Detje/SauerSolidarität in den Krisen der Arbeitswelt – Aktualität kollektiver Widerstandserfahrungen

VSA Verlag, Hamburg 2023, 158 Seiten, kartoniert, € 13,20

ANDREASRAFFEINER

Die Sozialforscher Richard Detje und Dieter Sauer betonen in dem zu besprechenden Werk, dass Solidarität in der Arbeitswelt auf keinen Fall von der Bildfläche verschwunden ist. In den Jahren 2022 und 2023 gab es beeindruckende Arbeitskämpfe quer durch grundverschiedene Branchen und Arbeitsgebiete, die eine koordinierte Solidarität über die Grenzen des jeweiligen Feldes hinweg zeigten. Dies macht in der Folge deutlich, dass Solidarität keineswegs nur in spektakulären und eindrucksvoll scheinenden Großkonflikten, sondern auch in kleinteiligeren Konfrontationen und rein betrieblichen Erfahrungen zum Ausdruck kommt.

Dabei wird der Begriff der „erschöpften Gesellschaft“ verwendet, um eine Vielzahl von Krisenprozessen, welche die Menschen erschöpft und die Zuversicht beeinträchtigt haben, treffend zu charakterisieren. Eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahre 2022 zeigt offenkundig, dass beinahe vier Fünftel der Bundesbürger die gesellschaftspolitische Kohäsion in Deutschland als „gefährdet“ betrachten, während mehr als die Hälfte die Meinung vertritt, dass „die meisten Menschen sich nicht um ihre Mitmenschen kümmern“. In diesem wesentlichen Kontext hat der Begriff der „Solidarität“, hauptsächlich im appellativen Sinne, Konjunktur.

Während der im Frühjahr 2020 aufkommenden Corona-Pandemie wurde den „Helden der Arbeit“ als Dank für ihre Aufrechterhaltung der sozialen Infrastruktur trotz Ansteckungsgefahren öffentlicher Beifall gezollt. Dies veränderte den Blick auf die Gesellschaft und Wirtschaft, wobei das Bekenntnis der Systemrelevanz keinesfalls mehr ausschließlich für Investmentbanker gebraucht wurde, sondern auch auf „verkannte Leistungsträger“ – Menschen, deren Systemrelevanz mit knochenharter Arbeit für den Nächsten, Niedrig- oder Armutslohn und mangelnder gesellschaftlicher Bestätigung – einhergeht.

Die COVID-19-Jahre trugen zudem dazu bei, die Solidarität einer neuen und zeitgemäßen Bewertung zu unterziehen. In Anbetracht weltweiter Herausforderungen, kriegerischer Auseinandersetzungen und sozialer Zerwürfnisse soll Solidarität nun als Kitt dienen und das aufgesprengte Gemeinwesen wieder zusammenbringen. Das Autorenduo betont dabei, dass Solidarität nicht als Wohltätigkeitsrelation, sondern als Ausdruck von Empathie und Hilfsbereitschaft angesehen werden sollte. Das ist wichtig, wenn es nicht bloß um eine ideologische, sondern um eine praktische Wahrheit geht. Alles andere würde das Bild der Solidarität gehörig verzerren.

Wer die gegenwärtigen und solidaritätsbezogenen Debatten verfolgt, ist mittlerweile zum Schluss gekommen, dass sich die Gesellschaft von der „Arbeitersolidarität“ entledigt hat. Mehr noch: Althergebrachte Wirkungskreise, die in früherer Zeit noch ein Zusammengehörigkeitsgefühl schufen, sind durch Individualisierung und gesellschaftliche Zersplitterung aufgelöst worden. Der Begriff „Solidarität“ hat überdies eine Art Umkodierung erfahren und wird in der Jetztzeit des Öfteren mit einer ansatzweise mechanisch wirkenden Auffassungsgabe von sozialer Wahrheit ausdrucksstark in Verbindung gebracht.

Des Weiteren beleuchtet das Autorenduo die Diskussion über die Solidarität in der Arbeitswelt und betrachtet die Kooperation, gefolgt von der Rolle der Kollegialität und den Interessen der Beschäftigten. Zusätzlich wird der Solidaritätsbegriff in Bezug auf die Arbeitswelt definiert und erklärt.

Von Interesse ist außerdem die Vorstellung der methodisch durchdachten Vorgehensweise für die Analyse von Solidarität in betrieblichen Kontexten, wobei das Hauptaugenmerk auf Solidarität beeinflussende Dynamiken liegt. Die hier angewandte Methodik, aber auch der Forschungsansatz, die Erhebungsinstrumente und die Untersuchungsfelder werden einer adäquaten und für den Leser nachvollziehbaren Erläuterung unterzogen.

Mehrere Fallbeispiele von betrieblicher Solidarität, einschließlich Kämpfen gegen Betriebsschließungen und Solidaritätsbekundungen in verschiedenen Sektoren, werden detailliert und genauer dem Leser näher gebracht.

Die Verfasser ziehen ferner über Einzelfälle hinausgehende Quintessenzen und prüfen Entwicklungsdynamiken der Arbeit im Zusammenhang mit Solidarisierung. Dies umfasst Aneignungs- und Lernprozesse, Solidarisierung in verschiedenen Arbeitsfeldern sowie übergreifende Solidarität in der Öffentlichkeit, mit Bündnispartnern und in der Politik, wobei argumentiert wird, Solidarisierung als „Möglichkeitssinn“ zu betrachten.

Dieses Buch stellt unzweifelhaft einen aufschlussreichen Beitrag zur derzeitigen Forschung auf dem Gebiet rund um die Solidarität in den Krisen der Arbeitswelt dar. Dejte und Sauer verfügen über die bemerkenswerte Begabung, unübersichtliche und komplizierte wissen 404 schaftliche Konzeptionen und keinesfalls gewöhnliche und alltägliche Themenstellungen klar und prägnant begreiflich zu machen. Der Aufbau des zu rezensierenden Werkes gestattet einen vernunftgemäßen und gut ausgearbeiteten Fluss der Informationen, der es dem Leser erleichtert, selbst die anspruchsvollsten Konzepte zu verstehen.

Die methodische Herangehensweise von Detje und Sauer ist überlegt und überzeugend. Durch ihre gewissenhafte Forschung besagte schlüssige Struktur und detailgetreue Untersuchungen bietet das Buch einen umfangreichen Überblick über den Ist-Stand des Wissens auf diesem Gebiet. Die Resultate werden klar präsentiert und die Schlussfolgerungen sind fundiert und nachvollziehbar.

Besonders beeindruckend ist die Weise, wie die beiden Autoren aktuelle Herausforderungen und offene Fragestellungen aufgreifen und dabei innovative Ansätze und Lösungen vorschlagen. Die Debatte regt dazu an, über den Tellerrand hinauszudenken. Die ansehnliche Literaturrecherche, die das Autorenduo durchgeführt hat, zeugt von ihrem tiefgründigen Verständnis für ihr bestehendes Wissen auf dem Gebiet. Die gründliche Zitation und Integration früherer Arbeiten tragen zur Glaubwürdigkeit und Tiefe des Buches bei.

Pauschal formuliert ist „Solidarität in den Krisen der Arbeitswelt“ nicht bloß eine anerkennenswerte Sammlung von Forschungsergebnissen, sondern auch eine inspirierende Fundgrube für jeden, der sich ernsthaft mit dem Inhalt auseinandersetzt. Die beiden Sozialforscher haben mit diesem Werk eine richtungsweisende Leistung erbracht, die zweifellos in den Annalen der Literatur verankert sein wird. Davon ist der Verfasser der Rezension überzeugt.