Die EU-Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit
Die EU-Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit
Grundsätzliches – Genese der Richtlinie
Kompetenzrechtliche Basis, Schutzkomponente und Struktur der Plattformarbeits-RL
Kompetenzrechtliche Basis
Schutzkonzepte der Plattformarbeits-RL
Struktur der Plattformarbeits-RL
Anwendungsbereich
Sachlicher Anwendungsbereich
Persönlicher Anwendungsbereich
Räumlicher Anwendungsbereich
Beschäftigungsstatus und widerlegliche gesetzliche Vermutung eines Arbeitsverhältnisses
Hintergrund und Genese
Das Verfahren zur korrekten Bestimmung des Beschäftigungsstatus
Zeitlicher Anwendungsbereich – Ausschluss der Rückwirkung
Algorithmisches Management
Allgemeines
Schutzbestimmungen für selbständige Personen, die Plattformarbeit leisten
Inhaltliche Kernbestimmungen
Verhältnis zu anderen Rechtsquellen und dogmatische Verankerung
Sanktionen
Ausblick
Von den neuen, durch die Digitalisierung ermöglichten Beschäftigungsformen* hat in den letzten Jahren die sogenannte Plattformarbeit nicht nur an praktischer Relevanz gewonnen, sondern auch eine eingehende rechtswissenschaftliche Behandlung erfahren.* Zudem haben zahlreiche Studien 267 das Phänomen als solches erforscht und die damit verbundenen sozialen Probleme sichtbar gemacht.* Wegen des oft grenzüberschreitenden Charakters wird häufig die Relevanz einer internationalen Regulierung betont, weshalb sich die Debatte wesentlich auf die EU-Ebene verlagerte. Hier stellt die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Plattformbeschäftigten eines der zentralen arbeitsrechtlichen Projekte in der 2025 auslaufenden Amtsperiode der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, dar. 2021 erfolgte die Konsultation der europäischen Sozialpartner, die zu keiner Einigung führte. Das Europäische Parlament forderte am 16.9.2021 die Kommission auf, einen „Vorschlag für eine Richtlinie zu Plattformbeschäftigten vorzulegen, um die Rechte aller Plattformbeschäftigten sicherzustellen und die Besonderheiten von Plattformarbeit anzugehen, um für faire und transparente Arbeitsbedingungen zu sorgen
“.*
Am 9.12.2021 legte die Europäische Kommission dann einen Vorschlag für eine RL zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit* vor, im Europäischen Parlament befasste sich der Beschäftigungsausschuss (EMPL) mit diesem. Die Berichterstatterin Elisabetha Gualmini (Italien, S&D) legte am 19.5.2022 ihren Entwurf für einen umfangreichen und 186 Änderungsvorschläge enthaltenden Bericht vor.* Der Ausschuss nahm diesen am 12.12.2022 mit 41 zu 12 Stimmen an und befürwortete die Aufnahme von interinstitutionellen Verhandlungen mit der Kommission und dem Rat (sogenannter Trilog). Das Plenum des Europäischen Parlaments bestätigte diese Entscheidung am 2.3.2023.*
Als letzter unter den relevanten Europäischen Akteuren hat der Rat der EU seinen Standpunkt (eine sogenannte „Allgemeine Ausrichtung“) zum Richtlinienvorschlag am 12.6.2023 festgelegt.* Die Endphase des Trilogs zog sich und zeigte, wie umstritten die Materie politisch ist. Ende 2023 wurde unter der spanischen Ratspräsidentschaft ein Kompromiss verhandelt und auch schon kommuniziert.* Im Rat der EU fand dieser dann aber am 22.12.2023 keine ausreichende Zustimmung. 12 Staaten, darunter insb Frankreich, stimmten dagegen; Deutschland enthielt sich der Stimme. Damit fehlte es an der erforderlichen Zustimmung von 55 % der Staaten, die mindestens 65 % der Bevölkerung repräsentieren müssen.* Am 11.3.2024 wurde dann schließlich doch noch eine Einigung erzielt, nachdem Griechenland und Estland eingelenkt hatten. Es kam zur Veröffentlichung eines endgültigen Kompromisstextes,* der auch die Basis dieses Beitrages darstellt.
Kompetenzrechtlich werden die Bestimmungen der Plattformarbeits-RL sowohl auf Art 153 Abs 2 lit b als auch auf Art 16 AEUV gestützt. Diese breite Basis ist deshalb notwendig, weil in ihr nicht nur arbeitsrechtliche, sondern auch datenschutzrechtliche Bestimmungen enthalten sind. Ziel der RL ist nämlich neben der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Plattformbeschäftigten auch den Schutz der personenbezogenen Daten von Personen, die Plattformarbeit leisten, sicherzustellen. Wie ausdrücklich festgehalten wird, werden beide Ziele gleichermaßen verfolgt, sie verstärken sich gegenseitig und sind untrennbar miteinander verbunden.*
Bei Analyse der inhaltlichen Bestimmungen der Plattformarbeits-RL (dazu im Detail sogleich) fällt die besondere Betonung kollektivrechtlicher Schutzkonzepte ins Auge. Neben der Verankerung individueller Rechte der Personen, die Plattformarbeit leisten, sind auch zahlreiche kollektivrechtliche Schutzmaßnahmen normiert. So sind etwa Informations- und Konsultationsrechte* ebenso vorgesehen wie Elemente der kollektiven Rechtsdurchsetzung.* Ausdrücklich sieht Art 25 sogar die Pflicht der Mitgliedstaaten vor, geeignete Maßnahmen zur Förderung der Rolle der Sozialpartner und zur Ermutigung zur Ausübung des Rechts auf Tarifverhandlung in der Plattformarbeit zu ergreifen.
Diese kollektive Dimension verfestigt sich wiederum bei Blick in die historische Genese. Schon beim ersten Anlauf 2021 war der Fokus der Europäischen Kommission nicht nur auf ein Gesetzesinstrument gerichtet, sondern sollten auch Selbstorganisation und kollektive Verhandlungen von Personen, die 268 Plattformarbeit leisten, unabhängig ihres rechtlichen Status, gefördert werden. Das erfolgte durch die Veröffentlichung von Leitlinien zur Anwendung des Wettbewerbsrechts der Union auf Tarifverträge über die Arbeitsbedingungen von Solo-Selbständigen* durch die Europäische Kommission am 30.9.2022. Diese stellen ua klar, dass Tarifverträge auch von selbständigen Plattformbeschäftigten nicht wettbewerbswidrig sind, wenn sie in erster Linie auf die eigene Arbeitskraft angewiesen sind (sogenannte „Solo-Selbständige“).*
Die Plattformarbeits-RL regelt die Plattformarbeit nicht vollumfänglich, sondern setzt drei Schwerpunkte (Art 1 Abs 1),* die in einzelne Kapitel zusammengefasst sind:
Maßnahmen zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit durch die Erleichterung der Statusfeststellung von Plattformbeschäftigten insb in Form der Einführung einer gesetzlichen Vermutung (Kapitel II, Art 4 – 6);
Regulierung des Algorithmischen Managements, wobei auch die Unterrichtung und Anhörung der AN behandelt wird (Kapitel III, Art 7 – 15);
Erhöhung der Transparenz der Plattformarbeit durch Anmeldung von Plattformarbeit und Zugang zu einschlägigen Informationen (Kapitel IV, Art 16 – 17).
Kapitel V (Art 18 – 24) enthält ausführliche Regelungen zur Rechtsdurchsetzung, auch die Schlussbestimmungen (Art 25 – 32) sind umfangreicher ausgefallen als in den bisherigen arbeitsrechtlichen Richtlinien.
Auf Grund des beschränkten zur Verfügung stehenden Platzes wird im Rahmen dieses Beitrages neben dem Anwendungsbereich (3.) auf die beiden Herzstücke der PlattformarbeitsRL näher eingegangen: die widerlegliche Vermutung eines Arbeitsverhältnisses (4.) und die Bestimmungen zu algorithmischem Management (5.).
Der sachliche Anwendungsbereich ergibt sich aus den Begriffsbestimmungen des Art 2 Abs 1. Zuerst werden „digitale Arbeitsplattformen“ in Unterabs 1 anhand von vier Elementen definiert, die kumulativ vorliegen müssen:
Die Dienstleistung wird zumindest teilweise auf elektronischem Wege, zB über eine Website oder eine mobile Anwendung, aus der Ferne bereitgestellt.
Sie wird auf Verlangen der Empfänger:innen der Dienstleistung erbracht.
Sie umfasst als notwendigen und wesentlichen Bestandteil die Organisation der von Einzelpersonen entgeltlich geleisteten Arbeit, unabhängig davon, ob diese Arbeit online oder an einem bestimmten Ort ausgeführt wird.
Sie geht mit dem Einsatz automatisierter Überwachungs- oder Entscheidungssysteme einher.
Vor allem lit c) ist für die Abgrenzung zu anderen Plattformen von wesentlicher Bedeutung. Es geht darum, dass die digitale Arbeitsplattform mindestens eine wichtige Rolle bei der Abstimmung zwischen der Nachfrage nach der Dienstleis tung und dem Arbeitsangebot der Einzelperson übernimmt, was auch andere Tätigkeiten, wie die Zahlungsabwicklung, umfassen könne (ErwG 21). Online-Plattformen, die nicht die Arbeit von Einzelpersonen organisieren, sondern – ohne weiter involviert zu sein – lediglich die Mittel bereitstellen, mit denen Dienstleistungsanbieter:innen Endnutzer:innen erreichen können (zB Auflistung von Angebot oder Nachfrage nach Dienstleistungen, Aggregierung und Anzeige von verfügbaren Dienstleistungsanbieter:innen in einem bestimmten Bereich), sollen nicht als digitale Arbeitsplattform betrachtet werden (ErwG 21). In diesem Sinne führt Art 2 Abs 2 auch explizit aus, dass der Begriff „digitale Arbeitsplattform“ Anbieter:innen von Dienstleistungen, deren Hauptzweck in der Nutzung oder im Angebot von Gütern* oder darin besteht, Waren von Nicht-Gewerbetreibenden weiterverkaufen zu lassen, nicht einschließt. Digitale Arbeitsplattformen sollen demnach nur jene Dienstleistungsanbieter:innen sein, bei denen die Organisation der von der Person geleisteten Arbeit (zB Personen- oder Güterbeförderung sowie Reinigungsdienstleistungen) eine notwendige und wesentliche Komponente darstellt und nicht nur untergeordneter und rein nebensächlicher Natur ist (ErwG 21).
Art 2 Abs 1 Unterabs 2 definiert dann „Plattformarbeit“ als jede Arbeit, die über digitale Arbeitsplattformen organisiert und in der EU von Personen auf der Grundlage eines Vertragsverhältnisses zwischen digitalen Arbeitsplattformen oder Vermittler:innen* und Personen ausgeführt wird. Dabei ist es nicht wesentlich, ob ein Vertragsverhältnis zwischen den Personen oder Vermittler:innen und den Empfänger:innen der Dienstleistung besteht.*269
Entsprechend der Definition sind damit nur Arbeiten über eine Plattform erfasst. Gerade was die Anwendung der Bestimmungen zum algorithmischen Management betrifft, unterliegen Beschäftigte in anderen Sektoren (zB Beschäftigte in Logistikzentren) nicht den Schutzbestimmungen der RL. Dies kann dazu führen, dass diese AN einen geringeren Schutz genießen als Personen, die Plattformarbeit leisten.*
Nach ErwG 21 soll zudem die Organisation von „Freiwilligentätigkeit“ nicht erfasst sein, wenngleich sich dies nicht aus der Definition des Art 2 Abs 1 Unterabs 1 ergibt und es auch nicht nachvollziehbar ist, warum diese Personen weniger schutzbedürftig sind.eßen als Personen, die Plattformarbeit leisten.*
Die Plattformarbeits-RL suggeriert in Art 1 Abs 2 Unterabs 1, dass sie in erster Linie nur auf Personen, die Plattformarbeit leisten, zur Anwendung kommt, die als AN anzusehen sind. Diese werden als „Plattformbeschäftigte“ bezeichnet (Art 2 Abs 3). Ähnlich der Transparenz-RL (EU) 2019/1152 in deren Art 1 Abs 2 wird auf das nationale Begriffsverständnis rekurriert und ist aber gleichzeitig die Rsp des EuGH zu berücksichtigen.*23) Die Erweiterung, dass auch Personen als AN anzusehen sind, wenn „nach der Beurteilung des Sachverhaltes vom Bestehen eines Arbeitsvertrages oder eines Arbeitsverhältnisses ausgegangen werden kann
“, erklärt sich aus der gesetzlichen Vermutung des Art 5.
Die Bestimmungen zum algorithmischen Management, dh die einzigen, die echte subjektive Rechte einräumen, finden hingegen auch auf Personen Anwendung, die Plattformarbeit leisten, die nicht als AN anzusehen sind (Art 1 Abs 2 Unterabs 2). Das betrifft nicht die Art 12 (AN-Schutz), Art 13 – 14 (Unterrichtung und Anhörung), wobei aber Art 15 den Vertreter:innen von Personen, die Plattformarbeit leisten und die keine AN-Vertreter:innen sind, dennoch bestimmte Rechte einräumt. Unabhängig vom AN-Status sind die die Transparenz und Rechtsdurchsetzung betreffenden Art 17 – 24 und die Förderung von Tarifverhandlungen in Art 25 sowie die Verbreitung von Informationen in Art 27 auf alle Personen, die Plattformarbeit leisten, anwendbar. Damit hat die PlattformarbeitsRL abseits des Kapitels II sowie Art 16 (Anmeldung der Plattformarbeit nur für Plattformbeschäftigte) letztlich einen über AN hinausgehenden Anwendungsbereich auf alle „Personen, die Plattformarbeit leisten“ (Art 2 Abs 3).
Der räumliche Anwendungsbereich ergibt sich aus der Definition von Plattformarbeit in Art 2 Abs 1 Unterabs 2: Es geht um Arbeiten, die in der EU ausgeführt werden. Nach ErwG 19 soll die RL für alle digitalen Arbeitsplattformen unabhängig vom Ort ihrer Niederlassung und unabhängig von dem sonst anwendbaren Recht gelten. Demnach kommt es alleine darauf an, wo sich die Person, die Plattformarbeit leistet, physisch während der Leistung aufhält.
In der Literatur* wird schon seit längerem auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die für Personen bestehen, die Plattformarbeit leisten, wenn sich diese auf ihren AN-Status vor einem Gericht oder einer Behörde berufen und diesen dann beweisen müssen (so auch ErwG 31). Als Lösung dieses Informationsungleichgewichtes wurde die Einführung einer widerleglichen gesetzlichen Vermutung vorgeschlagen.* Auch die Europäische Kommission hat diesen Ansatz in ihrem Richtlinienentwurf verfolgt. Dieser hat dann auch die politische Diskussion dominiert und letztlich war die massive Abschwächung der Vermutung in dem Sinne, dass sich deren konkrete Ausgestaltung nicht mehr in der RL findet, sondern den Mitgliedstaaten überlassen wurde, der Weg zum Kompromiss. Bevor auf die letztlich beschlossene Lösung einzugehen ist, ist zum besseren Verständnis kurz die Entstehungsgeschichte nachzuzeichnen.
Im ursprünglichen Kommissionsentwurf war in Art 4 vorgesehen, dass Mitgliedstaaten eine rechtliche Vermutung einführen müssen, dass die Vertragsbeziehung zwischen einer Arbeitsplattform und den über sie arbeitenden Personen ein Arbeitsverhältnis ist. Damit diese zur Anwendung kommt, hatte die Person, die Plattformarbeit leistet, nachzuweisen, dass die digitale Arbeitsplattform in einem gewissen Umfang die Leistungserbringung kontrolliert. Art 4 Abs 2 Richtlinienentwurf enthielt fünf Kriterien, von denen zwei erfüllt sein mussten, damit die gesetzliche Vermutung greift.
Diese waren Folgende:
die effektive Bestimmung der Höhe der Vergütung oder Festlegung von Obergrenzen der Vergütung;
die Aufforderung an die Plattformarbeit leistenden Person, bestimmte verbindliche Regeln in Bezug auf Erscheinungsbild und Verhalten gegenüber den Empfänger:innen der Dienstleistung 270 bzw in Bezug auf die Arbeitsleistung einzuhalten;
die Überwachung der Arbeitsleistung oder Überprüfung der Qualität der Arbeitsergebnisse, auch auf elektronischem Wege;
die effektive Einschränkung der Freiheit, die Arbeit zu organisieren – insb den Ermessensspielraum bei der Wahl der Arbeitszeit oder der Abwesenheitszeiten –, Aufgaben an- bzw abzulehnen oder die Dienste von Unterauftragnehmer:innen oder Ersatzkräften in Anspruch zu nehmen, auch durch den Einsatz von Sanktionen;
effektive Einschränkung der Möglichkeit, einen Kund:innenstamm aufzubauen oder Arbeiten für Dritte auszuführen.
Der EMPL-Ausschuss des Europäischen Parlaments zielte dann im sogenannten Gualmini-Bericht* mit seinen zahlreichen Änderungsvorschlägen darauf ab, die Anwendung der Rechtsvermutung des AN-Status weiter zu erleichtern. Das Konzept wurde grundsätzlich verändert und auf einen abschließenden Katalog von Kriterien zur Auslösung der Vermutung verzichtet; die gesetzliche Vermutung sollte immer dann greifen, wenn über eine Plattform Arbeitsleistungen verrichtet werden. Eine Widerlegung sollte zudem nur dann möglich sein, wenn zwei Kriterien kumulativ erfüllt sind: Zusätzlich zum Umstand, dass kein Arbeitsvertrag nach dem jeweils anwendbaren nationalen Recht vorliegen darf, muss eine etablierte selbständige gewerbliche oder berufliche Tätigkeit als Plattform arbeit ausgeübt werden. Das Vorbild für diesen Änderungsvorschlag war offensichtlich der „Gold Standard“ für gesetzliche Vermutungen des AN-Status, das überaus umstrittene Assembly Bill 5 (AB 5)* des kalifornischen Parlaments aus 2019. Diese führte eine ähnlich „harte“ gesetzliche Vermutung für ein Arbeitsverhältnis ein – und zwar nicht nur bei Plattformarbeit, sondern grundsätzlich immer dann, wenn für jemand anderen persönlich Arbeit geleistet wird. Die Widerlegung ist nur durch den sogenannten ABC-Test möglich, dh (A) wenn keine Fremdbestimmung vorliegt, (B) wenn Tätigkeiten außerhalb der üblichen Geschäftstätigkeit der Leistungsempfänger:innen erbracht werden und (C) wenn diese eine etablierte selbständige gewerbliche oder berufliche Tätigkeit ausüben.*
Der Vorschlag des Rates der EU* war dann beim „politisch heikelsten Teil des Vorschlages“ der gesetzlichen Vermutung viel weniger weitreichend. Es wird zur Indikatorenmethode zurückgekehrt und diese nur als eine der Möglichkeiten für die Mitgliedstaaten angesehen, ihrer Verpflichtung nachzukommen, geeignete Verfahren einzuführen, um den Beschäftigungsstatus von Personen, die Plattformarbeit leisten, zu bestimmen.* Die Indikatoren wurden auf sieben erweitert, von denen drei erfüllt sein müssen, damit die Vermutung greift. Betont wird nun auch, dass, wenn digitale Arbeitsplattformen einer gesetzlichen bzw tarifvertraglichen Verpflichtung nachkommen, dies nicht als Erfüllung dieser Kriterien zu verstehen ist.
Geblieben ist von all dem letztlich nicht viel. Die Plattformarbeits-RL sieht in Art 4 nur mehr vor, dass die Mitgliedstaaten geeignete und wirksame Verfahren bereithalten müssen, mit denen die korrekte Bestimmung des Beschäftigungsstatus von Personen, die Plattformarbeit leisten, überprüft und gewährleistet wird, um – unter Berücksichtigung der Rsp des EuGH – feststellen zu können, ob ein Arbeitsverhältnis nach nationalem Verständnis der Mitgliedstaaten definiert ist. Dann folgt der Passus „einschließlich über die Anwendung der Vermutung des Arbeitsverhältnisses gemäß Art 5
“. Aus dem doch unglücklich gewählten Wortlaut geht nicht klar hervor, ob die gesetzliche Vermutung nur eines der Verfahren für die korrekte Bestimmung des Beschäftigungsstatus ist (so noch explizit der gemeinsame Standpunkt des Rates der EU vom 7.6.2023) oder ob eine solche jedenfalls vorzusehen ist. Auch ErwG 31, wo die Vermutung eines Beschäftigungsverhältnisses als „wirksames Instrument“ bezeichnet wird, ist nicht ganz eindeutig. Die Systematik von Kapitel II und der breite Raum, der der gesetzlichen Vermutung gewidmet wird, spricht jedoch uE ebenso für eine Verpflichtung, eine gesetzliche Vermutung einzuführen, wie auch der dann doch klare Wortlaut von Art 5, insb Abs 2.
Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der gesetzlichen Vermutung sind die Mitgliedstaaten nun – anders als in den bisherigen Vorschlägen – frei.
Die RL gibt lediglich Eckpunkte vor:
Es muss sich um ein geeignetes und wirksames Verfahren handeln (Art 4 Abs 1), das eine (Verfahrens-) Erleichterung zu Gunsten der Personen, die Plattformarbeit leisten, darstellt (Art 5 Abs 2, ErwG 31 f). Keinesfalls darf sie dazu führen, dass die Belastung durch die Anforderungen in Verfahren zur Statusfeststellung erhöht wird (ErwG 32).
Die gesetzliche Vermutung soll wesentlich auf Tatsachen Bezug nehmen, die auf eine Kontrolle und Steuerung hindeuten (Art 5 Abs 1, ErwG 31). Dabei ist zu beachten, dass nach Art 2 Abs 1 Unterabs 1 lit d der Einsatz automatisierter Überwachungs- und Entscheidungssysteme konstitutiv für digitale Arbeitsplattformen ist. Es spricht daher vieles dafür, dass bei dem engen sachlichen Anwendungsbereich der RL die gesetzliche Vermutung jedenfalls leicht zur Anwendung kommen sollte. Freilich können auch Elemente wirtschaftlicher Dominanz und Abhängigkeit eine Rolle spielen wie zB die Festlegung der Entgelte durch die Plattform.*271
Die Erfüllung der Anforderungen im Rahmen der gesetzlichen Vermutung sollte nicht aufwändig sein. Einer Person, die Plattformarbeit leistet, sollte die Aufgabe erleichtert werden nachzuweisen, dass im Beschäftigungsverhältnis mit der digitalen Arbeitsplattform ein Machtungleichgewicht besteht. Zweck der Vermutung ist es, das bei der Plattformarbeit bestehende Machtungleichgewicht wirksam anzugehen und zu korrigieren (ErwG 32).
Die Aussage in ErwG 32, dass die Anwendung der gesetzlichen Vermutung nicht automatisch zur Neueinstufung von Personen, die Plattformarbeit leisten, führen soll, soll wohl klarstellen, dass individuelle Verfahren zur Statusfeststellung zu führen sind.
Die gesetzliche Vermutung führt nicht nur dazu, dass bis zu deren Widerlegung ein Arbeitsverhältnis vorliegt, sondern auch, dass als AG die digitale Arbeitsplattform angenommen wird (Art 5 Abs 1).
Sie muss widerlegbar sein (Art 5 Abs 2) – das betrifft nicht nur den Umstand, dass kein Arbeitsverhältnis vorliegt, sondern auch, dass die digitale Arbeitsplattform nicht AG ist. Jedenfalls liegt dann die Beweislast bei der digitalen Arbeitsplattform (ErwG 32, 35).
Die Vermutung gilt in allen einschlägigen Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren betreffend den korrekten Beschäftigungsstatus; explizit ausgenommen sind nach Art 5 Abs 3 jedoch Steuer-, Straf- und Sozialversicherungsverfahren. Hier besteht lediglich die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, die gesetzliche Vermutung anzuwenden.
Die letztlich beschlossene Regelungstechnik hat Vor- und Nachteile: Gegenüber den bisherigen Vorschlägen ist sie weniger starr und bietet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, flexibel auf neue Formen der Organisation von Arbeit über digitale Plattformen zu reagieren. Es besteht uE auch eine entsprechende Verpflichtung zur Nachjustierung der nationalen gesetzlichen Vermutungen, wenn diese nicht mehr die Voraussetzungen der „Geeignetheit“ und „Wirksamkeit“ iSd Art 4 Abs 1 erfüllen, weil zB die Kriterien für die Auslösung der Vermutung nicht mehr ausreichend die aktuell praktizierte Steuerung und Kontrolle durch die digitalen Arbeitsplattformen abbilden. Andererseits führt der weite Spielraum bei der Richtlinienumsetzung dazu, dass es keine einheitlichen europaweiten Standards für die Durchsetzung des korrekten Beschäftigungsstatus geben wird, sondern dass diese je nach Mitgliedstaat mitunter massiv unterschiedlich sein können. Es ist freilich zu erwarten, dass sich die Mitgliedstaaten an der Methode und den Kriterienkatalogen von Kommission und Rat orientieren werden. Wählt man diesen Zugang, so wäre iSd Flexibilität einer beispielhaften Aufzählung von Kriterien, die auf Kontrolle und Steuerung der Arbeit durch die Plattform hinweisen, der Vorzug zu geben und das Vorliegen nur eines Kriteriums als ausreichend für die Auslösung der Vermutung anzusehen. Möglich wäre freilich auch ein niederschwelligerer Zugang, wie ihn das Europäische Parlament vorgeschlagen hat, nämlich, dass die Vermutung immer dann greift, wenn Personen über digitale Arbeitsplattformen arbeiten. Da für letztere iSd Art 2 Abs 1 Unterabs 1 lit d der Einsatz automatisierter Überwachungs- und Entscheidungssysteme konstitutiv ist, wäre zu erwägen, Punkte anzuführen, die davon betroffen sind (zB Geotracking bei der Leistungserbringung), um die Vermutung auszulösen.
Für die Anwendung der Vermutung sieht Art 5 Abs 6 ausdrücklich vor, dass die gesetzliche Vermutung bei Vertragsverhältnissen, die vor dem Zeitpunkt des Ablaufs der Umsetzungsfrist eingegangen wurden und die zu diesem Zeitpunkt noch laufen, nur für den Zeitraum ab Ablauf der Umsetzungsfrist gilt. ErwGr 34 begründet dies mit dem Interesse der Rechtssicherheit. Das ist aber nicht ganz nachvollziehbar, da die RL ja lediglich die Durchsetzung des korrekten Vertragsstatus erleichtert und durch den Ausschluss der Rückwirkung lediglich digitale Arbeitsplattformen geschützt werden, die sich rechtswidrig Scheinselbständiger bedienen und so einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Mitbewerbern haben, die mit AN operieren. Da die RL nur Mindeststandards vorgibt, sollte der nationale Gesetzgeber deshalb die Vermutung des Art 5 auch auf Arbeitsverhältnisse ausdehnen, die vor dem Zeitpunkt des Ablaufs der Umsetzungsfrist eingegangen wurden.
Kapitel III der PlattformarbeitsRL beinhaltet Regelungen zum algorithmischen Management (Art 7 – 15). Diese stellen die ersten Rechtsnormen auf EU-Ebene dar, die explizit den Einsatz von algorithmischem Management (inkl der Verwendung von Künstlicher Intelligenz [KI]) am Arbeitsplatz regeln.* Die Tatsache, dass diese in der PlattformarbeitsRL enthalten sind, ist nicht überraschend, ist doch die Entstehungsgeschichte des algorithmischen Managements eng mit jener der Gig-Economy verknüpft.*
Zentrale Elemente des algorithmischen Managements sind sogenannte automatisierte Überwachungs- und Entscheidungssysteme. Damit sind einerseits Systeme gemeint, die zur elektronischen Kontrolle, Überwachung oder Bewertung der Arbeitsleistung eingesetzt werden oder diese unterstützen.* Andererseits handelt es sich um Systeme, die elektronische Entscheidungen treffen 272
oder unterstützen, die sich erheblich auf die arbeitenden Personen auswirken (zB Entscheidungen bezüglich Einstellung, Zugang zu Arbeitsaufträgen, Einkommen, Sicherheit und Gesundheit sowie Arbeitszeiten).*
Dass algorithmisches Management nunmehr einer Regulierung zugeführt wird, ist eine „Pioniertat“, deren Bedeutung nicht unterschätzt werden darf.* Im Gegensatz zur Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) oder dem KI-Act sind die vorliegenden Bestimmungen speziell auf arbeitsspezifische Anwendungsbereiche zugeschnitten und können daher den Arbeitsrealitäten besser gerecht werden.* Gänzlich neu sind derartige Regelungen aber nicht, so wurden zB in Spanien mit dem Riders Law* bereits 2021 Informationsrechte bei der Verwendung von algorithmischem Management eingeführt.*
Hintergrund der Richtlinienbestimmungen sind die aus dem (unregulierten) Einsatz von algorithmischem Management resultierende Erhöhung von technologiegestützter Überwachung, Machtungleichgewichten und Intransparenz bei der Entscheidungsfindung sowie die Risiken für menschenwürdige Arbeitsbedingungen, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, Gleichbehandlung und die Privatsphäre.* Konkret kann dessen Verwendung aufgrund der Arbeitsintensivierung, Überwachung und Unsicherheit zu Stress, Angst, Erschöpfung und Depressionen führen und damit die physische und psychische Gesundheit, die Sicherheit und das allgemeine Wohlbefinden der arbeitenden Personen verschlechtern.* Besonders betroffen davon sind vor allem Plattformbeschäftigte, die niedrig qualifizierte Arbeit vor Ort leisten.*
Das III. Kapitel (Art 7 – 15) gilt nicht nur für Plattformbeschäftigte, also Personen in einem Arbeitsverhältnis, sondern auch für selbständige Personen, die Plattformarbeit leisten.* Hinsichtlich der menschlichen Überprüfung gem Art 11 sind jedoch Selbständige ausgenommen, wenn sie gewerbliche Nutzer:innen iSd der P2B-Verordnung (EU) 2019/1150 sind. Alle selbständigen Personen, die Plattformarbeit leisten, sind zudem nicht von den Unterrichtungs- und Anhörungsrechten gem Art 13 und 14 umfasst. Manche sehen im Datenschutzrecht deshalb bereits besonderes Potenzial, den Schutz arbeitender Personen unabhängig von ihrem Status zu gewährleisten.*
In Bezug auf die Verwendung von algorithmischem Management wurden in der Literatur insb zwei Problemfelder aufgezeigt, die neuer regulatorischer Interventionen bedürfen, weil die bloße Anwendung bestehender Normen, insb der DSGVO, nicht ausreichend sei:
Die Verschärfung der Beeinträchtigung des Rechts auf Datenschutz und der Informationsasymmetrien sowie
der Verlust menschlichen Handelns (loss of human agency).*
Tatsächlich wurden in der Plattformarbeits-RL die Beeinträchtigung des Rechts auf Datenschutz und die bestehenden Informationsasymmetrien auf doppelte Art und Weise adressiert. Einerseits wurden ausdrückliche Verarbeitungsverbote (red lines) normiert.* So dürfen digitale Arbeitsplattformen weder mittels automatisierter Überwachungs- oder Entscheidungssysteme noch mit Hilfe anderer automatisierter Systeme, die sich in irgendeiner Weise auf die arbeitenden Personen auswirken, (zB personenbezogene Daten über den emotionalen oder psychischen Zustand oder über private Gespräche verarbeiten). Es dürfen keine personenbezogenen Daten in Zeiträumen, in denen die Person keine Plattformarbeit ausführt oder anbietet, erhoben werden. Sie dürfen auch nicht zur Vorhersagung der Ausübung von Grundrechten iSd Grundrechtecharta (GRC) verwendet werden.
In diese Kategorie fällt auch das – nur Plattformbeschäftigte betreffende – Verbot automatisierter Überwachungs- und Entscheidungssysteme, die übermäßigen* Druck auf Plattformbeschäftigte ausüben oder die körperliche und psychische Gesundheit von Plattformbeschäftigten auf andere Weise gefährden.* Die Nichtanwendbarkeit des 273 Art 12 Abs 3 für Selbständige sollte freilich nicht überbewertet werden, da sich ein entsprechender Sicherheits- und Gesundheitsschutz schon aus den allgemeinen (auch datenschutzrechtlichen) Vorgaben ergeben kann. Digitale Arbeitsplattformen wären deshalb gut beraten, entsprechenden Sicherheits- und Gesundheitsschutz auf alle Personen auszudehnen, die Plattformarbeit leisten.
Nicht im Kompromisstext findet sich das noch im Kommissionsentwurf vorgesehene (weitreichende) Verbot der Verarbeitung personenbezogener Daten, die nicht untrennbar mit der Erfüllung des Vertrags verbunden und für die Vertragserfüllung unbedingt erforderlich sind.*
Die in Art 7 normierten Verarbeitungsverbote betreffen somit nicht nur bestimmte Verarbeitungszwecke, sondern auch bestimmte Datenkategorien oder bestimmte Zeiträume. Sie sind insofern positiv zu bewerten, als sie Rechtssicherheit schaffen; die Verarbeitung derartiger personenbezogener Daten wäre aber wohl schon nach den allgemeinen Rechtmäßigkeits- und Ausnahmetatbeständen der DSGVO unzulässig gewesen. Allenfalls bestehende Argumentationsspielräume werden im Anwendungsbereich der RL nun jedenfalls ausdrücklich ausgeschlossen.*
Andererseits wurde versucht, durch Informations- und Transparenzpflichten der vielfach beklagten Intransparenz der verwendeten algorithmischen Systeme entgegenzuwirken.* So sieht etwa Art 9 vor, dass digitale Arbeitsplattformen, Personen, die Plattformarbeit leisten, deren Vertreter:innen und auf Ersuchen auch die zuständigen nationalen Behörden über die Nutzung automatisierter Überwachungs- oder Entscheidungssysteme zu informieren haben. Abs 1 leg cit normiert dabei ganz konkrete Inhalte, die von der Informationspflicht umfasst sind. So ist etwa darüber zu informieren, ob Überwachungs- oder Entscheidungssysteme in Betrieb sind oder gerade eingeführt werden sowie welche Kategorien von Daten verarbeitet werden.* Bei automatisierten Überwachungssystemen soll zudem mitgeteilt werden, welche Tätigkeiten kontrolliert, überwacht oder bewertet werden.* Bei automatisierten Entscheidungssys temen soll insb über die wichtigsten Parameter, die diese Systeme berücksichtigen, und die relative Bedeutung dieser Parameter bei der automatisierten Entscheidungsfindung informiert werden.* Zudem müssen besonders wichtige Informationen (vorab) zur Verfügung gestellt werden, wie etwa über die Gründe für Entscheidungen in Bezug auf die Beschränkung, Aussetzung oder Beendigung des Kontos, die Verweigerung der Bezahlung für geleistete Arbeit sowie für Entscheidungen in Bezug auf ihren vertraglichen Status.* Ausdrücklich erfasst von bestimmten Informationspflichten sind auch Bewerber:innen in Einstellungs- oder Auswahlverfahren.*
Hinsichtlich dieser Informations- und Transparenzpflichten versucht die Plattformarbeits-RL die kollektive Sphäre ausreichend zu berücksichtigen, indem Zugriffsrechte für, aber auch Informationspflichten gegenüber den Vertreter:innen der Personen, die Plattformarbeit leisten, normiert werden (collective notice und collective data access).*
Die RL stellt auch bestimmte Anforderungen an Form und Aufbereitung der jeweiligen Informationen. Diese müssen „in transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in klarer und einfacher Sprache“ dargestellt werden.* Die Erfüllung der Vorgaben kann sich in der Praxis durchaus schwierig gestalten, da einerseits eine Fülle an Informationen zu erteilen ist, andererseits aber auch keine sogenannte „information fatigue“ oder kein „information-overload“ hervorgerufen werden soll.* Gegenüber Personen, die Plattformarbeit leisten, sieht Art 9 Abs 3 weitere Informationspflichten über die Systeme und ihre Merkmale, die sich direkt auf sie auswirken, im Rahmen eines zweistufiges Informationsverfahrens vor. Diese Mehrebenen-Datenschutzerklärung (layered privacy statement) wird in der Praxis als „best practise“- Modell (ua von der Art 29-Datenschutzgruppe) empfohlen.*
Art 22 DSGVO sieht ein Verbot einer automatisierten Entscheidungsfindung vor (humans in the loop).* Betroffene sollen davor geschützt werden, dass eine sie betreffende Entscheidung allein auf Grundlage einer automatisierten Bewertung ihrer Persönlichkeitsmerkmale ergeht und der/die Einzelne so zu einem bloßen Objekt computergestützter Programme wird.* Da sich digitale Plattformen durch den Einsatz von Überwachungs- und Entscheidungssystemen auszeichnen, kommt es zwangsläufig zu Konflikten mit Art 22 DSGVO. Die PlattformarbeitsRL möchte diesbezüglich Abhilfe schaffen. Anstatt sich auf das Verbot automatisierter Entscheidungsfindungen zu fokussieren,* versucht die RL durch eine Vielzahl von Interventionsmöglichkeiten den Einsatz dieser Systeme zu 274 ermöglichen und gleichzeitig deren Risiken zu verringern.*
Erreicht werden soll dieses Ziel durch Bestimmungen, die an das (technische) Design und den Einsatz algorithmischer Systeme anknüpfen (humans before the loop).* Diesbezüglich ordnet etwa Art 8 bei Einsatz von automatisierten Überwachungs- und Entscheidungssystemen die verpflichtende Durchführung einer Datenschutz-Folgenabschätzung samt Einholung der Ansichten der Betroffenen und ihrer Vertreter:innen an. Ebenso sieht Art 13 Abs 2 spezifische Unterrichtungs- und Anhörungsrechte für AN-Vertreter vor. Die Vertreter:innen der Plattformbeschäftigten können dabei von einem/einer Sachverständigen ihrer Wahl unterstützt werden, sofern dies erforderlich ist. Beschäftigt eine digitale Plattform mehr als 250 AN in dem betreffenden Mitgliedstaat, so sind die Kosten von der digitalen Arbeitsplattform zu tragen, sofern sie verhältnismäßig sind.*
Darüber hinaus sind in der Plattformarbeits-RL aber auch spezifische Rechte vorgesehen, um automatisierte Entscheidungen „anzufechten“ und so Begründungen und deren Überprüfung durch Menschen zu verlangen (humans after the loop). Damit soll dem häufig beklagten Phänomen begegnet werden, dass die von den algorithmischen Systemen getroffenen Entscheidungen oft nicht nachvollziehbar sind und es aufgrund unzureichender Kommunikationsstruktur niemanden gibt, an den sich Betroffene wenden könnten.* Gem Art 11 Abs 1 Satz 1 haben Personen, die Plattformarbeit leisten, das Recht, von der digitalen Arbeitsplattform eine Erklärung für jede von einem automatisierten Entscheidungssystem getroffene oder unterstützte Entscheidung zu erhalten.* Digitale Arbeitsplattformen müssen zu diesem Zweck Zugang zu einer Kontaktperson gewähren, mit der die Plattformarbeit leistenden Personen die Fakten, Umstände und Gründe, die zu der Entscheidung geführt haben, erörtern und klären können. Die Kontaktpersonen müssen über die für die Ausübung dieser Funktion erforderliche Kompetenz, Schulung und Befugnis verfügen.* Bei besonders wichtigen Entscheidungen sieht Art 10 Abs 5 überhaupt eine Entscheidung von Menschen vor (humans in the loop). Dies betrifft bspw die Beschränkung, Aussetzung oder Beendigung des Vertragsverhältnisses oder des Kontos einer Person.*
Zuletzt sollen die weitergehenden Auswirkungen des Einsatzes algorithmischer Managementsysteme durch Menschen überwacht werden (humans above the loop).* Art 10 sieht diesbezüglich eine Überwachungs- und Bewertungspflicht für digitale Arbeitsplattformen vor. Diese müssen Entscheidungen, die von automatisierten Überwachungs- und Entscheidungssystemen getroffen oder unterstützt werden, regelmäßig (jedenfalls alle zwei Jahre) überwachen und deren Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen der Plattformbeschäftigten bewerten.* Dafür sind ausreichende personelle Ressourcen zur Verfügung zu stellen.* Wird bei der Überwachung oder Bewertung ein hohes Risiko der Diskriminierung am Arbeitsplatz oder die Verletzung von Rechten der Plattformarbeit leistenden Personen festgestellt, so muss die digitale Arbeitsplattform die erforderlichen Schritte setzen, um derartige Entscheidungen in Zukunft zu vermeiden (von der Änderung des Systems bis hin zur Einstellung der Nutzung).*
Die Bestimmungen zum algorithmischen Management treten zu einer Fülle an bereits bestehenden Rechtsnormen hinzu. Dies betrifft insb Bestimmungen der DSGVO, der P2B-VO, der Sicherheits- und Gesundheitsschutz-RL,* der RL über Unterrichtung und Anhörung der AN* oder des bereits beschlossenen Artificial Intelligence-(AI-)Act,* teilweise gibt es auch Überschneidungen.
Im Verhältnis zur DSGVO stellen die ErwGr 39 und 64 klar, dass es sich bei den Bestimmungen der in Rede stehenden RL um spezifischere und zusätzliche Vorschriften im Zusammenhang mit der Plattformarbeit iSd Art 88 der DSGVO handelt, die von den allgemeinen Vorgaben, insb Art 22 DSGVO, abweichen. Seit der EuGH-E C-34/21, Hauptpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer, ist klar, dass auf Basis von Art 88 Abs 1 DSGVO strengere oder einschränkende Vorschriften vorgesehen werden können.* Im vorliegenden Zusammenhang ist dies aber deshalb überraschend, weil Art 88 DSGVO grundsätzlich die nationalen Mitgliedstaaten adressiert, die vorliegenden Regulierungsbestimmungen allerdings von unionsrechtlicher Seite kommen. Da die in Rede stehenden Vorgaben der PlattformarbeitsRL allerdings in nationales Recht transformiert werden müssen, kann dennoch eine Subsumption unter Art 88 Abs 1 DSGVO (jedenfalls formal) argumentiert werden. Für die Zulässigkeit spricht darüber hinaus, dass ein Gestaltungsspielraum für die Mitgliedstaaten verbleibt, zumal die PlattformarbeitsRL lediglich Mindeststandards festlegt und die Mitgliedstaaten auch für die Plattformbeschäftigten günstigere Vorschriften erlassen können.* Freilich nicht auf Art 88 Abs 1 DSGVO gestützt werden können jene datenschutzrechtlichen 275 Bestimmungen, die einen von der DSGVO abweichenden Schutz für selbständige Personen vorsehen. Art 88 Abs 1 DSGVO sieht nach der Rsp des EuGH lediglich eine Öffnungsklausel für Beschäftigungsverhältnisse vor, bei denen eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält.* Diese Bestimmmungen haben ihre Grundlage wohl direkt in Art 16 AEUV.
Derartige spezifische Bestimmungen gem Art 88 Abs 1 DSGVO entfalten freilich nur dann Rechtswirkungen, wenn sie auch angemessene und besondere Maßnahmen zur Wahrung der menschlichen Würde, der berechtigten Interessen und der Grundrechte der betroffenen Person gem Art 88 Abs 2 DSGVO umfassen.* Der Entwurf behauptet von sich selbst, dass angemessene Garantien für die Verarbeitung personenbezogener Daten vorliegen und insgesamt sogar ein höheres Maß an Schutz der personenbezogenen Daten gewährleistet wird.*
Diese dogmatische Verankerung ist auch für nicht vom Anwendungsbereich der Plattformarbeits-RL erfasste Unternehmen relevant, da diese gleichermaßen eine auf Art 88 Abs 1 DSGVO gestützte Kollektivvereinbarung, etwa eine BV, schließen können. Die vorliegende RL zeigt diesbezüglich nicht nur, dass eine Abweichung von Art 22 DSGVO zulässig ist, sondern liefert auch gleich die Blaupause für die dafür notwendigen angemessenen und besonderen Schutzmaßnahmen nach Art 88 Abs 2 DSGVO.
Da es sich bei den Art 7 – 11 um datenschutzrechtliche (Sonder-)Bestimmungen handelt, knüpft die Plattformarbeits-RL auch die datenschutzrechtlichen Bußgeldobergrenzen der DSGVO für Verstöße gegen die Bestimmungen an. Der Strafrahmen für Übertretungen beträgt deshalb bis zu 20 Mio € oder im Fall eines Unternehmens bis zu 4 % des gesamten weltweit erzielten Jahresumsatzes des vorangegangenen Geschäftsjahres, je nachdem, welcher der Beträge höher ist.* Zuständig für die Überwachung dieser Bestimmungen sind konsequenterweise die (nationalen) Datenschutzbehörden.*
Über die Art 7 – 11 hinaus haben die Mitgliedstaaten Regeln für Sanktionen vorzusehen, wobei die Sanktionen wirksam, abschreckend und verhältnismäßig zur Art, Schwere und Dauer des Verstoßes des Unternehmens und der Zahl der betroffenen AN sein müssen.*
Dass der PlattformarbeitsRL in ihrer endgültigen Form ein jahrelanger intensiver politischer Prozess vorausgegangen ist und diese einen hart errungenen Kompromiss darstellt, ist offensichtlich. Das zeigt sich insb an den umfangreichen, nicht immer ganz widerspruchsfreien Erwägungsgründen, an der doch sehr komplizierten Formulierung vieler Bestimmungen sowie der nicht immer nachvollziehbaren systematischen Verortung und Vielschichtigkeit ihrer Inhalte. Zudem werden zahlreiche neue termini technici eingeführt, was den Umgang mit ihr nicht unbedingt erleichtert.
Besonders umkämpft war die Einführung einer widerleglichen gesetzlichen Vermutung eines Arbeitsverhältnisses zur digitalen Arbeitsplattform als Maßnahme zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit. Es besteht letztlich nur eine entsprechende Verpflichtung zur Einführung, hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung sind die Mitgliedstaaten frei. Das verlagert den schon auf Unionsebene geführten Konflikt auf die nationale Ebene und führt dazu, dass gerade bei dieser grenzüberschreitenden Beschäftigungsform keine unionsweiten Standards hinsichtlich der Durchsetzung des korrekten Beschäftigungsstatus bestehen werden. Nichtsdesto trotz stellt die gesetzliche Vermutung einen wichtigen Schritt zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit in der Plattformwirtschaft dar.
Weniger umstritten, dafür besonders innovativ, sind die Bestimmungen des III. Kapitels zum algorithmischen Management. Sie könnten den Weg für weitergehende Rechte und Schutzmaßnahmen im Arbeitskontext ebnen, sei es auf gesetzlicher, sei es auf kollektivrechtlicher Ebene.* Inhaltlich ist vieles praktisch gedacht und zudem geeignet, bestehende Schutzlücken zu schließen.* Für die österreichische Gesetzgebung ist die diesbezügliche Umsetzung wohl unproblematisch, zumal gerade der Kern des III. Kapitels, also die Art 7 – 11, einen solchen Grad inhaltlicher Detailliertheit erreicht, dass für innerstaatliche Spielräume wenig Raum verbleibt.