KrugInformationsfehlverhalten des Stellenwerbers – Aufklärungspflicht, Wahrheitspflicht und Sanktionsmöglichkeiten

Manz Verlag, Wien 2023, XXXII, 298 Seiten, broschiert, € 76,–

THOMASDULLINGER (WIEN)

Unter Informationsfehlverhalten versteht Martin Krug in seiner Dissertation sowohl die Unterlassung gebotener Informationen (1. Teil) als auch Falschinformationen in Angelegenheiten, in denen Wahrheitspflicht besteht (2. Teil). Der 3. Teil der Arbeit behandelt die Möglichkeiten des AG, Informationsfehlverhalten des Stellenwerbers zu sanktionieren. Aus Platzgründen befasst sich diese Rezension nur mit den ersten beiden Teilen.

1. Aufklärungspflichten

Grundlage der Aufklärungspflichten, die den Stellenwerber unabhängig von einer Frage des AG treffen, sei das vorvertragliche Schuldverhältnis, das im Rahmen der Vertragsanbahnung entsteht (S 18 ff). Da das Bestehen von Aufklärungspflichten im Verhandlungsstadium heute völlig herrschende Ansicht ist, liegt der Fokus des 1. Teils auf der Reichweite dieser Pflichten (S 29 ff). Die Darstellung der Judikatur erfolgt anhand einschlägiger RIS-Justiz-Rechtssätze, die für die Reichweite von Aufklärungspflichten regelmäßig auf die Umstände des Einzelfalls und die Auffassung des redlichen Verkehrs abstellen (S 30 ff). Die Darstellung der arbeitsrechtlichen Literatur erschöpft sich in der Feststellung, dass dieser entweder kein oder doch ein falscher systematischer Ansatz zu Grunde läge (S 37 f).

Krug nähert sich den Aufklärungspflichten auf Basis der zivilrechtlichen Vorarbeiten A. Reich-Rohrwigs, denen er sich im Wesentlichen anschließt (S 38 f): Aus der zentralen Stellung der Privatautonomie folge eine Obliegenheit zur Selbstinformation (S 52 f, 65 ff). Den Stellenwerber treffende Aufklärungspflichten seien daher die Ausnahme (S 69 ff). Aufklärungspflichten träfen den Stellenwerber primär in jenen Angelegenheiten, in welchen den AG ausnahmsweise gerade keine Obliegenheit zur Selbstinformation trifft. Wann der Stellenwerber die Informationslast trägt, richte sich sowohl nach den berechtigten Verkehrserwartungen des AG als auch nach dem Verhalten der Verhandlungspartner (S 79 ff). Subsidiäre Aufklärungspflichten seien jedoch auch hinsichtlich dem Stellenwerber bekannter Umstände möglich, wenn deren Verschweigen unbillig wäre (S 95 ff).

Im letzten Abschnitt des 1. Teils werden diese Grundsätze auf das Arbeitsverhältnis angewendet: Der Stellenwerber trage die Informationslast hinsichtlich jener Umstände, die ihn faktisch (Behinderung, chronische Krankheit) oder rechtlich (fehlende Lenkberechtigung, berufsrechtliche Voraussetzungen, Beschäftigungsverbote) dauerhaft an der Leistung hindern. Bloß temporäre Leistungshindernisse seien vom AG grundsätzlich hinzunehmen, weil dieser nicht davon ausgehen könne, dass AN immer leistungsfähig sind (S 102 ff). Subsidiäre Aufklärungspflichten über bekannte Umstände, deren Verschweigen unbillig wäre, könnten etwa hinsichtlich ansteckender Krankheiten bestehen. Die Abhängigkeit von den konkreten Umständen des Einzelfalls lasse eine Diskussion weiterer potenzieller Aufklärungsgegenstände wenig aufschlussreich erscheinen. Eine solche unterbleibt daher (S 105 f). Die im Arbeitsrecht besonders relevante Einschränkung der Aufklärungspflichten durch das Gleichbehandlungsrecht wird nachvollziehbar dargestellt; auch hier verzichtet der Autor jedoch auf die Entwicklung von Fallgruppen und die Diskussion konkreter Anwendungsfälle (S 106 ff).

2. Fragerecht und Wahrheitspflicht

Der 2. Teil des Werks widmet sich wahrheitswidrigen Angaben des Stellenwerbers. Der AG dürfe grundsätzlich jede Frage stellen, die Fragen dürften nur nicht beleidigend oder belästigend sein. Der AN könne ausnahmslos jede Frage des AG unbeantwortet lassen (S 216 ff). Unwahre Angaben dürfe der AN aber einzig und allein hinsichtlich der geschützten Merkmale des GlBG machen (S 224 f, 292 f).

Vier Aspekte dieses 2. Teils sollen im Folgenden näher beleuchtet werden:

1. Ungeachtet terminologischer Unsicherheiten und dogmatischer Unterschiede im Detail geht die völlig hA davon aus, dass der Stellenwerber manche Fragen des AG unwahr beantworten dürfe. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Persönlichkeitsrechte (§ 16 ABGB) sowie das Datenschutzgesetz (DSG) und in manchen Konstellationen (siehe Fn 839) die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Krug hingegen ist der Ansicht, diese Rechte würden schon dadurch gewahrt, dass der Stellenwerber die Beantwortung jeglicher Frage grundlos ablehnen könne. Eines „Rechts zur Lüge“ bedürfe es daher nicht. Dass der AG aus dem Schweigen seine Rückschlüsse ziehen und die Bewerbung dadurch in vielen Fällen erfolglos bleiben wird, ändere nichts daran, dass die Geheimsphäre des Stellenwerbers durch sein Schweigen gewahrt bleibe (S 176 ff). Beantworte der Stellenwerber die Frage des AG hingegen, so liege darin eine (konkludente) Einwilligung (S 142). Dem kann in dieser Allgemeinheit nicht zugestimmt werden: Das Datenschutzrecht sieht verschiedene Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Einwilligung zur Datenverarbeitung vor, besonders problematisch ist hier die Freiwilligkeit der Einwilligung. Angesichts des Koppelungsverbots (Art 7 Abs 4 DSGVO) ist außerdem fraglich, ob der Stellenwerber im Rahmen der Vertragsanbahnung überhaupt wirksam einwilligen kann. 488

Auch für § 16 ABGB ist im arbeitsrechtlichen Kontext ein strenger Maßstab an die Einwilligung anzulegen (Brameshuber, Persönlichkeitsschutz im Arbeitsrecht, in Brodil, Aktuelle Rechtsfragen des Datenschutzes [2019] 9 [28 ff]). Dass für die Einwilligung des Stellenwerbers mangels Abhängigkeitsverhältnisses ein großzügigerer Maßstab anzulegen sei als im aufrechten Vertragsverhältnis (S 127, 150), ist ohne weitere Begründung wenig überzeugend (vgl dazu mit überzeugender Begründung Auer-Mayer, Individualrechtliche Fragen des Datenschutzes, in Brodil, Aktuelle Rechtsfragen des Datenschutzes 42 [65 f] mwN). Außerdem kann der AG oft schon aus dem Schweigen mit hoher Wahrscheinlichkeit den richtigen Schluss ziehen. Auch eine solche Vermutung kann ein personenbezogenes Datum (gegebenenfalls auch iSd Art 9 DSGVO) sein (vgl VwGH 14.12.2021, Ro 2021/04/0007 Rz 25 ff; EuGH 1.8.2022, C-184/20, OT, Rz 120 ff), eine diesbezügliche Einwilligung fehlt jedoch. Selbst wenn ein solcher Rückschluss nicht möglich ist, steht der Stellenwerber unter beträchtlichem wirtschaftlichen Druck, zu antworten. Warum hier die Freiheit zu schweigen entgegen der hA für eine Wahrung der Persönlichkeitsrechte ausreichen sollte, wäre ausführlich zu begründen gewesen. Zuzustimmen ist Krug jedoch, wenn er das Interesse an der Erlangung der Stelle für sich genommen nicht ausreichen lässt, um den Stellenwerber von der Wahrheitspflicht zu entbinden (S 159 ff, 179 ff).

2. Berechtigt erscheinen die Einwände Krugs gegen die von Teilen der Literatur bejahte Verpflichtung des Stellenwerbers zur (wahrheitsgemäßen) Beantwortung von Fragen über Umstände, über welche er ohnehin von sich aus aufzuklären gehabt hätte. Auf den ersten Blick läge hier ein „Größenschluss“ nahe: Wenn der Stellenwerber unaufgefordert zu informieren gehabt hätte, dann wird er eine entsprechende Frage erst recht (wahrheitsgemäß) beantworten müssen. Aufklärungsund Auskunftspflichten im Verhandlungsstadium schützen jedoch die Willensbildung des Verhandlungspartners. Verweigert der Stellenwerber die Beantwortung einer Frage, so muss sich der AG bewusst sein, dass es diesbezüglich ein Problem geben könnte. Er hat dann die Wahl, das betreffende Risiko bewusst in Kauf zu nehmen oder von der Einstellung Abstand zu nehmen. In vielen Fällen bedarf es daher keiner Aufklärung und keiner Auskunft mehr, um den AG zu schützen (S 217 ff).

3. Keine Wahrheitspflicht bestehe nach Krug ausschließlich hinsichtlich der geschützten Merkmale des GlBG, wenn und weil der AG diese ohnehin ausblenden muss. Der AN dürfe demnach hinsichtlich der geschützten Merkmale lügen, sofern der AG sich nicht auf einen Rechtfertigungs- bzw Ausnahmetatbestand stützen kann (S 224 f, 292 f). Über das Bestehen einer Behinderung iSd BEinstG dürfe jedoch nicht gelogen werden, weil der AG dieses Merkmal nicht ausblenden muss, sondern zugunsten des Behinderten berücksichtigen darf (Fn 977). Denkt man diese Begründung fort, so dürfte der Stellenwerber auch hinsichtlich der Merkmale des GlBG nicht mehr lügen, wenn sich der AG auf eine (zulässige) positive Maßnahme iSd §§ 8, 22 GlBG beruft. Der AG könnte auf diese Weise recht leicht eine Wahrheitspflicht „begründen“ – vor allem hinsichtlich der Schwangerschaft. Fraglich ist aber auch die implizite Annahme, der AG dürfe jeden nicht vom GlBG verbotenen Umstand bei der Einstellung berücksichtigen. So wäre zunächst zu prüfen, ob nicht etwa die Benachteiligung von Gewerkschaftsmitgliedern bei der Einstellung unzulässig sein könnte.

4. Nach Krug macht es keinen Unterschied, ob die Falschinformation in Reaktion auf eine Frage oder aus Eigeninitiative gegeben wird. Allerdings würden aus Eigeninitiative „freiwillig“ gemachte Angaben keine besonderen rechtlichen Probleme aufwerfen, weshalb diese im 2. Teil nicht behandelt werden und direkt auf die Sanktionsmöglichkeiten im 3. Teil verwiesen wird (S 113). Das wäre insb dann nachvollziehbar, wenn aus Eigeninitiative gemachte Angaben immer der Wahrheit entsprechen müssten (vgl auch S 89). Allerdings wird man auch hier zumindest die Wertungen des GlBG berücksichtigen müssen. Eine Bewerberin, die fürchtet, aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert zu werden und daher unaufgefordert von ihrem angeblich fehlenden Kinderwunsch erzählt, handelt wohl nicht rechtswidrig – der AG muss diesen Umstand ohnehin ausblenden. Damit stellt sich aber auch bei unaufgefordert gemachten Angaben die Frage nach den Grenzen der Wahrheitspflicht.

3. Schluss

Die vorliegende Arbeit weist eine intuitive Gliederung auf und ist sehr gut strukturiert. Hervorzuheben sind die sprachliche Präzision und gute Lesbarkeit. Erschwerend wirkt sich lediglich aus, dass wesentliche Informationen im Anmerkungsapparat „versteckt“ sind.

Der Verfasser zeigt treffsicher bestehende Unstimmigkeiten und vor allem terminologische und inhaltliche Ungenauigkeiten im Schrifttum auf und ermöglicht dadurch eine deutlich strukturiertere Diskussion. Die aufgezeigten alternativen Lösungsansätze hätten aber auf eine breitere dogmatische Grundlage gestellt werden müssen. Die intensive Bezugnahme auf zivilrechtliche Grundsätze und die Berufung auf § 870 ABGB (S 222 f) kann eine umfassende Auseinandersetzung mit den arbeitsrechtlichen (und datenschutzrechtlichen) Wertungen (und Vorgaben) nicht ersetzen. Das wird auch in der zivilrechtlichen Literatur so gesehen – nicht nur für Anwendungsfälle aus dem Arbeitsrecht (vgl A. Vonkilch/Walch in Feyves/Kerschner/Vonkilch [Hrsg], ABGB3 [2022] § 870 ABGB Rz 58 ff). Da Krug auf diese Wertungen jedoch nicht im gebotenen Ausmaß eingeht, scheint auch seine Kritik an der hA überzogen, der er fragwürdige Begründungen (S 197), Scheinargumente (S 178, 286), fehlende dogmatische Grundlagen bzw Begründungen (S 174, 182, 288), völlig unzutreffende Prämissen und geradezu absurde Ergebnisse (S 287) sowie kreative Argumentation und fragwürdige Annahmen (S 289) vorwirft.