24Anspruch auf Familienzeitbonus trotz Dienstgeberwechsel nach der Familienzeit
Anspruch auf Familienzeitbonus trotz Dienstgeberwechsel nach der Familienzeit
Bezüglich des Anspruchs auf Familienzeitbonus betrachtet das Familienzeitbonusgesetz (FamZeitbG) nur zwei Zeiträume; einerseits die Zeit vor dem unmittelbaren Bezugsbeginn und andererseits den sich daran anschließenden eigentlichen Anspruchszeitraum.
Das Vorliegen einer vor dem unmittelbaren Beginn des Bezugs von Familienzeitbonus erforderlichen, mindestens 182 Tage bestehenden Erwerbstätigkeit ist auch dann gegeben, wenn diese im Rahmen mehrerer, aufeinander folgender kranken- und pensionsversicherungspflichtiger Dienstverhältnisse mit unterschiedlichen DG ausgeübt wurde.
Weder nach dem Zweck des FamZeitbG noch nach den entsprechenden unionsrechtlichen Vorgaben lässt sich daher ableiten, dass eine nach dem Ende des Bezugs von Familienzeitbonus bei einem anderen als dem bisherigen DG fortgesetzte unselbständige Erwerbstätigkeit dem Anspruch auf Familienzeitbonus entgegensteht.
[1] Revisionsgegenständlich ist die Frage, ob der Umstand, dass das Dienstverhältnis des Kl nach Ende der Familienzeit nicht mit dem bisherigen DG fortgesetzt wurde, sondern ein neues Dienstverhältnis mit einem anderen DG eingegangen wurde, dem Anspruch auf Familienzeitbonus entgegensteht.
[2] Der Kl war ab 1.10.2021 bei der T* GmbH beschäftigt. Dieses Dienstverhältnis kündigte er mit Schreiben vom 1.8.2022 zum 30.9.2022. Am 11.8.2022 schloss er mit seiner damaligen DG eine „Vereinbarung über Familienzeit“, die 14 Tage nach dem tatsächlichen Geburtstermin in Anspruch genommen werden sollte, ausgehend vom voraussichtlichen Geburtstermin des Kindes am 17.8.2022 daher voraussichtlich im Zeitraum von 1. bis 30.9.2022. Nach der Geburt seines Sohnes J* am 15.8.2022 nahm der Kl diese Familienzeit im vereinbarten Zeitraum in Anspruch.
[3] Seit 1.10.2022 ist der Kl bei der H* KG beschäftigt.
[4] Mit Bescheid vom 17.11.2022 wies die bekl Österreichische Gesundheitskasse den Antrag des Kl auf Zuerkennung des Familienzeitbonus für den Zeitraum von 1.9.2022 bis 30.9.2022 ab.
[5] Das Erstgericht verpflichtete die Bekl zur Gewährung von Familienzeitbonus im Zeitraum von 1.9.2022 bis 30.9.2022 „im gesetzlichen Ausmaß“. [...]
[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl Folge und wies das Klagebegehren ab. [...]
[7] Das Berufungsgericht ließ die Revision mangels Vorliegens höchstgerichtlicher Rsp zu dieser Frage zu.
[...]
[10] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und iS eines Zuspruchs des Familienzeitbonus in Höhe von 22,60 € täglich auch berechtigt.
[11] 1.1. Voraussetzungen für einen Anspruch auf den Familienzeitbonus sind ua, dass sich der Vater im gesamten Anspruchszeitraum in Familienzeit befindet (§ 2 Abs 1 Z 3 FamZeitbG) und er in den letzten 182 Tagen unmittelbar vor Bezugsbeginn durchgehend eine in Österreich kranken- und pensionsversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit tatsächlich ausgeübt sowie in diesem Zeitraum keine Leistungen aus der AlV erhalten hat, wobei sich Unterbrechungen von insgesamt nicht mehr als 14 Tagen nicht anspruchsschädigend auswirken (§ 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG).
[12] 1.2. Als Familienzeit definiert das Gesetz den Zeitraum zwischen 28 und 31 Tagen, in dem sich ein Vater aufgrund der kürzlich erfolgten Geburt seines Kindes ausschließlich seiner Familie widmet und dazu die Erwerbstätigkeit (Abs 1 Z 5) unterbricht, keine andere Erwerbstätigkeit ausübt, keine Leistungen aus der AlV sowie keine Entgeltfortzahlung aufgrund von oder Leistungen bei Krankheit erhält (§ 2 Abs 4 FamZeitbG).
[13] 2. Nach dem Gesetz kommt im Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit somit zwei Zeiträumen Bedeutung zu, und zwar einerseits der Zeit (von in der Regel 182 Tagen) unmittelbar vor (beabsichtigtem) Bezugsbeginn und andererseits der Zeit danach, nämlich dem Anspruchszeitraum, in dem sich der Vater in Familienzeit befinden muss.
[14] 2.1. Der Anspruch auf Familienzeitbonus hängt zunächst davon ab, dass im erstgenannten Zeitraum eine „Erwerbstätigkeit“ ausgeübt wurde, wobei nach § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG nur eine in Österreich kranken- und pensionsversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit ausreicht. Der Begriff der „Erwerbstätigkeit“ ist nach den Gesetzesmaterialien iSd § 24 Abs 1 Z 2 iVm Abs 2 erster Satz KBGG zu verstehen (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 2). Nach der Rsp muss daher erstens eine – selbständige oder unselbständige – Erwerbstätigkeit ausgeübt und durch diese Erwerbstätigkeit zweitens die Pflichtversicherung in der KV und PV begründet worden sein (RS0128183 [T6]). Dass diese Erwerbstätigkeit durchgehend bei demselben DG ausgeübt worden sein musste, lässt sich der Rsp des OGH allerdings nicht entnehmen. Auch in der Literatur wird vielmehr die Ansicht vertreten, es sei irrelevant, ob es sich um „ein und dieselbe Erwerbstätigkeit“ handle oder ob man in mehreren „Jobs“ (hintereinander) erwerbstätig gewesen sei (Holzmann-Windhofer in Holzmann-Windhofer/Weißenböck, Kinderbetreuungsgeldgesetz2 [2022] § 24 KBGG 185; der dort enthaltene Hinweis, wonach sich aus der E 10 ObS 76/13v ergebe, dass es sich um eine einzige, durchgehende Erwerbstätigkeit handeln müsse, ist insofern missverständlich, als es dort nicht um den Wechsel eines DG ging).
[15] 2.2. Zusätzlich muss sich der Vater im Anspruchszeitraum in „Familienzeit“ befinden. 309
Aufgrund ihrer Definition in § 2 Abs 4 FamZeitbG muss der Vater während dieser Zeit – neben den weiteren im Gesetz genannten, für den Begriff der Erwerbstätigkeit nicht relevanten Tatbestandsvoraussetzungen – „die Erwerbstätigkeit“ unterbrechen und er darf auch keine „andere Erwerbstätigkeit“ ausüben.
[16] 2.2.1. Bei der unterbrochenen „Erwerbstätigkeit“ muss es sich wegen des Verweises auf § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG um eine solche handeln, deren Ausübung den Anspruch auf den Familienzeitbonus begründete (oben ErwGr 2.1.). In der höchstgerichtlichen Rsp ist bereits geklärt, dass die (zuvor ausgeübte) Erwerbstätigkeit nicht unverzüglich oder zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder aufgenommen werden muss (10 ObS 157/21t Rz 26, 33). Im vorliegenden Fall wurde aber ohnedies eine Erwerbstätigkeit unmittelbar nach Ende des Anspruchszeitraums ausgeübt, sodass auf die Frage, ob überhaupt die Fortführung der Erwerbstätigkeit nach Ende des Anspruchszeitraums erforderlich ist, nicht eingegangen werden muss.
[17] Wenn aber schon während des Beobachtungszeitraums unmittelbar vor Bezugsbeginn die Erwerbstätigkeit an sich – unabhängig davon, ob sie im Rahmen mehrerer, aufeinander folgender Dienstverhältnisse mit unterschiedlichen DG ausgeübt wurde – zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung der Ausübung einer „Erwerbstätigkeit“ § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG hinreicht, ist kein Grund dafür ersichtlich, eine Weiterführung der Erwerbstätigkeit bei einem anderen DG als anspruchsschädlich zu beurteilen. Anhaltspunkte dafür, dass die Weiterführung der zuvor (wenn auch bei mehreren DG hintereinander) ausgeübten Erwerbstätigkeit nach dem Anspruchszeitraum bei einem anderen DG nicht als Familienzeit anzusehen ist, lassen sich dem Gesetz nicht entnehmen (Sonntag in Sonntag, KBGG4 § 2 FamZeitbG Rz 18b; Schrattbauer, Drei Jahre Familienzeitbonus – kritische Revision einer noch jungen Familienleistung, JAS 2020, 244 [257 f]; Burger-Ehrnhofer, Anmerkung zu OGH10 ObS 10/19x, EvBl 2019/90, 606 [608]; im Ergebnis ebenso Reissner, Der „Papamonat“ aus sozialrechtlicher Sicht, ASoK 2019, 402 [410]).
[18] 2.2.2. Solche Anhaltspunkte ergeben sich auch nicht aus dem weiteren Tatbestandsmerkmal, wonach – neben der Unterbrechung der krankenund pensionsversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit – während der Familienzeit auch keine „andere Erwerbstätigkeit“ ausgeübt werden darf. Damit ist nicht die Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu einem „anderen“ DG gemeint, sondern es soll erreicht werden, dass sich während des Anspruchszeitraums auch die Ausübung einer „anderen“ als kranken- und pensionsversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit, also einer geringfügigen Beschäftigung oder einer solchen unter der Versicherungsgrenze, anspruchsschädlich auswirkt (Holzmann-Windhofer/Kuranda in Holzmann-Windhofer/Weißenböck, Kinderbetreuungsgeldgesetz2 [2022] § 2 FamZeitbG 350). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist dieses Tatbestandsmerkmal bei diesem Verständnis daher auch nicht inhaltsleer. Der vom Berufungsgericht weiters herangezogene Grundsatz, wonach im Zweifel davon auszugehen sei, dass ein im Gesetz mehrmals verwendeter Ausdruck dasselbe bedeute (RS0008797), ist hier aufgrund der ausdrücklichen Regelung nicht tragfähig.
[19] 2.2.3. Außerdem spricht auch der Zweck der Regelung dafür, die Weiterführung der Erwerbstätigkeit bei einem anderen DG nach dem Anspruchszeitraum nicht als anspruchsschädlich anzusehen.
[20] Dieser Zweck liegt nach den Gesetzesmaterialien darin, erwerbstätige Väter, die sich direkt nach der Geburt ihres Kindes intensiv und ausschließlich der Familie widmen, finanziell zu unterstützen, weil die Familiengründungszeit wichtig ist, damit das Neugeborene rasch eine sehr enge emotionale Bindung (auch) zum Vater aufbauen, dieser seine unter den Auswirkungen der gerade erfolgten Geburt stehende Partnerin bei der Pflege und Betreuung des Säuglings, bei den Behördenwegen, bei Haushaltsarbeiten etc bestmöglich unterstützen kann, und um den Zusammenhalt in der Familie von Anfang an zu stärken (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 1).
[21] Dieser Zweck kann völlig unabhängig davon erreicht werden, zu welchem DG ein Dienstverhältnis während des Beobachtungszeitraums vor Bezugsbeginn bestand und mit welchem DG ein Dienstverhältnis nach Ende des Anspruchszeitraums weitergeführt wird.
[22] 2.2.4. Schließlich sind auch unionsrechtliche Vorgaben zu beachten:
[23] Die RL (EU) 2019/1158 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige [...] trat [...] am 1.8.2019 in Kraft. Sie ist gem ihrem Art 20 Abs 1 bis 22.8.2022 von den Mitgliedstaaten umzusetzen. Der hier gegenständliche Anspruchszeitraum liegt daher zur Gänze nach Ablauf der Umsetzungsfrist (zur unionsrechtskonformen Auslegung bereits vor diesem Zeitpunkt vgl überdies 10 ObS 161/21f Rz 33).
[24] Die vom Kl mit seinem DG vereinbarte Familienzeit entspricht zweifellos einem „Vaterschaftsurlaub“ iSd Art 3 Abs 1 lit a RL 2019/1158, auf den Väter (und nach nationalem Recht gleichgestellte zweite Elternteile) gem Art 4 Abs 1 RL 2019/1158 einen Anspruch haben. Nach Art 8 Abs 1 RL 2019/1158 stellen die Mitgliedstaaten im Einklang mit den nationalen Gegebenheiten, wie dem nationalen Recht, Kollektiv- bzw Tarifverträgen oder Gepflogenheiten und unter Berücksichtigung der den Sozialpartnern übertragenen Befugnisse überdies sicher, dass AN, die ihr Recht auf Urlaub gem Art 4 Abs 1 in Anspruch nehmen, eine Bezahlung oder Vergütung erhalten. Diese Bezahlung oder Vergütung ist bei Vaterschaftsurlaub in einer Höhe zu entrichten, die mindestens der Höhe der Bezahlung oder Vergütung entspricht, die der betreffende AN vorbehaltlich der im nationalen Recht festgelegten Obergrenzen im Fall einer Unterbrechung seiner Tätigkeit aus Gründen im Zusammenhang mit seinem Gesundheitszustand erhalten würde (Art 8 Abs 2 erster Satz RL 2019/1158). Die Mitgliedstaaten können den Anspruch auf eine Bezahlung oder 310 Vergütung von einer vorherigen Beschäftigungsdauer abhängig machen, die jedoch maximal sechs Monate unmittelbar vor dem errechneten Geburtstermin des Kindes betragen darf (Art 8 Abs 2 Satz 2 RL 2019/1158).
[25] Abgesehen davon, dass die unionsrechtlich vorgesehene Vergütung in Höhe des Krankengeldes mit dem Satz von täglich 22,60 € (bzw ab 1.1.2023: 23,91 €) für den Familienzeitbonus nicht in jedem Fall erreicht (10 ObS 161/21f Rz 36; Burger-Ehrnhofer/Schrittwieser/Bauer, MSchG und VKG § 1a VKG Rz 3 und 31) und auch die vorherige Beschäftigungsdauer nach der RL anders als in § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG normiert berechnet (Reissner, ASoK 2019, 404) wird, lässt sich der RL ein Erfordernis einer dem Vaterschaftsurlaub nachfolgenden Beschäftigung – mit welchem DG auch immer – jedenfalls nicht entnehmen. Ein solches Erfordernis wäre auch nur bedingt mit dem Zweck der RL vereinbar, eine gleichmäßigere Aufteilung von Betreuungs- und Pflegeaufgaben zwischen Frauen und Männern zu fördern und den frühzeitigen Aufbau einer engen Bindung zwischen Vätern und Kindern zu ermöglichen (Erwägungsgrund 19) sowie die Inanspruchnahme des Vaterschaftsurlaubs für Männer attraktiver zu machen (Erwägungsgrund 29 f).
[26] Da innerstaatliche Gerichte und Behörden die inhaltlich von einer RL berührten innerstaatlichen Normen so weit wie möglich im Einklang mit der RL (richtlinienkonform) auszulegen haben (RS0075866; RS0111214 [T1]), spricht auch dies dagegen, die Fortsetzung der Erwerbstätigkeit nach dem beabsichtigten Anspruchszeitraum bei einem anderen DG als anspruchsschädlich anzusehen.
[27] 3. Die Bekl weist in der Revisionsbeantwortung an sich zutreffend auf die Gesetzesmaterialien hin, wonach es nicht möglich sein soll, „eine andere als die unterbrochene Erwerbstätigkeit auszuüben, also zB eine neue Erwerbstätigkeit zu beginnen
“ (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 2). Die Materialien suggerieren also, dass der Wechsel des DG nach dem Ende des Anspruchszeitraums anspruchsschädlich sein soll. Abgesehen davon, dass die Materialien die (später geschaffenen) unionsrechtlichen Vorgaben noch nicht berücksichtigen konnten und schon deswegen nicht gegen eine unionsrechtskonforme Auslegung ins Treffen geführt werden können, ist die in den Materialien genannte Einschränkung dem Gesetz nicht zu entnehmen (Sonntag in Sonntag, KBGG4 § 2 FamZeitbG Rz 18b; Schrattbauer, JAS 2020, 257 f; Burger-Ehrnhofer, ÖJZ 2019, 608). Da die Gesetzesmaterialien weder das Gesetz selbst sind noch dieses authentisch interpretieren, kann ein Rechtssatz, der ausschließlich in den Gesetzesmaterialien steht, auch nicht im Wege der Auslegung Geltung erlangen (RS0008799 [T3]).
[28] 4. Zusammenfassend ergibt sich:
[29] Eine Fortsetzung der unselbständigen Erwerbstätigkeit mit einem neuen DG im Anschluss an die beabsichtigte Anspruchsdauer steht dem Anspruch auf Familienzeitbonus nicht entgegen.
[30] 5.1. Da andere Hindernisse gegen den geltend gemachten Anspruch nicht ersichtlich sind und von der Bekl auch nicht ins Treffen geführt werden, besteht der Anspruch im gegenständlichen Zeitraum zu Recht. Die vom Kl in der Revision begehrte Höhe des Familienzeitbonus von 23,91 € täglich gebührt allerdings für das Kalenderjahr 2023 (§ 3 Abs 2 FamZeitbG iVm § 3 FamValVO 2023). Dem klagegegenständlichen Anspruchszeitraum ist daher der für das Kalenderjahr 2022 geltende und im bisherigen Verfahren gegenständliche Betrag von 22,60 € täglich zugrunde zu legen.
[31] 5.2. Der Revision ist daher teilweise Folge zu geben und dem Kl nur der Betrag von 22,60 € täglich zuzusprechen. Das erstmals in der Revision erhobene Begehren nach einem höheren Betrag würde schon dem im Revisionsverfahren geltenden Neuerungsverbot (§ 482 Abs 1 iVm § 513 ZPO) widersprechen.
[...]
Jene Aussage in den Materialien zum FamZeitbG, wonach ein Anspruch auf Familienzeitbonus ua nur dann zustehen soll, wenn nach dem Ende des Bezugs dieselbe Erwerbstätigkeit wie vor dem Bezug ausgeübt wird (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 2), ist nach dem Zweck der eigentlichen Leistung Familienzeitbonus vollkommen unverständlich und findet sich auch nicht im gesetzlichen Tatbestand. Dass die Gesetzesmaterialien weder das Gesetz selbst sind noch dieses authentisch interpretieren und daher ein Rechtssatz, der ausschließlich in den Gesetzesmaterialien zu finden ist, nicht im Wege der Auslegung Geltung erlangen kann, hat der OGH zum wiederholten Mal (vgl RIS-Justiz RS0008799 [T3]) auch in der vorliegenden E festgehalten.
Gesetzesmaterialien (worunter alle schriftlichen, also auf Dauer reproduzierbaren, Bekundungen über die Entstehung eines Gesetzes zu verstehen sind – Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2 [2012] 36) machen normalerweise Gesetze verständlicher, lassen deren Aussage leichter interpretieren, sofern angenommen werden kann, dass sie beinhalten, was sich der Gesetzgeber bei den einzelnen gesetzlichen Normen „gedacht hat“. Nach Jabloner (Die Gesetzesmaterialien als Mittel der historischen Interpretation, in Olechowski/Zeleny [Hrsg], Clemens Jabloner – Methodenreinheit und Erkenntnisvielfalt [2013]) regelt das österreichische Verfassungsrecht nicht umsonst nicht nur die Erzeugung der Gesetze, sondern auch die Herstellung der Gesetzesmaterialien, also jener Dokumente, die bei der Gesetzgebung anfallen. Die Bestimmungen des Bundes- und Landesverfassungsrechts, die sich auf Materialien beziehen, haben somit auch den Charakter von Interpretationsregeln. Sie ordnen an, dass diese Gesetzesmaterialien zur historischen Auslegung prioritär herangezogen werden sollen. 311 Die Materialien zum FamZeitbG sind diesbezüglich etwas „problematisch“. An mehreren Stellen weichen hier die Aussagen der Materialien selbst vom äußersten Wortsinn der Inhalte der gesetzlichen Bestimmungen ab. Eine solche Diskrepanz kann nachvollziehbar sein, wenn sich der Gesetzestext in einer Regierungsvorlage im Rahmen des parlamentarischen Begutachtungs- bzw Gesetzgebungsprozesses inhaltlich verändert und der schlussendlich beschlossene Gesetzestext von eben dieser Regierungsvorlage an manchen Stellen abweicht. Das ist aber beim FamZeitbG nicht der Fall. Bezüglich der Voraussetzungen, die die Erwerbstätigkeit eines Vaters vor und nach Bezug des Familienzeitbonus erfüllen muss, deckt sich der Textvorschlag in der Regierungsvorlage mit dem schlussendlich beschlossenen Gesetzestext und weder da noch dort findet sich eine Formulierung, mit der sich die eingangs angeführte Aussage in den Materialien erklären lässt.
Gäbe es den entsprechenden Hinweis in den Materialien zur Regierungsvorlage nicht, käme daher wohl auch niemand auf die Idee, ein Problem darin zu sehen, wenn ein Vater nach Erfüllung aller Voraussetzungen, die vor dem Bezug des Familienzeitbonus erforderlich sind, seine Erwerbstätigkeit nach Ende des Leistungsbezugs bei einem/ einer anderen DG weiterführt. Nirgendwo sonst, also weder im KBGG noch im MSchG, VKG oder ASVG wird der Zeit nach der Inanspruchnahme einer Freistellung bzw einer Geldleistung in dem Sinne besondere Bedeutung beigemessen, dass ein und dieselbe Erwerbstätigkeit bei demselben bzw derselben DG wieder aufgenommen werden muss, um den Anspruch tatsächlich berechtigt geltend zu machen. Dass also vor allem keine der sonstigen „familienbezogenen“ Leistungen, die ebenfalls nur bei einer zuvor bestehenden Erwerbstätigkeit bezogen werden können, wie etwa das Wochengeld oder das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld, eine Wiederaufnahme der vor dem Leistungsbezug erforderlichen Erwerbstätigkeit verlangt, weshalb die grundsätzliche Voraussetzung der Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit beim Familienzeitbonus fast schon einen Systembruch darstellt (vgl dazu Burger-Ehrnhofer, Väterkarenz im Anschluss an Papamonat – Anspruch auf Familienzeitbonus besteht, DRdA 2022, 515 [518 f]), müsste – sollte man mit der wörtlichen bzw grammatikalischen Auslegung nicht das Auslangen finden – im Rahmen der weiteren systematisch-logischen Interpretation der Regelungen zum Familienzeitbonus daher eher der Schluss gezogen werden, der Zeit nach dem Leistungsbezug keine besondere Bedeutung beizumessen.
Der OGH hält in der gegenständlichen Entscheidung mE daher zurecht fest, dass es für die Erfüllung des Zwecks des FamZeitbG (Gewährung einer finanziellen Unterstützung für [zuvor] erwerbstätige Väter, die sich direkt nach der Geburt ihrer Kinder intensiv und ausschließlich der Familie widmen; vgl ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 1) nicht darauf ankommt, bei welchem DG vor oder nach dem Bezug von Familienzeitbonus gearbeitet wird (siehe Rn 21). Streicht man gemeinsam mit dem Höchstgericht den Zweck des Gesetzes hervor, darf aber (und das zugegebenermaßen zum wiederholten Male, vgl Burger-Ehrnhofer, Väterkarenz im Anschluss an Papamonat – Anspruch auf Familienzeitbonus besteht, DRdA 2022, 515 [518 f] mwN) festgehalten werden, dass die Zweck erreichung auch nicht daran hängt, dass Väter nach dem Bezug von Familienzeitbonus überhaupt wieder eine Erwerbstätigkeit aufnehmen. Etwas provokant gedacht stellt sich die Frage, ob das FamZeitbG nicht gerade bei jenen Vätern, die nach der Geburt ihres Kindes die weitere Kinderbetreuung für längere Zeit zur Gänze übernehmen wollen, seinen Zweck in ganz besonderem Maße erfüllt. „Spielverderber“ bei diesem Gedankengang ist die Definition der für den Bezug von Familienzeitbonus erforderlichen Familienzeit in § 2 Abs 4 FamZeitbG. Dort wird nämlich eine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit verlangt, was darauf schließen lässt, dass die Erwerbstätigkeit nach der Familienzeit auch wieder aufgenommen werden muss, um überhaupt eine Familienzeit iS dieser Bestimmung annehmen zu können.
Ob dieses nur ex post zu beurteilende Kriterium für den Anspruch auf Familienzeitbonus einer unionsrechtlichen Prüfung standhält, musste der OGH im vorliegenden Sachverhalt nicht beantworten. Wagt man eine Vorhersage, so liefert die vorliegende E doch Hinweise, wohin die Reise im Fall der Fälle gehen könnte. Denn dazu ist mittlerweile die Vereinbarkeits- bzw Work-Life-Balance-RL (RL [EU] 2019/1158), deren Umsetzungsfrist im August 2022 geendet hat, mit ins Kalkül zu ziehen. Entsprechen die nationalen Regelungen zulasten der Rechtsunterworfenen nicht jenen der RL, können sich diese auch direkt auf die Ansprüche der RL berufen. Da die RL den Anspruch auf eine Vergütung während eines Vaterschaftsurlaubs ausschließlich von einer Erwerbstätigkeit vor dem Vaterschaftsurlaub abhängig macht (Art 8 Abs 2 RL [EU] 2019/1158), deckt sich eine nationale Norm, die den Anspruch auf eine solche Vergütung auch von einer Fortführung einer Erwerbstätigkeit nach dem Leistungsbezug abhängig macht, nicht mit den unionsrechtlichen Vorgaben. Die Vorgaben der RL wären bei einem solche Verständnis daher im FamZeitbG unzureichend umgesetzt, weshalb die Voraussetzung für eine unmittelbare Wirkung der RL gegeben ist. Unter Berufung auf Art 8 Abs 2 der Vereinbarkeits- RL können sich daher Väter in Österreich auf eine der RL entsprechende Vergütung eines mindestens zehn Arbeitstage umfassenden Vaterschaftsurlaubs berufen, wenn sie die für die Zeit vor dem Leistungsbezug aufgestellten nationalen, der RL entsprechenden Voraussetzungen erfüllen.
Diesbezüglich bleibt zu hinterfragen, ob die Verdoppelung des täglichen Familienzeitbonus inklusive der seit 2023 erfolgenden jährlichen Valorisierung desselben (§ 3 Abs 1a FamZeitbG iVm § 3 Familienleistungs-Valorisierungsverordnung 2024, 312BGBl II 2023/328) die Anforderung des Art 8 Abs 2 der Vereinbarkeitsrichtlinie erfüllt, wonach während eines Vaterschaftsurlaubs eine Vergütung in Höhe jener Leistung zusteht, die der beziehende Vater im Falle einer gesundheitsbedingten Unterbrechung seiner Erwerbstätigkeit beziehen würde. In diesem Zusammenhang darf darauf verwiesen werden, dass DN in Österreich im Fall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit primär (volle) Entgeltfortzahlung (zu tragen von den DG) gebührt und nur subsidiär eine Sozialversicherungsleistung, das Krankengeld (zu tragen vom Krankenversicherungsträger). Dieses „Gesamtpaket“ lässt sich ua aus den Ruhensbestimmungen des § 143 Abs 1 Z 3 ASVG ableiten, wonach der Anspruch auf das Krankengeld ganz bzw teilweise ruht, solange ein Anspruch auf volle oder teilweise Entgeltfortzahlung besteht. Daraus ergibt sich, dass im Fall einer krankheitsbedingten Unterbrechung der Arbeit – je nach Dauer des Dienstverhältnisses – ein Anspruch auf volle Entgeltfortzahlung für mindestens sechs bis 12 Wochen gebührt und danach noch für vier weitere Wochen in halber Höhe (ergänzt um einen Krankengeldanspruch in halber Höhe). Dabei bedeutet volle Entgeltfortzahlung nach den dafür einschlägigen Normen (idR §§ 2 f EFZG, § 8 Abs 1 AngG), dass DN während ihrer Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit das Entgelt zusteht, das ihnen gebührt hätte, wenn sie arbeitsfähig gewesen wären (Burger-Ehrnhofer/Drs, Berechnung von Wochengeld und Kinderbetreuungsgeld unter besonderer Berücksichtigung der Ausnahmen vom Entgeltbegriff gem § 49 Abs 3 ASVG, Jahrbuch Sozialversicherungsrecht 2016, 101 [103] mwN). Laut Einkommensbericht 2022 lag das durchschnittliche Monatseinkommen 2021 bei € 2.243,– brutto (https://finanzrechner.at/gehaltsvergleich/https://finanzrechner.at/gehaltsvergleich/ [20.2.2024]). Umgelegt auf durchschnittlich 30 Kalendertage pro Monat ergibt das einen Tagessatz von rund € 75,– für das Jahr 2021 (!).
Dass also bei einem für alle Bezieher gleich hohen täglichen Familienzeitbonus 2024 in Höhe von € 52,46 auch weiterhin zumeist keine, den Vorgaben der RL entsprechende Vergütung des Vaterschaftsurlaubs gegeben ist, liegt mE auf der Hand. Welche Auswirkungen es hat, dass der österreichische Familienzeitbonus bis zu 31 Tage, der unionsrechtliche Vergütungsanspruch aber nur für mindestens zehn Arbeitstage zusteht, kann an dieser Stelle nicht ausführlich thematisiert werden. Mit Moser (Die geltende österreichische Rechtslage zum „Papamonat“ am Maßstab der RL 2019/1158 [2023], https://permalink.obvsg.at/wuw/AC16956733https://permalink.obvsg.at/wuw/AC16956733) darf aber festgehalten werden, dass eine Verkürzung des einem Familienzeitbonusbezug zumeist zugrunde liegenden Papamonats gem § 1a VKG, Art 16 Abs 2 der Vereinbarkeits-RL entgegenstehen wird, wonach Rückschritte im nationalen Recht nur zulässig sind, wenn sie aus Gründen geschehen, die gerade nicht in Zusammenhang mit der Umsetzung der RL stehen. Für den Fall, dass künftig der nationale Freistellungsanspruch nach § 1a VKG auch für kürzer als ein Monat beansprucht werden kann (eine entsprechende Absicht des Gesetzgebers ist derzeit nicht erkennbar), wäre es denkbar, dass für die ersten zwei Freistellungswochen (die RL gewährt einen Vaterschaftsurlaub im Ausmaß von mindestens zehn Arbeitstagen, woraus sich bei einer Fünf-Tage-Woche ein zweiwöchiger Freistellungsanspruch ergibt) ein den Vorgaben der RL entsprechender Vergütungsanspruch besteht und für die darüber hinausgehende Zeit auf nationaler Ebene eine geringere Vergütung gewährt wird. Die in Österreich gewählte Umsetzung der E des EuGH zum Verfall der Urlaubsersatzleistung bei unberechtigtem vorzeitigem Austritt (EuGH 25.11.2021, C-233/20, job-medium, ECLI:EU:C:2021:960) in § 10 Abs 2 UrlG idF BGBl I 2022/167BGBl I 2022/167 könnte dafür als Vorbild dienen.
Mit dieser E hat der OGH mE auch klargestellt, dass dem Grund, aus dem die vor dem Leistungsbezug bestehende Erwerbstätigkeit geendet hat, ebenso keine Bedeutung bezüglich der Anspruchsvoraussetzung beigemessen werden kann. Diesbezüglich wird in den Materialien ausgeführt, dass bloß bei einer unberechtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den/die DG unmittelbar im Anschluss an das Ende des Familienzeitbonusbezugs von einer Rückforderung gegenüber dem DN abzusehen sei (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 2). Sollte der Tatsache der Art der Beendigung der vorher ausgeübten Erwerbstätigkeit beim Bezug von Familienzeitbonus Bedeutung zukommen, müsste das im Gesetzestext und nicht bloß in den Materialien zum Ausdruck kommen, ließe sich aber ebenso wie das Erfordernis der Fortsetzung derselben Erwerbstätigkeit nicht mit den unionsrechtlichen Vorgaben vereinbaren. Denn wie der OGH in der gegenständlichen E ausführt, richtet weder das nationale FamZeitbG noch die Vereinbarkeits-RL ein Augenmerk auf die Zeit nach dem Leistungsbezug. Allein die Zeit davor sowie der eigentliche Anspruchszeitraum sind von Bedeutung. 313