KainDie Koordinierung von Familienleistungen

Linde Verlag, Wien 2023, 222 Seiten, kartoniert, € 48,–

ANDREASMAIR (INNSBRUCK)

Die zu besprechende Arbeit beschäftigt sich mit der unionsrechtlich vorgegebenen Koordinierung von Familienleistungen (vor allem) sozialrechtlicher und 489 steuerrechtlicher Natur. Dieses Themenfeld ist im Zuge der mit BGBl I 2018/83BGBl I 2018/83 vorgenommenen Indexierung der Familienbeihilfe auch stärker in der politischen Diskussion wahrnehmbar geworden, wobei mittlerweile der EuGH mit seinem Urteil vom 16.6.2022 in der Rs Kommission/Österreich (C-328/20) diesem – es lässt sich nicht anders sagen – populistischen Regelungsversuch des österreichischen Gesetzgebers eine deutliche Abfuhr erteilt hat. In diesem Sinne ist es höchst begrüßenswert, wenn – so die Autorin in ihrem Vorwort – mit der vorliegenden Arbeit versucht wird, einen Beitrag zu einer rechtskonformen Sozialgesetzgebung und Gesetzesanwendung zu leisten.

Geht man von dieser Zielsetzung aus, folgt der Aufbau der Arbeit einem logischen und vernünftigen System. Am Beginn steht die unionsrechtliche Fundierung, die Felicia Kain sowohl in ihrer primärrechtlichen als auch in ihrer sekundärrechtlichen Dimension gut strukturiert entfaltet. Die dabei zentrale, themeneinschlägige Rechtsgrundlage in Gestalt der VO 883/2004/ EG („Koordinierungs-VO“) dient schwergewichtig der Flankierung der grundfreiheitlich garantierten AN-Freizügigkeit, soll doch verhindert werden, dass durch deren Inanspruchnahme AN in Gefahr geraten, Nachteile im Zusammenhang mit sozial(versicherungs-)rechtlichen Leistungsansprüchen zu erleiden. Dazu nimmt die Koordinierungs-VO in ihrem Kapitel 8 (Art 67 bis 69) auch Familienleistungen in den Blick und unterwirft diese einem relativ komplex ausgestalteten Regelungsregime, das verbindlich klären soll, welcher von mehreren in Betracht kommenden EU-Mitgliedstaaten bei grenzüberschreitenden Konstellationen zur Erbringung von Familienleistungen in welchem Ausmaß verpflichtet ist. Kain führt die Komplexität des themengegenständlichen Koordinierungsregimes dabei zentral auf die Tatsache zurück, dass sich Familienleistungen wesensmäßig durch eine mehrpersonale Natur auszeichnen, die sich aus dem Verhältnis von einem oder zwei Elternteilen, einem oder mehreren Kindern und einem oder mehreren mitgliedstaatlichen Trägern der sozialen Sicherheit ergibt, sodass – Kain zufolge – es durchaus vorkommen kann, dass Familienleistungen von vier (!) verschiedenen Trägern koordiniert werden müssen.

Ausführlich beschäftigt sich Kain mit dem Begriff „Familienleistungen“. Ausgehend von der in Art 1 lit z Koordinierungs-VO enthaltenen Legaldefinition erarbeitet Kain unter Nutzung des anerkannten Methodenkanons akribisch ein eigenständiges Verständnis dieses Begriffs und kommt dabei zum mE absolut nachvollziehbaren Ergebnis, dass Familienleistungen als geldwerte Leistungen zu verstehen sind, welche materielle oder immaterielle Familienlasten, die durch Kinder oder ihnen gleichgestellte Personen entstehen, ausgleichen sollen. Kain negiert dabei keineswegs den Umstand, dass es auch Familienleistungen gibt, die in Sachleistungen (zB Schüler:innenfreifahrt oder die Schulbuchaktion österreichischer Provenienz) bestehen können. Diesbezüglich spricht sich die Autorin – mE zu Recht – für die Anwendung der Art 67 bis 69 Koordinierungs-VO auch auf Sachleistungen aus, wiewohl Kain sich der Schwierigkeiten bewusst ist, die sich aus dieser Unterstellung ergeben. Dementsprechend appelliert Kain auch an den Sekundärrechtsgesetzgeber, für klarere Regelungen zur Koordinierung von Familiensachleistungen zu sorgen.

Sehr eingehend konfrontiert Kain im dritten Teil ihrer Arbeit dann die in Österreich existierenden Familienleistungen mit den sich aus dem Unionsrecht ergebenden Vorgaben. Sehr instruktiv werden dabei die im FLAG, EStG und KBGG geregelten Leistungen einer detaillierten Prüfung unterworfen, ob und inwieweit die österreichischen Familienleistungen bzw deren rechtliche Ausgestaltung unionsrechtskonform sind. Dabei identifiziert Kain mehrfach Verstöße gegen das Unionsrecht, so etwa im Fall von § 2 Abs 1 und 8 FLAG, wo auf einen inländischen Wohnsitz bzw auf einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland bzw auf den Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich abgestellt wird (hier allerdings mit der Möglichkeit einer unionsrechtskonformen Interpretation) oder im Fall von § 2 Abs 6 KBGG mit dessen Kriterium der Hauptwohnsitzmeldung, das von Kain als Verstoß gegen die Vorgaben von Art 1 lit i Z 3 Koordinierungs-VO bewertet wird, wobei in diesem Zusammenhang auch eine „Rettung“ dieser Regelung im Form einer unionsrechtskonformen Interpretation von Kain aufgrund des klaren Wortlauts in § 2 Abs 6 KBGG zu Recht abgelehnt wird. Kain behandelt kontextuell auch die ehemals in § 8a FLAG geregelte Indexierung der Familienbeihilfe und stellt dabei den Verfahrensgang sowie die wesentlichen Entscheidungsgründe des einschlägigen Urteils des EuGH dar, dem sich die Autorin sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung vollinhaltlich anschließt.

Uneingeschränkt zuzustimmen ist der von Kain zu Beginn des Schlussteils getroffenen Aussage, dass die Koordinierung von Familienleistungen gleichermaßen juristisch komplex wie politisch brisant ist. Dementsprechend lassen sich die in Form von Aufzählungspunkten strukturierten zentralen Aussagen der Arbeit nicht nur als „Service“ für die (eiligen) Leser:innen verstehen, sondern auch als kompakte Handlungsanweisungen an die Rechtspraxis, wie es gelingen kann, sich in diesem Rechtsgebiet rechtssicher zu bewegen.

Die Arbeit von Kain lässt sich daher mit großem Gewinn lesen. Der Autorin gelingt es nämlich souverän, das schwierige und komplexe Themenfeld strukturiert und gut verständlich darzustellen. Die Stärken der Arbeit liegen in der stringenten und akribischen juristischen Analyse, der großen Sensibilität gegenüber dem Geltungsanspruch der Vorgaben aus der juristischen Methodenlehre und dem scharfsinnigen Aufdecken von Verstößen österreichischer Regelungen gegen das Unionsrecht. Insgesamt wird damit die von Kain selbst gesteckte Zielsetzung, mit ihrer Arbeit einen Beitrag zu einer rechtskonformen Sozialgesetzgebung und Gesetzesanwendung leisten zu wollen, bestens erfüllt.