Verfassungsrechtliche Probleme der Pensionsanpassung*

ANGELAJULCHER (WIEN/SALZBURG)
Angesichts der aktuell hohen Inflationsraten bei gleichzeitiger Sorge um die nachhaltige Finanzierbarkeit des Pensionssystems ist das Problem der Anpassung von Pensionen zum Ausgleich von Kaufkraftverlusten Gegenstand sowohl politischer als auch juristischer Auseinandersetzungen. Der vorliegende Beitrag befasst sich vor diesem Hintergrund mit der Frage, welche verfassungsrechtlichen Vorgaben bei der Regelung von Pensionsanpassungen zu beachten sind, wobei insb die nach Pensionshöhe unterscheidenden degressiven Anpassungen und die Anpassungsverzögerungen zu Beginn des Pensionsbezugs durch Wartejahre oder Aliquotierungsregeln in den Blick genommen werden.
  1. Einleitung

  2. Historische Entwicklung

  3. Verfassungsrechtliche Maßstäbe

    1. Kompetenztatbestand „Sozialversicherungswesen“

    2. Gleichheitssatz

      1. Vertrauensschutz

      2. Gleichbehandlung verschiedener Gruppen

    3. Recht auf Unversehrtheit des Eigentums

  4. Ausgewählte Sachprobleme

    1. Degressive Pensionsanpassungen

      1. Dauerrechtliche Regel und sondergesetzliche Abweichungen

      2. Verfassungsrechtliche Beurteilung

    2. Anpassungsverzögerungen

      1. Allgemeines

      2. Das Erk VfGH 4.12.2023, G 197/2023 ua

  5. Schlussfolgerungen

1.
Einleitung

Die Finanz-, Wirtschafts- und politischen Krisen der letzten Zeit haben die Frage nach Eingriffen in bestehende sozialrechtliche Ansprüche und Erwartungen wohl stärker denn je in den Fokus gerückt.“ Das ist ein gestohlener erster Satz. Mit ihm hat Walter Pfeil vor neun Jahren bei der 50. Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsrecht und Sozialrecht seinen Vortrag über „Vertrauensschutz im Sozialrecht“ begonnen.* Ich denke aber, dieser Satz hat heute sogar noch mehr Gültigkeit als damals. Nach wie vor geht es in Zusammenhang mit sozialrechtlichen Ansprüchen vor dem Hintergrund multipler Krisen um das Abwägen der Notwendigkeit des Sparens einerseits und des Erhalts der Kaufkraft andererseits, verschärft durch eine lange nicht mehr dagewesene Inflationsentwicklung. Das spielt in allen Bereichen des Sozialrechts eine Rolle: Ich verweise nur auf die Diskussionen zu einer Reform des Arbeitslosenversicherungsrechts, wo die Forderungen von Einschränkungen der Leistungen (vor allem bei längerer Bezugsdauer) bis hin zu – ganz im Gegenteil – Anpassungen der finanziellen Ansprüche an die steigende Inflation reichen.

Der vorliegende Beitrag wird sich auf einen kleinen, aber praktisch wichtigen Teil des Sozialversicherungsrechts beschränken, nämlich die Regelung der Pensionsanpassungen, wobei der Blickwinkel ein verfassungsrechtlicher sein wird: Welche Vorgaben und Grenzen für die Gesetzgebung lassen sich in diesem Bereich aus der Verfassung ableiten? Dabei verstehe ich unter Pensionsanpassung die Erhöhung bereits angefallener Pensionen zur Sicherung ihrer Werthaltigkeit; daneben dient auch die Aufwertung der zur Berechnung heranzuziehenden Beitragsgrundlagen letztlich dem Ziel der Wertsicherung, sie soll hier aber außer Betracht bleiben.

Gleich vorwegnehmen möchte ich auch die beiden wichtigsten Sachprobleme, die der verfassungsrechtlichen Bewertung zu unterziehen sind: Das sind einerseits die je nach Pensionshöhe differenzierenden degressiven Anpassungen und andererseits die Verzögerungen durch Aussetzung 414 oder Aliquotierung der Anpassung zu Beginn des Pensionsbezugs.

Meine Aussagen werden sich in erster Linie auf Pensionen aus der gesetzlichen PV beziehen, sie sind im Wesentlichen aber auch auf Beamtenpensionen übertragbar. Auch wenn der VfGH bis in die jüngste Zeit die „tiefgreifenden Verschiedenheiten zwischen dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis und der Materie des Sozialversicherungswesens“ betont,* kann die verfassungsrechtliche Beurteilung der Anpassungen vor dem Hintergrund der weit fortgeschrittenen Pensionsharmonisierung letztlich nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.*

2.
Historische Entwicklung

Der Umstand, dass angefallene Pensionen zum Zweck der Kaufkrafterhaltung angepasst werden, erscheint heute selbstverständlich. Diskutiert wird nur über Methoden und Ausmaß der Anpassung.

Das lässt vergessen, dass eine allgemeine, nicht nur anlassbezogene Regelung zur Pensionsanpassung erst mit dem Pensionsanpassungsgesetz (PAG) 1965* eingeführt wurde.

Davor wurde jeweils mit Sondergesetzen auf Preisbzw Lohnsteigerungen reagiert, wobei die Maßnahmen bis zum Inkrafttreten des ASVG Beihilfen, Zuschläge und die Garantie von immer wieder angehobenen Mindestrenten umfassten.* Auch die Stammfassung des ASVG sah noch keine regelmäßige Anpassung angefallener Pensionen, allerdings eine Aufwertung der Beitragsgrundlagen bei der Bemessung von neuen Pensionen vor.

Das PAG 1965 hatte dann das Ziel, dass den Rentner:innen und Pensionist:innen nicht nur – in gleicher Weise wie den aktiv im Erwerbsleben Stehenden – der Geldwertverlust ausgeglichen wird, sondern sie auch an der Steigerung des Volkseinkommens teilhaben.* Die nunmehr jährlich vorzunehmende Anpassung beruhte auf der Richtzahl nach § 108a ASVG, die aus dem Quotienten der Beitragsgrundlagen des drittvorangegangenen und des zweitvorangegangenen Jahres ermittelt wurde. Die Festlegung des Pensionsanpassungsfaktors im Verhältnis zu dieser Richtzahl folgte aber keiner Automatik, sondern bedurfte der politischen Willensbildung durch den Sozialminister unter Einbindung des dafür geschaffenen Beirats für die Renten- und Pensionsanpassung und mit Zustimmung von Bundesregierung und Hauptausschuss des Nationalrats.* Die Vervielfachung mit dem Anpassungsfaktor erfolgte dann gem § 108h ASVG für alle Pensionen, die schon vor dem 1.1. des vorangegangenen Jahres angefallen waren (es bestand also ein „Wartejahr“ bis zur ersten Anpassung). Mit der 30. Novelle* wurde angesichts besonders hoher Steigerungen des Lohn- und Preisniveaus in den 70er-Jahren das Wartejahr abgeschafft und außerdem eine etwas größere Aktualität gewährleis tende Berechnung der Richtzahl vorgesehen.

Die 40. Novelle* erfolgte – im Jahr 1984 – bereits vor einem ganz anderen wirtschaftlichen Hintergrund. Die Arbeitslosigkeit war hoch, weshalb aus dem Grundsatz, dass die Pensionist:innen das Schicksal der Erwerbstätigen teilen sollten, nunmehr abgeleitet wurde, dass eine mehr als 2,5 %-ige Bezieherrate von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe zu einer geringeren Anpassung der Pensionen führen sollte.

Diese Berücksichtigung der Arbeitslosenrate wurde mit der 50. Novelle* wieder beseitigt. Mit der 51. Novelle bzw dem SRÄG 1993* wurde dann das System der Nettoanpassung eingeführt, das sich – in im Einzelnen komplizierter Weise* – an der Entwicklung der Nettoeinkommen orientierte. Zugunsten größtmöglicher Aktualität wurden dabei zunächst Schätzwerte herangezogen, um einen vorläufigen Richtwert festzulegen, der dann bei Vorliegen der statistischen Daten gegebenenfalls – mit Wirkung für die Folgejahre – korrigiert wurde. Von den Schätzungen kam man mit dem SRÄG 2000* wieder ab. Das wurde dadurch ermöglicht, dass die Berücksichtigung der Inflationsrate nur mehr in Form von Einmalzahlungen als „Wertausgleich“* erfolgte; in den Anpassungsrichtwert floss dagegen nur die Entwicklung der Nettolöhne und -pensionen ein.

Mit dem Pensionsharmonisierungsgesetz 2004* wurde in § 108h iVm § 108f ASVG schließlich der Wechsel hin zum Verbraucherpreisindex (VPI) als (bis heute) maßgeblicher Richtgröße vollzogen (während die Aufwertung der bereits angesammelten Beitragsgrundlagen nach § 12 Abs 3 APG iVm § 108a ASVG grob gesprochen der Lohnentwicklung folgt). Der dem VPI entsprechende Anpassungsfaktor ist vom Sozialminister mit Verordnung, die der Zustimmung der Bundesregierung bedarf, kundzumachen.* Dieser im Dauerrecht vorgesehenen Vorgangsweise wurde seit ihrer Einführung allerdings nur zwei Mal (für die Jahre 2015 und 2017) gefolgt,* in allen anderen Jahren kam es zu abweichenden gesetzlichen Regelungen der jewei- 415 ligen Pensionsanpassung.* Die sondergesetzlichen Bestimmungen orientierten sich aber immerhin an der generellen Regelung im Dauerrecht, wobei Abweichungen zumeist insoweit erfolgten, als niedrigere Pensionen prozentuell stärker erhöht wurden als die Spitzenpensionen. Zwischen 2004 und 2007 sowie zwischen 2010 und 2018 galt im Übrigen, dass die erste Pensionsanpassung erst mit dem Jahresersten des auf den Stichtag zweitfolgenden Kalenderjahres erfolgte.*

Zuletzt wurde mit dem SVÄG 2020* das kürzlich vom VfGH geprüfte, in § 108h Abs 1a ASVG geregelte System der Aliquotierung bei der ersten auf den Pensionsantritt folgenden Pensionsanpassung eingeführt, aber durch sondergesetzliche Regelungen* für 2023 gleich wieder modifiziert sowie für 2024 und 2025 ausgesetzt, jeweils mit Hinweis auf die hohe Inflation.*

3.
Verfassungsrechtliche Maßstäbe
3.1.
Kompetenztatbestand „Sozialversicherungswesen“

Sucht man nach verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für Pensionsanpassungen, so stellt sich als erstes die Frage, ob schon aus dem Kompetenztatbestand „Sozialversicherungswesen“ nach Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG Vorgaben abzuleiten sind, weil ein Absehen von Anpassungen oder auch bestimmte Varianten der Pensionsanpassung von diesem nicht mehr gedeckt wären.

Zum für die Auslegung des Kompetenztatbestands „Sozialversicherungswesen“ nach hM maßgeblichen Versteinerungszeitpunkt, dem 1.10.1925,* fanden sich Regelungen der PV nur in dem für Angestellte geltenden Pensionsversicherungsgesetz vom 16.12.1906.* Dessen Stammfassung* sah keine Pensionsanpassungen vor. Es wurden beitragsabhängige Fixbeträge* in einem im Wesentlichen kapitalgedeckten System ausgezahlt.* Zwischen 1921 und 1923 kam es allerdings zu sieben Novellen gerade zum Zweck der Pensionsanpassung, um auf die hohe Inflation zu reagieren.* Gleichzeitig wurde – da die Finanzierbarkeit im bisherigen Kapital- bzw Anwartschaftsdeckungssystem an ihre Grenzen geraten war – beginnend mit der 3. Novelle* ein Umlagesystem eingeführt, bei dem der Aufwand nicht mehr aus angelegten Rücklagen, sondern aus den jeweiligen Einnahmen aus Beiträgen bzw aus Staatszuschüssen getragen wurde.*

Angesichts dessen, dass demnach bereits zum Versteinerungszeitpunkt Inflationsanpassungen vorgenommen worden waren, und auch im Hinblick auf den Zweck der SV, die geschützten Risiken (hier: den alters- oder auch invaliditätsbedingten Einkommensausfall) zumindest abzumildern,* lässt sich sagen, dass der Kompetenztatbestand „Sozialversicherungswesen“ eine Regelung der PV in der Weise erfordert, dass Kaufkraftverluste wenigstens in einem gewissen Umfang ausgeglichen werden.*

Darüber hinaus zählt auch ein Zusammenhang zwischen der Höhe der Beiträge und der Höhe der Versicherungsleistungen zu den Wesensmerkmalen der SV, auch wenn anders als in der Vertragsversicherung nicht der Grundsatz der Äquivalenz zwischen Beiträgen und Leistungen gilt und – in der Terminologie des VfGH – der Versorgungsgedanke vielfach vor den Versicherungsgedanken tritt.* Diese „Beitragsorientierung“* würde die Auszahlung einer Einheitspension auf Basis unterschiedlicher Beiträge verbieten und setzt insofern degressiven Pensionsanpassungen, die zu einer Annäherung der Pensionshöhen führen, eine gewisse äußerste Grenze.

Mehr als diese ganz allgemeinen Grundsätze kann aus dem Kompetenztatbestand aber nicht abgeleitet werden. Es ist davon auszugehen, dass die zuvor dargestellten unterschiedlichen Varianten der Pensionsanpassung in der 2. Republik alle vom Kompetenztatbestand gedeckt waren. Kompetenzrechtlich ist weder eine bestimmte Form der Pensionsanpassung noch deren regelmäßige Durchführung geboten. Es muss allerdings in irgendeiner Weise sichergestellt werden, dass die Pensionsleistungen ihren Zweck, einen Ausgleich für das alters- oder invaliditätsbedingt zumindest typischerweise entfallende Erwerbseinkommen zu schaffen, noch erfüllen können.

3.2.
Gleichheitssatz
3.2.1.
Vertrauensschutz

Der verfassungsrechtliche Schutz von Pensionen ist eng mit dem aus dem Gleichheitssatz abgeleiteten Vertrauensschutz verknüpft. Er wurde vom VfGH gerade aus Anlass der Prüfung von Ruhensbestimmungen 416 für Politikerpensionen* erstmals zur Anwendung gebracht.*

Nach der Rsp des VfGH genießt zwar das bloße Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand der gegebenen Rechtslage als solches keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz, und es bleibt dem Gesetzgeber auf Grund des ihm zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraums grundsätzlich unbenommen, eine einmal geschaffene Rechtsposition auch zu Lasten der Betroffenen zu verändern. Unter besonderen Umständen muss den Betroffenen jedoch zur Vermeidung unsachlicher Ergebnisse die Gelegenheit gegeben werden, sich rechtzeitig auf eine neue Rechtslage einzustellen. Vertrauensschutz begründende Umstände können ua darin liegen, dass der Gesetzgeber in Rechtsansprüche, auf die sich die Normunterworfenen nach ihrer Zweckbestimmung rechtens einstellen durften (wie auf Pensionsleistungen bestimmter Höhe), plötzlich und intensiv nachteilig eingreift.*

In Zusammenhang mit Alterspensionen weist der VfGH regelmäßig darauf hin, dass sich die in Betracht kommenden Personen schon während ihres Erwerbslebens im Vertrauen darauf eingerichtet haben, später eine am Erwerbseinkommen orientierte Pensionsleistung zu beziehen. Eine Missachtung dieses Vertrauens durch plötzliche, die (künftige) Lebensführung direkt treffende Maßnahmen des Gesetzgebers wiege bei Pensionsbeziehenden sowie bei jenen Personen, die kurz vor Erreichung des Anfallsalters für eine gesetzliche Pension stehen, besonders schwer, weil es diesem Personenkreis meist nicht mehr möglich sei, sich im Nachhinein auf die geänderten Umstände einzustellen.* Dennoch kann auch die Kürzung von bereits angefallenen Pensionen um 10 % zulässig sein.* Eine Grenze, die auch durch gewichtige öffentliche Interessen nicht mehr rechtfertigbar war, wurde bei Kürzungen auch laufender Bezüge (durch Ruhensbestimmungen) um 38 % angenommen.* Selbst gravierende Eingriffe können aber bei ausreichenden Übergangsfristen und Einschleifregeln zulässig sein.*

Eine keinesfalls zu unterschreitende Untergrenze von Pensionen wird im Erkenntnis VfGH 2002/VfSlg 16.764 umschrieben: Danach ist die – in das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums eingreifende – Verpflichtung zur Beitragszahlung nur dann zu rechtfertigen, wenn der Beitragszahler im Versicherungsfall selbst jedenfalls so weit geschützt wird, dass er „in Abhängigkeit vom Ausmaß seiner Beitragszahlungen grundsätzlich eine nicht außer Verhältnis zu seinem früheren Erwerbseinkommen stehende Versorgung“ erwarten kann. Ab welchem Punkt diese Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt ist, ist allerdings eine durch die Rsp noch nicht geklärte Frage.*

In Bezug auf Pensionsanpassungen lässt sich nun allgemein sagen, dass die in § 108h ASVG vorgesehene jährliche Pensionsanpassung ein rechtlich geschütztes Vertrauen auf eine dauerhaft wertgesicherte Pension begründet.* Solange die Bestimmung im Dauerrecht bestehen bleibt, führen auch die regelmäßigen Abweichungen von der Grundregel nicht dazu, dass das Vertrauen in ihre künftige Einhaltung keine rechtliche Basis hat. In dieses Vertrauen wird von der Gesetzgebung eingegriffen, wenn die Anpassungen in einem geringeren Ausmaß erfolgen als im Dauerrecht festgelegt. Der Eingriff ist durch eine einmalig hinter der generellen Regel zurückbleibende oder sogar ganz entfallende Anpassung aber idR noch nicht intensiv iSd Rsp des VfGH und daher ohne Weiteres zu rechtfertigen. Über die Jahre können sich allerdings Wertverluste ergeben, die jedenfalls die aus der Rsp des VfGH ableitbare kritische Schwelle von 10 bis 12 % überschreiten. Dabei handelt es sich freilich um keinen plötzlichen Eingriff, da der Wertverlust sich ja schleichend verwirklicht. Umgekehrt ist allerdings erschwerend, dass Bezieher:innen von Pensionen – gerade dann, wenn sich der Wertverlust bereits über mehrere Jahre akkumuliert hat – in aller Regel nicht mehr in der Lage sind, wirtschaftliche Dispositionen zu treffen, die das ausgleichen könnten.*

Rechtfertigbar sind derartige Eingriffe grundsätzlich dadurch, dass die Sicherung der Finanzierung des Systems auch für künftige Pensionsbezieher:innen gewährleistet werden soll.* ISd intergenerationellen Gerechtigkeit kann ein solcher Beitrag der schon im Pensionsbezug Stehenden sogar geboten sein.* Die Gründe, die in den jeweiligen Gesetzesmaterialien für abweichende Anpassungen angegeben werden, orientieren sich auch zumeist an diesen Rechtfertigungslinien: So wird die „Solidarität zwischen den Generationen“* ebenso genannt wie die (mittelbar wohl auch der Sicherung der Pensionen dienende) „Konsolidierung des Bundeshaushalts“.* Aber auch das Motiv des sozialen Ausgleichs wird angeführt,* haben die abweichenden Anpassungen doch meist ein degressives Element.*417

Die absolute Grenze, bei der iSd oben erwähnten Erk VfGH 2002/VfSlg 16.764 die Verhältnismäßigkeit in Bezug auf das Erwerbseinkommen und damit auch der Vertrauensschutz nicht mehr gewahrt ist, wird Äußerungen in der Literatur* zufolge bei einem inflationsbereinigten Verlust von mehr als einem Drittel des Ausgangswerts gesehen. Auch ich halte das an sich für einen plausiblen Wert. Bei von vornherein niedrigen Pensionen könnte aber schon zuvor deren Funktion, ein Auskommen ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen* zu ermöglichen, beeinträchtigt sein. Das ist aus meiner Sicht die niemals zu unterschreitende Unterkante: Unter der Voraussetzung eines geschlossenen Versicherungsverlaufs* muss die Pension zumindest den allgemeinen Lebensunterhalt iS eines soziokulturellen Existenzminimums sicherstellen, was jedenfalls mehr ist als der Bedarf für die bloße physische Existenzsicherung.*

3.2.2.
Gleichbehandlung verschiedener Gruppen

Auch wenn man beim verfassungsrechtlichen Schutz von Pensionen wohl als erstes an den Vertrauensschutz denkt, ist natürlich auch der Gleichheitssatz in seiner „klassischen“ Ausprägung relevant, wonach die Frage nach zulässigen bzw unzulässigen Differenzierungen zwischen verschiedenen Personen und Sachverhalten zu stellen ist. Gleiches ist gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln – aber welche Unterschiede im Tatsächlichen rechtfertigen wirklich unterschiedliche Rechtsfolgen? Welche Differenzierungen sind sachlich?

Im Pensionsrecht ist es typisch, dass beim Wirksamwerden von Gesetzesänderungen nach Geburtsjahrgängen differenziert wird. Dabei handelt es sich um eine Variante von Stichtagsregelungen, die grundsätzlich zulässig sind. Nach der Rsp des VfGH* weisen sie „notwendig ein gewisses Maß an Beliebigkeit“ auf und müssen insoweit Härtefälle in Kauf nehmen; der Gesetzgebung stehe dabei unter gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten ein rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu. Die Differenzierung zwischen einer Person, die am 31.12. eines Jahres geboren ist, und einer anderen mit Geburtstag am 1.1. des Folgejahres kann daher sachlich sein, solange insb der soeben erörterte Vertrauensschutz beachtet wird.

In Zusammenhang mit Pensionsanpassungen kann sich die Ungleichbehandlung von Jahrgangskohorten (bezogen auf das Geburtsjahr oder das Jahr des Pensionsantritts) aber nicht nur aus Stichtagen ergeben, sondern auch daraus, dass die schon erwähnten Wartezeiten (auf Grund von „Wartejahren“ oder Aliquotierungen) bis zur ersten (vollen) Anpassung der Pensionsleistung in Phasen ganz unterschiedlicher Inflationsraten fallen, was dann uU erhebliche Auswirkungen auf die (kaufkraftbereinigte) Gesamtpensionshöhe hat. Die Inflationsentwicklung unterliegt zwar nicht unmittelbar dem Einfluss der Gesetzgebung, es könnte aber verfassungsrechtlich geboten sein, im Pensionsrecht darauf zu reagieren; darauf werde ich noch zurückkommen.*

Noch problematischer als die Ungleichbehandlung je nach Jahr des Pensionsantritts erscheint – zumindest auf den ersten Blick – die Differenzierung innerhalb derselben Jahrgangskohorte, wie sie in § 108h Abs 1a ASVG idgF durch die Aliquotierung bei der ersten Anpassung vorgesehen ist. Der VfGH hat aber in der rezenten E vom 4.12.2023, G 197/2023 ua, die Verfassungswidrigkeit dieser Regelung verneint – auch darauf werde ich noch näher eingehen.*

Hebt man die Vergleichsgruppenbildung auf die Ebene ganzer Generationen, so kann die Frage gestellt werden, wie groß die Einschnitte sein dürfen, die die jüngere Generation in Bezug auf ihre Pensionserwartungen hinnehmen muss, während die aktuell im Pensionsbezug Stehenden noch deutlich höhere Ersatzraten lukrieren. Zwar haben die jetzigen Beitragszahler:innen kein Recht auf Beibehaltung des Status quo, sondern nur auf Beachtung des Vertrauensschutzes, insb durch entsprechend lange Übergangsfristen, und auf eine Versorgung, die nicht (völlig) außer Verhältnis zu ihrem früheren Erwerbseinkommen steht. Dass ein Teil der Lasten für eine Reform des Pensionssystems der älteren Generation auferlegt wird, indem der Kaufkraftverlust angefallener Pensionen uU nicht vollständig ausgeglichen wird, kann aber zumindest einen Rechtfertigungsgrund für eine solche Maßnahme darstellen.* Sobald sich abzeichnen sollte, dass das nach der Rsp des VfGH jedenfalls zu gewährende Versorgungsniveau nicht mehr für alle aktuellen Beitragszahler:innen sichergestellt ist, könnten geringer ausfallende Anpassungen der laufenden Pensionen sogar geboten sein, um 418 eine ausreichende Leistungsfähigkeit des Pensionsversicherungssystems aufrechtzuerhalten. Denn eine künftige Kompensation durch Staatszuschüsse kommt nicht unbegrenzt in Frage: Abgesehen von budgetären Schranken wäre auch der Kompetenztatbestand „Sozialversicherungswesen“ verlassen, wenn die Steuerfinanzierung gegenüber der Beitragsfinanzierung deutlich überwiegen sollte.*

Eine Vermeidung der Belastung von Generationen, die noch keine Beiträge zahlen oder noch gar nicht geboren sind,* kommt dagegen kaum als Rechtfertigungsgrund für Einschnitte bei den laufenden Pensionen in Betracht: Diese Gruppe gehört noch nicht zur Risikogemeinschaft der SV und ihre allfällige Belastung ist auch deswegen grundrechtlich kaum fassbar, weil sie maßgeblich von nicht absehbaren Entwicklungen in ökonomischer und rechtlicher Hinsicht abhängt.*

Zuletzt stellt sich im Rahmen der Gleichheitsprüfung noch die Frage, ob die Differenzierung der Anpassung je nach Pensionshöhe zulässig oder vielleicht sogar geboten ist. Darauf werde ich – da genau diese Differenzierung regelmäßige Praxis der Gesetzgebung ist – in einem eigenen Abschnitt* eingehen.

3.3.
Recht auf Unversehrtheit des Eigentums

Der – durch Art 5 StGG und Art 1 1. ZPEMRK gewährleistete – Eigentumsschutz spielt beim Schutz der Pensionen und namentlich im Bereich der Pensionsanpassungen praktisch keine Rolle. Der (auf Beiträgen der Versicherten beruhende) Pensionsanspruch nach den Sozialversicherungsgesetzen steht zwar grundsätzlich im Schutzbereich des Eigentumsrechts nach Art 1 1. ZPEMRK. Regelungen über eine Pensionserhöhung greifen aber im Allgemeinen nicht in das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums ein, da in den Schutzbereich zwar bestehender Besitz fällt, nicht aber das Recht zum Besitzerwerb.*

Es erscheint nun zwar durchaus diskussionswürdig, inwieweit die Anpassung von Pensionen an den gesunkenen Geldwert einen „Besitzerwerb“ darstellt. Das Schutzniveau, das aus der gleichheitsrechtlichen Judikatur des VfGH folgt, liegt aber ohnedies weit über jenem, das aus der Rsp des EGMR zum Eigentumsrecht abzuleiten wäre. Unzulässig ist nach der Rsp des EGMR eine gänzliche Streichung der Pension; darunterliegende, selbst beträchtliche Kürzungen – etwa um 38 % in einem italienischen Fall – sind aber rechtfertigbar.*

Da allerdings schon die Verpflichtung zur Beitragsentrichtung einen Eigentumseingriff bedeutet, folgt (auch) aus dem Eigentumsschutz – wie schon erwähnt –, dass der Beitragszahler im Versicherungsfall selbst jedenfalls so weit geschützt sein muss, dass er in Abhängigkeit vom Ausmaß seiner Beitragszahlungen eine nicht außer Verhältnis zu seinem früheren Erwerbseinkommen stehende Versorgung erwarten kann.*

4.
Ausgewählte Sachprobleme
4.1.
Degressive Pensionsanpassungen
4.1.1.
Dauerrechtliche Regel und sondergesetzliche Abweichungen

So genannte degressive Pensionsanpassungen sind in den letzten Jahren geradezu zur Regel geworden: Dh, es wurden höhere Pensionen mit einem geringeren Prozentsatz erhöht als niedrige Pensionen.

In § 108h ASVG ist an sich vorgesehen, dass alle Pensionen aus der PV, für die der Stichtag vor dem 1.1. dieses Jahres liegt, mit dem Anpassungsfaktor zu vervielfachen sind. Dieser ist gem § 108f Abs 1 ASVG für jedes Kalenderjahr vom Sozialminister „unter Bedachtnahme auf den Richtwert“ festzusetzen. Der Richtwert wiederum ist gem § 108f Abs 2 ASVG so festzusetzen, „dass die Erhöhung der Pensionen auf Grund der Anpassung mit dem Richtwert der der Erhöhung der Verbraucherpreise nach Abs 3 entspricht“. Die Erhöhung der Verbraucherpreise ist nach dem verwiesenen Abs 3 „auf Grund der durchschnittlichen Erhöhung in zwölf Kalendermonaten bis zum Juli des Jahres, das dem Anpassungsjahr vorangeht, zu ermitteln, wobei der Verbraucherpreisindex 2000 oder ein an seine Stelle tretender Index heranzuziehen ist“. Dazu ist das arithmetische Mittel der für den Berechnungszeitraum von der Statistik Austria veröffentlichten Jahresinflationsraten zu bilden.

Tatsächlich wurden aber, wie schon unter Pkt 2. erwähnt, seit Wirksamwerden dieser durch das Pensionsharmonisierungsgesetz 2004 geschaffenen Regelung mit Ausnahme von zwei Jahren (2015 und 2017) stets abweichende Anpassungen – durch eigene Gesetzgebungsakte, die ihren Niederschlag in den Schlussbestimmungen des ASVG fanden – vorgesehen. Fast allen diesen Sonderregelungen (mit Ausnahmen für die Jahre 2013 und 2014, in denen gleichmäßig unter dem Richtwert liegende Erhöhungen für alle Pensionen erfolgten) ist gemeinsam, dass sie nach der Pensionshöhe differenzierten, dies allerdings in ganz unterschiedlicher Weise: Teils wurden nur die niedrigsten Pensionen mit dem Anpassungsfaktor erhöht, die höheren Pensionen mit degressiv abnehmenden Prozentsätzen, manchmal bis hin zu einer Null-Anpassung; 419

teils wurden die niedrigeren Pensionen um einen über dem Wert des Anpassungsfaktors liegenden Prozentsatz erhöht, die höchsten dafür mit einem darunterliegenden Wert; im Durchschnitt ergaben sich daraus Anpassungen, die dem Anpassungsfaktor entsprachen, darüber oder darunter lagen.* Eine Sonderstellung nimmt die Anpassung für das Jahr 2008 ein, für die in § 634 Abs 10 ASVG vorgesehen war, dass gerade die Pensionen unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz am geringsten erhöht wurden, was allerdings mit einer außerordentlichen Erhöhung des Ausgleichszulagenrichtsatzes kompensiert wurde.* Seit 2018 werden in das für die Staffelungen maßgebliche „Gesamtpensionseinkommen“ meist nicht nur die Pensionen aus der gesetzlichen SV, sondern ebenso alle Leistungen, die vom Sonderpensionenbegrenzungsgesetz* erfasst sind, (also insb auch Beamtenpensionen) einbezogen.*

4.1.2.
Verfassungsrechtliche Beurteilung

Aussagen des VfGH zu den degressiven Anpassungen gibt es kaum. Relativ ausführlich hat er sich mit der schon erwähnten Pensionsanpassung 2008 auseinandergesetzt, die die Anpassung nach dem Richtwert um 1,7 % und darüber hinaus zusätzliche Pensionserhöhungen, die nach Pensionshöhe gestaffelt waren, vorsah.* Er betonte, dass dem Gesetzgeber bei der Beurteilung sozialer Bedarfslagen und bei der Ausgestaltung der an diese Bedarfslagen anknüpfenden sozialen Maßnahmen sowohl ein weiter Beurteilungsspielraum als auch ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukomme, und wies auf den sozialen Ausgleich als zulässiges Ziel des Sozialversicherungsrechts hin. Gegen die Staffelung als solche waren in den (ua vom OGH gestellten) Gesetzesprüfungsanträgen ohnehin keine Bedenken vorgebracht worden; diese richteten sich ausschließlich dagegen, dass die Pensionen unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz nur mit dem Richtwert – also geringer als alle anderen Pensionen – angepasst wurden. Das hielt der VfGH deswegen für gerechtfertigt, weil gleichzeitig die Ausgleichszulage außerordentlich erhöht wurde, womit insgesamt dem aus verfassungsrechtlicher Sicht unbedenklichen Ziel des Gesetzgebers, einen sozialen Ausgleich herzustellen, gedient war.*

Der immer wieder mit degressiven Pensionsanpassungen befasste OGH hatte sich etwa in einer E betreffend die Pensionsanpassung 2018, insb in Bezug auf die ganz unterbleibende Anpassung bei einem Gesamtpensionseinkommen von über € 4.980,–, mit unionsrechtlichen Bedenken auseinanderzusetzen.* In der Begründung finden sich aber auch Aussagen zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Regelung. Der OGH zitierte Aussagen des Sozialministers* – es gebe keinen „verfassungsrechtlichen Grundsatz der gleichmäßigen Anpassung aller Pensionen“ – und der im Verfahren bekl Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) – der Gesetzgeber habe bei seiner politischen Entscheidung ab einem Einkommen über der Höchstbeitragsgrundlage keinen Stützungsbedarf mehr gesehen – und trat ihnen nicht entgegen. Vielmehr hob er hervor, dass sich die „Kluft“ des Pensionseinkommens zwischen Männern und Frauen langfristig nicht verringern, sondern vergrößern würde, folgte man der Argumentation des Kl.

Vom VfGH selbst sind keine rezenten erkenntnismäßigen Aussagen zur Zulässigkeit degressiver Pensionsanpassungen vorhanden.* Es ist davon auszugehen, dass er weiterhin den weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum betonen* und soziale Gesichtspunkte grundsätzlich als Kriterium für Differenzierungen anerkennen würde; dies auch vor dem Hintergrund, dass in der gesetzlichen PV das Äquivalenzprinzip vom Versorgungsprinzip überlagert ist. Zwar können nach der Rsp des VfGH gute wirtschaftliche Verhältnisse der Betroffenen nicht jeglichen Eingriff in Pensionsansprüche bzw -anwartschaften rechtfertigen;* der VfGH hat aber etwa schon explizit die Relation zwischen einem „vergleichsweise als gering anzusehenden Einkommen“ (der Rechtspraktikant:innen) und der Kürzung (um etwas über 14 %) hergestellt, um diese Kürzung als schwerwiegend einzustufen.* Auch in einem Erk betreffend die Kürzung der Ruhebezüge von Gemeindemandatar:innen hat der VfGH darauf Bedacht genommen, dass die Regelung auch Personen betreffen könne, denen Ruhebezüge in bloß geringer Höhe zukommen; er stufte die Kürzung allerdings letztlich auch in diesen Fällen 420 nicht als unverhältnismäßig ein, weil die geringe Höhe dieser Ruhebezüge mit einer vergleichsweise kurz dauernden Tätigkeit als Gemeindemandatar korrespondiere.* Dieses zuletzt genannte Rechtfertigungsargument verfängt freilich dann nicht, wenn die geringe Pensionshöhe nicht auf einer kurzen Versicherungsdauer, sondern auf einem geringen Erwerbseinkommen beruht. Im Allgemeinen sind also Wertverluste wohl eher hinzunehmen, je höher die Pension ist. Gerade bei den niedrigsten Pensionen kann sich auch ergeben, dass mit der Anpassung nach dem VPI die tatsächliche Bedarfslage dieser Einkommensgruppe nicht ausreichend Berücksichtigung findet.*

Umgekehrt ist der Einsparungseffekt durch die Minderanpassung höherer Pensionen größer bzw ist die prozentuell gleich hohe Anpassung bei hohen Pensionen teurer (auch im Hinblick auf die Folgeanpassungen) – geringere Anpassungen gerade der hohen Pensionen sind also zweifellos geeignet, Einsparungszielen zu dienen.* Der Gesetzgeber muss dabei nicht nachweisen, dass er die Sparziele nicht auch auf anderen Wegen erreichen könnte, es dürfen nur keine „Sonderopfer“ verlangt werden – davon kann aber angesichts der durchaus umfassenden, alle Einkommensschichten treffenden Pensionsreformmaßnahmen der letzten Jahre wohl keine Rede sein. Selbstverständlich müssen die durch die Minderanpassungen bewirkten Eingriffe in die Kaufkraft allerdings auch verhältnismäßig sein – für die diesbezügliche Beurteilung ist die schon referierte Rsp des VfGH zum Vertrauensschutz zu beachten.

Eine verfassungsrechtliche Grenze wäre – schon im Hinblick auf den Kompetenztatbestand „Sozialversicherungswesen“* – jedenfalls auch dann überschritten, wenn durch wiederholte degressive Anpassungen die Pensionshöhen so stark nivelliert würden, dass letztlich eine Art „Einheitspension“ übrig bliebe.* Realistischerweise ist das allerdings nicht zu erwarten, weil sich die Annäherung der Pensionen immer nur im Zeitraum der jeweiligen Bezugsdauer von statistisch gesehen durchschnittlich 20,8 Jahren bei Männern und 25,7 Jahren bei Frauen* aufbauen kann, was ausgehend von den Dimensionen der bisherigen Anpassungen nicht für eine vollständige oder nahezu vollständige Einebnung der Unterschiede genügt.* Umgekehrt führt eine über die Jahre hinweg gleichmäßige Anpassung aller Pensionen auch nicht zu einem immer weiteren Auseinanderklaffen von Niedrigst- und Höchstpensionen:* Das Verhältnis der Pensionen zueinander bleibt bei gleicher prozentueller Anpassung genau gleich; größer wird nur die nominelle betragsmäßige Differenz.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass vor dem Hintergrund des der Gesetzgebung zukommenden weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraums eine differenzierte Anpassung je nach Pensionshöhe grundsätzlich zulässig ist. Dabei wird es aus verfassungsrechtlicher Sicht ausreichen, dass die – iSd Zielsetzung der Regelung – anzustrebende soziale Treffsicherheit in einer Durchschnittsbetrachtung gegeben ist – dass also diejenigen profitieren, die insgesamt geringe finanzielle Mittel haben –, auch wenn es Fälle gibt, in denen eine niedrige Pension durch ein Zusatzeinkommen oder auch vorhandenes Vermögen ergänzt wird, sodass sich die sozioökonomische Situation tatsächlich anders darstellt, als es auf Grund der bloßen Pensionshöhe anzunehmen wäre.*

4.2.
Anpassungsverzögerungen
4.2.1.
Allgemeines

Mit dem Budgetbegleitgesetz 2003* begann die jüngere Geschichte der „Anpassungsverzögerungen“.* Eingeführt wurde zunächst ein „Wartejahr“: Im jeweils auf den Pensionsstichtag folgenden Kalenderjahr wurde die Pensionsanpassung nach § 108h ASVG* ausgesetzt. Mit dem SRÄG 2008* wurde die Regelung mit Wirkung für alle Pensionen mit Stichtag ab dem 1.1.2008 wieder aufgehoben. Mit dem Budgetbegleitgesetz 2011* wurde das Wartejahr mit Wirkung für alle Pensionen mit Stichtag ab dem 1.1.2010 neuerlich eingeführt, mit dem PAG 2020* für Pensionen mit Stichtag ab dem 1.1.2019 wieder aufgehoben. Mit dem SVÄG 2020* wurde schließlich für alle Pensionen mit Stichtag ab 1.1.2021 die aktuell geltende Aliquotierungsregelung des § 108h Abs 1a ASVG*421 eingeführt, wonach im auf den Stichtag folgenden Kalenderjahr nur Personen mit Stichtag im Jänner die volle Anpassung, alle anderen hingegen eine je nach Stichtagsmonat abnehmende prozentuelle Anpassung erhalten, bis hin zum völligen Aussetzen der ersten Anpassung für Stichtage im November und Dezember.

Generell ist zu den Anpassungsverzögerungen zu sagen, dass sie nur als reine Sparmaßnahme betrachtet werden können. In den Gesetzesmaterialien zum Budgetbegleitgesetz 2003* wird zur erstmaligen Einführung des Wartejahres erläutert, es sei „in diesem Zusammenhang [...] zu berücksichtigen, dass allen Dienstnehmern in Hinkunft durch die neue Mitarbeitervorsorge, welche die Abfertigung abgelöst hat, die Möglichkeit eingeräumt wurde, steuerbegünstigt schon ab Erreichung des Pensionsalters eine Zusatzrente zu erhalten“. Das betrifft aber zum einen von vornherein nur die DN und nicht die anderen von der Änderung erfassten Pensionist:innen,* zum anderen ist nicht ersichtlich, dass die Mitarbeitervorsorge im Hinblick auf die finanzielle Situation beim Pensionsantritt eine Verbesserung im Vergleich zur Abfertigung (alt) gebracht hat.*

Auch bloße Sparmaßnahmen stehen freilich im politischen Gestaltungsspielraum der Gesetzgebung, solange die insb aus dem Gleichheitssatz abzuleitenden verfassungsrechtlichen Vorgaben eingehalten werden. Letztlich handelt es sich bei den Anpassungsverzögerungen, die bedeuten, dass der Pensionsanspruch praktisch von Anfang an einen Kaufkraftverlust erleidet, um Kürzungen der Pensionen. Sie sind freilich selbst bei den zuletzt außergewöhnlich hohen Inflationsraten von nahezu 10 % noch nicht als intensiv iSd Rsp des VfGH zum Vertrauensschutz anzusehen. Allerdings könnten sie eine unzulässige Ungleichbehandlung verschiedener Gruppen darstellen.

Das trifft unter bestimmten Bedingungen schon für das „Wartejahr“ zu. Hier werden zwar die Angehörigen der jeweiligen Jahrgangskohorten gleich behandelt. Aus einer ungleichmäßigen Entwicklung der Inflationsrate kann sich aber ergeben, dass aufeinanderfolgende Jahrgänge ganz unterschiedliche Kaufkraftverluste durch die Anpassungsverzögerung hinzunehmen haben. Diese Unterschiede beruhen nicht auf Stichtagen für das Wirksamwerden von Rechtsänderungen – was grundsätzlich zulässig wäre –, sondern auf einer Regelung, die an außerrechtliche Faktoren anknüpft, die potentiell starken Schwankungen unterworfen sind. Diese entziehen sich dem direkten Zugriff der Gesetzgebung, mE müssten aber die Auswirkungen zumindest extremer Schwankungen ausgeglichen werden, indem etwa vorgesehen wird, dass der Kaufkraftverlust durch die Anpassungsverzögerung ein bestimmtes Ausmaß nicht überschreiten darf.*

Bei der Aliquotierung nach § 108h Abs 1a ASVG betrifft die Ungleichbehandlung sogar Personen derselben Jahrgangskohorte, je nachdem, in welchem Kalendermonat ihr Pensionsstichtag liegt. Der VfGH hat diese Regelung kürzlich aufgrund eines Drittelantrags von Abgeordneten des Nationalrats sowie mehrerer Gerichts- und Parteianträge geprüft und nicht als verfassungswidrig angesehen.

4.2.2.

In seiner Begründung vergleicht der VfGH die Aliquotierungsregel mit dem Wartejahr. Die Verzögerung durch das Wartejahr sei gravierender gewesen, dennoch sei sie in der Rsp von OGH*, VwGH* und EuGH* auf keine Bedenken gestoßen.* Die Aliquotierung sei demgegenüber „differenzierter“. Und auch ohne Aliquotierung ergebe sich eine unterschiedliche Wartedauer auf die erste, immer mit 1.1. stattfindende Pensionsanpassung, je nachdem, wann der Pensionsstichtag sei.

Diese unterschiedliche Wartedauer hat aber mit den in den Anträgen geltend gemachten Bedenken nichts zu tun: Sie bedeutet nur, dass im Jahr des Pensionsantritts ein längerer Bezug der zum Stichtag errechneten Pension stattfindet. Solange dann keine der auf den Stichtag folgenden Anpassungen ausgelassen oder prozentuell gemindert wird, verliert zwar die zum Stichtag errechnete Pension während des ersten Bezugsjahres an Kaufkraft – genauso wie alle anderen Pensionen auch –, darüber hinaus tritt aber weder im Vergleich zu Bestandspensionen noch im Vergleich zu Pensionist:innen mit späteren Stichtagen ein Kaufkraftverlust ein, weil alle Anpassungen im vollen Ausmaß „mitgemacht“ werden. Vor diesem Hintergrund ist mE nicht nachvollziehbar, inwieweit sich die erstmalige Pensionsanpassung für Personen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten des Vorjahres in Pension gegangen sind, „zwangsläufig auch auf die weitere Bezugsdauer“ auswirkt, wie der VfGH in Rn 212 der E meint.

Was den Vergleich zwischen Aliquotierung und Wartejahr betrifft, so ist zwar richtig, dass der Kaufkraftverlust durch ein Wartejahr größer ist als durch die Aliquotierung, weil das Wartejahr die erste Anpassung nach dem Stichtag ganz entfallen lässt, während sie bei der Aliquotierung wenigstens anteilig zusteht. Zum einen taugt aber der Vergleich mit einer alternativen (sei es früheren, sei es rein hypothetischen) Regelung ganz allgemein nicht zur Rechtfertigung der konkret zu beurteilenden Rechtslage – es sei denn, es würde auf- 422 gezeigt, dass die von der Gesetzgebung gewählte Regelung insofern alternativlos ist, als das verfolgte legitime Ziel nicht mit weniger stark eingreifenden Mitteln erreichbar ist (was hier aber nicht der Fall war). Zum anderen ist die Aliquotierungsregelung gleichheitsrechtlich deswegen problematischer als das Wartejahr, weil sie innerhalb derselben Jahrgangskohorte differenziert, was unabhängig von den absoluten Beträgen, um die es geht, rechtfertigungsbedürftig erscheint.

Unter diesem Gesichtspunkt zitiert der VfGH in Rn 210 die Äußerung der Bundesregierung im Gesetzesprüfungsverfahren, ohne dass ganz klar wird, inwieweit er sie sich zu eigen macht. Die Argumentation erscheint als Rechtfertigungsgrund jedenfalls nicht tauglich: Die Bundesregierung legt darin dar, dass die Aliquotierung auf statistischen Überlegungen beruhe, wonach unter Standardannahmen (gleiche Lebenserwartung und konstante Inflation) die Pensionsbeziehenden des gleichen Zugangsjahres ein annähernd gleiches Lebenspensionseinkommen hätten; zu Einbußen komme es nur, wenn der Pensionsbeginn näher am Jahresende liege und der erste Anpassungsfaktor besonders hoch sei. Die zugrunde gelegte Berechnung (die im Erkenntnis in Form von Tabellen wiedergegeben wird) beruht jedoch auf Nominalbeträgen ohne Berücksichtigung der Kaufkraftentwicklung. Geht man hingegen von Realbeträgen aus, die die Kaufkraftentwicklung einbeziehen, so ist der Kaufkraftverlust durch das vollständige oder teilweise Unterbleiben der ersten Anpassung notwendigerweise gleich groß, egal, ob die Pension im Antrittsjahr oder im letzten Jahr länger oder kürzer bezogen wird: Denn der Betrag, den die Personen mit einem späten Stichtag im letzten Jahr statistisch gesehen länger beziehen, ist zwar nominell höher, aber mit dem Kaufkraftverlust durch die geringere oder gar ganz entfallene erste Anpassung belas tet; dieser Kaufkraftverlust ist nicht mehr einholbar.*

Die Ungleichbehandlung findet also auch unter der Standardannahme einer gleichmäßigen Inflationsentwicklung statt. Bei hohen bzw schwankenden Inflationsraten fällt sie (nur) stärker ins Gewicht. Darauf hat die Gesetzgebung reagiert, indem die Aliquotierung für das Jahr 2023 abgemildert und für die Jahre 2024 und 2025 ganz ausgesetzt wurde. *105) Auch damit argumentiert der VfGH in seinem Erkenntnis – wenn auch nur in Form eines verstärkenden „zumal“ in Rn 111 und eines Hinweises „im Übrigen“ in Rn 214 – und auch das überzeugt nicht. Denn bei der abstrakten Normenkontrolle – also etwa im dem VfGH vorliegenden Fall eines Drittelantrags von Abgeordneten des Nationalrats – geht es um die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm unabhängig von einem konkreten Verfahren. Ausgehend davon ist sie nicht schon dann verfassungskonform, wenn sie in bestimmten Fällen – hier etwa für die Jahrgangskohorten, für die die Ausnahmeregelungen gelten – zu keinen verfassungswidrigen Ergebnissen führt. Es müsste vielmehr schon in der zu prüfenden Bestimmung selbst bzw jedenfalls ohne Befristung vorgesehen sein, dass sie unter bestimmten Voraussetzungen nicht oder in modifizierter Form anzuwenden ist, um diese Abweichungen bei der Behandlung des Antrags auf abstrakte Normenkontrolle berücksichtigen zu können.

Anzuerkennen bleibt der weite rechtspolitische Spielraum der Gesetzgebung bei der Gestaltung des Pensionssystems. Angesichts dieses Gestaltungsspielraums sind Anpassungsverzögerungen jedenfalls nicht schlechthin unzulässig. Sie dürfen aber nicht zu Kaufkraftverlusten in beliebigem Ausmaß führen. Insoweit wären aus verfassungsrechtlicher Sicht normative Vorkehrungen empfehlenswert, die die Verluste für den Fall außergewöhnlich hoher Inflationsraten begrenzen. Die entsprechenden Bestimmungen sollten – schon aus Gründen der Vorhersehbarkeit – im Dauerrecht verankert sein und nicht nur anlassbezogen für einzelne Jahre erlassen werden. Unabhängig von der Verlustbegrenzung muss auch eine unsachliche Ungleichbehandlung verschiedener Gruppen von Pensionsbezieher:innen vermieden werden. Insoweit hat der VfGH in seiner jüngsten E aber ebenfalls einen außerordentlich weiten Spielraum anerkannt. Das mag man im Einzelnen kritisieren, letztlich ist jedoch zu respektieren, dass der VfGH die Suche nach möglichst gerechten Lösungen im Pensionsrecht offenbar in einem sehr hohen Maß der Gesetzgebung überlassen will.

5.
Schlussfolgerungen

Das zuletzt Gesagte kann als Fazit meiner ganzen Betrachtung gelten: Der Gestaltungsspielraum der Gesetzgebung bei der Regelung des Pensionssystems im Allgemeinen und der Anpassungen im Besonderen ist sehr weit. Verfassungsrechtliche Vorgaben verhindern nur extreme Ergebnisse: eine Pension, die trotz (annähernd) lückenlosen Versicherungsverlaufs nicht das soziokulturelle Existenzminimum sichert; eine „Einheitspension“ ohne jede Relation zu den eingezahlten Beiträgen; intensive Kürzungen um mehr als 10 bis 12 % ohne Übergangsfristen (was bei bloßen Anpassungsverlusten kaum vorkommen dürfte). Am feinsten ist noch der Maßstab des Gleichheitssatzes, aber auch hier hat der VfGH zuletzt davon abgesehen, allzu tief in die Prüfung einzusteigen.

Mit den Mitteln des Verfassungsrechts ist also in Bezug auf (sach)gerecht erscheinende Pensionsanpassungsregeln wenig zu gewinnen. Die Verantwortung liegt bei Regierung und Parlament – und bei den Wähler:innen, soweit die politischen Entscheidungen im Pensionsrecht in ihrer Komplexität überhaupt überblickbar sind. 423