SiemonGestaltbarkeit der unqualifizierten Auftragsnachfolge durch Tarifverträge zur Personalüberleitung

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2022 254 Seiten, € 79,90

THOMASDULLINGER (WIEN)

Kommt es zur Neuvergabe eines Auftrags, stellt sich zwangsläufig die Frage, welche Konsequenzen sich daraus für die im Rahmen dieses Auftrags tätigen AN ergeben. Während im Falle eines Betriebsübergangs (qualifizierte Auftragsnachfolge) die betreffenden Arbeitsverhältnisse ex lege auf den Auftragsnachfolger übergehen, sieht das Gesetz im Falle einer unqualifizierten Auftragsnachfolge keinen Übergang der Arbeitsverhältnisse vor. Christopher Siemon untersucht in seiner Dissertation, inwiefern in diesen Fällen ein Tarifvertrag (TV) Rechtsgrund einer Personalüberleitung sein kann.

Die gewählte Fragestellung überrascht zunächst, wird das Betriebsübergangsrecht in der Praxis doch meist als Belastung wahrgenommen und – soweit möglich – versucht, die Anwendung desselben zu vermeiden. Der Autor legt jedoch überzeugend dar, dass durchaus Konstellationen existieren, in welchen eine Personalüberleitung ein Win-Win(-Win) sein kann (S 20, 128 ff).

Die Untersuchung beginnt mit einer Konkretisierung des Untersuchungsgegenstands (S 23 ff) und damit einhergehend einer Abgrenzung zum Betriebsübergangsrecht. Auf gut 65 Seiten wird der Tatbestand des Betriebsübergangs erläutert – mit besonderem Fokus auf die Abgrenzung zwischen qualifizierter und unqualifizierter Auftragsnachfolge (S 34 ff). Den Leser*innen wird dabei eine umfassende und doch kompakte Aufbereitung der Rsp von EuGH und BAG geboten, wo nötig ergänzt um vermittelnde Lösungen des Autors. Für den weiteren Gang der Untersuchung zentral ist die Erkenntnis, dass es im Rahmen einer Auftragsnachfolge verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten (zu den rechtlichen Grenzen S 97 ff) gibt, die die Qualifikation als Betriebsübergang vermeiden. Es verbleibt mithin viel Raum für Tarifverträge zur Personalüberleitung (S 96 f).

Als Einstieg in den Hauptteil der Arbeit stellt der Autor den (deutschen) „Tarifvertrag zum Personalübergang bei Wechsel des Betreibers einer Schienenpersonennahverkehrsleistung“ – kurz TV PÜ SPNV GDL – dar und zeigt dadurch auf, welchen Inhalt ein TV zur Personalüberleitung ungefähr haben kann (S 152 ff). Ergänzend werden Beispiele aus Belgien und Spanien angeführt.

Da sich bei der Tariffähigkeit und bei der Tarifzuständigkeit keine themenspezifischen Probleme ergeben (S 165 ff), liegt der Fokus auf dem Umfang bzw den Grenzen der Tarifmacht. Dabei ist zwischen dem obligatorischen und dem normativen Teil des TV zu unterscheiden. Gestützt auf eine Analyse des Art 9 Abs 3 Grundgesetz (GG) kommt Siemon – auch vor dem Hintergrund einer mittlerweile sehr großzügigen Rsp – für den obligatorischen Teil des TV zu dem Ergebnis, dass Regelungen zur Personalüberleitung grundsätzlich unproblematisch seien (S 168 ff).

Etwas komplizierter stellt sich die Lage für den normativen Teil des TV dar. § 1 Abs 1 Tarifvertragsgesetz (TVG) regelt – vergleichbar § 2 Abs 2 ArbVG – den potenziellen Inhalt von Tarifverträgen: „Der Tarifvertrag regelt die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien und enthält Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluß und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen können.“ Ob diese Aufzählung abschließend ist, ist in der deutschen Literatur umstritten. Siemon versteht sie unter Hinweis auf den Wortlaut der Bestimmung zwar als taxativ, argumentiert jedoch gestützt auf Art 9 Abs 3 GG für eine extensive Auslegung. Dadurch seien alle Fälle, in welchen ein echtes Bedürfnis nach einer normativen Regelung besteht, abgedeckt (S 178 f). Dennoch bestehen Zweifel an der Zulässigkeit normativer Regelungen zur Personalüberleitung: Aus der Perspektive des Auftragsnachfolgers handelt es sich dabei schließlich um Abschlussnormen, die ihm völlig unbekannte AN betreffen. Entgegen einem Teil des Schrifttums hält Siemon diese Regelungen dennoch für zulässig. Weniger überzeugend ist das Argument, dass auch andere (Wieder-)Einstellungsgebote zulässig seien, etwa die Übernahme von Leih- AN oder die Wiedereinstellung ehemaliger AN. Diese Konstellationen sind mE schlicht nicht mit den hier interessierenden Sachverhalten vergleichbar. Überzeugender ist die Argumentation mit der Koalitionsfreiheit des Auftragsnachfolgers, die im Falle eines generellen Verbots solcher Regelungen vielleicht zu stark eingeschränkt wäre (S 180 ff).

Aber auch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Auftragsvorgänger ist problematisch. Je nach Ausgestaltung werden dadurch die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes teilweise unterlaufen und das für die Kündigung und Auflösungsverbote geltende Schriftformgebot kommt nicht zur Anwendung. Andererseits handelt es sich um einen gravierenden Eingriff in die Privatautonomie des Auftragsvorgängers. Siemon ist zuzustimmen, dass sich bisher geäußerte Bedenken in Rsp und Literatur nicht direkt auf Regelungen zur Personalüberleitung bezogen haben und eine Verpflichtung des Auftragsvorgängers, einen Aufhebungsvertrag anzubieten, zulässig sein könnte. Warum solche Regelungen sodann tatsächlich als zulässig beurteilt werden, ist nur teilweise nachvollziehbar (S 184 f). Auch die Argumentation für eine Qualifikation als Betriebsnorm greift mE etwas zu kurz. Die Entkräftung einiger (potenzieller) Gegenargumente überzeugt 330 zwar, insgesamt bleibt aber offen, welche Argumente die Zulässigkeit dieser Ausgestaltungsform begründen. Zuzustimmen ist Siemon aber darin, dass einzelne Teile der betreffenden Regelungen (zB betreffend die Auswahl der zu übernehmenden AN) durchaus den Charakter einer Betriebsnorm haben können.

Abschließend werden die inhaltlichen Schranken für eine Personalüberleitung durch Tarifverträge untersucht. Geprüft wird primär aus der Perspektive der Berufsfreiheit (Art 12 GG) des Auftragsnachfolgers. Die Vertragsabschlussfreiheit führe dazu, dass der Auftragsnachfolger nicht zur Übernahme von AN verpflichtet werden könne, für welche er keinen Bedarf hat. Die Vertragsauswahlfreiheit verleihe ihm ein Veto betreffend ungeeigneter AN. Auch die Vertragsinhaltsfreiheit sei zu berücksichtigen, die daraus folgenden Grenzen bleiben aber notwendigerweise vage (S 200 ff). Der Auftragsvorgänger könne die Personalabgabe durch Aufhebungsvertrag jedenfalls nur (kurz) verzögern, nicht aber verhindern (S 203 f). Die mit einer Personalüberleitung verbundenen Eingriffe in die Berufsfreiheit der Beteiligten sind jedoch vergleichsweise tiefgreifend. Während sich dies im Falle von auf den Einzelfall zugeschnittenen Haustarifverträgen grundsätzlich rechtfertigen lässt, wäre bei Branchentarifverträgen mE wohl mehr Vorsicht geboten.

Der Aufbau des Werks ist sehr intuitiv und auch sprachlich ist die Arbeit äußerst gut gelungen. Die Ergebnisse zur Zulässigkeit einer Personalüberleitung durch Tarifverträge lassen sich auf die österreichische Rechtslage zwar nur bedingt übertragen, Interessierten sei das Werk aber dennoch uneingeschränkt empfohlen: Vor allem die Ausführungen zur Auftragsnachfolge selbst und zum Betriebsübergangsrecht lassen sich problemlos übertragen. Auch die inhaltlichen Grenzen solcher Überleitungsregelungen würden sich nach österreichischem Recht primär aus den Grundrechten der beteiligten Personen ergeben, die Argumentation wäre daher eine ähnliche.