschauung beurteilt.*

Obwohl Entscheidungen in der Sache also rar sind, kann doch der Rsp insgesamt entnommen werden, dass die Grundvoraussetzung für eine „Weltanschauung“ das Vorliegen einer „Leitauffassung vom Leben und von der Welt als einem Sinnganzen“* ist. Eine Grundhaltung, die sich „Klimaschutz“ nennt, erfüllt diese Voraussetzung auf keinen Fall. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die diesem Thema verpflichteten Aktivisten gelegentlich ihre Mission als „einer religiösen Verpflichtung ähnlich“* verfolgen. Was nämlich gegenwärtig als Lebenshaltung „Klimaschutz“ bekannt ist, reduziert sich im Wesentlichen auf ein energiepolitisches Thema, nämlich die Präferenz für einen Ausstieg aus fossilen Energiequellen. Selbst innerhalb dieses schmalen Themenbereichs kann von einer einheitlichen Anschauung keine Rede sein, herrscht doch innerhalb des Meinungsspektrums „Klimaschutz“ bereits hinsichtlich der Alternativen zur fossilen Energiegewinnung (wie insb zur Frage, ob Atomenergie eine taugliche Alternative wäre) Uneinigkeit. Von einer „Leitauffassung vom Leben und von der Welt als einem Sinnganzen“ kann schon insofern keine Rede sein, weil in aller Regel nicht einmal die Natur als Ganzes von dem unter dem Titel „Klimaschutz“ Propagierten erfasst ist.

Zusammenfassend ist im Lichte der Rsp „Klimaschützer- Sein“ keine Weltanschauung, die in der Weise geschützt wäre, dass sich ein AN unter Berufung auf diese Haltung im Falle einer Benachteiligung wegen derselben auf Diskriminierung bzw (außerhalb der Geltung des GlBG) auf Sittenwidrigkeit berufen könnte.

3.2.
Geltung des GlBG? – Anfechtung gem § 26 Abs 7 GlBG?

Im vorliegenden Sachverhalt geht es nicht um eine schlichte Kündigung, sondern um eine Beendigung eines Lehrverhältnisses gem § 15a BAG. Wie bereits ausgeführt, spricht der Gesetzgeber hierzu lediglich den besonderen Kündigungsschutz explizit als gegeben an. Die Rsp hat sich bislang zur Frage, ob der Kündigungsschutz nach dem GlBG hier überhaupt anwendbar ist, noch nicht geäußert. Lediglich zur (Nicht-)Anwendbarkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes existiert eine höchstgerichtliche Entscheidung.* In der Lehre gelangen folgelogisch die Repräsentanten jener Auffassung zur Anwendbarkeit (auch) des Kündigungsschutzes gem GlBG, welche das Wesen der Beendigung gem § 15a BAG als Kündigung begreifen.* Schwer nachvollziehbar, weil auf keine methodisch haltbare Weise belegt, sind hingegen Aussagen, wonach zwar die Beendigung keine Kündigung darstelle, daher auch kein allgemeiner Kündigungsschutz, wohl aber ein solcher nach dem GlBG gelten solle.*

In Summe kann festgehalten werden, dass nach der Rsp tendenziell eine Anwendung des Kündigungsschutzes (mit Ausnahme der im Gesetz aufgezählten Tatbestände des besonderen Kündigungsschutzes) und mithin auch jenes nach dem GlBG nicht in Frage kommt, während nach einem Teil der Lehre eine Anfechtung nach § 26 Abs 7 GlBG (theoretisch) möglich wäre.

Wie bereits zur Frage einer allfälligen Sittenwidrigkeit gem § 879 ABGB unter 3.1. dargelegt, ist „Klimaschutz“ an sich keine Gesinnung, die als eine das Weltganze umfassende und von einer maßgeblichen Gruppe geschlossen getragene Leitauffassung zu beurteilen wäre. Auch unter Annahme der Geltung des GlBG kann man also zu keinem anderen Ergebnis gelangen: Eine rechtswirksame Beendigung gem § 15a BAG kann daher unter Berufung auf „Klimaschutz“ auch dann nicht mit Erfolg gem § 26 Abs 7 GlBG angefochten werden, wenn man – wie hier präferiert – nach einem Teil der Lehre der Auffassung beitritt, diese Art des Kündigungsschutzes käme auf die Beendigung von Lehrverhältnissen gem § 15a BAG zur Anwendung.

3.3.
Beendigungsmotiv und Glaubhaftmachung

Abgesehen davon, dass sich im konkreten Fall weder hinsichtlich Sittenwidrigkeit noch hinsichtlich einer Anfechtung nach GlBG im Falle von „Klimaschutz“ eine Diskriminierung aus weltanschaulichen Gründen begründen lässt, wäre im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung die Glaubhaftmachung eines allfällig verwerflichen Motivs letztlich prozessentscheidend. Selbst wenn also die Aktivität des Lehrlings auf einer als Weltanschauung anerkannten und als Diskriminierungsmotiv verwerflichen Gesinnung beruhen würde, müss te im Einzelfall geprüft werden, was das Motiv des:der AG gewesen war, die Beendi-227gung des Lehrverhältnisses einzuleiten. Im Falle von weltanschaulich (oder religiös, oder aufgrund der Sexualität bzw sexuellen Orientierung usw) geprägten Verhaltensweisen stellt sich nämlich die Frage, welchen Unterschied es macht, ob der:die AG auf eine „Gesinnung“ des AN oder auf ein „durch die Gesinnung geprägte Handlung“ des AN reagiert. Anders ausgedrückt: Ist das Motiv für die Beendigung das Diskriminierungsmerkmal oder das konkrete Verhalten des:der AN? Reagiert ein:e AG auf ein AN-Verhalten, das rechtswidrig ist, so wird das Motiv ein rechtmäßiges sein, und zwar auch dann, wenn das rechtswidrige Verhalten des:der AN weltanschaulich (religiös usw) bestimmt war. Ist das Individualverhalten hingegen rechtmäßig und ist es Ausdruck des jeweiligen Diskriminierungsmerkmals, so liegt nahe, dass das AG-Motiv ein verwerfliches war. Um es an einem Beispiel festzumachen: Wenn sich ein homosexueller AN mit seinem Partner in der Öffentlichkeit zeigt (rechtmäßiges Individualverhalten), dabei von seinem:r AG gesehen wird und diese:r daraufhin mit Kündigung reagiert, so liegt das verwerfliche Motiv (sexuelle Orientierung) nahe. Wenn aber der homosexuelle AN anlässlich der Pride-Parade aus Enthusiasmus für die gute Sache die Schaufensterscheiben seines:r AG in fest klebenden Regenbogenfarben bemalt (Sachbeschädigung, rechtswidriges Individualverhalten) und der:die AG darauf mit Kündigung reagiert, so war das Motiv mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht die sexuelle Orientierung des AN, sondern die Sachbeschädigung.

Nach ähnlichem Maßstab* wäre auch hier (sofern überhaupt das AN-Verhalten weltanschaulich geprägt wäre, was gegenständlich nicht der Fall ist) die Glaubhaftmachung des Motivs zu prüfen. Eine Diskriminierung wäre nämlich nur dann gegeben, wenn der AG auf die hinter der Handlung stehende Weltsicht des AN reagiert hätte, nicht aber auf ein individuell rechtswidriges Verhalten. Gelingt es dem AG, glaubhaft zu machen, dass er auf jedwede Straßenblockade aus jedwedem Grund ebenso reagiert hätte, dann wäre wohl auch bei einer tatsächlich schutzwürdigen Haltung des AN kaum eine Diskriminierung glaubhaft zu machen.

4.
Fazit
  • Da A Lehrling ist, orientiert sich die Beendigung nach dem BAG. Maßgeblich ist konkret § 15a BAG. Die unveränderte hM, die außerordentliche Beendigung gem § 15a BAG sei als eine Auflösungsart sui generis anzusehen, ist uE nicht nachvollziehbar. Dennoch musste in der Hauptsache von dieser Lesart ausgegangen werden. Alternativ wurde auch die Variante der Beurteilung der Auflösung als Kündigung geprüft. Weil der Sachverhalt mit der Einleitung des Verfahrens gem § 15a BAG endet, wurden die einzelnen (möglichen) Verfahrensschritte auf ihre allfällige Bekämpfbarkeit geprüft.

  • Das Mediationsverfahren an sich hat keine unmittelbaren rechtlichen Auswirkungen. Die Erklärung des Lehrlings, auf das Mediationsverfahren verzichten zu wollen, ist aber eine rechtsgeschäftliche Handlung. Ein Widerrufsrecht ist gem § 15a Abs 3 BAG zeitlich beschränkt. Ist die Erklärung aber zB unter Druck („Drohung“) zustande gekommen, so kann – sofern der Druck länger angehalten hätte – auch nach Ablauf der Frist eine Anfechtung gem § 870 ABGB nicht ausgeschlossen werden.

  • Selbst unter Zugrundelegung der hM, wonach die arbeitgeberseitige Auflösung nach Mediationsverfahren oder nach Verzicht auf das Mediationsverfahren keine Kündigung sei, ist der besondere Kündigungsschutz gem § 15a Abs 8 BAG auf diese Auflösung anwendbar. Anhaltspunkte für die Voraussetzungen eines solchen sind aber im Sachverhalt nicht gegeben.

  • Als „Auflösung sui generis“ ist die Beendigung gem § 15a BAG dennoch eine rechtsgeschäftliche Erklärung, welche den rechtsgeschäftlichen Regeln des ABGB unterliegt und mithin auch zB § 879 ABGB. Die Beendigung könnte daher sittenwidrig sein, sofern sie aus einem verwerflichen Motiv ausgesprochen wurde. Ein solches könnte die weltanschauliche Haltung des Lehrlings sein. Nach den bisherigen Aussagen von Lehre und Rsp zur Weltanschauung als Diskriminierungsmotiv ist „Klimaschutz“ keine hinreichend ganzheitliche Leitauffassung vom Leben und Sinn des Weltganzen, um als verwerfliches Diskriminierungsmotiv iSd Glaubens- und Gewissensfreiheit bzw des Schutzes der Weltanschauung in Betracht zu kommen.

  • Derselbe Maßstab wäre auch anzulegen, wenn man mit einem Teil der Lehre die Beendigung gem § 15a BAG als Kündigung beurteilt. „Klimaschutz“ ist auch kein Diskriminierungsmotiv (Weltanschauung) iSd § 26 Abs 7 GlBG. Selbst wenn aber ein Diskriminierungstatbestand vorgelegen wäre, so wäre im Einzelfall maßgeblich, ob der AG tatsächlich auf das geschützte Merkmal (zB Weltanschauung) oder aber auf ein (allenfalls rechtswidriges) Individualverhalten des AN (zB Straßenblockade) reagiert hatte. Dies wäre im Prozessfall Gegenstand der Glaubhaftmachung.228