FuhrmannFrauen in der Geschichte der Mitbestimmung. Pionierinnen in Betriebsräten, Gewerkschaften und Politik

HSI-Schriftenreihe, Bd 51, Bund-Verlag, Frankfurt am Main 2024, 150 Seiten, kartoniert, € 24,–

BARBARATROST (LINZ)

Aus der österreichischen Arbeitsrechtswelt kommend vergisst man bei der Lektüre dieser auf Deutschland bezogenen historischen Untersuchung schnell bekannte Begriffswelten. Mitbestimmung ist nicht (nur) die oberste Stufe der Beteiligung im Rahmen von Betrieb und Unternehmen gem ArbVG und BetrVG, sondern Mitsprache im weitesten Sinn des Wortes; Arbeitsnachweis hat zB nichts mit Nachweisrichtlinie (später Transparenz-RL) zu tun, usw. Rasch mit der Terminologie vertraut, steht man im Bann einer spannenden und detailreich beschriebenen Geschichte, deren Erforschung – das wird glaubwürdig berichtet (vgl zur reduzierten Quellenlage aufgrund von Bücherverbrennungen und Aktenvernichtung S 21 ff) – nicht gerade einfach war.

Die faktische Vermischung zwischen betrieblicher, gewerkschaftlicher und politischer Ebene der Mitbestimmung entspricht dem klassischen Bild des Kampfes der arbeitenden Klasse ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Wenig überraschend beginnt daher auch diese historische Analyse mit der Erkenntnis, dass „Mitbestimmung“ an sich bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts aus der Perspektive der AN ein „defensives Konzept“ sowie „klein und unwichtig“ (S 16) war, verglichen mit dem eigentlichen Ziel, nämlich der Umsetzung von Sozialismus und Wirtschaftsdemokratie. Vier Säulen kennt die Mitbestimmung als Mittel zu diesem Zweck: die betriebliche, die tarifliche, die das Recht bewahrende und die politische (S 19 f).

Die allgemeine Darstellung der Institutionen und deren Entwicklung ist nicht zentraler Gegenstand der Untersuchung: Es geht um „Frauen“ in der Geschichte der Mitbestimmung – keine Selbstverständlichkeit, will man meinen, wo doch im ausgehenden 19. Jahrhundert an Geschlechtergerechtigkeit nicht zu denken war. Eindrucksvoll schildert daher der Autor die Wandlungsfähigkeit im Kampf um gleichberechtigte Mitbestimmung anhand des Beispiels der Haartracht: Der dem „Männlichen“ nachempfundene Kurzhaarschnitt, der als „Bubikopf“ zumindest noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts bekannt war, wurde gezielt als Mittel im Kampf um die Gleichberechtigung eingesetzt, nachdem die revolutionäre Frisur in einer Einrichtung von AG und (männlich besetztem) BR gemeinschaftlich verboten worden war (S 14 f). Interessant daran ist, dass der im Ergebnis recht erfolgreich geführte Kampf um Gleichberechtigung offenbar in gewissem Umfang mittels Genderanpassung (und nicht mittels Gendermainstreaming) geführt worden war. Wäre das eventuell auch das Emanzipationsrezept für das 21. Jahrhundert gewesen? Als eine der Feministinnen der ersten Stunde wäre ich im Rückblick fast geneigt, das zu glauben.

Demgegenüber hatte man auf tariflicher Ebene die Genderbetonung bereits sehr früh auf ganz andere, sehr handfeste Weise im Auge. Es sollte nämlich Tätigkeiten geben, zu denen Frauen nicht verpflichtet werden dürften, wie – in einem frühen Tarifvertrag (laut Fuhrmann, Feminismus in der frühen Gewerkschaftsbewegung [2021] 90; hier S 20) – das Toilettenputzen und Spucknapfreinigen. Dabei ging es zunächst darum, dass Frauen nicht mehr an „niederen“ Tätigkeiten zugemutet werden darf als Männern auf derselben Ebene, später aber auch genderneutral um das Unterbinden der Verpflichtung zu fachfremden Tätigkeiten (S 38). Wie so oft spiegelt sich dieser ursprüngliche Aspekt des Frauenkampfes im Arbeitsleben bis weit in die Gegenwart hinein: Noch vor wenigen Jahren war beispielsweise in manchen Bürobereichen sogar für Akademikerinnen eine Selbstverständlichkeit, im Zweifel das Kaffeekochen, Blumengießen oder Post holen zu übernehmen, während männliche Kollegen gleichen Ranges mit derartigen Tätigkeiten nicht konfrontiert wurden, wiewohl die Tätigkeiten für beide Geschlechter „fachfremd“ wären.

Die Bereiche der Mitbestimmung zeigt Uwe Fuhrmann anhand einzelner Schicksale, die für besondere Aspekte des Frauenarbeitskampfes stehen. Gertrud Hanna (1876–1944) verbindet der Autor mit dem Begriff „Lohnregulator“ und er beschreibt in diesem Kapitel eindrucksvoll ein gegenwärtig nicht mehr bekanntes Phänomen: den „Arbeitsnachweis“ (S 26 ff). Es handelt sich dabei nicht etwa um Belege für Beschäftigung, wie zB Arbeitsbücher. Der Arbeitsnachweis war vor 1900 eine Form der Arbeitsvermittlung, welche in 405 den Händen der AN-Vereinigungen gelegen war. Die Buchdruckereihilfsarbeiterin Gertrud Hanna hatte sich um diese Form des AN-Einflusses besonders bemüht. Hintergrund war, dass die Arbeiterfachvereine darauf drängten, über ein Monopol der Arbeitsvermittlung die Unternehmer für die Erlangung besserer Arbeitsbedingungen unter Druck zu setzen (S 27), ganz nach dem Motto: „Keine guten Arbeitsbedingungen – keine Arbeitskräfte!“ Im Kampf um die ersten Tarifverträge – wie hier am Agieren der Gewerkschafterin Paula Thiede dargestellt (S 34 ff) – spielte das Machtmittel Arbeitsnachweis eine bedeutende Rolle und wurde letztlich 1907/08 quasi im Junktim gegen bessere Löhne eingetauscht und in die paritätisch verwaltete Arbeitsvermittlung übergeführt (S 41).

Die Aufhebung der Gesindeordnungen schuf erst die Voraussetzung für den Kampf um ein modernes Hausgehilfen- und Hausangestelltenrecht. Für das Ringen um ein solches stehen ua Luise Kähler und Johanna Tesch (S 43 ff).

Als Vorreiterinnen um die gesetzliche Etablierung eines Betriebsratswesens in Theorie, Praxis und Politik stellt der Autor Johanne Reitze, Luise Zietz und Toni Sender vor. Was die Letztgenannte betrifft, übertreibt Fuhrmann nicht, wenn er meint, ihre Lebensgeschichte lese „sich streckenweise wie ein Kriminalroman“ (S 62). Die praktisch gelebte AN-Vertretungsarbeit im Betrieb repräsentieren in dieser historischen Darstellung stellvertretend für viele Namenlose Betriebsrätin Emma Benkert (S 70 ff) und Bühnenrätin Grete Ilm (S 78 ff). Last but not least dürfen wir aus der Biografie der 1994 verstorbenen Hilde Radusch einiges über Grenzgänge zwischen Kommunisten diesseits und jenseits von Mauern (im Kopf und in der Stadt), aber auch zwischen Geschlecht(ern), Gender und sexueller Orientierung damals und heute erfahren, was neugierig macht. Aus dieser Geschichte einer lesbischen Frau, die sich nicht scheut, auch in den 1950er-Jahren in der Selbstdarstellung als Frau, jedoch mit männlichen Attributen im Äußeren, aufzutreten (S 94), strahlen Selbstbewusstsein, Mut und die Kraft, nicht nur mit dem Rudel zu rennen, sondern auch als einzelne Frau „ihren Mann zu stehen“ – vorbildhaft, wie man aus heutiger Perspektive im Rückblick festzustellen geneigt ist.

Ich hätte sie gerne persönlich kennengelernt, die Frau Hilde Radusch – alle anderen Frauen, die in diesem Buch vorgestellt wurden, aber auch. Danke dem Autor, dass wir sie auf diese Weise wenigstens biografisch kennenlernen durften!