Zur Zersplitterungstendenz im österreichischen Arbeitsrecht: Eine zweite Skizze mit Fokus im 19. Jahrhundert*

RAINERSILBERNAGL /. SEBASTIANSTRASAK (INNSBRUCK)

Das Arbeitsrecht der Republik Österreich weist eine hohe Zersplitterung auf.* Doch, dass das Arbeits- und Sozialversicherungsrecht eine weitverzweigte Angelegenheit ist, kann nicht (nur) auf aktuelle politische Situationen rückführbar sein, weshalb sich unseres Erachtens nach eine Spurensuche in der Vergangenheit lohnt.

Die Autoren folgen dabei dem Ansatz Mayer-Malys, dass Rechtsbestände, rechtliche Ideen und Institute eine zähe Langlebigkeit führen* und damit zu einem Kontinuitätsproblem werden, da sie sich weitgehend erhalten.* Die Elemente des vorindustriellen und mittelalterlichen Rechtsverständnisses drücken sich damit in Sonderverständnissen aus, die in die Gesetzgebung der Industriestaaten übernommen wurden.*

Die Autoren haben sich in einem ersten Schritt ihrer Spurensuche einer Rückschau in Antike und Mittelalter bedient, deren wesentliche Thesen hier vorangestellt werden.* In weiterer Folge soll hier begonnen werden, das „lange“ 19. Jahrhundert, welches aus staatsrechtlicher Perspektive die „Sattelzeit“ bzw Konsolidierungsphase des modernen Staates darstellt,* eingehender – aber immer noch kursorisch – zu betrachten. Bis ins ausgehende Mittelalter und über die Neuzeit scheinen personenrechtliche Beziehungen, also Familien-, Erb-, Standesrecht (Zünfte, Bürger) sowie Grundherrschaft und persönliche Treue ausreichende Regelungen für die weit zu verstehende „Beschäftigung“ von Menschen geboten zu haben.* Die Gründe der Entwicklung eines eigenen Arbeitsrechts werden vornehmlich in der Disziplinierung und Loyalitätseinforderung gegenüber der Masse an Arbeitenden gesehen.* Anderweitig wird sie auch der Entwicklung des AN-Schutzes zugeschrieben.*

1.
Erster Schritt: Kurzfassung der bisherigen Überlegungen

Die historische Forschung sieht die Ansätze dessen, was wir heute als Arbeitsrecht verstehen würden, erst ab dem Mittelalter nachweisbar.* Doch haben bereits frühantike Gesetzessammlungen* Bestimmungen ähnlich heutiger Vertragstypen 318 enthalten.*13) Auch eine Nähe zum sogenannten germanischen Treuedienstvertrag scheint für den Arbeitsvertrag, der ja wesentlich von gegenseitigen Treuepflichten getragen ist,* naheliegend.*

1.1.
Antike

Ab ca 3000 v. Chr. sind auf Steintafeln, mehr im Bereich der Sklaverei bzw Schuldknechtschaft und dem Untertanenverhältnis, zu erbringende Dienstleistungen festgehalten, in denen für eine gewisse Zeit ein „Mietzins“ für eine Person bezahlt wurde.* Dabei stand aber nicht die Person, die „vermietet“ wurde, als „Arbeitnehmer“ in den Verträgen, sondern jene Person, die ihr „Besitzer“ war und die durch diese Leihe Geld erhielt.* Daraus lässt sich die Nähe des „Dienstleistungsvertrages“ zur „Sachleihe“ oder „Miete“ im späteren römischen Recht erahnen.* Unter dem Überbegriff der locatio conductio („Dienstmiete“)* findet sich eine mittelalterlich ausgelegte Ausprägung der römisch-rechtlichen Wurzeln in drei verschiedenen Verträgen: Erstens der locatio conductio operis, welche wir heute als „Werkvertrag“ verstehen würden. Zweitens der locatio conductio operarum, die wir heute als „Dienst[leistungs]vertrag“ bezeichnen würden und drittens der locatio conductio rei, welche der Miete und Pacht ähnlich ist.* Auf dieser Methodik baut auch das ABGB auf.*

Es liegt nahe, dass in der römischen Gesellschaft zahlreiche handarbeitliche Dienste durch Sklaven verrichtet wurden. Da diese vorwiegend rechtlos waren und unter keine eigene (und vor allem überlieferte) Jurisdiktion fielen, erschien es entbehrlich, diesen Bereich zu regeln. Doch auch Sklaven erhielten eine, wenn auch manchmal nur rechnerische Entlohnung.* Dieses „Entgelt“ wurde vom Hausherrn als Besitzer verwaltet und konnte ein Sklave sich so nach gewisser Zeit und Arbeitsleistung freikaufen. Auch muss das auf persönlicher Loyalität fußende römische Klientelwesen, das auch aus Leistung und Gegenleistung von Diensten bestand, aber keine „Arbeit“ ieS darstellte, als Ausgangspunkt der Entwicklung erwähnt werden.* Die „Lohnarbeit“ verrichteten neben den Sklaven auch viele Tagelöhner. Die Lohnarbeit wurde zB von Cicero geringgeschätzt, während er der Landwirtschaft große Bedeutung zumaß.* Dabei unterschieden die Römer zwischen zwei Arbeitenden-Gruppen, die den Anschluss in die mittelalterliche Rechtstradition bilden: dem famulus, also dem Haushaltsangehörigen, der dem operarii (laboratores), also dem freien Lohnarbeiter, sozial übergestellt wurde.*

1.2.
Das Mittelalter

Das Ständedenken des Mittelalters verortete unter den „Arbeitern“ vorwiegend die körperlich arbeitenden und überwiegend in der Landwirtschaft tätigen Kräfte und Tagelöhner.* Da diese von einer Arbeit allein selten leben konnten, bestand ihre Arbeit aus einer Kombination verschiedener (Hilfs-)Arbeiten.* Regelungen, die unseren Vorstellungen eines Arbeitsrechts entsprechen, finden sich punktuell in Lohn-, Gesinde-,* Policey- oder Zunftordnungen udgl.* Dazu kommt die Systematik des mittelalterlichen Rechtsdenkens, das Regelungen aus verschiedenen Einzelgrundlagen* heranzog und zu Rechtskreisen zusammenfasste.* Zudem war die Geldwirtschaft nicht mehr so ausgeprägt und einheitlich wie in der römischen 319 Antike, sodass deshalb schon von einem Primat des Naturallohns ausgegangen werden muss.*

Die Landverleihung im Rahmen des Benefiziums begründete die persönliche Beziehung zwischen dem Verleihenden und dem Empfangenden (Vasallität).* Das Gros der Bevölkerung befand sich im sogenannten Untertanenverband und war der Grundherrschaft, die sich aus der Lehensvergabe ableitete, direkt (oder indirekt) unterstellt. Diese gab dem Grundholden über Jahrhunderte das Gut, das er bewirtschaftete, zur Leihe und Nutzung für sein Auskommen.* Im Gegenzug schuldete er seinem Herrn einen Zins, Robotdienste oder auch das Anbieten seiner erzeugten Waren.*

Damit erübrigte sich aber, dass die Arbeitserbringung, die eine am Grund haftende Schuld war, explizit iSe „Arbeitsrechts“ geregelt werden musste: Hilfskräfte, also Gesinde und Mägde,* partizipierten am Erwirtschafteten durch Kost und Logis mit und der Grundholde war mit dem Grundherrn persönlich verbunden.* Eine untergeordnete Rolle in der vorindustriellen Gesellschaft spielte damit auch die Trennung (und wohl auch Wahrnehmung) zwischen Arbeitszeit und Nicht-Arbeitszeit oder die Trennung von Arbeits- und Wohnplatz.*

Das (heute so zu verstehende) Familien- und Erbrecht scheint aufgrund seiner personenrechtlichen Vermögensbestimmungen für das „Erwerbsleben“ weitaus bedeutender gewesen zu sein, als es eine Regelung der Arbeit für die Masse an (besitzlosen) Tagelöhnern gewesen wäre. Ebenso zentraler war wohl die Frage der Nutzung von Grund und Boden bspw durch die ehemalige Regelung des § 357 ABGB (Ober- und Untereigentum)* oder die Erbpacht und Erbzinsverträge. Daher sind Fragen der gesellschaftlichen Zugehörigkeit (Stand) thematisch für die Zeitgenossen als wesentlich bedeutender einzustufen als bspw die Frage nach einer „Bezahlung“.*

1.3.
Der Lohn als Bindeglied zum 19. Jahrhundert

Der Lohn der Arbeit unterliegt unseres Erachtens daher, solange die Grundherrschaft das staatliche Organisationsmodell ist, einem Verständnis iSe Auskommens. Nur Fachkräfte wie Bergknappen oder zeitweise zur Unterstützung benötigte Tagelöhner oder Söldner, denen eine Abgeltung in Kost und Logis unmöglich war, wurden in Geld bezahlt. Vorgesehene Geldzahlungen in Handwerk und Gewerbe (sogenannte Handreichungen) wurden periodisch obrigkeitlich geregelt.* Haushaltszugehörige Arbeitskräfte waren der Disziplinargewalt des „Hausvaters“ unterstellt, der damit aber auch zum Gesundheits- und Sittlichkeitsschutz seiner Haushaltsmitglieder angehalten war. Die familiäre bzw religiöse Pflicht als moralischer Ausdruck eines sozial gläubigen („christlichen“) Lebens stand damit im Vordergrund und hatten diese Beschäftigungen eine erheblich größere Nähe zu (heutigen) familienrechtlichen Beziehungen: Als „familia“ wurde nämlich der gesamte Hörigenverband bezeichnet.*320

2.
Der zweite Schritt: Arbeitsrechtlicher „Klassenkampf“ und arbeitsrechtliche Verfestigung im 19. Jahrhundert

Ein Dienstverhältnis im Rahmen der mittelalterlichen Grundherrschaft war also noch dadurch gekennzeichnet, dass eine klare Trennung zwischen Arbeitsplatz und Privatleben weder zu erkennen war noch angestrebt wurde. Das Gesinde oder die Gesellen wohnten am Hof des Grundherrn und erbrachten dort auch ihre Verpflichtungen.* Mit dem Ende der Grundherrschaft zu Mitte des 19. Jahrhunderts* und der vermehrten Entstehung von Fabriken zur Massenfertigung von Produkten aller Art setzte nun eine starke Trennung zwischen dem Arbeits- und Wohnort ein, weshalb viele Menschen im Rahmen der Industrialisierung in die unmittelbare Nähe der potentiellen AG ziehen mussten. Die Beschäftigung bzw Arbeit löste sich aus dem Familien- und Treueverband der Grundherrschaft heraus.

Es gab eine große Masse „herrenloser“ Tagelöhner und ehemaliger landwirtschaftlicher Beschäftigter ohne Auskommen und Versorgung in den Städten.* Sie haben als ehemalige landwirtschaftliche Hilfskräfte Unterkunft, Kleidung und Ernährung erhalten und müssen diese Elemente nun selbst erwirtschaften.* Die Arbeit entpersonalisiert sich damit, denn der industrielle AG musste sich nicht mehr darum kümmern, wo die Arbeitskräfte untergebracht, wie sie versorgt oder gekleidet waren. Er schuldete „nur“ mehr einen Lohn.

2.1.
Die Familie wird größer: Von der industriellen Revolution bis zur Etablierung der Arbeitervertretung*

Die Phase der frühen Industrialisierung zeichnete sich besonders dadurch aus, dass Arbeiterinnen und Arbeiter vermehrt in Industriebereichen tätig werden. Der stetige Anstieg der Bevölkerungszahl begünstigte diese Entwicklung zwar, jedoch führte diese Tatsache auch dazu, dass Arbeitskräfte in einem viel größeren Ausmaß verfügbar waren als potentielle Arbeitsplätze. Eine Massenverelendung setzte ein, welche unter dem Begriff „Pauperismus“ in den 1840er-Jahren ihren Höhepunkt erreichte. * Interventionen iSd Schutzes der wirtschaftlich schwächeren AN wurden von staatlicher Seite nicht als notwendig und zielführend erachtet.*

Dementsprechend entstanden in den Großstädten Massenunterkünfte, in welchen die Arbeiterinnen und Arbeiter ein unbefriedigendes Dasein fristeten, jedoch ein Gefühl von Solidarität unter Gleichgesinnten erfuhren, während sie auf einen ersehnten Arbeitsplatz in den Fabriken hofften. Die Arbeitsbedingungen waren absolut unzureichend und die soziale Absicherung nicht vorhanden. Zudem war die Arbeiterschaft jener Teil der Bevölkerung, welcher den Wohlstand erschaffen hatte, daran aber nicht in entsprechendem Ausmaß beteiligt war, was schließlich zur Entstehung der „Sozialen Frage“ führte.* Unter ihr versteht man eine eklatante Schlechterstellung in den sozialen Bedingungen der breiten Unterschicht, welche deren Lebensgrundlage gefährdet und zu einer gesellschaftlichen Zerrissenheit führt.* Diese Situation wurde durch den sogenannten „Manchesterliberalismus“ geradezu vorangetrieben, da eine Regulierung des Marktes ausschließlich durch Angebot und Nachfrage selbst erfolgen sollte.* Folglich war die Lage der meisten Arbeiterinnen und Arbeiter durch lange Arbeitstage von bis zu 16 Stunden, jederzeitige Entlassungen, geringstes Lohnniveau, nicht vorhandener Mutterschutz sowie fehlender Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Streikverbot gekennzeichnet.* Während die Bauern, die Freischaffenden oder die Gewerbetreibenden im Wege der Märzrevolution 1848 ihre Situation verbessern konnten, blieb die bei den Aufständen involvierte Arbeiterklasse jedoch ohne Stärkung ihrer Position zurück.* Diese Verhältnisse machten es für die Betroffenen unerlässlich, sich zu organisieren, um eine gestärkte Position gegenüber ihren AG einnehmen zu können. So kam es bereits während der Revolution 1848 in Wien zur Gründung eines ersten „Arbeiterkomitees“.*

Zur gleichen Zeit setzte bereits ein Bestreben zur Erschaffung von Arbeiterkammern nach dem Vorbild der neuen Handelskammern ein.* Infolge des Inkrafttretens des Vereinsgesetzes im Jahr 1867 konstituierte sich der Erste Wiener AN-Verein und verwies in § 1 seiner von der niederösterreichischen Statthalterei genehmigten Statuten darauf, dass der „Zweck des Arbeiterbildungsvereins in Wien (...) die stete Wahrung und Förderung der geistigen und materiellen Interessen des Arbeiterstandes“ sei.*

Voraussetzung für ein zielgerichtetes gewerkschaftliches Handeln ist ein Bewusstsein, welches die grundlegende Diskrepanz zwischen den Interessen der AN und den Interessen der AG erkennt. Der Fokus des AG als Kapitaleigner und Produktionsmittelbesitzer ist ein anderer als jener der Arbeitnehmerschaft, welche ihre Arbeitsleistung 321

gegen Entgelt am Markt zur Verfügung stellt. Durch den Zusammenschluss in Gewerkschaften konnte gegenüber dem AG eine bessere Verhandlungsposition erzielt werden.* ) Neben dem Vereinsgesetz war es auch das Staatsgrundgesetz 1867, welches den österreichischen Staatsbürgern das Recht einräumte, „sich zu versammeln und Vereine zu bilden“. Jedoch normierte das seit 1852 in Geltung befindliche Koalitionsverbot weiterhin Einschränkungen, welche letztlich im Jahr 1870 mit dem Koalitionsgesetz und der Tilgung der §§ 479- 481* aus dem StGB 1852 beseitigt werden konnten. Gewerkschaftliche Tätigkeiten wurden somit nicht mehr strafrechtlich verfolgt.* Die Erlaubnis zur Bildung „unpolitischer“ Vereine ermöglichte demnach auch die Gründung von Gewerkschaften. Bereits im Jahr 1872 konnten in der österreichischen Reichshälfte 59 Arbeiterbildungsvereine und 78 Gewerkschaftsvereine gezählt werden, deren Mitgliederzahl sich auf etwa 80.000 belief.* Mit der organisatorischen Strukturierung der gemeinsamen arbeitsbezogenen Interessen ging auch der Gedanke einer sozialen Absicherung der Arbeiterinnen und Arbeiter einher. Demnach kam es im Jahr 1888/89 zur Etablierung einer KV und UV, eine PV wurde im Jahr 1906 gesetzlich verankert.* Der erste KollV für Buchdrucker entstand 1896.*

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges kam es zu diversen Änderungen für die Arbeiterinnen und Arbeiter. Das Kriegsdienstleistungsgesetz verpflichtete zur Arbeitserbringung in einem kriegswichtigen Unternehmen und die Umstellung auf eine Kriegswirtschaft führte zum Verlust von zuvor erkämpften Privilegien, wie dem Recht auf Streik oder Arbeitszeitenbeschränkungen. Mit der fortschreitenden Dauer des Krieges verschärfte sich die Situation am Arbeitsmarkt zunehmend, da der Verlust von Truppen an der Front mit Arbeitskräften aus der Heimat kompensiert werden musste und dies zu Lasten der heimischen Produktionsprozesse ging.* Dennoch führte das Kriegsdienstleistungsgesetz von 1912 dazu, dass vorrangig männliche Arbeiter an einer Kündigung oder einem Arbeitsplatzwechsel gehindert werden konnten, wenn sie in einem kriegswichtigen Betrieb tätig waren. Für Frauen galt die Regelung nicht, da diese vorwiegend für den Haushalt und die Kindeserziehung zuständig waren, außer sie waren bereits in einem Betrieb mit Relevanz für den Krieg beschäftigt.*

Somit herrschte ein Kräftemessen zwischen den Bedürfnissen des Frontdienstes und der notwendigen Arbeitsleistung in den Zulieferbetrieben der Kriegsführung. Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Etablierung neuer Machtverhältnisse in der jungen Republik, sollte auch die Arbeiterklasse vermehrt gehört und in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Dieser Leitgedanke wurde durch das Arbeiterkammergesetz 1920 umgesetzt.* Zwar wurden die Arbeiterkammern* während des autoritären Ständestaates aufgelöst, jedoch konnten diese bereits im Jahr 1945 neuerlich errichtet werden und auch der Österreichische Gewerkschaftsbund wurde in diesem Jahr gegründet. * Österreich stand bis zum Staatsvertrag* 1955 noch unter Kontrolle der Alliierten,* dennoch wurde mit den zuvor erwähnten Normen das Fundament für die Vertretung der Interessen der AN geschaffen, welches sich im Laufe der Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg stetig gefestigt und institutionalisiert hat.

2.2.
Die Entgeltlichkeit des Dienstvertrages nach § 1152 ABGB 1811

Eine verwundernde Regelung in § 1152 ABGB ist der unentgeltliche Arbeitsvertrag, wenn Unentgeltlichkeit ausdrücklich vereinbart wurde.* Der kleine passus dient der österreichischen Judikatur und Literatur weitgehend zur Begründung von Ehrenamt, Freiwilligenarbeit, Volontären, Praktikanten usw, aber auch als ein Ausdruck der Privatautonomie. * Diese Bestimmung verwundert sehr: Geht doch die überwiegende Zahl an Nachbarstaaten von entgeltlichen Arbeitsverträgen aus.* Diese Unentgeltlichkeitsmöglichkeit reicht heute – sogar schlüssig – bis in die Vergütung von Bereitschaftszeiten, die demnach unentgeltlich sein können, da sie außerhalb der „Intensität“ der Normalarbeitszeit erfolgen.* Doch das war nicht immer so.*

Die Verwunderung intensiviert sich nämlich, wenn man sich (historisch) parallel die Besoldungsvorgänge der (werdenden) Beamtenschaft des ausgehenden 18. und 19. Jahrhunderts besieht: Staatsdiener waren mit der Generierung ihres Einkommens auf das Amt verwiesen und erzielten dieses einerseits durch Schreibgelder und Taxen, 322 andererseits aber auch durch Verehrungen (sogenanntes Sporteln). Heute würden wir diese Praxis wohl als Bestechung wahrnehmen. Dies wollte die Obrigkeit – das Problem erkennend – durch verschärfte straf- und dienstrechtliche Bestimmungen, Hofdekrete und auch moralisch-ethische Aufrufe (vgl Hirtenbrief) abstellen.* Da aber eine pünktliche normalmäßige (ausreichende) Besoldung seitens des Staates nicht gewährleistet war, waren die Staatsdiener auf die Einhebung der Gebühren angewiesen.* Eine beginnende Vereinheitlichung der staatlichen Entlohnung fand erst ab 1848 statt.* Die sich von damals bis heute in endlosen Gehaltstabellen verlierenden öffentlichen Dienstverhältnisse konkretisieren eines: Der Staatsdiener arbeitet(e) nicht unentgeltlich.

Doch § 1152 ABGB ging in der Stammfassung JGS Nr 946/1811 von entgeltlichen Lohn- und Werkverträgen aus, und zwar von einem Geldlohn.* So lautete § 1152 ABGB als stillschweigender Lohnvertrag nämlich: „Sobald jemand eine Arbeit oder ein Werk bestellet; so wird auch angenommen, daß er in einen angemessenen Lohn eingewilliget habe. Ist der Lohn weder durch die Verabredung, noch durch ein Gesetz festgesetzt; so bestimmt ihn der Richter.“ Kommentiert wurde dazu, dass man nicht annehmen kann, dass derjenige, der eine Arbeit oder ein Werk bestellt, darauf Rechnung machen können soll, dass ihm jemand das Werk oder die Arbeit unentgeltlich liefern soll – was ganz in der Natur der Sache gründet. Denn Schenkungen vermutet das ABGB damals nicht und geht davon aus, dass die Antriebsfeder menschlichen Handelns der Eigennutz ist.* Dass sich jemand zu einer geistigen oder körperlichen Arbeit oder zur Erstellung eines Werks nicht unentgeltlich verpflichten würde, also ein Lohn stets zugesagt wurde, erschien auch Franz von Zeiller sehr klar.* Es war (damals) nie davon auszugehen, dass jemand seine Kräfte zur Förderung fremder Zwecke unentgeltlich überlässt. *

Die mögliche Unentgeltlichkeit in § 1152 ABGB ist damit nicht zuerst Ausdruck privatautonomer Vertragsgestaltung: Sie wurde erst durch das RGBl 1916/69, S 152 mit heutigem Wortlaut eingeführt. Anlass der Novelle 1916 war die Hoffnung, dass die vom Krieg gebeutelte Wirtschaft der Habsburgermonarchie bald an Fahrt aufnehmen würde, sich von der Friedenswirtschaft abwandte, und von fremden Erzeugnissen, Rohstoffen und Arbeitskräften bald wieder überlaufen werde. Deshalb wurden auch die „unzureichenden Bestimmungen“ des Dienstvertragsrechtes geändert.* Grund waren die nicht eigens geregelten Lehrlinge und Volontäre sowie die Einräumung der Möglichkeit, den Lohn wieder in Naturalien zu begleichen. Zumindest nach den Materialien wollte man ein angemessenes Entgelt als stillschweigend bedungen und die bekannten Taxen als selbstverständlich geltend wissen.* Die Stammfassung des ABGB kannte keine unentgeltlichen Dienstverträge. Der liberalistisch privatautonom anmutende Einschlag der Bestimmung ist mehr ein Kind der Kriegsnot und der legistische Versuch, die Lehrlinge im ABGB mitzuregeln. Als seltsame Teilbestimmung, die Arbeitnehmenden einen fragwürdigen unentgeltlichen Altruismus auflädt, blieb er bis heute erhalten. Die angesprochenen Lehrlinge sind inzwischen fundiert geregelt.

2.3.
Die arbeitsrechtliche (Sonder-) Gesetzwerdung startet

Neben den das 19. Jahrhundert eigentlich dominierenden bedeutenden staatsrechtlichen und kollektiven Rechtsentwicklungen startet zur Mitte des Jahrhunderts die eigentliche arbeitsrechtliche Sondergesetzgebung: Das „Bergwesen“ gab unseres Erachtens nach den Ausschlag für den Beginn der Sondergesetzgebung. Mit Erlass des Allgemeinen Berggesetzes 1854 wurden arbeits-, aber auch sozialrechtliche Sondervorschriften für die Bergmannstände in Kraft gesetzt. Sie waren, sieht man sich die zeitgenössischen Gesetzessammlungen an, aber mehr ein Nebenprodukt.* Das Allgemeine Berggesetz stellt mit all seinen detaillierten kaiserlichen Verordnungen, die sich teilweise auch auf einzelne Betriebe beziehen, eine „Mischrechtsordnung“ ganz im Stile der mittelalterlicher/frühneuzeitlicher Gesetzgebung dar, da es Bereiche, die wir heute als Zivil-, Unternehmens-, Arbeits-, Sozial-, Marken-, Patent-, Zoll-, Gewerbe- oder Steuerrecht verstehen, zusammen regelt. Hierin ist nun bereits zu finden, was eine Zersplitterung aus heutiger Sicht bedeutet: Die Vermengung zahlreicher Rechtsgebiete in einem Sondergesetz.* Für die große Zahl an Lohnarbeitern, das gewerbliche Hilfspersonal, bedeutsam ist die Gewerbeordnung 1859,* die ebenso wie das Allgemeine Berggesetz auf mehrere Regelungsbereiche abzielte.*323

Die Kontrolle der Betriebe sollte durch die staatlichen Gewerbeinspektionen gemacht werden.* Im Arbeitsschutz wurde besonders gegen die Kinderarbeit vorgegangen.* Für die kaufmännischen Hilfskräfte der Handlungsgehilfen, Handlungslehrlinge und Handlungsdiener galten eigene Bestimmungen in dem durch den deutschen Bund initiierten Allgemeinen Handelsgesetzbuch (AHGB) ab 1863.* Das AHGB enthielt die ersten Bestimmungen für Privatbeamte (Angestellte), die im Handlungsgehilfengesetz 1910 noch weiter geregelt wurden. Für die Dienstboten bzw Hausgehilfen galten weiterhin die unzähligen unterschiedlichen regionalen Dienstbotenordnungen.* Die gleiche zersplitterte Rechtslage in einer Flut aus Hofdekreten, die in manchen Teilen noch aus der frühen Neuzeit stammten, hatte die Beamtenschaft zu gewärtigen: Dieser Missstand äußerte sich so, dass Karl Brockhausen, ein Verwaltungsjurist und Autor der Sammlung der Dienstvorschriften konstatierte, dass kein Beamter seine Rechtsstellung insgesamt überhaupt benennen könnte.* Dieser Zustand wurde erst in der Dienstpragmatik 1914 verbessert.*

3.
Eine zweite Conclusio

Ein erster Blick zeigt auf, dass die Gesetzwerdung dessen, was wir heute als die Geburtsstunde des (im Gesetzgebungsprozess entstandenen) Arbeitsrechts begreifen, aus einer Übernahme bestehender Strukturen und Regelungskreise bestand. An den schon seit dem Mittelalter benannten Kreisen der Bergknappen, des Handwerks- und Gewerbes und der Handelsmitarbeiter knüpfen die Gesetzgebungen an. Für die einfachen Lohnarbeiter, die landwirtschaftlichen Hilfskräfte und die Hausbediensteten waren aber die sozialen und gesellschaftlichen Mitbestimmungsrechte (vgl Koalition) von großer Bedeutung, um ihre Rechtsstellung zu verbessern. Es bedurfte dafür der Auflösung der Habsburgermonarchie, denn erst in den Geburtsjahren der ersten Republik wurden das Gesetz über den achtstündigen Arbeitstag (1919), das Betriebsrätegesetz (1919), das Hausgehilfengesetz (1920), die Landarbeiterordnung (1920), das Angestelltengesetz (1920) und das Gesetz über die Einigungsämter (1920) erlassen.* Jedenfalls kann Mayer-Maly in dieser Skizze nur Recht gegeben werden, dass sich rechtliche Ideen und Vorstellungen – vielleicht sogar insb im Arbeitsrecht (?) – als zählebig erweisen und im 19. Jahrhundert der gesetzliche Grundstein jener Zersplitterung verfestigt wurde, die uns bis heute begleitet. Dass die Kriegsfassung des § 1152 ABGB aus 1916 eine liberale, aber unerfüllte Hoffnung blieb, wurde angedacht. Die ursprüngliche Fassung des ABGB kannte keine unentgeltlichen Dienstverträge – wozu auch. 324