110Verspätete Entlassung eines Berufschullehrers
Verspätete Entlassung eines Berufschullehrers
Der Kl ist als Berufsschullehrer beim Land beschäftigt. Die Schuldirektorin hat das später als Entlassungsgrund herangezogene, an einem Freitagmorgen gesetzte Verhalten des Kl am nachfolgenden Montag der örtlich zuständigen Bildungsdirektion weitergemeldet. Letzterer obliegt als durch Gesetz bestimmte nachgeordnete Personalstelle iSd § 2e VBG die Wahrnehmung der DG-Zuständigkeit über den Kl als Berufsschullehrer.
Die Bildungsdirektion ließ „ca eine Woche oder zehn Tage“ verstreichen, bevor sie die Direktorin aufforderte, schriftliche Stellungnahmen von den beim Vorfall anwesenden Personen einzuholen. Zehn Tage nach dem Vorfall verfasste die Bildungsdirektion ein Schreiben, mit dem sie den „sofortigen Verzicht auf die Dienstleistung“ des Kl aussprach und darauf hinwies, dass er „über die weiteren Verfahrensschritte zeitnah in Kenntnis gesetzt“ werde. Dieses Schreiben wurde dem Kl, der sich seit dem Tag des als Entlassungsgrund herangezogenen Vorfalls in behördlicher Absonderung wegen einer COVID-19-Infektion befand, 14 Tage nach dem Vorfall an seinem ersten Arbeitstag nach der Absonderung durch persönliche Übergabe zugestellt.
Mit weiterem Schreiben – zwölf Tage nach dem Vorfall datiert und dem Kl 17 Tage nach dem Vorfall zugestellt – informierte das bekl Land den Kl über die Einleitung des Entlassungsverfahrens. Nach ebenfalls zwölf Tagen nach dem Vorfall erfolgter Befassung der Personalvertretung und deren Zustimmung zur beabsichtigten vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses durch Entlassung wurde mit Schreiben der Bildungsdirektion – datiert 18 Tage nach dem Vorfall und dem Kl drei Wochen nach dem Vorfall zugestellt – die Entlassung ausgesprochen.
Dagegen wandte sich der Kl mittels Klage auf Feststellung des aufrechten Fortbestands des Dienstverhältnisses.
Die Vorinstanzen beurteilten diesen Sachverhalt übereinstimmend dahin, dass das bekl Land die Entlassung verspätet ausgesprochen habe, zumal kein besonders aufwändiges Erhebungsverfahren oder sonstige Abklärungen erforderlich gewesen seien.
Der OGH wies die dagegen erhobene außerordentliche Revision der Bekl mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurück und führte aus:
Der – insgesamt auch für Dienstverhältnisse nach dem VBG wie hier geltende – Grundsatz der Unverzüglichkeit der Entlassung besagt, dass der AG – bei sonstigem Verlust des Entlassungsrechts – die Entlassung ohne Verzug, dh sofort, nachdem ihm der Entlassungsgrund bekannt geworden ist, aussprechen muss. Die Unterlassung der sofortigen Geltendmachung eines Entlassungsgrundes führt zur Verwirkung des Entlassungsrechts, wenn das Zögern nicht in der Sachlage begründet war. Diesem Grundsatz liegt der Gedanke zugrunde, dass ein AG, der eine ihm bekannt gewordene Verfehlung des AN nicht unverzüglich mit der Entlassung beantwortet, die Weiterbeschäftigung dieses AN offenbar nicht als unzumutbar ansieht und auf die Ausübung des Entlassungsrechts im konkreten Fall verzichtet.
Der Unverzüglichkeitsgrundsatz darf jedoch nicht überspannt werden. Entscheidend ist vor allem der Verständnishorizont des betroffenen DN. Für diesen muss das Verhalten des DG gerechtfertigten Grund zur Annahme geben, dieser verzichte auf die Geltendmachung der Entlassungsgründe. Dies trifft regelmäßig dann nicht zu, wenn das Zögern sachlich begründet ist und der DG durch sein Verhalten nicht den Eindruck erweckt, er werde den Entlassungsgrund nicht wahrnehmen. In der Regel liegt kein (konkludenter) Verzicht auf die Geltendmachung von Kündigungs- oder Entlassungsgründen vor, wenn der AG dem AN in unmissverständlicher Weise, zB durch eine Suspendierung bis zur Klärung der tatsächlichen oder rechtlichen Lage, zeigt, dass er aus dem Verhalten des AN Konsequenzen ziehen werde und eine Weiterbeschäftigung als unzumutbar ansehe. Solche vorläufigen Maßnahmen können daher die Annahme eines Verzichts verhindern. 248
Ein Beendigungsgrund gilt als bekannt geworden, sobald der Auflösungsberechtigte über alle Einzelheiten Bescheid weiß, die er für eine fundierte Entscheidung benötigt. Bei einem zweifelhaften Sachverhalt muss der AG die zu seiner Klärung erforderlichen und zumutbaren Erhebungen ohne Verzögerung durchführen, will er nicht sein Entlassungsrecht verlieren. Diese Obliegenheit zur Nachforschung besteht dann, wenn dem AG konkrete Umstände zur Kenntnis gelangt sind, die die Annahme rechtfertigen, dass das Verhalten des DN eine Entlassung rechtfertigt.
Der Kenntniserlangung durch den AG ist zwar grundsätzlich die Kenntnisnahme durch seinen Stellvertreter oder durch einen ganz oder teilweise mit Personalagenden befassten leitenden Angestellten gleichzuhalten, wenn dieser dem AG oder seinem Stellvertreter von dem Entlassungsgrund nicht unverzüglich berichtet hat. Bei juristischen Personen öffentlichen Rechts kommt es hingegen auf die Kenntnisnahme durch das Organ an, das die Entlassung zu beschließen hat. Die Kenntnis einzelner Mitglieder dieses Organs genügt nicht. Zudem ist bei der Beurteilung der Rechtzeitigkeit einer Entlassung oder Kündigung durch juristische Personen allgemein darauf Bedacht zu nehmen, dass die Willensbildung in der Regel umständlicher ist als bei physischen Personen. Insb sind bei Gebietskörperschaften und sonstigen juristischen Personen der Aktenlauf, die Kompetenzverteilung und andere Umstände dieser Art entsprechend zu berücksichtigen. Dadurch bedingte Verzögerungen ebenso wie eine Verzögerung, die sich aus der Notwendigkeit der vorherigen Befassung der Personalvertretung ergibt, sind daher anzuerkennen.
Die Frage, ob dem Erfordernis der Unverzüglichkeit des Ausspruchs der Entlassung entsprochen wurde, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO.
Die Rechtsansicht der Vorinstanzen hält sich im vorliegenden Einzelfall – insb im Hinblick auf den Umstand, dass konkrete zielgerichtete Aktivitäten der Bildungsdirektion nach ihrer ersten Verständigung vom Vorfall durch die Schuldirektorin für bis zu zehn Tage dem Sachverhalt nicht zu entnehmen sind – im Rahmen der dargelegten Rsp und des den Gerichten im Einzelfall notwendigerweise zukommenden Beurteilungsspielraums.
Die Revision zeigt dagegen keine erhebliche Rechtsfrage auf. Soweit darin auf das Suspendierungsschreiben sowie weitere Aktivitäten im Anschluss daran Bezug genommen wird, übergeht sie die Feststellungen, aus denen in einem Zeitraum von einer Woche bis zehn Tage davor gesetzte, dem Unverzüglichkeitsgrundsatz Rechnung tragende Maßnahmen der zuständigen Bildungsdirektion zur Klärung des Sachverhalts nicht ableitbar sind.
Dass die Schuldirektorin keine Befugnis zur Setzung dienstrechtlicher Maßnahmen gehabt haben mag, ist im Hinblick darauf nicht relevant, dass unmittelbar getroffene Sofortmaßnahmen durch die zuständige Bildungsdirektion den Feststellungen nicht zu entnehmen sind.
Auf die Frage, ob dem Kl eine die Entlassung rechtfertigende Dienstpflichtverletzung anzulasten oder ob eine Konversion nach § 30 Abs 3 VBG in einen Kündigungsgrund iSd § 32 Abs 2 VBG möglich wäre, muss zufolge Verspätung der Entlassung nicht mehr eingegangen werden.