31Kein Anspruch auf Pflegegeld bei Bezug einer deutschen Rente ohne deutschen Krankenversicherungsschutz
Kein Anspruch auf Pflegegeld bei Bezug einer deutschen Rente ohne deutschen Krankenversicherungsschutz
Bei Bezug nur einer deutschen Rente und Wohnort in Österreich ist für die KV ausschließlich Deutschland zuständig, auch wenn in Deutschland kein Schutz in der gesetzlichen KV möglich ist. Die Verpflichtung, bei Wohnort in Deutschland eine private KV abzuschließen, ist dafür ausreichend.
An dieser Zuständigkeit Deutschlands ändert auch das Bestehen einer Mitversicherung in der KV in Österreich nichts.
Bei der Zuständigkeitsprüfung muss Österreich ausländisches Recht interpretieren.
[1] Die 1938 geborene Kl ist deutsche Staatsbürgerin, hat ihren ständigen Wohnsitz seit 2001 in Österreich und bezieht seit 1.6.2004 eine Regelaltersrente von der Deutschen Rentenversicherung, Bayern Süd. Sie bezieht keine österreichische Pensionsleistung. Sie ist mit ihrem Ehemann in der KV der ÖGK mitversichert. In Deutschland besteht keine KV.
[2] Mit Bescheid vom 28.12.2021 lehnte die bekl Pensionsversicherungsanstalt den Antrag der Kl auf Gewährung von Pflegegeld ab. Die Kl sei der KV in Deutschland zugehörig.
[3] Mit ihrer dagegen gerichteten Klage macht die Kl zusammengefasst geltend, sie sei nicht der KV in Deutschland zugehörig, weil sie dort aufgrund ihres konkreten Versicherungsverlaufs nicht krankenversicherungspflichtig sei und sich wegen ihrer Mitversicherung in der österreichischen KV auch nicht freiwillig krankenversichern könne. Aufgrund einer langen Tätigkeit in einem südamerikanischen Land könne sie die für eine KV in Deutschland erforderliche sogenannte „Vorversicherungszeit“ in der deutschen gesetzlichen KV für Rentner (vgl § 5 Abs 1 Z 11 [deutsches] SGB V) nicht erfüllen; seit 2001 sei sie nicht mehr erwerbstätig und bei ihrem Ehemann in der österreichischen gesetzlichen KV mitversichert.
[4] Die Bekl bestritt das Klagebegehren und brachte vor, die Kl sei aufgrund des Bezugs einer deutschen Regelaltersrente ab 1.6.2004 ausschließlich der deutschen gesetzlichen KV leistungszugehörig. Zur Erbringung von Pflegeleistungen sei daher der Mitgliedstaat Deutschland zuständig.
[5] Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab.
[6] Das Berufungsgericht ließ die Revision nicht zu. Rechtlich begründete es die Antragsabweisung im Wesentlichen mit den in den Entscheidungen 10 ObS 202/21k, 10 ObS 3/22x und 10 ObS 31/22i ausgeführten rechtlichen Erwägungen. [...]
[9] Die Kl macht als erhebliche Rechtsfragen geltend, es fehle Rsp zu Fällen, in denen der Rentner im rentenzahlenden Mitgliedstaat nicht krankenversicherungspflichtig sei. Die vom Berufungsgericht herangezogene Rsp des OGH sei in der Literatur auf Kritik gestoßen.
[10] 1. Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, dass die Kl nicht anspruchsberechtigt gem § 3 Abs 1 BPGG ist, weil sie keine der dort genannten Grundleistungen bezieht, sondern aufgrund ihres unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts § 3a BPGG anzuwenden ist. Negative Anspruchsvoraussetzung des § 3a Abs 1 BPGG ist, dass nicht ein anderer Mitgliedstaat nach der VO (EG) 883/2004 für Pflegeleistungen zuständig ist, was nach den Kollisionsregeln nach Art 11 ff VO (EG) 883/2004 zu beurteilen ist (10 ObS 31/22i Rz 12 ff mwN). Neben den Art 11 ff VO (EG) 883/2004 enthalten die Art 23 ff VO (EG) 883/2004 Sondernormen für die KV der Pensionisten („Rentner“ iSd Art 1 lit w VO [EG] 883/2004).
[11] 2.1. Eine Leistung bei Krankheit, wie das Pflegegeld nach dem BPGG, zählt nach der Rsp des EuGH zu den in Art 19 Abs 1 lit a der VO (EWG) 1408/71 genannten Geldleistungen (EuGHC-215/99, ECLI:EU:C:2001:139, Jauch, Rn 35). Es ist daher auch als Geldleistung iSd Art 21 ff, konkret des Art 29 VO (EG) 883/2004 anzusehen.
[12] 2.2. Gem Art 29 Abs 1 VO (EG) 883/2004 liegt die Leistungszuständigkeit für Geldleistungen bei Krankheit für Rentner einheitlich beim kollisionsrechtlich primär zuständigen Träger, dh bei dem Träger, der die Kosten der im Wohnstaat gewährten Sachleistungen gem den Art 23 bis 25 VO (EG) 883/2004 zu tragen hat (10 ObS 34/20b SSV-NF 34/43 ErwGr 1.3.; 10 ObS 3/22x Rz 17; 10 ObS 202/21k Rz 15, DRdA 2023/6, 53 [Schöffmann]; Janda in Fuchs/Janda, Europäisches Sozialrecht8 [2022] Art 29 VO (EG) 883/2004 Rz 1).
[13] 2.3. In der Regel ist nach Art 29 Abs 1 iVm Art 24 Abs 1, Abs 2 lit a VO (EG) 883/2004 für die Gewährung von Pflegegeld an Pensionisten (Rentner) mit einer Pension (Rente) eines anderen Mitgliedstaats der EU der pensionsauszahlende Staat und nicht der Wohnmitgliedstaat zuständig (10 ObS 202/21k Rz 14, DRdA 2023/6, 53 [Schöffmann]; vgl 10 ObS 123/16k SSV-NF 31/9 ErwGr 2.8; Greifeneder/Liebhart, Handbuch Pflegegeld4 [2017] Rz 3.46).
[14] 2.4. Die Zuständigkeit des rentenzahlenden Mitgliedstaats ergibt sich bereits immer dann, wenn aufgrund des Rentenanspruchs eine Einbeziehung in die KV des rentenzahlenden Mitgliedstaats besteht. Dem Umstand, dass die Inanspruchnahme von Leistungen von der Grundstruktur der nationalen Krankenversicherungsrechte her regelmäßig vom Territorialitätsprinzip gekennzeichnet ist und den Aufenthalt in dem Mitgliedstaat voraussetzt, in dem die Versicherung besteht (vgl Bieback in Fuchs/Janda, Europäisches Sozialrecht8 Art 17 VO [EG] 883/2004 Rz 1), trägt (im hier interessierenden Zusammenhang) die Wohnsitzfiktion des Art 24 Abs 1 VO (EG) 883/2004 Rechnung.
[15] 2.5. Die Zuständigkeit des rentenzahlenden Mitgliedstaats zur Erbringung von Geldleistungen besteht auch dann, wenn sich neben einem eigenständigen Sachleistungsanspruch aus der mit dem Rentenanspruch einhergehenden Einbeziehung in die KV des rentenzahlenden Mitgliedstaats ein 363
abgeleiteter Anspruch auf Leistungen für Familienangehörige aus der KV eines anderen Mitgliedstaats ergibt, weil ein aufgrund des Rentenbezugs (bzw einer darauf basierenden Versicherung) bestehender Sachleistungsanspruch nach der Rangfolge des Art 32 Abs 1 VO (EG) 883/2004 gegenüber dem abgeleiteten Anspruch als Familienangehöriger vorrangig ist (vgl 10 ObS 3/22x Rz 21). Der abgeleitete Anspruch hat daher für die kollisionsrechtliche Prüfung nach Art 32 Abs 1 VO (EG) 883/2004 unberücksichtigt zu bleiben (10 ObS 3/22x Rz 21; vgl Schreiber in Schreiber/Wunder/Dern, VO [EG] 883/2004 [2012] Art 32 Rz 4).
[16] 2.6. In diesem Sinn ist die zitierte Rsp des Senats dahin zu präzisieren, dass es bei Bestehen einer Anspruchsberechtigung zugunsten eines Rentners oder einer Rentnerin als Angehörige („Mitversicherung“) in der österreichischen KV nach § 123 ASVG (10 ObS 202/21k, DRdA 2023/6, 53 [Schöffmann]; 10 ObS 31/22i) oder § 56 B-KUVG (10 ObS 3/22x) oder anderen Normen für die Ermittlung des zur Erbringung von Geldleistungen primär zuständigen Mitgliedstaats gem Art 29 Abs 1 iVm Art 24 VO (EG) 883/2004 nicht entscheidend darauf ankommt, ob der Angehörige nach der Ausgestaltung des nationalen Rechts den Sachleistungsanspruch in eigener Person (vgl zu § 56 B-KUVG RS0086022) oder nur im Weg der Beanspruchung durch den Versicherten (vgl zu § 123 ASVG RS0113003) geltend machen kann.
[17] Entscheidend ist vielmehr, ob dem (unabhängig von der nationalen Ausgestaltung) gem Art 32 Abs 1 VO (EG) 883/2004 als abgeleitet zu beurteilenden Sachleistungsanspruch eines Angehörigen aus der österreichischen KV ein (iSd Art 32 Abs 1 VO [EG] 883/2004) eigenständiger Sachleistungsanspruch gegen den zuständigen Träger des rentenzahlenden Mitgliedstaats gegenübersteht.
[18] Da der eigenständige Anspruch gegen den Träger des rentenzahlenden Mitgliedstaats nach Art 32 Abs 1 VO (EG) 883/2004 – mit Ausnahme der im vorliegenden Fall nicht relevanten, in Art 32 Abs 2 VO (EG) 883/2004 geregelten Ausnahme eines „Einwohnersystems“ im rentenzahlenden Mitgliedstaat (vgl dazu Bieback in Fuchs/Janda, Europäisches Sozialrecht8 Art 32 VO [EG] 883/2004 Rz 7; Zaglmayer/Pöltl in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, 85. Lfg [2020] Art 32 VO [EG] 883/2004 Rz 3) – dem abgeleiteten Anspruch als Angehöriger gegen den Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats vorgeht, ergibt sich nach Art 29 iVm Art 24 Abs 1, Abs 2 lit a VO (EG) 883/2004 bei Einfachrentnern (Personen mit einem Rentenbezug aus einem einzigen Mitgliedstaat) die primäre Zuständigkeit des rentenzahlenden Mitgliedstaats zur Erbringung der Geldleistungen aus der KV an den Rentner (vgl 10 ObS 3/22x Rz 21).
[19] 2.7. Auf das tatsächliche Bestehen einer KV im rentenzahlenden Mitgliedstaat kommt es für die kollisionsrechtliche Beurteilung insofern nicht an, als die Verwaltungspraxis eines Mitgliedstaats (vgl 10 ObS 56/21i), der Verzicht auf eine Leistung (ebenfalls 10 ObS 56/21i) oder die Inanspruchnahme einer Befreiung von der Krankenversicherungspflicht (vgl 10 ObS 83/16b SSV-NF 30/80) aufgrund einer dies ermöglichenden Ausgestaltung des nationalen Krankenversicherungsrechts nichts an der kollisionsrechtlichen Beurteilung zu ändern vermag (vgl 10 ObS 83/16b SSV-NF 30/80 = DRdA 2017/34, 312 [Felten]).
[20] 2.8. In den vom OGH bisher entschiedenen Fällen hatten die Kl die Möglichkeit der Einbeziehung in das Krankenversicherungssystem des rentenzahlenden Mitgliedstaats und das Bestehen eines Sachleistungsanspruchs unter Zugrundelegung einer Wohnsitzfiktion in diesem Mitgliedstaat (Art 24 Abs 1 Satz 1 VO [EG] 883/2004) nicht konkret bestritten (vgl etwa 10 ObS 56/21i; 10 ObS 202/21kDRdA 2023/6, 53 [Schöffmann]).
[21] 2.9. Die Kritik Schöffmanns (DRdA 2023, 53 [55]), der die konkrete Prüfung verlangt, ob bei Zugrundelegung der Wohnsitzfiktion Sachleistungen im rentenzahlenden Mitgliedstaat zustünden, trifft allerdings für Fälle zu, in denen konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Rentenbezieher auch unter Zugrundelegung der Fiktion eines Wohnsitzes im rentenzahlenden Mitgliedstaat dort keinen oder keinen nach Art 32 VO (EG) 883/2004 vorrangigen Sachleistungsanspruch hätte.
[22] 3.1. Im vorliegenden Fall hat die Kl konkretes Vorbringen dazu erstattet, dass ihr selbst bei Bestehen eines Wohnsitzes in Deutschland dort kein Sachleistungsanspruch aus der KV zustünde.
[23] Sie begründete dies damit, dass sie aufgrund ihres im Einzelnen dargelegten Sozialversicherungsverlaufs im rentenzahlenden Mitgliedstaat Deutschland nicht in die Pflichtversicherung in der KV einbezogen sei, weil sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Jahr 1953 und der Rentenantragstellung auch unter Berücksichtigung ihrer zwei Kinder nicht neun Zehntel der zweiten Hälfte dieses Zeitraums, das seien 22 Jahre und 10,5 Monate, in der gesetzlichen KV versichert gewesen sei. Sie sei daher mangels Erfüllung der Vorversicherungszeit in der deutschen gesetzlichen KV nicht versicherungspflichtig. Eine freiwillige Versicherung in der gesetzlichen KV sei ihr wegen der aufrechten Mitversicherung bei ihrem Ehemann nicht möglich. 3.2. Ein eigenständiger Anspruch auf Sachleistungen aus einer Versicherung basiert nach deutschem Recht auf den Pflichtversicherungsverhältnissen gem (soweit hier relevant) § 5 SGB V sowie der freiwilligen Versicherung gem § 9 SGB V sowie im Basistarif gem § 193 Abs 5 VVG [Versicherungsvertragsgesetz] (Bieback in Fuchs/Janda, Europäisches Sozialrecht8 [2022] Art 32 VO [EG] 883/2004 Rz 7).
[24] 3.3. Die Kl nimmt mit ihrem Rechtsvorbringen offenkundig auf die in § 5 Abs 1 Z 11 SGB V als Voraussetzung für die Versicherungspflicht normierte „Vorversicherungszeit“ iVm Abs 2 dieser Bestimmung (betreffend die Anrechnung von Mitgliedszeiten für jedes Kind) Bezug. Ihr Vorbringen zur Nicht- Einbeziehung in die deutsche gesetzliche KV wegen der „Mitversicherung“ bei ihrem Ehemann könnte rechtlich, auch wenn die Kl in diesem Zusammenhang auf die (in § 9 SGB V geregelte) freiwillige Versicherung verweist, vor dem Hintergrund des § 5 Abs 1 Z 13 SGB V zu verstehen sein.
[25] 3.4. Sollte es zutreffen, dass die Kl aufgrund ihres Versicherungsverlaufs selbst unter der Annahme 364 eines Wohnsitzes in Deutschland, also unter Zugrundelegung der Wohnsitzfiktion des Art 24 Abs 1 VO (EG) 883/2004, dort keinen Anspruch auf Sachleistungen hätte, weil sie weder der Versicherungspflicht in der gesetzlichen KV nach § 5 SGB V unterliegt noch die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen KV nach § 9 SGB V hat, bestünde aus der deutschen gesetzlichen KV nach dem SGB V kein eigenständiger Sachleistungsanspruch der Kl, der gem Art 32 VO (EG) 883/2004 mit ihrem abgeleiteten Anspruch (als solcher ist die Anspruchsberechtigung ihres Ehemanns für sie nach § 123 ASVG zu beurteilen) konkurrieren und ihrem abgeleiteten Anspruch nach Art 32 VO (EG) 883/2004 vorgehen würde.
[26] Ob dies der Fall ist, kann nach dem derzeitigen Aktenstand nicht beurteilt werden, weil keine Feststellungen zur Erwerbsbiographie und dem Versicherungsverlauf der Kl getroffen wurden.
[27] 3.5. Darauf kommt es allerdings im vorliegenden Fall nicht an, weil sich ein eigenständiger Sachleistungsanspruch der Kl unter der Annahme, dass sie in Deutschland wohnte, auch aus dem gesetzlich gebotenen Abschluss einer privaten KV gem § 193 (deutsches) VVG ergeben könnte (vgl Bieback in Fuchs/Janda, Europäisches Sozialrecht8 Art 32 VO [EG] 883/2004 Rz 7).
[28] 3.6. Nach § 193 Abs 3 VVG ist jede Person mit Wohnsitz in Deutschland, die nicht in der gesetzlichen KV versichert oder versicherungspflichtig ist (§ 193 Abs 3 Z 1 dVVG; Z 2 bis Z 4 sind hier nicht relevant), verpflichtet, eine Krankheitskostenversicherung mit einem im Einzelnen umschriebenen Leistungsumfang abzuschließen. § 193 Abs 5 dVVG normiert die entsprechende Verpflichtung des Versicherers zur Gewährung von Versicherungsschutz zum Basistarif. Eine solche Versicherung muss mindestens eine Kostenerstattung für ambulante und stationäre Heilbehandlung umfassen.
[29] 3.7. Nach Art 1 lit va sublit i VO (EG) 883/2004 liegen für die Zwecke des (im vorliegenden Fall relevanten) Titels III Kapitel 1 VO (EG) 883/2004 Sachleistungen bei Krankheit auch vor, wenn sie „den Zweck verfolgen, die ärztliche Behandlung und die diese Behandlung ergänzenden Produkte und Dienstleistungen zu erbringen bzw zur Verfügung zu stellen oder direkt zu bezahlen oder diesbezüglich die Kosten zu erstatten
“. Sachleistungen (und nicht Geldleistungen) liegen demnach auch dann vor, wenn die KV dafür Geld im Weg der Kostenerstattung oder Kostenübernahme zahlt (Bieback in Fuchs/Janda, Europäisches Sozialrecht8 Art 17 VO [EG] 883/2004 Rz 4; EuGHC-466/04, Acereda Herrera, Rz 29).
[30] Auch ein Anspruch aus einer gem § 193 dVVG abgeschlossenen Versicherung, die gem § 193 Abs 3 dVVG eine Krankheitskostenversicherung zu beinhalten hat, verschafft der versicherten Person daher einen Sachleistungsanspruch iSd VO (EG) 883/2004. Dabei handelt es sich um einen eigenständigen Sachleistungsanspruch iSd Art 32 Abs 1 VO (EG) 883/2004. Ein solcher Anspruch ginge einem abgeleiteten Anspruch auf Leistungen für Angehörige (im vorliegenden Fall: nach § 123 ASVG) gemäß der Vorrangregel des Art 32 VO (EG) 883/2004 vor. Die Ausnahmebestimmung des Art 32 Abs 2 VO (EG) 883/2004, nach der ausnahmsweise der abgeleitete Anspruch dem eigenständigen vorgeht, wäre bei Vorliegen der geschilderten Versicherung im Basistarif gem § 193 Abs 5 dVVG nicht erfüllt, weil der daraus resultierende Sachleistungsanspruch aus einer Versicherung nicht bloß – wie bei einem Einwohnersystem – ausschließlich auf dem Wohnsitz beruhte (vgl zur sprachlich schwer verständlichen Ausnahme des Art 32 Abs 2 VO (EG) 883/2004 Bieback in Fuchs/Janda, Europäisches Sozialrecht8 Art 32 VO [EG] 883/2004 Rz 3).
[31] 4.1. Ergebnis: Allgemein gilt, dass zur Beurteilung des Pflegegeldanspruchs einer Person nach § 3a BPGG, die eine Rente aus einem anderen Mitgliedstaat bezieht und zu deren Gunsten in der österreichischen gesetzlichen KV eine Anspruchsberechtigung für Angehörige besteht, die konkrete Prüfung, ob bei Zugrundelegung der Wohnsitzfiktion Sachleistungen im rentenzahlenden Mitgliedstaat zustünden (Art 29 iVm Art 24 Abs 1 VO [EG] 883/2004), erforderlich ist, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein (iSd Art 32 VO [EG] 883/2004 eigenständiger) Sachleistungsanspruch im rentenzahlenden Mitgliedstaat auch unter der Annahme, der Rentner würde in diesem Mitgliedstaat wohnen, nicht bestünde.
[32] 4.2. Im vorliegenden Fall ergibt die konkrete Prüfung – wie ausgeführt –, dass der Kl, die eine Rente aus der deutschen Rentenversicherung bezieht, unter der Annahme eines Wohnsitzes in Deutschland dort jedenfalls ein auf einer Versicherung basierender eigenständiger Sachleistungsanspruch in der KV zustünde.
[33] 4.3. Das Urteil des Berufungsgerichts erweist sich daher auch bei Berücksichtigung der in der Literatur an der E 10 ObS 202/21k geäußerten Kritik (Schöffmann, DRdA 2023/6, 64 ff) als rechtsrichtig. Der zur Klarstellung zulässigen Revision ist daher nicht Folge zu geben.
[34] 4.4. Die in der außerordentlichen Revision angeregte Befassung des EuGH zur Vorabentscheidung ist im vorliegenden Fall nicht erforderlich, weil es nicht auf die im Rechtsmittel aufgeworfene Frage ankommt, ob eine Rentnerin im pensionsauszahlenden Mitgliedstaat schlechthin krankenbzw pflegeversicherungspflichtig ist, sondern auf die Frage, ob unter Anwendung der Vorrangregeln des Art 32 nach Art 24 Abs 1 VO (EG) 883/2004 unter Zugrundelegung der Wohnsitzfiktion ein vorrangiger eigenständiger Sachleistungsanspruch im rentenzahlenden Mitgliedstaat besteht.
[...]
Die E reiht sich in jene E ein, die sich mit der Wirkung des § 3a BPGG in Fällen eines Wohnortes in Österreich bei möglicher Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats aufgrund der VO 883/2004 365 befassen. Für den vorliegenden Sachverhalt legt Art 11 Abs 3 lit e VO 883/2004 fest, dass für nicht-aktive Personen (dazu zählen auch die Bezieher einer Rente, die ihre Erwerbstätigkeit eingestellt haben) der Wohnstaat zuständig ist. Das gilt allerdings nicht uneingeschränkt, sondern nur „unbeschadet anderslautender Bestimmungen dieser VO, nach denen [... der betreffenden Person] Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen
“. Solche Regelungen sind im Titel III Kap 1 betreffend Leistungen bei Krankheit, Mutterschaft und gleichgestellter Vaterschaft enthalten.
Nach Art 24 Abs 1 VO 883/2004 erhält eine Person, „die eine Rente oder Renten nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erhält und die keinen Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats hat, dennoch Sachleistungen für sich selbst und ihre Familienangehörigen, sofern nach den Rechtsvorschriften des für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaats oder zumindest eines der für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaaten Anspruch auf Sachleistungen bestünde, wenn sie in diesem Mitgliedstaat wohnte
“. Diese Regelung ist Teil der Regelungen betreffend die KV von Rentenbeziehern. Sie hängt mit Art 23 VO 883/2004 zusammen, nach dem grundsätzlich der Wohnstaat für die KV zuständig ist, sofern auch eine Rente aus diesem bezogen wird, sofern die Person „Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats hat
“. Daher greift Art 24 VO 883/2004 auch in Fällen, in denen zwar eine Rente des Wohnstaates bezogen wird, diese dort aber keinen Sachleistungsanspruch auslöst. Die Regelung für Geldleistungen (bei Krankheit, aber auch bei Pflegebedürftigkeit) hängt sich an die Zuständigkeit für Sachleistungen, indem jener Mitgliedstaat die Geldleistungen zu erbringen hat, der auch die Kosten der Sachleistungen trägt (Art 29 VO 883/2004). Diese etwas sperrige Zuständigkeitsfestlegung ist erforderlich, da bei den Sachleistungen zwischen jenem Staat zu unterscheiden ist, der die Sachleistungen tatsächlich erbringt (idR der Wohn- oder Aufenthaltsstaat), und jenem, der die Kosten trägt, indem er dem Träger des Wohnoder Aufenthaltsortes dessen Kosten, die durch die Sachleistungsgewährung entstanden sind, erstattet (Art 35 VO 883/2004).
Wiewohl ausschließlich eine deutsche Rente bezogen wurde, scheiterte nach den dem OGH vorliegenden Angaben die KV in Deutschland daran, dass die erforderliche „Neun-Zehntel-Deckung“ durch deutsche Versicherungszeiten nach § 5 Abs 1 Z 11 SGB V aufgrund einer längeren Karriere in Südamerika nicht gegeben war. Durch diese außereuropäische Karriere ist es auch nicht möglich, im Wege der Zusammenrechnung nach Art 6 VO 883/2004 diese Voraussetzung zu erfüllen, da dies nur bei Versicherungszeiten in einem anderen Mitgliedstaat möglich ist.
Der OGH gibt sich völlig zu Recht mit dieser Information aber nicht zufrieden und prüft entsprechend der Wohnortgleichstellung nach Art 24 VO 883/2004, ob nicht bei Wohnort in Deutschland ein Versicherungsschutz gegeben gewesen wäre. Damit reagiert der OGH auch auf die Kritik Schöffmanns zu OGH10 ObS 34/20b (DRdA 2023, 53), der bei Nichtbestehen einer KV in der Slowakei bei Bezug einer slowakischen Invaliditätsrente eine entsprechende Prüfung der slowakischen Rechtslage (würde bei Wohnort in der Slowakei ein Krankenversicherungsschutz bestehen?) vermisst.
Aus der Sicht des OGH würde, selbst wenn der Zugang zur deutschen gesetzlichen KV bei Wohnort in Deutschland verwehrt wäre (offensichtlich würde im vorliegenden Fall auch die subsidiäre Auffangklausel des § 5 Abs 1 Z 13 SGB V, wenn jemand zuletzt krankenversichert war, hier nicht greifen), dennoch eine die gesetzliche KV ersetzende private KV nach § 193 deutsches Versicherungsvertragsgesetz (VVG – danach sind vereinfacht gesagt alle Personen, die nicht der gesetzlichen KV unterliegen, bei Wohnsitz in Deutschland zu einer privaten KV verpflichtet) möglich sein. Allerdings würde ein Sachleistungsanspruch aus einer solchen privaten KV einen entsprechenden Anschluss der Kl erfordern, was eben nicht geschah. Man muss sich somit die Frage stellen, ob dennoch von einem für Art 24 VO 883/2004 erforderlichen Anspruch auf Sachleistungen bei Wohnort in Deutschland ausgegangen werden kann.
Dafür wäre aber zunächst notwendig, dass diese private KV nach dem deutschen VVG als ein von der VO 883/2004 erfasster Sachleistungsanspruch angesehen werden kann (Art 24 VO 883/2004 kann sich nur auf einen solchen beziehen). Aus deutscher Sicht ist dies nicht der Fall und daher wurde die Versicherung nach dem VVG auch nicht nach Art 9 VO 883/2004 als vom sachlichen Geltungsbereich der VO 883/2004 erfasst notifiziert (https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=868&i ntPageId=2285&langld=en). Nach den bisherigen Erfahrungen würde daher in einem solchen Fall sehr oft keine KV in Deutschland möglich sein, da die deutschen Privatversicherungen sich durch die VO nicht gebunden sehen und vor allem keine Wohnsitzgleichstellung vorgenommen wird.
Der OGH geht aber im Unterschied dazu davon aus, dass auch die deutsche Privatversicherung von der VO erfasst und daher bei Anwendung zB des Art 24 VO 883/2004 zu berücksichtigen ist. Der EuGH hatte sich schon einmal mit der Frage auseinanderzusetzen, was rechtens ist, wenn der betreffende Mitgliedstaat ein System nicht notifiziert, aber Zweifel daran in einem anderen Mitgliedstaat bestehen könnten, ob dies korrekt ist. In C-12/14, Kommission gegen Malta, ECLI:EU:C:2016:135, führt der EuGH aus, dass an sich die anderen Mitgliedstaaten aufgrund des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit nach Art 4 Abs 3 EUV an eine Notifikation oder Nicht-Notifikation eines Mitgliedstaates gebunden sind (Rz 37 und 38). Allerdings 366 kann sich ein Gericht eines Mitgliedstaates mit der Rechtslage eines anderen Mitgliedstaates auseinandersetzen und allenfalls auch den EuGH zur Klärung anrufen, ob ein System von der VO 883/2004 erfasst ist oder nicht (Rz 43).
Hätte der OGH daher die Frage, ob das deutsche VVG unter die VO 883/2004 fällt, dem EuGH vorlegen müssen? Das hätte er dann nicht machen müssen, wenn es sich dabei um acte claire handelt. Zum einen hat der EuGH selbst bereits eine deutsche Privatversicherung, die an die Stelle einer gesetzlichen SV getreten ist, als von der VO erfasst angesehen (EuGHC-502/01, Gaumain-Cerri und Barth, ECLI:EU:C:2004:413, Rz 22) – bei dieser E ging es zwar um die deutsche Pflegeversicherung, sie kann aber gleichermaßen auch auf die deutsche KV angewendet werden. Ebenso hat auch schon der EFTA-GH private Versicherungen, die aufgrund einer Versicherungspflicht abgeschlossen werden müssen, als von der VO erfasst angesehen (EFTAGH, E-2/18, Concordia Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung, Landesvertretung Liechtenstein). Zum anderen wird auch in der Literatur die Auffassung vertreten, dass eine solche deutsche private KV in den Anwendungsbereich der VO 883/2004 fällt (worauf auch der OGH in Rz 27 verweist). Im Übrigen gehen auch andere österreichische Gerichte davon aus, dass diese deutsche private KV in den Anwendungsbereich der VO 883/2004 fällt (BVwG 19.4.2023, W151 2244089-4/2E). Unter diesem Blickwinkel betrachtet, spricht viel dafür, dass aus europarechtlicher Sicht die deutsche private KV von der VO 883/2004 erfasst ist und daher auch für die Anwendung des Art 24 VO 883/2004 zu beachten ist. Allerdings führt das dazu, dass diese Personen sehr oft tatsächlich keinen Krankenversicherungsschutz haben, da sich Österreich eben für nicht zuständig erachtet, Deutschland aber den Abschluss einer privaten KV wegen des Wohnsitzes außerhalb Deutschlands verweigert. So besehen hätte eine Vorlage des OGH an den EuGH erheblich zur Rechtsklarheit beitragen können und den betroffenen Personen einen Krankenversicherungsschutz in einem der beiden Staaten ermöglicht.
Geht man davon aus, dass die deutsche private KV von der VO 883/2004 erfasst ist, so wäre wohl im Wege der Wohnsitzgleichstellung des Art 24 VO 883/2004 auch von einer Anschlussverpflichtung auszugehen. Die Tatsache, dass dafür ein Antrag erforderlich wäre, stört nicht und die Situation in Deutschland ist somit für die Anwendung der VO 883/2004 ident mit jener in einem Mitgliedstaat mit einem klassischen Volksgesundheitssystem, in dem bereits aufgrund des Wohnortes (auch wenn dieser durch die VO 883/2004 nur fingiert wird) automatisch ein Krankenversicherungsschutz gegeben ist. Unterliegt die deutsche private KV der VO 883/2004, so ist im vorliegenden Fall somit Deutschland und nicht Österreich für die Sachleistungen bei Krankheit zuständig.
Aber, selbst wenn die deutsche private KV nicht unter die VO 883/2004 fällt, wäre auch Art 32 Abs 1 VO 987/2009 zu berücksichtigen, der zu demselben Ergebnis führt. Diese Regelung betrifft Freistellungen von Einzelpersonen oder Personengruppen (auf Antrag) von der Krankenversicherungspflicht. Solche Freistellungen im an sich zuständigen Mitgliedstaat dürfen sich nicht zu Lasten eines anderen Mitgliedstaates auswirken. Somit darf durch so ein opt out nicht ein anderer Mitgliedstaat zuständig gemacht werden. Sinn dieser Regelung ist, dass nationale Ausgestaltungen des Sozialsystems nicht zum Nachteil für andere Mitgliedstaaten führen dürfen (was der Fall wäre, wenn diese die Kosten zB im Versicherungsfall der Krankheit übernehmen müssten, wiewohl diese Last nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates in Fällen ohne grenzüberschreitende Elemente Aufgabe der einzelnen Person gewesen wäre). Das deutsche Krankenversicherungssystem mit der Befreiung bestimmter Gruppen von der gesetzlichen KV und Übertragung in die private KV ist mE ein solches opt out-System (so auch BVwG, W151 2244089-4/2E). Daher wäre, selbst wenn die deutsche private KV nicht unter die VO 883/2004 fallen sollte, Österreich nach der VO nicht für die Sachleistungsansprüche dieser Person zuständig, sondern Deutschland.
Nach beiden Denkmöglichkeiten betreffend den Status der deutschen privaten KV ist somit ausschließlich Deutschland nicht nur für die Sachleistungen, sondern auch für die Geldleistungen einschließlich der Pflegegeldleistungen zuständig.
Verwirrung entsteht im vorliegenden Fall dadurch, dass in Österreich bereits ein Sachleistungsanspruch im Wege einer Mitversicherung nach § 123 ASVG besteht. Zunächst ist dem OGH zuzustimmen (Rz 16), dass es für die Anwendung der VO 883/2004 völlig unerheblich ist, ob bei Familienangehörigen ein Sachleistungsanspruch in eigener Person (wie nach § 56 B-KUVG – siehe dazu OGH 21.6.2022, 10 ObS 3/22x, ebenfalls mit dem Ergebnis, dass ein Pflegegeldanspruch in Österreich ausgeschlossen ist) oder nur im Wege der Beanspruchung durch den Versicherten (wie eben nach § 123 ASVG) besteht. Unter der VO 883/2004 sind solche nationalen Ausgestaltungen der Sozialschutzsysteme unerheblich, da sie sozialpolitisch demselben Zweck dienen (in Bezug auf die verschiedenen Anspruchskonstellationen bei Familienleistungen siehe zB EuGHC-212/05, Hartmann, ECLI:EU:C:2007:437, Rz 26). Damit hat der OGH aber seine E vom 20.4.2022,10 ObS 202/21k, Rz 16, relativiert, in der er noch davon ausging, dass eine nach § 123 ASVG mitversicherte Person weder einen eigenen noch einen abgeleiteten Anspruch hat (krit dazu bereits Schöffmann, Koordinierung von Pflegegeld bei Mitversicherung in Österreich, DRdA 2023, 53 [56]).
Es stellt sich die Frage, ob dieser Sachleistungsanspruch im Wohnstaat nicht Art 24 VO 883/2004 überlagert. Der OGH löst diese Frage dahingehend, dass nach Art 32 Abs 1 erster Satz VO 883/2004 ein eigener Anspruch einem abgeleiteten Anspruch vorgeht (die anderen Fallkonstellationen 367 des Art 32 VO 883/2004 sind im vorliegenden Fall nicht einschlägig). Diese Schlussfolgerung ist sicherlich zutreffend. Allerdings kann man schon einen Schritt davor ansetzen. Eine Familienangehörigeneigenschaft ist nämlich nach nationalem Recht für Personen ausgeschlossen, die an sich schon der KV unterliegen (§ 123 Abs 1 Z 2 ASVG). Bei einer konsequenten Anwendung des Art 32 Abs 1 VO 987/2009 dürfte in Österreich keine Mitversicherung als Familienangehöriger entstehen, da die an sich in Deutschland bestehende Verpflichtung zum Abschluss einer privaten KV (selbst wenn diese nicht vom sachlichen Geltungsbereich der VO 883/2004 erfasst sein sollte) wie eine österreichische Pflichtversicherung eine Mitversicherung ausschließen müsste. Dass diese Familienangehörigeneigenschaft in Österreich somit zu Unrecht anerkannt wurde, ist ein weiteres Argument dafür, dass diese keine Zuständigkeit Österreichs für Geldleistungen bei Krankheit einschließlich eines Pflegegeldes begründen kann. Zu dem Ergebnis, dass eine Person bei Bezug einer deutschen Rente und Wohnort in Österreich auch von einer Angehörigeneigenschaft nach dem GSVG in Österreich ausgeschlossen ist, kam auch der VwGH in Ra 2022/08/0173 vom 17.1.2023, allerdings nicht unter Berufung auf Art 32 der VO 987/2009, sondern auf die nationale Rechtslage.
Nach denselben Überlegungen müsste in dieser Fallkonstellation im Übrigen auch eine Selbstversicherung in Österreich ausgeschlossen sein, da auch bei dieser eine Pflichtversicherung (oder eben die Verpflichtung zum Abschluss einer KV) dem Recht auf Selbstversicherung entgegensteht (§ 16 Abs 1 ASVG). IdS hat das BVwG bereits eine Selbstversicherung bei Bezug nur einer deutschen Rente und einer deutschen privaten KV, die von der versicherten Person iZm der Übersiedlung nach Österreich gekündigt wurde, ausgeschlossen (BVwG W151 2244089-4/2E).
Als § 3a BPGG dahingehend geändert wurde, dass Personen mit Wohnort in Österreich vom Anspruch auf Pflegegeld ausgeschlossen sind, wenn für sie nach der VO 883/2004 ein anderer Mitgliedstaat für Pflegeleistungen zuständig ist (BGBl I 2015/12 Z 3), wurde zunächst in Frage gestellt, ob eine solche Ausnahme von einem System, das an sich alle Einwohner schützen soll, mit den Grundsätzen des EU-Rechts vereinbar sein kann. Als Gegenargument wurde dabei auf die Rs Bosmann (EuGHC-352/06, ECLI:EU:C:2008:2004, insb DRdA 2008, 525; van der Mei und Essers, CMl Rev 2009, 959; Babayev, Exploring the fate of the lex loci laboris rule and its exclusive effect on Regulation 883/2004, Annotation to case C-352/06, Bosmann, EJSL 2011, 76; Bokeloh, Die Zuordnung zu den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates, ZESAR 2018, 201) verwiesen, wonach es einem Mitgliedstaat nicht entgegensteht, nationale Ansprüche zu gewähren, selbst wenn nach der VO 883/2004 ein anderer Mitgliedstaat dafür zuständig wäre. In der Folge wurde aber sowohl vom EuGH (am klarsten in C-95/18, van den Berg und Giessen, ECLI:EU:C:2019:767, ZESAR 2020, 170 [Becker]) als auch der österreichischen Judikatur (insb OGH 20.12.2016, 10 ObS 83/16b mit ausführlicher Auseinandersetzung auch mit der Literatur dazu, Rz 5.2 ff, krit dazu aber zB Felten, Export von Pflegegeld nur bei Zuständigkeit nach der VO 883/2004, DRdA 2017, 312 [316]) eine „Anti-Bosmann-Klausel“ wie in § 3a BPGG als EU-konform angesehen, sodass der OGH im vorliegenden Fall auf diese Frage nicht mehr näher eingegangen ist.
Diese E betrifft die Frage, ob auch bei Rentenbezug nur aus einem anderen Mitgliedstaat und Wohnort in Österreich eine Verpflichtung Österreichs besteht, Pflegegeld zu gewähren, wenn im rentenzahlenden Staat keine aktuelle KV besteht. Nach § 3a BPGG besteht kein Anspruch auf Pflegegeld, wenn ein anderer Mitgliedstaat nach der VO 883/2004 für Pflegeleistungen zuständig ist. Dabei ist zu prüfen, ob bei Wohnort im rentenzahlenden Staat an sich ein Krankenversicherungsschutz gegeben wäre. Der OGH kommt zum Schluss, dass auch bei einer im Wohnstaat nur möglichen privaten KV (die aufgrund der nationalen Systematik an die Stelle der gesetzlichen KV tritt) diese Voraussetzung erfüllt ist. Vom Ergebnis her betrachtet ist dieser E zuzustimmen, wiewohl der OGH nicht geprüft hat, ob diese private KV vom sachlichen Geltungsbereich der VO 883/2004 erfasst ist. Der OGH hat damit dem Grundsatz zum Durchbruch verholfen, dass nationale Besonderheiten einzelner Mitgliedstaaten sich nicht zu Lasten anderer Mitgliedstaaten auswirken dürfen, wie dies insb in Art 32 Abs 1 VO 987/2009 klar zum Ausdruck kommt. Daher müssen der Verzicht auf eine ausländische Leistung, kein Abschluss einer privaten KV oder die Kündigung einer solchen KV aber wohl auch jegliche Weigerung eines Mitgliedstaates, eine KV durchzuführen, weil der Wohnort in einem anderen Mitgliedstaat liegt, so behandelt werden, als bestünde nach der VO 883/2004 eine KV in diesem Staat und damit auch eine Zuständigkeit für Pflegeleistungen, unabhängig davon, ob diese nach nationalem Recht vorgesehen sind oder nicht. Diese „als-ob-Krankenversicherung“ in einem anderen Mitgliedstaat hat aber nicht nur Auswirkungen für Ansprüche auf Pflegegeld, sondern muss auch in Bezug auf eine Mitversicherung bzw eine freiwillige Versicherung wie eine bestehende Pflichtversicherung in einem anderen Mitgliedstaat als anspruchsausschließend gewertet werden, was die österreichischen Träger aber offensichtlich nicht immer berücksichtigen.
Ein dadurch fehlender Schutz liegt nicht in der österreichischen Einflusssphäre, sondern zT in der EU-rechtlich bedenklichen Praxis des rentenzahlenden Staates bzw deren nationalem Recht. Eine Verpflichtung Österreichs, in solchen Fällen auch eine KV bzw einen Anspruch auf Pflegegeld zu gewähren, würde dazu führen, dass Österreich stets leistungspflichtig ist: Immer wenn Österreich 368 nach der VO 883/2004 zuständig ist, einschließlich der Verpflichtung zum Export des Pflegegeldes und auch dann, wenn keine Zuständigkeit nach der VO 883/2004 gegeben ist, aber der an sich nach der VO zuständige Staat eben keinen Schutz gewährt. Das sollte nicht das Ergebnis der Koordinierung der Sozialschutzsysteme auf europäischer Ebene sein.