KolfhausFlexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung – Der Schutz von Leiharbeitskräften in Deutschland

Nomos Verlag, Baden-Baden 2022, 491 Seiten, kartoniert, € 142,90

FLORIAN G.BURGER (INNSBRUCK)

Gut gemachte Rechtsvergleichung ist alles andere als einfach. Wer nur die geschriebenen Rechtsnormen vergleicht, betreibt bestenfalls Auslandsrechtskunde, wer aber rechtsvergleichend arbeiten möchte, muss vielmehr in die Rechtskultur eintauchen und das real gelebte Recht berücksichtigen. Das hier besprochene Buch von Paul Kolfhaus ist keine rechtsvergleichende Arbeit und möchte es auch gar nicht sein, weil es sich nur auf das deutsche Recht bezieht, bietet aber für rechtsvergleichend Interessierte (aus Österreich) einen hervorragenden Einstieg in das tatsächlich gelebte Recht der Arbeitskräfteüberlassung in Deutschland. Denn während in Österreich § 10 Abs 1 Satz 3 AÜG der überlassenen Arbeitskraft jedenfalls denselben kollektivvertraglichen Mindestlohn garantiert, wie ihn auch vergleichbaren AN im Beschäftigerbetrieb zusteht, ermöglicht in Deutschland § 8 Abs 2 und 4 dAÜG eine Abweichung von diesem Gleichstellungsgrundsatz durch Tarifvertrag. Und davon nehmen deutsche Tarifverträge „ausgiebig“ (S 110) Gebrauch.

Die rechtstatsächlichen Konsequenzen dieses tarifvertragsdispositiven Gleichstellungsgrundsatzes werden im ersten Teil (S 34–154) der von Wolfgang Däubler an der Universität Bremen betreuten Dissertation beschrieben. Die Untersuchung der Arbeitsbedingungen von Leih-AN – der Autor beschränkt sich auf die beiden wichtigsten Bereiche des Entgelts und des Beendigungsschutzes – erfolgt nicht soziologisch etwa in Form von Interviews, sondern juristisch auf Ebene der Tarifverträge, die die Rechtswirklichkeit erst eröffnen. Dabei zeigt sich, dass die reale Kernfunktion der Leiharbeit in Deutschland weniger im Abdecken von Auftragsspitzen liegt, sondern vielmehr in ihrem strategischen Einsatz, dh in der Personalkosteneinsparung beim Beschäftiger durch Heranziehen von Leih-AN, die auch in der Zeit der Überlassung einen niedrigeren Lohn beziehen als die Stammbelegschaft, weil der Überlasser-Tarifvertrag eben – durch § 8 Abs 2 dAÜG zugelassen – einen niedrigeren Lohn als der Beschäftiger-Tarifvertrag vorsieht. Die in § 8 Abs 4 dAÜG vorgesehenen Einschränkungen in Abhängigkeit von der Beschäftigungsdauer laufen großteils ins Leere, weil die Leiharbeitsverhältnisse überwiegend kurzfristig sind; auch dafür sorgen die Überlasser-Tarifverträge, indem sie „die Arbeitsplatzsicherheit der Beschäftigten nicht stärken, sondern vor allem in den ersten Monaten des Arbeitsverhältnisses schwächen“ (S 144). Wer sich dazu einen humoristischen Einstieg in die Problematik verschaffen möchte, dem ist die im Internet abrufbare Satiresendung „Die Anstalt“ vom 16.5.2017 empfohlen. Nun benötigen zwar auch die Überlasser-Tarifverträge die Zustimmung der Gewerkschaften, doch macht diese Tariföffnungsklausel „mit den Gewerkschaften eine Instanz zum Schutzpatron der Leiharbeitnehmer*innen, die gleichzeitig auch den Stammbeschäftigten verpflichtet ist und damit in einem schwierigen Spannungsfeld agiert“ (S 110 f). An sich könnten auch die AN über ihre Nicht-Mitgliedschaft zur tarifvertragsabschließenden Gewerkschaft selbst aus dem Geltungsbereich des Überlasser-Tarifvertrags hinaus- (in Deutschland besteht keine Außenseiterwirkung) und in das gesetzliche Gleichstellungsgebot hineinoptieren, weil aber eine Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag genügt (strittig, S 80), können die Leih-AN die Anwendung des Überlasser- Tarifvertrags nicht verhindern. Zwar haben sowohl die europäische als auch die deutsche Gesetzgebung erkannt, dass es eines besonderen Schutzes von Leih-AN bedarf, doch reichen sie „die Aufgabe einer sachgerechten Regelung damit an die Tarifparteien weiter“ (S 116). Diese werden ihrer Aufgabe aber regelmäßig nicht gerecht, wobei der Autor aktuelle Tarifverträge heranzieht und die unrühmliche, aber vergangene Geschichte der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen ausspart. Auch die aktuellen Tarifverträge tragen nicht nur zur titelgebenden Flexibilität auf Seite der AG, sondern auch zu einer Fragmentierung auf Seite der AN bei, indem überlassene AN und Stamm-AN auseinanderdividiert werden.

Auf Ebene des Unionsrechts ist die Tariföffnungsklausel des § 8 Abs 2 und 4 dAÜG durch Art 5 Abs 3 Leiharbeits-RL 2008/104/EG zugelassen, jedoch „unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“. Im zweiten Teil wendet sich Kolfhaus daher den Fragen zu, was unter Gesamtschutz zu verstehen sei (S 156–266) und ob das deutsche Recht diesen Gesamtschutz wahrt (S 267–323). Die erste Frage wird durch Heranziehen verschiedener Gesichtspunkte methodisch korrekt damit beantwortet, dass der Gesamtschutz dann gewahrt ist, wenn der Tarifvertrag die Leih-AN insgesamt nicht schlechter stellt als dies bei Geltung des Gleichstellungsgebotes der Fall wäre; dabei können aber die maßgeblichen Arbeitsbedingungen nur im Durchschnitt betrachtet werden. Die zweite Frage verneint Kolfhaus, nachdem er eingehend mehrere Vorschriften auch außerhalb des dAÜG dahingehend untersucht hat, ob sie den Tarifpartnern vorschreiben, nur den Gesamtschutz wahrende Tarifverträge abzuschließen. Auch das Konzept der Richtigkeitsgewähr (danach würden Tarifverträge immer den Gesamtschutz wahren, weil sich die Tarifpartner auf Augenhöhe begegnen) lehnt Kolfhaus wegen der gegenläufigen Interessen der Gewerkschaften einerseits und der Möglichkeit von Bezugnahmeklauseln andererseits ab.

Mit diesen Erkenntnissen wendet sich nun der dritte Teil (S 327–449) der Frage zu: Darf im deutschen Recht der Gleichstellungsgrundsatz zwingend – ohne Tariföffnungsklausel (wie in Österreich) – vorgeschrieben werden oder stehen zum einen Grundrechte der GRC, Grundfreiheiten oder die Leiharbeits-RL selbst und zum anderen Grundrechte des deutschen Grundgesetzes entgegen? Dabei wird eingangs Art 28 GRC lehrbuchmäßig (Schutzbereich, Eingriff, Rechtfertigung) 403 ausführlich geprüft (S 337–384), auf den später bei anderen Grundrechten zT verwiesen wird. Wenig überraschendes Ergebnis der doch „kleinteiligen Betrachtung“ (S 438): Ja, der Einführung einer zwingenden Gleichstellungspflicht steht kein rechtliches Argument entgegen, es ist daher „eine politische Frage, zu deren Beantwortung die demokratisch legitimierte Gesetzgebung berufen ist“ (S 449).

Am Ende eines jeden Unterkapitels, und sei es noch so klein, fasst Kolfhaus Zwischenergebnisse nicht bloß wiederholend, sondern mit anderen Worten zusammen. So können eilige Leser:innen das Buch zwar bequem ohne Informationsverlust abkürzen, nehmen sich damit aber das Wohlgefallen eines sehr flüssig zu lesenden, manchmal vielleicht zu ausladenden, sprachlich jedenfalls schön formulierten Buches, das so wirkt, als hätte der Autor es in einem Zug durchgeschrieben. Aus österreichischer Sicht kann dieses Buch besonders zwei Leser:innengruppen empfohlen werden: Jene, die sich rechtsvergleichend mit der deutschen Leiharbeit auseinandersetzen, und jene, die sich fragen, was Art 5 Abs 3 Leiharbeits-RL 2008/104/EG mit „Achtung des Gesamtschutzes“ eigentlich meint.