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Wegunfall im Wartehaus bei einer entfernteren Bus-Haltestelle

RUDOLFMÜLLER (WIEN/SALZBURG)

Ereignet sich ein Unfall auf einem streckenmäßig längeren Heimweg von der Arbeitsstätte, der aber in zeitlicher Hinsicht (gleichermaßen) die kürzeste Verbindung zur Wohnung darstellt, und ist damit auch keine wesentliche Gefahrenerhöhung verbunden, die allenfalls für ein Verlassen des direkten Arbeitsweges sprechen könnte, so liegt ein geschützter Wegunfall vor.

[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob der Unfall, den die Kl am 25.3.2022 auf der Rückfahrt vom Arbeitsort in die Dienstwohnung erlitten hat, als Arbeitsunfall iSd § 175 ASVG anzusehen ist.

[2] Die Kl ist AN der B AG Kitzbühel und war als Kassiererin bei der C-Bahn Talstation vollzeitbeschäftigt.

[3] Sie bewohnte eine Dienstwohnung, die sich in X oberhalb der Y-Talstation befindet. Zur Bewältigung des Arbeitswegs benützte sie die öffentlichen Verkehrsmittel, nämlich die Postbuslinie 4004. Für den Hinweg fuhr die Kl von der Haltestelle Y in Fahrtrichtung A, wo sich direkt an ihrem Arbeitsort die Haltestelle C-Bahn Talstation befindet. Für den Heimweg fuhr sie an den Tagen, an denen sie ganztags arbeitete, von dieser Haltestelle [...] bis zur Endstation Y.

[4] In Fahrtrichtung X (Heimweg) befindet sich vor der Haltestelle C-Bahn Talstation die Haltestelle K. Die beiden Haltestellen liegen knapp 1 km (Geh- und Fahrstrecke) voneinander entfernt; die Gehzeit beträgt ca zehn Minuten, die Fahrzeit des Postbusses ca zwei Minuten. Die Abfahrtszeiten des erstmöglichen Postbusses nach dem Arbeitsende um 13:30 Uhr waren laut Fahrplan, gültig von 14.3.2022 bis 3.4.2022, bei der Haltestelle K 14:10 Uhr und bei der Haltestelle C-Bahn Talstation 14:12 Uhr.

[5] Die Postbuslinie [...] wird auch von Schifahrern (samt Ausrüstung) frequentiert, die bei der Haltestelle C-Bahn Talstation einsteigen und zurück nach X fahren. [...]

[6] An den Tagen, an denen die Kl ihre Arbeitszeit um 13:30 Uhr beendete, benützte sie daher gewöhnlich nicht die Haltestelle C-Bahn Talstation, sondern ging – in die entgegengesetzte Richtung – zur Haltestelle K. Der Gehweg zu der davor liegenden Bushaltestelle bot ihr die Gelegenheit, sich die Wartezeit zu verkürzen und sich nach ihrer sitzenden Arbeitstätigkeit die Beine zu vertreten. Gleichzeitig hatte sie damit den Vorteil, eine Haltestelle vor den Schifahrern in den Postbus einzusteigen und so leichter einen Sitzplatz zu erlangen. Die Möglichkeit des Beinevertretens besteht auch im Bereich der Talstation C-Bahn; es existiert auch ein Aufenthaltsraum für Mitarbeiter, in dem die Kl die Wartezeit verbringen konnte.

[7] Am Unfallstag (25.3.2022) arbeitete die Kl bis 13:30 Uhr. Wie gewöhnlich ging sie zur Haltestelle K, um dort in den Postbus einzusteigen und die Fahrt nach Hause anzutreten. [...] In unmittelbarer Nähe der Haltestelle K befindet sich ein Lebensmittelgeschäft. Da noch ausreichend Zeit blieb, nutzte die Kl die Gelegenheit, um dort einzukaufen; danach begab sie sich zur Bushaltestelle. Nach etwa zehn Minuten Wartezeit wurde die Kl plötzlich von einem Klein-Lkw erfasst und zwischen Motorhaube/ Stoßstange und Sitzbank der Bushaltestelle im Bein-Hüft-Bauchbereich eingeklemmt. Der Fahrer hatte einen schwerwiegenden gesundheitlichen Vorfall (mit nachfolgend notwendiger Reanimation) erlitten, war mit dem Fahrzeug auf die linke Fahrbahn geraten und in die Bushaltestelle geprallt. [8] Die Kl erlitt schwerste Verletzungen. [...]

[9] Mit Bescheid vom 6.7.2022 erkannte die bekl Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau (BVAEB) den Unfall nicht als Arbeitsunfall an und lehnte die Gewährung von Leistungen aus der UV ab.

[...]

[12] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[...]

[13] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl nicht Folge und ließ die Revision nicht zu. Der Versicherungsschutz entfalle, wenn vom Versicherten nicht der kürzeste Weg eingeschlagen worden sei und für die Wahl des Wegs andere Gründe maßgebend gewesen seien als die Absicht, den Ort der Tätigkeit bzw auf dem Rückweg die Wohnung zu erreichen, und wenn die dadurch bedingte Verlängerung der Wegstrecke unter Berücksichtigung 304

aller maßgeblichen Umstände als erheblich anzusehen sei. Das Motiv, im Bus einen Sitzplatz zu ergattern und dem Gedränge der Schifahrer zu entgehen, sei nach der allgemeinen Verkehrsauffassung kein Grund, der es rechtfertigen würde, sich einen Kilometer und zehn Minuten lang vom Wohnort weg zu bewegen, dies umso weniger in Relation zur Dauer der Busfahrt, die ab der Haltestelle C-Bahn ohnehin nur 18 Minuten in Anspruch nehme. Ein durch die Verkehrsverhältnisse oder die Verkehrssicherheit erzwungener Umstand ist dabei nicht erkennbar. Die Wartezeit auf ein öffentliches Verkehrsmittel sei zwar vom Schutz der gesetzlichen UV erfasst, doch müsse sich die Haltestelle geografisch auf dem geschützten Arbeitsweg befinden. Ein zusätzlicher Fußmarsch von rund einem Kilometer überschreite das von der UV noch gedeckte Maß an Bewegungsfreiheit und es könne nicht mehr von einem unbedeutenden Abweichen vom kürzesten Weg gesprochen werden. Es sei als eigenwirtschaftliches Interesse und damit als Unterbrechung des Heimwegs zu beurteilen, wenn sich die Kl die Füße vertreten, einkaufen gehen und ohne Gedränge einen Sitzplatz ergattern habe wollen. Sie habe ihren geschützten Heimweg sodann nicht schon bei der Haltestelle K, sondern hätte ihn erst wieder ab der Haltestelle C-Bahn fortgesetzt.

[16] Die Revision ist zulässig [und] berechtigt.

[...]

[19] 2.1. Grundsätzlich ist nur der direkte Weg zur oder von der Arbeitsstätte nach § 175 Abs 2 Z 1 ASVG versichert. Das wird in der Regel die streckenmäßig oder zeitlich kürzeste Verbindung zwischen dem Ausgangspunkt und dem Zielpunkt des Arbeitswegs sein, wobei der Versicherte zwischen diesbezüglich im Wesentlichen gleichen Verbindungen frei wählen kann (RS0084838; RS0084380). In der UV geschützt ist damit nicht nur die streckenmäßig, sondern auch die zeitlich kürzeste Verbindung (vgl 10 ObS 162/13s SSV-NF 27/88).

[20] 2.2. Die Kl wählte zwar einen streckenmäßig längeren Heimweg, der aber in zeitlicher Hinsicht (gleichermaßen) die kürzeste Verbindung zur Dienstwohnung darstellte. Der Unfall ereignete sich somit immer noch auf einem zur Verfügung stehenden direkten Weg. Die Kl konnte zwischen (hier zeitlich) gleichwertigen Verbindungen vielmehr wählen, solange der Zusammenhang mit der geschützten Tätigkeit (dem Weg als Arbeitsweg) nicht aufgehoben wird. Da die getroffene Wahl mit der versicherten Intention des Wegs (hier: die Rückfahrt von der Dienstverrichtung zur Dienstwohnung) weiterhin in Einklang stand und ein Umweg somit nicht vorlag, ist unerheblich, ob der konkret gewählte Weg allein oder überwiegend im eigenwirtschaftlichen Interesse gewählt wurde. Mit der Wahl der streckenmäßig längeren, aber zeitlich (gleichermaßen) kürzesten Verbindung war auch keine wesentliche Gefahrenerhöhung verbunden, die allenfalls für ein Verlassen des direkten Arbeitswegs sprechen könnte (vgl 10 ObS 253/97x SSV-NF 11/101).

[21] 3. Daran ändert es auch nichts, dass die Kl, anstatt bei der unmittelbar am Arbeitsort befindlichen Haltestelle zu warten, einen Teil der Strecke zu Fuß zurücklegte.

[22] 3.1. Die Wartezeit auf ein öffentliches Verkehrsmittel ist grundsätzlich vom Schutz der gesetzlichen UV erfasst, sofern der Versicherte den Wartebereich nicht verlässt und sich in einen Bereich begibt, der mit dem Arbeitsweg nicht mehr in Zusammenhang gebracht werden kann (RIS-Justiz RS0108690). Hätte die Kl bei der am Arbeitsort befindlichen Haltestelle auf den nächsten Bus gewartet, wäre dies daher jedenfalls vom Versicherungsschutz erfasst gewesen.

[23] 3.2. Selbst wenn sich die Kl von diesem Wartebereich entfernt hätte, um einen Teil des Wegs zu Fuß zurückzulegen, wäre der Zusammenhang mit dem Arbeitsweg weiter gegeben gewesen. Die Wahl des Verkehrsmittels bzw die Art der Fortbewegung steht dem Versicherten auf Arbeitswegen grundsätzlich frei (RS0084159; 10 ObS 155/89 SSVNF 3/71). Ob zumutbare günstigere, raschere, ökologisch sinnvollere oder wie auch immer zu bewertende Alternativen (etwa öffentliche Verkehrsmittel zu verwenden oder zu Fuß gehen) in Frage kämen, ist für die UV nicht maßgeblich (10 ObS 150/20m SSV-NF 35/7). Selbst wenn der gesamte Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit mit einem öffentlichen Verkehrsmittel zurückgelegt werden kann, besteht daher Versicherungsschutz auch bei Unfällen, die darauf zurückzuführen sind, dass der Versicherte einen Teil des Wegs zu Fuß zurücklegte (10 ObS 5/05s). Gleiches gilt auch für die Entscheidung, einen Teil des Arbeitswegs zu Fuß zurückzulegen, anstatt im Wartebereich der am Arbeitsort befindlichen Haltestelle auf den(selben) Bus zu warten, sofern die streckenmäßig oder zeitlich kürzeste Verbindung zwischen Ausgangs- und Endpunkt des Wegs beibehalten wird.

[24] 4. Der Umstand, dass die Kl – neben dem offensichtlich weiter bestehenden Beweggrund der Zurücklegung des Arbeitswegs – noch andere (eigenwirtschaftliche) Motive für die Wahl dieses Teils des Wegs hatte, nämlich sich die Wartezeit zu verkürzen, die Beine zu vertreten und im Bus leichter einen Sitzplatz zu erlangen, beseitigt den inneren Zusammenhang mit dem Arbeitsweg ebenso wenig.

[25] 4.1. Ein innerer Zusammenhang besteht nicht nur dann, wenn die versicherte Beschäftigung der einzige Grund des Wegs ist. Lässt sich der betriebliche und persönliche Bereich wegen der gemischten Nutzung nicht klar trennen, so beginnt der Versicherungsschutz dort, wo der abgrenzbare, rein persönliche Bereich aufhört und ein auch wesentlich betrieblichen Zwecken dienender Bereich anzunehmen ist (RS0084671). Dient der Weg zur oder von der Arbeitsstätte sowohl der versicherten Tätigkeit als auch eigenwirtschaftlichen Interessen, dann hängt der Versicherungsschutz während des Wegs davon ab, ob sich der Weg eindeutig in den verschiedenen Zwecken dienende Abschnitte teilen lässt. Ist dies der Fall, dann handelt es sich bei einem Unfall, der sich auf dem der nicht versicherten Tätigkeit dienenden Wegstück ereignet, um keinen Arbeitsunfall. Ist eine eindeutige Aufteilung des Wegs nicht möglich, dann besteht der innere 305 Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit auf dem gesamten Weg, der zwar nicht ausschließlich, aber doch wesentlich auch der versicherten Tätigkeit zu dienen bestimmt war (RS0084858).

[26] 4.2. Die Motive der Kl für die Wahl des Fußwegs zur weiter entfernten Haltestelle beziehen sich auf die (für sie angenehmere) Zurücklegung des Arbeitswegs und dienten damit sowohl der versicherten Tätigkeit (Rückweg vom Arbeitsort) als auch eigenwirtschaftlichen Interessen (Verkürzung der Wartezeit, Beine vertreten, Erlangung eines Sitzplatzes). Der Abschnitt, auf dem sich der Unfall schließlich ereignete, lässt sich damit nicht eindeutig einer nicht versicherten Tätigkeit zuordnen und war weiterhin wesentlich auch der versicherten Tätigkeit (dem Rückweg vom Arbeitsort) zu dienen bestimmt. Auf diesem Abschnitt ist der innere Zusammenhang mit dem Arbeitsweg also zur Gänze zu bejahen.

[27] 4.3. Lediglich der auf diesem Abschnitt des Wegs durchgeführte Einkauf in einem in unmittelbarer Nähe der Haltestelle befindlichen Lebensmittelgeschäft diente ausschließlich eigenwirtschaftlichen Interessen. Da sich der Unfall aber nicht auf einem dieser rein privaten Besorgung dienenden Wegstück, sondern nach der Rückkehr auf den Arbeitsweg (während der Wartezeit bei der Haltestelle selbst) ereignete, ist nicht entscheidend, ob es sich dabei um eine nur geringfügige und unbedeutende Unterbrechung des Arbeitswegs handelt, die den Versicherungsschutz aufrecht lassen würde (RS0124749; RS0084686), oder um eine solche Unterbrechung, die (während dieser Phase) vom Versicherungsschutz nicht umfasst wäre (RS0084822).

[28] 5.1. Es bestand somit auch auf dem von der Kl gewählten Weg(stück), auf dem sich der Unfall ereignete, Unfallversicherungsschutz iSd § 175 Abs 2 Z 1 ASVG. Der Unfall vom 25.3.2022 war daher ein Arbeitsunfall iSd § 175 Abs 1 ASVG (iVm § 117 B KUVG).

[...]

ANMERKUNG

Zwei Bemerkungen seien vorausgeschickt: Ich habe bei der Einrichtung der OGH-E aus Gründen der Schonung des Lesers/der Leserin darauf verzichtet, jenen Absatz der Urteilsbegründung zu übernehmen, in dem die zahlreichen schwersten Verletzungen der Kl aufgeführt sind. Wer unbedingt will, kann dies im RIS nachlesen. Der Unfallhergang spricht für sich; die Bezeichnung „schwerste Verletzungen“ ist mehr als angebracht. Die Dauerfolgen wurden aufgrund der Verneinung eines Arbeitsunfalls von den Vorinstanzen nicht festgestellt, man kann sich aber lebhaft vorstellen, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit wahrscheinlich die Schwerversehrtengrenze deutlich übersteigen wird. Im RIS wurde die E übrigens so anonymisiert, dass die Kl bei genauerer Kenntnis der örtlichen Umstände identifizierbar wäre. Ich habe mich daher zur Anonymisierung der Orte entschlossen (vielleicht holt das RIS das ja noch nach), da dies dem Nachvollzug der rechtlichen Beurteilung der Sache nicht entgegensteht.

Das führt mich zur zweiten Vorbemerkung: Angesichts des medizinischen Desasters und des ganz bösen Zufalls verstehe ich das erkennbare Bemühen des 10. Senates, alle Hürden, die sich der Qualifizierung als Wegunfall iSd § 175 Abs 2 Z 1 ASVG entgegenstellen könnten, argumentativ zu beseitigen. Die (tragischen) Umstände des Einzelfalls nie aus den Augen zu verlieren, ist ein im Unfallversicherungsrecht billigenswertes und dem Normzweck entsprechendes Vorverständnis. Dennoch glaube ich, dass sich das – wie zu zeigen sein wird – billigenswerte Ergebnis mit der Begründung des OGH dogmatisch nicht ausgehen kann. Der aus der OGH-E gewonnene obige Rechtssatz trifft daher mE nicht zu. Es ist aber möglich, eine – auch als Leitentscheidung durchaus verallgemeinerungsfähige – dogmatisch tragfähige Begründung für das Ergebnis zu finden.

1.
Zur Begründung des OGH

Der Sachverhalt ist ein echtes Unikat. Ich konnte in der österreichischen und – soweit zugänglich – deutschen Rsp keinen vergleichbaren Sachverhalt finden, mit einer Ausnahme: 1984 ereignete sich Ähnliches in Schleswig-Holstein, allerdings im Rahmen der Schülerunfallversicherung. Da ging eine 11-jährige Schülerin während einer 55-minütigen Wartezeit auf den Bus in die zum Heimweg entgegengesetzte Richtung, um beim Einsteigen am Zentralen Omnibusbahnhof einen Sitzplatz im Bus zu erlangen. Das Bundessozialgericht (BSG) bejahte den Versicherungsschutz. Die eingehende Begründung des BSG gipfelte letztlich in der Wertung, dass sich die Betätigung und Zielsetzung der 11-jährigen mit „alterstypischem Gruppenverhalten“ erklären ließen (BSG 14.11.1984, 9b RU 26/84 BSGE 57, 223). Der Sachverhalt hier ist frappierend ähnlich, mit der Einschränkung, dass Erwachsene nach der Erwartung des Gesetzgebers – wie dies das BSG in der zitierten E (224) ausdrückte – die freie Wahl des Weges „besonnen und verantwortungsbewusst gegenüber sich und der Solidargemeinschaft ausüben“ würden. Der Gedanke der Alterstypizität (zur Berücksichtigung des Reifegrades von Schülern vor allem bei Wegunfällen siehe R. Müller in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 175 Rz 152 f) nützt unserer Kl daher nichts.

Der OGH konstatiert ausgehend vom Rechtssatz der stRsp zum Arbeitsweg (vgl R. Müller in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 175 Rz 177 f mwN), wonach „nur der direkte Weg, das ist die streckenmäßig oder zeitlich kürzeste Verbindung ... in der UV geschützt“ ist, dass die Kl zwar einen streckenmäßig längeren Heimweg gewählt habe, dieser stelle aber keinen Umweg, sondern „in zeitlicher Hinsicht (gleichermaßen) die kürzeste Verbindung zur Dienstwohnung dar“.

Es ist unklar, was der OGH damit gemeint hat. Aber wenngleich die Kl denselben Linienbuskurs benützt hätte, in den sie auch bei Verweilen bei ihrer „angestammten“ Haltestelle eingestiegen wäre, so wäre der Arbeitsweg durch den 1 km-Fußmarsch 306 der Kl in die Gegenrichtung weder streckenmäßig noch in zeitlicher Hinsicht kürzer gewesen, sondern länger (zeitlich um 15 Minuten Hinweg und 2 Minuten Busfahrt auf dem Rückweg). Dass sie – vom entfernteren Standort in K aus gesehen – den üblichen Arbeitsweg nach Hause befahren hätte und dort sogar zur üblichen Zeit angekommen wäre (ein Umstand, den der OGH möglicherweise gemeint hat), änderte nichts an dem Umstand, dass der Ausgangspunkt dieses Arbeitsweges nicht die Arbeitsstätte, sondern ein anderer Ort gewesen ist, an dem sie auf den Bus gewartet hat. Es handelte sich auch nicht um einen Ort, den die Kl zwingend aufsuchen hätte müssen, etwa wenn dort ihr Auto geparkt oder die Haltestelle unmittelbar bei ihrer Arbeitsstätte vorübergehend aufgelassen gewesen wäre. Ginge man also mit dem OGH in aller Strenge davon aus, dass nach § 175 Abs 2 Z 1 ASVG nur der „kürzeste“ Weg mit dem Ausgangspunkt der Arbeitsstätte (argvon oder zur Arbeitsstätte“) versichert ist, dann lag das Wartehaus, in dem die Kl Opfer des Unfalls wurde, außerhalb des örtlichen Schutzbereichs des Arbeitsweges.

Man kann eine solche Gesetzesinterpretation für kleinlich halten, wie der OGH andeutet, wenn er in Rz 22 anmerkt, dass das Warten bei der der Arbeitsstelle nächstliegenden Haltestelle jedenfalls vom Versicherungsschutz erfasst gewesen wäre. Aber das Argument (Rz 23), dass ein Fußmarsch als Wahl des Fortbewegungsmittels der versicherten Person freistünde, trägt die Entscheidung nicht, weil die Kl – abgesehen davon, dass sich der Unfall nicht beim Fußmarsch ereignet hat – in die Gegenrichtung zum Heimweg gegangen ist.

ME verkehrt herum gedacht ist auch jener Teil des Rechtssatzes, in dem es heißt, dass mit der Vorgangsweise der Kl „keine wesentliche Gefahrenerhöhung verbunden [war], die allenfalls für ein Verlassen des direkten Arbeitsweges sprechen könnte“. Man kann angesichts des klaren Sachverhalts jedenfalls nicht der Annahme zustimmen, dass die Kl keinen Umweg zurückgelegt hätte. Die gegebene Begründung trägt daher nicht das Ergebnis.

Dennoch lässt sich auch in diesem „ausgerissenen“ Fall für das Ergebnis mE ein Begründungsweg im Rahmen der herkömmlichen Dogmatik zum Umweg finden.

2.
Alternativer Begründungsweg

Mit dem Wegschutz iSd § 175 Abs 2 Z 1 ASVG wurde ein Stück Privatsphäre (mittlerweile noch verdeutlicht durch die Erweiterung des Schutzes auf dem Weg zum Arzt, in der großen Arbeitspause bzw beim Umweg zur Unterbringung von Kindern gem § 175 Abs 2 Z 2, 7 und 10) in die gesetzliche UV einbezogen, also eine Sphäre, die außerhalb des Einflussbereiches des DG und ausschließlich in jener der versicherten Person liegt. Die Rsp war daher früh um eine eher enge Abgrenzung des Wegschutzes zu sonstigen, nicht versicherten privaten Wegen bzw Tätigkeiten bemüht, und zwar mit Hilfe von zwei Kriterien: Um der „Unerlässlichkeit“ der Zurücklegung aus Gründen der Beschäftigung Rechnung zu tragen, sollte der geographisch direkte (oft auch kürzeste) Weg zum Arbeitsplatz (bzw zurück zum Wohnort) eingeschlagen werden und von vornherein die Absicht bestehen müssen, am Ende des Weges die versicherte Tätigkeit bzw – in der Gegenrichtung – die Wohnfunktionen zur Erholung aufzunehmen. Als Arbeitsstätte im unfallversicherungsrechtlichen Sinn wird dabei jeder Ort verstanden, an dem nach der Ankunft die versicherte Tätigkeit aufgenommen werden sollte (treffend OLG Innsbruck5 Rs 1026/87 SVSlg 32.788) bzw (beim Rückweg) beendet worden ist.

Lehre und Rsp vertreten aber auch das Bestehen einer Wahlfreiheit der versicherten Person, auf welche Weise sie den Arbeitsweg zurücklegen möchte, insb hinsichtlich der Wahl des Verkehrsmittels (so schon OLG Wien10 R 101/57 SVSlg 4813; 7OLG Wien12 R 233/5 SVSlg 6756; vgl näher R. Müller in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 175 Rz 169 f). Die freie Wahl des Verkehrsmittels (Privat-PKW, Bus, Straßenbahn, U-Bahn, S-Bahn, Eisenbahn bzw eine Kombination von zwei oder drei öffentlichen Verkehrsmitteln) hat meist ganz unterschiedliche Wegstrecken in unterschiedlicher Länge und Zeitdauer zur Folge. Es wäre ganz ungewöhnlich, vor allem aber besonders begründungsbedürftig, würde man trotz des Grundsatzes der freien Wahl des Verkehrsmittels die Länge des Weges oder seine Dauer plötzlich in Richtung „kürzester Weg“ fein prüfen; dabei stieße man sogleich auf die Schwierigkeit, dass der geographisch kürzeste Weg mit dem zeitlich kürzesten Weg keinesfalls zusammenfallen muss. Die Wahl der Strecke wird von den versicherten Personen aber kaum je streng nach der Entfernung vorgenommen, sondern in erster Linie nach der subjektiven Erwartung, auf welchem Weg man am angenehmsten und am raschesten bzw zweckmäßig und störungsfrei zum Ziel kommen wird (vgl Tomandl [Hrsg], SV-System 2.3.2.4.1.6.G. unter Hinweis auf OGH 18.2.2005, 10 ObS 5/05s). Man denke nur an unterschiedlich lange, gleichwohl aber beliebte Routen quer durch eine Großstadt.

Wenn daher in Lehre und Rsp vom „direkten“ bzw vom „kürzesten“ Weg die Rede ist, dann ist das nicht mehr als eine Vergröberung, denn man findet in der Judikatur kein Anwendungsbeispiel einer derart mathematischen Strenge, wie es die Rechtssätze vermuten ließen. Es geht also nicht wirklich um genau „gleich lange“, sondern um – gemessen an der erforderlichen inneren Handlungstendenz – „gleichwertige“ (OGH10 ObS 288/89 SSV-NF 3/132 uva) Wege. Die Rsp sagt zurecht, dass bei der gerichtlichen Nachprüfung der Wahl des „richtigen“ Weges alle nach der allgemeinen Verkehrsanschauung maßgeblichen Umstände in Betracht zu ziehen sind, insb das gewählte Verkehrsmittel und die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit im Hinblick auf dieses Verkehrsmittel, um möglichst schnell und sicher den gewünschten Zielort zu erreichen (OGH10 ObS 162/13s SSV-NF 27/88). Dies sieht auch die deutsche Lehre und Rsp so, die den versicherten Personen ebenfalls einen nicht allzu engen Rahmen ihrer Wahlfreiheit im Hinblick auf Verkehrsmittel, Verkehrsverhältnisse, 307 Entfernung, Zeitbedarf, Witterung, Kosten oder persönlicher Neigung einräumt (Ricke in KassKomm SGB VII § 8 Rz 201 mit zahlreichen Nachweisen).

Daher ist der Arbeitsweg im Lichte dieser Einhegungen durch Lehre und Rsp nicht (bloß) als Wegstrecke im geografischen Sinn, sondern als eine Fortbewegung auf ein vorgegebenes Ziel zu verstehen (so schon OLG Wien31 R 191/80 SSV 20/117; OLG Wien31 R 203/80 SVSlg 25.595). Als erforderlich für den Versicherungsschutz gilt der Nachweis der (inneren) Absicht, dieses Ziel zu erreichen, zuzüglich entsprechender objektiver Gegebenheiten, „wozu alle nach der Verkehrsauffassung erheblichen Umstände, wie das gewählte Verkehrsmittel und die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit, einen bestimmten Weg einzuschlagen, in Betracht kommen“ (vgl Tomandl, Der Wegunfall, in Tomandl [Hrsg], Sozialversicherung. Grenzen der Leistungspflicht [1975] 137 [146]).

Die Judikatur lässt eine in Grenzen freie Wahl des Weges nicht nur dann zu, wenn der „Hauptweg“ entweder nicht benützbar oder gesperrt ist, sondern auch dann, wenn der zum „kürzesten“ bestehende Alternativweg unter günstigeren Bedingungen benützt werden kann oder wenn die versicherte Person für die tatsächlich gewählte Strecke sprechende günstigere Bedingungen wenigstens annehmen konnte (OGH10 ObS 374/89 SSV-NF 3/158; OGH 27.3.1990, 10 ObS 39/90 uva). Es muss sich also nicht um zwingende Gründe (Baustelle, Straßensperre uä) handeln, aus denen sich eine versicherte Person auf einen Umweg begibt; es genügt vielmehr die vertretbare Annahme, die allerdings in einem engen Bezug zur Erreichung des Ziels des Arbeitsweges stehen muss, wie zB die Vermeidung von Staus, aber auch eine vertretbarerweise angenommene höhere Sicherheit. Der Umweg darf nur nicht ausschließlich oder überwiegend im eigenwirtschaftlichen Interesse gewählt worden sein.

Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall der Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels an, so haben wir es am Beginn des Arbeitsweges nach Hause zweifelsfrei mit dem Phänomen „Umweg“ zu tun, der nach dem Gesagten rechtfertigungsbedürftig ist: Denn der Weg wurde von der Kl um den Fußweg zur vorigen Haltestelle der Buslinie und damit um eine Haltestellendistanz in Richtung Heimweg in Länge und Zeitdauer verlängert. Was die Rechtfertigung betrifft, so pflegte die Kl nach den Feststellungen der Vorinstanzen an jenen Tagen, an denen sie zu Mittag Dienstschluss hatte und danach 50 Minuten Wartezeit auf den Bus zubringen musste, immer zu Fuß zur früheren Haltestelle zu gehen, um im Bus einen sicheren Sitzplatz zu erlangen, und nicht mit einer großen Zahl von Schifahrern, die zum Mittagessen aufbrechen, konkurrieren zu müssen (eine Motivation, die sie übrigens mit der Schülerin im Fall des BSG aus dem Jahr 1984 teilt). Bei diesem Wunsch handelt es sich nicht bloß um unbeachtliche eigenwirtschaftliche Gesichtspunkte, sondern um jenen Teil der „nach der allgemeinen Verkehrsanschauung maßgeblichen Umstände“, welcher am Arbeitsweg die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit seiner Zurücklegung im Hinblick auf Weg und Verkehrsmittel mitbestimmt. Es geht darum, nicht nur möglichst schnell, sondern vor allem auch sicher den gesetzlich vorgegebenen Zielort (hier: Wohnung) zu erreichen.

Die Betonung liegt auf sicher: Wer je in einem Linienbus stehend unterwegs war weiß, wie unangenehm die Aufeinanderfolge von Bremsvorgängen und Beschleunigungen im „stop and go“-Verkehr von Haltestelle zu Haltestelle bzw von Ampel zu Ampel bzw bei anderen Verkehrshindernissen sein kann. Es ist daher gut nachvollziehbar, wenn die Kl ein Gedränge mit Schifahrern, samt Sportgerät mit scharfen Kanten als ein zusätzliches Verletzungsrisiko, vermeiden wollte und die 50-minütige Wartezeit dazu nutzte, um zwecks eines sicheren Sitzplatzes zur früheren Haltestelle zu gehen. Diese Überlegung bezieht sich auf die Sicherheit am Heimweg und ist geeignet, den (Anfangs-)Umweg zur früheren Haltestelle unter den maßgeblichen Gesichtspunkten des Unfallversicherungsschutzes auf dem Arbeitsweg zu rechtfertigen. Die Überlegung der Kl zeigt auch, dass sie während des Umwegs ihre innere Handlungstendenz, nach Hause zu gelangen, nicht zugunsten anderer Absichten aufgegeben hatte. Es ist ihr – iSd Maßstabes des OGH (10 ObS 374/89 SSV-NF 3/158; OGH 27.3.1990, 10 ObS 39/90 uva ) – eine mehr als vertretbare Erwartung auf eine sicherere Fahrt an den Wohnort zuzubilligen.

3.
Ergebnis

Daher bestand auf dem Umweg und daher auch während des Wartens auf den Bus an der dafür vorgesehenen Stelle im Wartehaus der Haltestelle Versicherungsschutz. Zutreffend meint der OGH, dass der zwischenzeitig eingeschobene Einkauf für den Versicherungsschutz im Wartehaus im Zeitpunkt des Unfalls keine Rolle mehr spielte: Auch wenn während des Einkaufs kein Versicherungsschutz bestanden hat, lebte dieser nach Ende des Einkaufs mit der Aufnahme des Wartens auf den Linienbus wieder auf. Ab diesem Zeitpunkt kann nämlich an der Absicht der Kl, den Heimweg mit dem gewohnten Bus anzutreten, und damit am Vorliegen der erforderlichen inneren Handlungstendenz, kein Zweifel bestehen. Dass dies an einem von der Arbeitsstätte entfernteren Ort (aber jedenfalls an der nächstgelegenen Haltestelle) geschah, ist mit der objektiv begründeten Erwartung der Kl auf eine mit Sitzplatz sicherere Heimfahrt gerechtfertigt.

Sie war bereits in der Warteposition auf den gewohnten Linienbus und damit im Zeitpunkt des Unfalls von der UV geschützt. Der vorliegenden E ist daher im Ergebnis, wenngleich nicht in der Begründung, zuzustimmen. 308