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Anspruch auf festsitzenden Zahnersatz

REINHARDRESCH (LINZ)
  1. Durch die Krankenbehandlung sollen die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden.

  2. Das Minimalziel, das mit einer Krankenbehandlung erreicht werden soll, ist die „Selbsterhaltungsfähigkeit“. Maßnahmen, die lediglich den Status quo sichern sollen, tragen dazu nichts bei.

  3. Pflegeleistungen fallen – soweit sie nicht Teil eines ärztlichen Krankenbehandlungsplans sind – nicht in den Anwendungsbereich der gesetzlichen KV, sondern unterliegen (soweit es um die Geldleistung des Pflegegeldes geht) mit dem Bundespflegegeldgesetz (BPGG) einem eigenen Regelungssys tem.

[1] Revisionsgegenständlich ist der vom Kl geltend gemachte Anspruch auf Kostentragung für festsitzenden Zahnersatz.

[2] Der Kl hat im Ober- und Unterkiefer Freiendsituationen, bei denen die letzten Zähne in der Zahnreihe des Ober- und Unterkiefers fehlen. Es gibt in diesem Fall prinzipiell zwei Behandlungsmöglichkeiten: Festsitzend mittels Implantaten oder abnehmbar mittels Teilprothesen. Unter rein dentalen Gesichtspunkten ist dem Kl in medizinischer Hinsicht die Verwendung von abnehmbarem Zahnersatz möglich.

[3] Dem Kl sind durch eine Amputation an der rechten Hand keinerlei feinmotorische oder taktil fordernde Tätigkeiten möglich, sodass die rechte Hand funktionell als wertlos zu erachten ist. Auch auf der linken Hand besteht eine deutliche funktionelle Einschränkung. Aufgrund dieser Umstände ist dem Kl ein die Feinmotorik forderndes Hantieren nicht möglich. Es bestehen größte Probleme beim Einsetzen bzw bei der Entnahme der Zahnprothese. Aus unfallchirurgisch-orthopädischer Sicht ist dem Kl die Verwendung eines abnehmbaren Zahnersatzes nicht zumutbar.

[4] Mit Bescheid vom 21.4.2022 lehnte die bekl Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS) den Antrag des Kl vom 21.1.2022 auf Kostenübernahme eines festsitzenden Zahnersatzes laut Heilkostenplan Dris * vom 18.1.2022 ab.

[5] Das Erstgericht gab dem auf Feststellung, dass die Bekl die Kosten für einen festsitzenden Zahnersatz laut Heilkostenplan * im satzungsmäßigen Umfang zu übernehmen habe, statt. Beim Kl würden medizinische Gründe für einen festsitzenden Zahnersatz vorliegen. Die in der Satzung der Bekl aufgezählten Fälle, in denen ein abnehmbarer Zahnersatz aus medizinischen Gründen nicht möglich sei und daher festsitzender Zahnersatz erbracht werde, könnten in Anbetracht des § 83 Abs 2 Bauern-Sozialversicherungsgesetz (BSVG), unabhängig davon, ob das Wort „insbesondere“ angeführt sei, nicht als eine taxative Auflistung verstanden werden.

[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl Folge und wies das Klagebegehren ab. Mit der 5. Änderung der SVS-Satzung 2020, avsv Nr 26/2022, die mit 1.4.2022 in Kraft getreten sei, sei die Regelung über den Zahnersatz für Versicherte durch Einfügung eines § 6f dahingehend geändert worden, dass festsitzender Zahnersatz nur dann erbracht werde, wenn ein abnehmbarer Zahnersatz aus medizinischen Gründen nicht möglich sei, und es werde ausdrücklich angeführt, dass dies (nur) bei den (bisherigen) Indikationen/ Fallgruppen der Fall sei, welche beim Kl unstrittig 379 nicht vorliegen würden. Eine Analogie komme nicht in Betracht. Das Berufungsgericht ließ die Revision zur Frage zu, inwieweit § 6f der geltenden Satzung der Bekl einer Analogie zugänglich sei.

[7] In der Revision beantragt der Kl die Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts iSd Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] In der Revisionsbeantwortung beantragt die Bekl, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[9] Die Revision ist zulässig, weil höchstgerichtliche Rsp zur Auslegung der gegenständlichen Bestimmung der Satzung der Bekl in der anwendbaren Fassung fehlt. Sie ist auch berechtigt.

[10] 1.1. Nach § 74 Abs 1 Z 3 BSVG trifft die KV Vorsorge für Zahnbehandlung und Zahnersatz. Der unentbehrliche Zahnersatz wird nach § 95 Abs 2 Satz 1 BSVG durch Vertragszahnärzte/Vertragszahnärztinnen oder Vertrags-Gruppenpraxen, Wahlzahnärzte/Wahlzahnärztinnen oder Wahl- Gruppenpraxen, Vertragsdentisten/Vertragsdentistinnen, Wahldentisten/Wahldentistinnen sowie in eigenen Einrichtungen (Ambulatorien) des Versicherungsträgers und in Vertragseinrichtungen gewährt. Die Satzung kann unter Bedachtnahme auf die finanzielle Leistungsfähigkeit des Versicherungsträgers und das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten für alle oder bestimmte Gruppen von Versicherten anstelle der Sachleistungen eine Kostenerstattung vorsehen (§ 95 Abs 2 Satz 2 BSVG). Nimmt der Anspruchsberechtigte zur Erbringung der Leistungen der Zahnbehandlung und des Zahnersatzes nicht die Vertragspartner, die eigenen Einrichtungen oder Vertragseinrichtungen der Bauernkrankenversicherung in Anspruch, gebührt dem Versicherten gem § 88 Abs 1 iVm § 95 Abs 6 BSVG ein Kostenzuschuss (§ 80 BSVG) in der Höhe des Betrags, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner aufzuwenden gewesen wäre.

[11] 1.2. Aus § 95 Abs 2 BSVG ist abzuleiten, dass der Zahnersatz unentbehrlich sein muss. Der Inhalt des § 95 BSVG wurde im Übrigen an § 83 Abs 2 BSVG gemessen (10 ObS 66/04k SSV-NF 18/56; 10 ObS 200/93 SSV-NF 8/6; 10 ObS 312/92 SSVNF 7/22), wonach die Krankenbehandlung ausreichend und zweckmäßig sein muss, jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten darf; durch die Krankenbehandlung sollen die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden.

[12] 2.1. Während es nach dem ASVG und dem Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz (B-KUVG) weitgehend der Satzung überlassen ist, den Leistungsumfang bei Zahnbehandlung und Zahnersatz zu bestimmen, ergibt sich der konkrete Anspruch auf Zahnbehandlung und Zahnersatz nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz (GSVG) und dem BSVG bereits aus dem Gesetz, nur die nähere Ausgestaltung wird der Satzung überlassen (10 ObS 38/11b SSV-NF 25/44; Schober in Sonntag, GSVG6 § 94 Rz 1).

[13] 2.2. Aufgrund seiner (orthopädischen) Einschränkungen beider Hände ist dem Kl nach den getroffenen Feststellungen insgesamt ein die Feinmotorik forderndes Hantieren nicht möglich. Es bestehen größte Probleme beim Einsetzen bzw bei der Entnahme der Zahnprothese, sodass ihm die Verwendung eines abnehmbaren Zahnersatzes aus orthopädischer Sicht nicht zumutbar ist. In der Berufung bezog sich die Bekl lediglich auf das (dem Kl ebenfalls nicht mögliche) Reinigen einer Zahnprothese, zog aber nicht in Zweifel, dass ihm das Einsetzen bzw die Entnahme aufgrund seiner orthopädischen Einschränkungen nicht möglich ist.

[14] 2.3. Der Hinweis der Bekl darauf, dass die erforderliche Unterstützung bei der Reinigung des abnehmbaren Zahnersatzes eine Teilverrichtung der täglichen Körperpflege darstelle, was einen Anspruch auf Pflegegeld nach dem BPGG begründen könnte, übergeht, dass durch die Krankenbehandlung die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden sollen (§ 83 Abs 2 Satz 2 BSVG). Das Minimalziel, das mit einer Krankenbehandlung erreicht werden soll, ist die „Selbsterhaltungsfähigkeit“; Maßnahmen, die lediglich den Status quo sichern sollen, tragen dazu nichts bei (Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 133 ASVG Rz 37 [Stand 1.1.2020, rdb. at]). Pflegeleistungen fallen – soweit sie nicht Teil eines ärztlichen Krankenbehandlungsplans sind – nicht in den Anwendungsbereich der gesetzlichen KV, sondern unterliegen (soweit es um die Geldleistung des Pflegegeldes geht) mit dem BPGG einem eigenen Regelungssystem (Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 133 ASVG Rz 37 [Stand 1.1.2020, rdb.at]; vgl Grillberger in Grillberger/Mosler, Ärztliches Vertragspartnerrecht [2012] 223).

[15] 2.4. Stichhaltige Argumente dagegen, dass der unentbehrliche Zahnersatz im Fall des Kl nach den genannten gesetzlichen Voraussetzungen nur ein festsitzender sein kann, weil ein abnehmbarer Zahnersatz in seinem Fall nicht als ausreichend und zweckmäßig zu beurteilen ist, bringt die Bekl damit nicht vor.

[16] 2.5. Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass der Kl nach den geschilderten gesetzlichen Voraussetzungen Anspruch auf festsitzenden Zahnersatz hätte.

[17] 3. Dem hält die Bekl die Bestimmungen der Satzung entgegen.

[18] 3.1.1. § 43 Abs 2 SVS-Satzung 2020, avsv Nr 47/2020, trat mit 1.1.2020 in Kraft (§ 72 SVSSatzung 2020) und hatte folgenden Wortlaut:

„Als unentbehrlicher Zahnersatz wird im Allgemeinen der abnehmbare Zahnersatz samt medizinisch notwendiger Haltelemente (Klammerzahnkrone) erbracht. Festsitzender Zahnersatz wird nur dann erbracht, wenn ein abnehmbarer Zahnersatz aus medizinischen Gründen nicht möglich ist; dies ist insbesondere der Fall
  • bei Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten,
  • bei Tumorpatienten in der postoperativen Rehabilitation, 380
  • bei Patienten nach polytraumatischen Kieferfrakturen in der posttraumatischen Rehabilitation,
  • bei Patienten mit extremen Kieferrelationen (z. B. extreme Progenie, Prognathie, totale Atrophie des Kieferkammes),
die eine prothetische Versorgung mit abnehmbarem Zahnersatz nicht zulassen. Zum unentbehrlichen Zahnersatz gehört auch die notwendige Reparatur von unentbehrlichen Zahnersatzstücken. Für festsitzenden Zahnersatz ohne diese medizinische Notwendigkeit übernimmt die SVS keine Kosten.“

[19] 3.1.2. Mit der 2. Änderung, avsv Nr 16/2021, wurde in § 43 Abs 2 SVS-Satzung 2020 das Wort „insbesondere“ gestrichen. Diese Fassung des § 43 Abs 2 SVS-Satzung 2020 trat mit 1.4.2021 in Kraft (§ 74 Abs 1 SVS-Satzung 2020) und hatte daher folgenden Wortlaut:

  • bei Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten,
  • bei Tumorpatienten in der postoperativen Rehabilitation,
  • bei Patienten nach polytraumatischen Kieferfrakturen in der posttraumatischen Rehabilitation,
  • bei Patienten mit extremen Kieferrelationen (z. B. extreme Progenie, Prognathie, totale Atrophie des Kieferkammes),
die eine prothetische Versorgung mit abnehmbarem Zahnersatz nicht zulassen. Zum unentbehrlichen Zahnersatz gehört auch die notwendige Reparatur von unentbehrlichen Zahnersatzstücken. Für festsitzenden Zahnersatz ohne diese medizinische Notwendigkeit übernimmt die SVS keine Kosten.“

[20] 3.1.3. Mit 1.4.2022 trat die 5. Änderung der SVS-Satzung 2020, avsv Nr 26/2022, in Kraft (§ 77 SVS-Satzung 2020); die Regelung über den Zahnersatz fand sich nunmehr in § 6f Abs 1 SVS-Satzung 2020 und hatte folgenden Wortlaut:

„§ 6f. (1) Als notwendiger bzw. unentbehrlicher Zahnersatz wird im Allgemeinen der abnehmbare Zahnersatz samt medizinisch notwendiger Haltelemente (Klammerzahnkrone) erbracht. Festsitzender Zahnersatz wird nur dann erbracht, wenn ein abnehmbarer Zahnersatz aus medizinischen Gründen nicht möglich ist. Dies ist der Fall
  1. bei Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten,
  2. bei Tumorpatienten in der postoperativen Rehabilitation,
  3. bei Patienten nach polytraumatischen Kieferfrakturen in der posttraumatischen Rehabilitation,
  4. bei Patienten mit extremen Kieferrelationen (z. B. extreme Progenie, Prognathie, totale Atrophie des Kieferkammes),
die eine prothetische Versorgung mit abnehmbarem Zahnersatz nicht zulässt/zulassen. Zum notwendigen Zahnersatz gehört auch die notwendige Reparatur von notwendigen Zahnersatzstücken.“

[21] 3.1.4. Seit 1.1.2023 (§ 56 Abs 1 SVS-Satzung 2023) findet sich die vorgenannte Regelung über den Zahnersatz inhaltlich unverändert (gegenüber dem früheren § 6f Abs 1 SVS-Satzung 2020 idF der 5. Änderung) in § 14 Abs 1 SVS-Satzung 2023, avsv Nr 96/2022.

[22] 3.2.1. Das durch die Klage des Versicherten eingeleitete gerichtliche Verfahren ist kein Rechtsmittelverfahren und hat daher keine kontrollierende Funktion. Das Gericht prüft vielmehr selbständig den durch die Klage geltend gemachten sozialversicherungsrechtlichen Leistungsanspruch (RS0085839). Es ist daher grundsätzlich die Rechtslage zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz maßgebend (RS0085839 [T2]). Auf eine Änderung der Rechtslage hat das Gericht in jeder Lage des Verfahrens Bedacht zu nehmen, sofern die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das in Streit stehende Rechtsverhältnis anzuwenden sind (RS0031419).

[23] 3.2.2. Im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz war § 6f Abs 1 Satzung 2020 idF ihrer 5. Änderung in Kraft. Soweit hier von Relevanz, änderte sich diese Bestimmung inhaltlich nicht und sie findet sich seit 1.1.2023 gleichlautend in § 14 Abs 1 SVS-Satzung 2023. Die Frage, welche Bestimmung im vorliegenden Fall formal zur Anwendung zu gelangen hätte, ist für die Entscheidung somit nicht von Bedeutung, sodass im Folgenden der Einfachheit halber nur auf § 14 Abs 1 SVS-Satzung 2023 Bezug genommen wird.

[24] 3.3. Die Bekl und das Berufungsgericht stehen auf dem Standpunkt, dass nach § 14 Abs 1 SVS-Satzung 2023 ein festsitzender Zahnersatz nur dann zu erbringen ist, wenn die in § 14 Abs 1 Satz 3 SVS-Satzung 2023 genannten (vier) Fälle vorliegen, selbst wenn ein abnehmbarer Zahnersatz aus anderen medizinischen Gründen nicht möglich ist.

[25] 3.3.1. Für diese Rechtsansicht könnte sprechen, dass § 43 Abs 2 SVS-Satzung 2020 bis zu ihrer 2. Änderung die vier Fälle, in denen ein festsitzender Zahnersatz erbracht wurde, demonstrativ („insbesondere“) aufzählte, und mit dieser Änderung das Wort „insbesondere“ gestrichen wurde.

[26] Dies würde aber nur für die bis 31.3.2022 geltende Rechtslage gelten können, weil nach dieser im letzten Satz der Bestimmung (weiterhin) ausdrücklich festgehalten war, dass die Bekl für festsitzenden Zahnersatz ohne „diese“ medizinische Notwendigkeit keine Kosten übernimmt. In der seit 1.4.2022 anwendbaren Bestimmung wurde dieser Satz allerdings gestrichen, was wiederum den (gegenteiligen) Schluss zuließe, dass Kosten für festsitzenden Zahnersatz nunmehr auch außerhalb der vier ausdrücklich genannten medizinischen Gründe zu ersetzen sein sollen.

[27] Aus der historischen Entwicklung der Regelungen über den Zahnersatz lässt sich daher kein Auslegungsergebnis mit hinreichender Sicherheit ableiten.

[28] 3.3.2. Nach dem aktuell anwendbaren Wortlaut bleibt jedenfalls die Auslegung möglich, dass die ausdrücklich genannten Fälle bloß der Klarstellung 381 dienen. Insofern würde diese Auslegung dem § 14 Abs 1 Satz 3 SVS-Satzung 2023 – entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts – auch nicht einen Anwendungsbereich entziehen.

[29] Ganz im Gegenteil normiert § 14 Abs 1 Satz 2 SVS-Satzung 2023 weiterhin (unverändert), dass festsitzender Zahnersatz nur dann erbracht wird, wenn ein abnehmbarer Zahnersatz aus medizinischen Gründen nicht möglich ist. Würde man den nachfolgenden Satz so verstehen, dass festsitzender Zahnersatz nur in den dort aufgezählten (konkreten medizinischen) Fällen erbracht wird, wäre das Abstellen auf (allgemeine) medizinische Gründe in § 14 Abs 1 Satz 2 SVS-Satzung 2023 ohne normative Konsequenz. Hätte der Satzungsgeber tatsächlich eine dermaßen enge (taxative) Aufzählung gewollt, hätte es genügt, den Anspruch auf festsitzenden Zahnersatz schlicht an das Vorliegen eines dieser Fälle zu knüpfen, ohne zunächst noch allgemein darauf abzustellen, dass ein abnehmbarer Zahnersatz aus medizinischen Gründen nicht möglich ist.

[30] 3.3.3. Hinzu kommt, dass die von der Bekl und vom Berufungsgericht vertretene taxative Aufzählung dazu führen würde, dass nur ganz bestimmte Diagnosen einen festsitzenden Zahnersatz rechtfertigen würden. Da sich der konkrete Anspruch auf Zahnersatz bereits aus dem Gesetz ergibt und nur die nähere Ausgestaltung der Satzung überlassen wird, würde diese Auslegung in allen anderen, nicht ausdrücklich genannten Fällen, in denen aber – wie hier – die gesetzlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf festsitzenden Zahnersatz erfüllt wären, den gesetzlichen Anspruch auf die Pflichtleistung unzulässigerweise einschränken. Dieses Ergebnis ist dem Satzungsgeber im Zweifel nicht zu unterstellen. Auch die gesetzeskonforme Auslegung spricht daher für eine bloß demonstrative Aufzählung des § 14 Abs 1 Satz 3 SVS-Satzung 2023.

[31] 3.3.4. Das Berufungsgericht und die Bekl bleiben schließlich auch eine Begründung dafür schuldig, welchen Zweck der Satzungsgeber mit dem von ihnen vertretenen Auslegungsergebnis verfolgen sollte, dass ein festsitzender Zahnersatz nur bei solchen medizinischen Gründen erbracht wird, die sich auf das Kiefergelenk beziehen, nicht jedoch bei anderen, die eine prothetische Versorgung gleichermaßen ausschließen. Zweck der Regelung ist es erkennbar, den tendenziell kostenintensiveren festsitzenden Zahnersatz nur subsidiär gegenüber dem weniger kostenintensiven abnehmbaren Zahnersatz erbringen zu müssen. Diese Unterscheidung zwischen abnehmbarem und festsitzendem Zahnersatz und die Erbringung des festsitzenden Zahnersatzes nur dann, wenn ein abnehmbarer Zahnersatz aus medizinischen Gründen nicht möglich ist, ist nach stRsp auch verfassungsrechtlich unbedenklich (RS0108530).

[32] Neben dieser Berücksichtigung wirtschaftlicher Gesichtspunkte ist allerdings auch das Interesse an einer notwendigen Behandlung von Bedeutung. Die Erbringung einer medizinisch nicht zumutbaren, wenngleich weniger kostenintensiven Leistung wäre immerhin weder wirtschaftlich noch den Zielen einer sozialen KV förderlich. Eine Einschränkung der Erbringung des festsitzenden Zahnersatzes auf bestimmte medizinische Indikationen, ohne die Möglichkeit andere, gleichwertige medizinische Gründe bei der Beurteilung zu berücksichtigen, wäre dementsprechend nicht zweckmäßig. Auch teleologische Gründe sprechen somit für eine bloß demonstrative Aufzählung der einen festsitzenden Zahnersatz ermöglichenden medizinischen Gründe.

3.4. Zusammenfassend ergibt sich:

[33] § 6f Abs 1 SVS-Satzung 2020 idF der 5. Änderung (avsv Nr 26/2022) und § 14 Abs 1 SVS-Satzung 2023 (avsv Nr 96/2022) sind dahin auszulegen, dass es sich bei den ausdrücklich genannten Fällen, die eine prothetische Versorgung mit abnehmbarem Zahnersatz nicht zulassen, um eine demonstrative Aufzählung handelt. Festsitzender Zahnersatz ist somit auch dann zu erbringen, wenn ein abnehmbarer Zahnersatz aus anderen als den ausdrücklich genannten medizinischen Gründen nicht möglich ist.

[34] Auf die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage einer analogen Anwendung der genannten Bestimmungen kommt es somit nicht weiter an.

[35] 4.1. Daraus folgt die materielle Berechtigung des Klagebegehrens. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Klage auf Feststellung dieses Anspruchs mangels Möglichkeit der Leistungsklage zulässig ist (RS0105147 [T3]), wird von der Bekl nicht in Zweifel gezogen.

[36] 4.2. Der Revision ist daher Folge zu geben und die Entscheidung des Berufungsgerichts dahin abzuändern, dass die – dem erhobenen Feststellungsbegehren stattgebende – Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

ANMERKUNG
1.
Einleitung

Die vorliegende E erweckt auf dem ersten Blick in zweifacher Hinsicht Interesse: Erstens ist darauf einzugehen, dass sich die gesetzliche Konstruktion des Leistungsrechts für Zahnbehandlung und Zahnersatz zwischen ASVG bzw B-KUVG und GSVG bzw BSVG grundlegend unterscheidet (2.). Zweitens ist die Begründung interessant, mit der der OGH im konkreten Fall den Leistungsanspruch bejaht hat (3.). Die ausführliche vergleichende Auslegung der verschiedenen Fassungen der Satzung der SVS durch den OGH soll in diesem Rahmen nicht vertieft werden. Dass die grundlegende Untersuchung von Mazal (Krankheitsbegriff und Risikobegrenzung [1992]) in der Diskussion zu wenig Beachtung findet, ist an dieser Stelle anzumerken.

2.
Gesetzlicher Leistungsanspruch bei Zahnersatz

Irritierend ist die grundsätzlich unterschiedliche Konstruktion der Erbringung der Leistung von Zahnersatz im ASVG und B-KUVG einerseits und dem GSVG bzw BSVG andererseits: Das GSVG und das BSVG weisen die Erbringung der Leistung von Zahnbehandlung und Zahnersatz dem Versicherungsfall der Krankheit zu (vgl etwa auch Schober in Sonntag [Hrsg], GSVG/SVSG12 [2023] § 94 Rz 1 382 unter Berufung auf die frühere Kommentierung von M. Binder in Tomandl [Hrsg], System des österreichischen Sozialversicherungsrechts 264/36), während nach dem ASVG und dem B-KUVG der Gesetzgeber neben dem Versicherungsfall der Krankheit einen eigenen Aufgabenbereich Zahnbehandlung und Zahnersatz definiert hat (§ 116 Abs 1 Z 3 ASVG bzw § 51 Abs 1 Z 3 B-KUVG; es wird auch von einem eigenen Versicherungsfall in der KV gesprochen – vgl Windisch-Graetz in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 153 Rz 1 [286. Lfg 2021]). Der OGH hält fest, dass es das ASVG und das B-KUVG der Satzung überlassen, den Leistungsumfang bei Zahnbehandlung und Zahnersatz zu bestimmen, während sich im GSVG und im BSVG der Leistungsanspruch bereits aus dem Gesetz ergibt und nur die nähere Ausgestaltung der Satzung überlassen wird (vgl auch die Vorentscheidung OGH10 ObS 38/11b SSV-25/44 = SZ 2011/59 unter Berufung auf die frühere Kommentierung M. Binder in Tomandl [Hrsg], System 264/36; vgl weiters Rz 12 des vorliegenden Urteils).

Diese Differenzierung des Gesetzgebers in den verschiedenen Sozialversicherungsgesetzen im Leistungsrecht ist bemerkenswert, weil der Gesetzgeber demgegenüber im Vertragspartnerrecht eine einheitliche Tarifhöhe in Bezug auf den festsitzenden Zahnersatz anstrebt (vgl § 343c ASVG und § 14 Selbständigen-Sozialversicherungsgesetz [SVSG] iVm § 343c ASVG): Es sollen die Vertragszahnärzte gerade mit verpflichtend einheitlichen Richttarifen diese Leistungen gegenüber den Versicherten erbringen. Vertragspartnerrechtlich soll der Vertragszahnarzt nach dem Willen des Gesetzgebers daher nach den verschiedenen Sozialversicherungsgesetzen beim festsitzenden Zahnersatz ein einheitliches Honorar mit dem Patienten vereinbaren, während das Ob der Kassenleistung offenbar – weiterhin – grundlegend unterschiedlich in ASVG und B-KUVG einerseits und im GSVG und BSVG andererseits konstruiert ist.

Nun ist der zuständige Krankenversicherungsträger bei der Ausgestaltung der Satzung an das Gesetz gebunden mit der Folge, dass sich die grundlegende Konstruktion im Leistungsrecht für Versicherte der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau (BVAEB) und Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) einerseits und jene der SVS andererseits dementsprechend auch in der Satzung unterscheiden muss. Diese aus heutiger Sicht mit dem Fokus auf einem einheitlichen Vertragszahnärztetarif beim festsitzenden Zahnersatz wenig verständliche Differenzierung wird aber per se noch nicht ihre Verfassungswidrigkeit bedeuten, sondern im Rahmen dessen sein, was der Gesetzgeber verfassungskonform (insb unter Beachtung des Gleichheitssatzes) unterschiedlich regeln kann und darf, hat er doch auch mit unterschiedlichen Sozialversicherungsgesetzen drei Krankenversicherungsträger als drei gesonderte Risikogemeinschaften eingerichtet. Anzumerken ist, dass die Judikatur auch im ASVG verfassungskonform von einer festzulegenden Pflichtleistung ausgeht (mwN Windisch-Graetz in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 153 Rz 3 [286. Lfg 2021]).

Zweckmäßig wäre de lege ferenda eine Vereinheitlichung, bei der es naheliegender wäre, sich am BSVG und am GSVG zu orientieren und daher auch im ASVG und im B-KUVG Zahnbehandlung und Zahnersatz als Teil des Versicherungsfalls der Krankheit zu definieren. Das Sozialversicherungsrecht geht beim Anspruch auf Krankenbehandlung grundsätzlich von einem gesetzlichen Leistungsanspruch aus und es erscheint die Herausnahme von Zahnbehandlung und Zahnersatz aus dem Versicherungsfall der Krankheit im ASVG gekünstelt. Die für Zahnbehandlung und Zahnersatz vom Gesetzgeber für erforderlich gehaltenen Sonderregelungen könnte man mit Spezialregelungen auch innerhalb des Versicherungsfalls der Krankheit umsetzen.

3.
Leistungsrecht

Kurz eingehen möchte ich auf den Hinweis in Rz 14 des Urteils, wonach es ein Minimalziel einer Krankenbehandlung sei, die Selbsterhaltungsfähigkeit zu erreichen. Der OGH nimmt an dieser Stelle Bezug auf Felten/Mosler (in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 133 Rz 37 [243. Lfg 2019]), die mit dieser Formel die Abgrenzung zu reinen Pflegeleistungen argumentieren: Diese Abgrenzung ist durchaus schwierig und die Autoren weisen zu Recht darauf hin, dass etwa eine Pflegeleistung, die Teil eines ärztlichen Krankenbehandlungsplans ist, sehr wohl noch unter den Krankheitsbegriff fällt; vgl dazu auch Felten/Mosler, Grenzen der Krankenbehandlung, DRdA 2015, 476 (487 f). Es ist nun durchaus so, dass der OGH in seinem Urteil eine überzeugende Lösung gefunden hat.

ME wäre es im Rahmen der vorliegenden E aber leichter gewesen, mit der Begründungsformel von Mazal (aaO 214 ff) im konkreten Fall den Behandlungsanspruch zu bejahen. Die von Mazal vertretene Formel hat den großen Vorteil jener Flexibilität, die es erlaubt, im Rahmen des extrem weitgefächerten Problemfeldes des Krankheitsbegriffs den Einzelfall adäquat abzuwägen und zu lösen.

Demgegenüber hängt im konkreten Fall die Argumentation mit der Selbsterhaltungsfähigkeit etwas in der Luft: Konkret geht es ja weniger um die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, als vielmehr um die Frage, welche Form von einem medizinisch grundsätzlich möglichen Zahnersatz für den konkreten Versicherten die gebotene zumutbare Leistung darstellt. Der Fall liegt letztlich nicht anders, wie wenn zwei Produkte eines Kniegelenks bei der Operation zur Auswahl stehen, von denen aber nur eines die nötige Funktionalität für den konkreten Versicherten aufweist und daher nur dieses dem Versicherten als Leistung zumutbar ist. Ziel der Leistung von Zahnersatz durch die KV ist ja die Herstellung eines Zustandes, der ein funktionierendes Essen mit den Zähnen erlaubt. Die Kaufunktion soll möglichst wie bei einem Gesunden wiederhergestellt werden, dies (im BSVG bzw GSVG) im Rahmen einer dem Versicherten zumutbaren Krankenbehandlung. 383