Disloziertes Arbeiten und Betriebsbegriff*

MARTINGRUBER-RISAK (WIEN)
Im Zuge der Digitalisierung ist es AG möglich, AN physisch auf unterschiedliche Standorte zu verteilen und diese gleichzeitig durch Einsatz von Informationsund Kommunikationstechnologien (IKT) in einer einheitlichen Organisation zusammenarbeiten zu lassen. In betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht ist dabei insb von Interesse, wie in solchen Konstellationen die Abgrenzung der einzelnen Betriebe voneinander zu erfolgen hat und wie die Zuordnung der einzelnen disloziert tätigen AN vorzunehmen ist.
  1. Problemstellung

  2. Die Relevanz des Arbeitsortes für den Betriebsbegriff

    1. Die Genese des Betriebsbegriffes und die Bedeutung des Arbeitsortes

    2. Der Informationsraum als Arbeitsstätte

    3. (Alleinige) Relevanz der organisatorischen Einheit als relevante Zuordnungsebene

      1. Grundsätzliches

      2. Umfang der Selbständigkeit

  3. Die Zuordnung von disloziert Arbeitenden zu einem konkreten Betrieb

    1. Grundsätzliches

    2. Disloziert Arbeitende ohne Betrieb?

    3. Zuordnung disloziert tätiger Arbeitnehmer:innen zu einzelnen Betrieben

  4. Internationale Dimension – Kollisionsrecht

  5. Ergebnis

1.
Problemstellung

Schon vor der COVID-19-Pandemie und des damit einhergehenden großflächigen Einsatzes von Homeoffice hat sich gezeigt, dass für eine funktionierende Zusammenarbeit eine gemeinsame physische Anwesenheit an einem konkreten Ort nicht immer erforderlich ist. Das war nicht immer so – gerade in der Zeit, in der das Arbeitsrecht als eigenes Rechtsgebiet im 19. Jahrhundert insb zur Behandlung der mit der Fabriksarbeit verbundenen Probleme entstand, kam es ja erstmals zu einer Verbetrieblichung der Arbeit, dh zur Konzentration aller Arbeitsleistungen an einem Ort, da nur so die effiziente arbeitsteilige Zusammenarbeit unter Einsatz von Maschinen möglich war, die die Fabriksarbeit auszeichnete. Ihren Höhepunkt fand diese Entwicklung in der Produktionsmethode des Fordismus, für die das Fließband sinnbildlich war. Schon seit einiger Zeit ist freilich eine gegenläufige Entwicklung zu beobachten, dh eine Diffusion des Arbeitsortes in dem Sinne, dass dieser nicht mehr unbedingt ein physischer von den jeweiligen AG beherrschter gegenständlicher Raum sein muss.* Diese Entwicklung erfolgt dabei in Wellen und geht Hand in Hand mit dem technischen Fortschritt.*

Im Zuge der Digitalisierung, die noch lange nicht abgeschlossen ist, wird Arbeit verstärkt unter Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie organisiert, die letzte gerade anrollende Welle ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI), dh von automatisierten Überwachungs- und Entscheidungssystemen. Das hat zur Folge, dass wesentliche Arbeitsmittel nicht mehr (nur) physisch verfügbar, sondern auch digital zugänglich sind. Es kommt daher nicht mehr so sehr auf einen konkreten gegenständlichen Arbeitsort an, sondern darauf, dass auf einen digitalen Raum zugegriffen werden kann. Dieser wird damit immer mehr die relevante Ebene der Arbeit, ohne dass die physische Komponente völlig an Bedeutung verliert. Letztlich geht es ja weiterhin um menschliche Arbeitsleistung. Arbeitende sind damit heutzutage 424 zumeist zugleich an zwei Orten anwesend: Neben ihrer physischen Präsenz an einem Arbeitsplatz arbeiten sie zugleich auch in einem Informationsraum. Und dieser virtuelle Arbeitsplatz ist in aller Regel über das Internet dergestalt verbunden, dass von einem weltweit verfügbaren Informationsraum gesprochen werden kann.*

Dieses soeben beschriebene Phänomen macht es nun verstärkt möglich, die Arbeitenden zu dislozieren – in dem Sinne, dass verschiedene Aktivitäten und Personen auf unterschiedliche Standorte verteilt werden. Das ist freilich nicht neu und war auch schon bislang der Fall. Schon Jacobi weist in seinem grundlegenden Aufsatz aus 1926 „Betrieb und Unternehmen als Rechtsbegriffe“* darauf hin, dass die für einen Betrieb konstitutive „räumliche Einheit“ nicht notwendig eine feste oder dauernde Betriebsstätte voraussetze. Sie könne auch bei wechselnder Betriebsstätte mit sogenannten Außenarbeiten gegeben sein wie bei einem Baubetrieb, Droschkenunternehmen, Monteurfirmen oder einem Handelsgeschäft mit Stadtreisenden. Neu ist nunmehr, dass sich die Dislokation nicht unbedingt aus der Art der Tätigkeit ergeben muss, die ein gemeinsames Arbeiten an einem Ort gar nicht zulässt, sondern, dass diese die Folge der durch die Digitalisierung gewonnenen neuen Freiheiten und damit Ausfluss einer unternehmerischen Entscheidung ist. Die Verlagerung zumindest eines Teils der Leistungserbringung in den digitalen Raum führt dann dazu, dass der physische Arbeitsort an Bedeutung verliert – damit hat die physische Dislokation weit weniger gravierende Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation als dies in einer praedigitalen Ära noch der Fall war.

Bei der Dislokation drängt freilich sich auch eine andere Assoziation auf, die auf die medizinische Begriffsbedeutung zurückgeht. Dislokation ist in diesem Kontext die Verschiebung von Knochen weg von dem Ort, an dem sie normalerweise im ungestörten Skelett ihren Platz haben.* Man muss sie dann relozieren, damit alles wieder seine Ordnung hat. So ist das aber im Zusammenhang mit der Arbeitsorganisation nicht zu verstehen – die örtliche Streuung der Arbeitenden über einen größeren Raum ist hier keine Anomalie, die es zu korrigieren gilt, sondern schlicht die Folge einer rationalen unternehmerischen Entscheidung unter Nutzung moderner Formen der Arbeitsorganisation. Nichtsdestotrotz stellen sich beim dislozierten Arbeiten in rechtlicher Hinsicht zahlreiche Probleme, von denen hier nun die mit dem Betriebsbegriff verbundenen Fragen behandelt werden sollen.

2.
Die Relevanz des Arbeitsortes für den Betriebsbegriff
2.1.
Die Genese des Betriebsbegriffes und die Bedeutung des Arbeitsortes

In einem ersten Schritt soll eingangs kurz die Genese des Betriebsbegriffes unter besonderer Berücksichtigung des Arbeitsortes nachgezeichnet werden.

Während das BRG 1919* noch keine gesetzliche Definition des Betriebes enthielt,* fand sich eine solche im BRG 1947* in dessen § 2 Abs 1. Sie geht auf den bereits erwähnten Beitrag von Jacobi* zurück und enthielt anders als die noch heute gültige Formulierung im ArbVG noch keinen Hinweis auf die Arbeitsstätte. Es hieß dort noch: „Als Betrieb gilt jede organisatorische Einheit, innerhalb derer ...“ Nunmehr lautet bekanntlich die seit der Stammfassung 1974 unveränderte Definition: „Als Betrieb gilt jede Arbeitsstätte, die eine organisatorische Einheit bildet, innerhalb der ...“ In den Materialien* wird angeführt, dass die Einführung des Begriffes der Arbeitsstätte als Oberbegriff notwendig wurde, da § 35 unter gewissen Voraussetzungen die Gleichstellung von Arbeitsstätten, die nicht Betriebe iSd ArbVG sind, vorsieht. Damit wird einer Lesart, die die aus der Erwähnung der Arbeitsstätte in § 34 Abs 1 ArbVG eine „räumliche Einheit“ ableiten könnte auch gleich wieder der Boden entzogen. Wenn Arbeitsstätten, die nicht alle Merkmale eines Betriebes aufweisen, einem solchen gleichgestellt werden können, wenn sie räumlich vom Hauptbetrieb weit entfernt liegen, dann kann die räumliche Einheit nicht Merkmal des Betriebsbegriffes sein. Dies kommt auch in den Materialien* zum Ausdruck, die anführen, dass „die räumliche Entfernung von Betriebsteilen voneinander [...] zwar für Frage des Vorliegens eines Betriebes von untergeordneter, für die Gleichstellung einer Arbeitsstätte von großer Bedeutung“ ist. Damit ist klar, dass es in erster Linie auf die organisatorische Einheit ankommt und nicht auf die räumliche Einheit. Letztere stellt damit zu Recht nach hA*13) nur ein Hilfsargument für das Vorliegen eines Betriebes dar.

2.2.
Der Informationsraum als Arbeitsstätte

In Anbetracht der eingangs angestellten Überlegungen ist ohnehin zu erwägen, die räumliche Dimension des Betriebes nicht nur als physisches Phänomen zu sehen, sondern auch die virtuelle Dimension bzw den virtuellen Raum als solchen in die Beurteilung miteinzuschließen. Betrachtet man zB die Zustellung von Essen mittels Fahrradbot:innen,* so wird schnell klar, dass 425 dies ein Musterbeispiel für disloziertes Arbeiten in dem Sinne ist, dass sie mobil über die Stadt verteilt ihre Leistungen erbringen. Gleichzeitig bewegen sie sich aber in einem Informationsraum, der eine sinnvolle und im Wesentlichen automatisierte Organisation ihrer Arbeit erst möglich macht. So gut wie alles erfolgt über eine App – begonnen von der Verteilung der Schichten, über die Zuteilung einzelner Fahrten bis hin zur Kontrolle der Beschäftigten. Ein persönlicher Kontakt zwischen den Fahrradzusteller:innen und ihren Vorgesetzten findet eigentlich nie statt. Damit stellt der Informationsraum, die App, zumindest auch eine, wenn nicht gar in betriebsorganisatorischer Sicht sogar die primär relevante Arbeitsstätte dar. Wesentlich ist freilich auch hier die organisatorische Einheit, die in dieser Konstellation wesentlich im digitalen Raum zu verorten ist.*

2.3.
(Alleinige) Relevanz der organisatorischen Einheit als relevante Zuordnungsebene
2.3.1.
Grundsätzliches

Dieses Extrembeispiel der physischen Dislokation bei gleichzeitiger intensiver digitaler Integration zeigt sehr gut, dass dem Aspekt der organisatorischen Einheit die überragende Bedeutung für die Abgrenzung des Betriebes zukommt. Die räumliche Einheit ist letztlich nicht viel mehr als ein Indiz für eine solche. Aus der einschlägigen Rsp* wird auch offensichtlich, wozu das Kriterium der organisatorischen Einheit in der Praxis verwendet wird, nämlich zu prüfen, ob eine Mehrheit von Betrieben vorliegt und diese voneinander abzugrenzen. Ist eine solche Abgrenzung nicht möglich, so liegt nur eine Organisationseinheit vor und alle AN eines:einer AG sind dieser zugeordnet. Das ergibt sich aus dem Umstand, dass der Arbeitsvertrag fremdbestimmte Arbeitsleistungen zum Inhalt hat und damit die relevante Organisationseinheit jedenfalls der:die jeweilige AG ist. Diese deckt sich in aller Regel mit dem:der Unternehmensträger:in, der:die zugleich Inhaber:in der diesem:dieser zugeordneten Betriebe ist. Betriebsverfassungsrechtlich liegt dann ein sogenanntes „ungegliedertes Unternehmen“* vor, dh eine Einheit, bei der sich Unternehmen und Betrieb decken und somit alle AN einem einzigen Betrieb zugeordnet sind. Es ist schlicht nicht denkbar, dass Arbeitsverträge so viel Autonomie bieten, dass eine organisatorische Eingliederung verneint werden muss. Es stellt sich lediglich die Frage, ob die dafür relevante Organisation einheitlich ausgestaltet ist oder ob diese Untergliederungen und Abgrenzungen aufweist und somit mehrere Betriebe vorliegen. Daraus ergibt sich, dass Arbeiten ohne Betriebszugehörigkeit nicht möglich ist, da immer zumindest ein Betrieb vorliegt.*

Die für die Abgrenzung der Betriebe untereinander relevante organisatorische Einheit kommt bekanntlich nach der von der Rsp über viele Jahrzehnte immer wieder wiederholten auf Strasser* zurückgehenden Formel in dreifacher Weise zum Ausdruck, nämlich in der Einheit des Betriebsinhabers, in der Einheit des Betriebszwecks und in der Einheit der Organisation.* Auch die Lehre* hat diesen Zugang im Wesentlichen übernommen. Bei näherer Betrachtung stellt sich freilich heraus, dass diese „betriebliche Dreifaltigkeit“ bei aller Griffigkeit mehr verwischt als sie Klarheit schafft. Das betrifft schon den Fokus der einzelnen Elemente: Bei der Einheit des:der Betriebsinhaber:in geht es um die Abgrenzung nach außen, dh es werden alle für einen Betrieb potenziell in Frage kommenden Arbeitsstätten abgesteckt. Nach innen wirken dann die beiden anderen „Einheits-Aspekte“, wobei die Einheit des Betriebszweckes nach zutreffender hA ohnehin nur eine Indizwirkung hat.* Letztlich kommt es auf die Einheit der Organisation an – dass darin die organisatorische Einheit zum Ausdruck kommt, ist aber lediglich eine Neuordnung der Wortfolge und damit wenig aussagekräftig.

Damit geht es bei der Abgrenzung „nach innen“ darum, dass die Leitung nicht in allen Aspekten von den jeweiligen Betriebsinhaber:innen selbst ausgeübt wird (dann läge nur ein einziger Betrieb vor), sondern dass Leitungsbefugnisse in einem gewissen Ausmaß delegiert werden. Damit ist die Frage der organisatorischen Abgrenzung eines Betriebes mit den Befugnissen von leitenden Angestellten eng verbunden. Diese sind es, die bei einem mehrere Betriebe umfassenden Unternehmen durch die ihnen eingeräumten Befugnisse dem Betrieb die Selbständigkeit vermitteln.*

2.3.2.
Umfang der Selbständigkeit

Fraglich könnte freilich noch sein, welche Befugnisse den leitenden Angestellten zukommen müssen, damit diese einem Betrieb Selbständigkeit vermitteln können. Die stRsp geht davon aus, dass die einheitliche Organisation vor allem in der produktionstechnischen Leitung hervortritt,* und 426 dass sie noch nicht entscheidend beeinträchtigt ist, wenn bestimmte administrative, kaufmännische oder wirtschaftliche Agenden getrennt in einer Zentrale für eine Reihe von Betriebsstätten gemeinsam geführt werden. Das betrifft vor allem Personalangelegenheiten, wie den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen, wobei aber gleichzeitig auch betont wird, dass eine diesbezügliche Entscheidungsfreiheit ein wichtiges Indiz für das Bestehen eines selbständigen Betriebes darstellt.*25) Nichtsdestotrotz reicht es nach stRsp aus, dass die Führungskräfte in der Arbeitsstätte bei Tagesfragen zur Erfüllung von deren technischen Zwecken Entscheidungsfreiheit besitzen (zB die Koordination der AN oder die Anordnung von Überstunden).*26)

In Deutschland wird hingegen darauf abgestellt, dass im Betrieb der wesentliche Kern der der betrieblichen Mitbestimmung unterliegenden AGBefugnisse auszuüben ist und daher Personalbefugnisse, wie die Beendigung von Arbeitsverhältnissen, betriebskonstitutiv sind.*27) Es verwundert daher nicht, wenn immer wieder versucht wird, diese Ansicht auf Österreich zu übertragen und so den Betrieb neu zu umgrenzen.*28) In seiner E zu den Flugsicherungsstellen aus 1996*29) hat der OGH dies freilich ausdrücklich abgelehnt und die Selbständigkeit den arbeitstechnischen Zweck betreffend als ausreichend angesehen. Zuletzt wurde von Wolf*30) im Zusammenhang mit Matrixorganisationen ein neuerlicher Versuch gestartet und damit argumentiert, dass sich die niederschwellige Sichtweise des OGH, die zu eher kleinen Betrieben führt, nur durch die mangelnden Kommunikationsmöglichkeiten über weitere Distanzen begründen lasse. Nur so sei in der Vergangenheit eine funktionierende Vertretung möglich gewesen, die aber zu Lasten der Nähe des BR zu den relevanten

Entscheidungsträger:innen gegangen sei. Nunmehr sei aber wegen der digitalen Kommunikationsmöglichkeiten eine betriebliche Interessenvertretung auch über eine größere räumliche Distanz möglich. Deshalb sei der Betrieb neu zu umgrenzen und die selbständige Ausübung der zentralen AG-Funktionen in diesem zu fordern.*31) Letztlich führt dies tendenziell zu größeren betriebsratsfähigen Einheiten und damit zu einer Verlagerung der Mitbestimmung auf eine höhere Organisationsebene. Das hat zur Konsequenz, dass die Mitbestimmung weniger niederschwellig als bisher und weiter weg von den einzelnen AN stattfindet. Auch wenn die Digitalisierung zweifelsohne eine Kommunikation über weitere Distanz ermöglicht, so beruht eine funktionierende Interessenvertretung aber weiterhin auf persönlichem Kontakt zwischen den Vertreter:innen und den Vertretenen und dem dadurch aufgebauten Vertrauen – und sichert so auch die effektive Kontrolle der Betriebsratstätigkeit durch deren unmittelbar sichtbare Wirksamkeit. Deshalb ist mE – neben den in der Rsp schon ausführlich behandelten Unterschieden der deutschen und österreichischen Rechtslage – dem bisherigen niederschwelligen Zugang insb auch wegen des teleologischen Arguments der effektiven Wirksamkeit der Betriebsverfassung der Vorzug zu geben. In stRsp wird nämlich betont, dass dem gesetzlichen Betriebsbegriff vor allem die Bedeutung zugrunde liege, organisatorische Einheiten zu schaffen, in deren Rahmen es der Betriebsvertretung möglich ist, eine wirksame Tätigkeit zu entfalten.*32)

Dazu tritt noch ein wichtiges logisches Argument: Diese auf die Personalbefugnisse fixierte Zugangsweise lässt sich nämlich nicht mit der eigentlich einhelligen Ansicht zur betriebsverfassungsrechtlichen Behandlung von überlassenen Arbeitskräften harmonisieren. Diese sind nach ständiger und insoweit auch unbestrittener Rsp nämlich zwei Betrieben zuzuordnen, wobei die Befugnisse der jeweiligen Betriebsräte zu teilen sind.*33) Es hängt dann von den konkreten Angelegenheiten ab, welcher BR zuständig ist.*34) Damit ist aber auch klar, dass im Beschäftiger:innenbetrieb nicht für alle Angelegenheiten, die mitbestimmungsrelevant sind, die dortigen Führungskräfte kompetent sein können. Das betrifft insb die Entscheidung über den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverträgen, die ja bei dem:der vertraglichen AG verbleibt, dh dem Überlasser:innenbetrieb. Damit sind aber beide Betriebsräte letztlich nicht für alle mitbestimmungsrelevanten Befugnisse entscheidungsbefugt. Daher kann es mE nicht auf diesen Umstand ankommen, sondern ist die Abgrenzung nach anderen Gesichtspunkten vorzunehmen.

3.
Die Zuordnung von disloziert Arbeitenden zu einem konkreten Betrieb
3.1.
Grundsätzliches

Gesetzlicher Ausgangspunkt für die Zuordnung von AN zu einem Betrieb ist § 36 Abs 1 ArbVG, wonach 427 diese „im Rahmen des Betriebes beschäftigt sein“ müssen. Es stellt sich folglich die Frage, ob eine solche Beschäftigung im Rahmen des Betriebes bei disloziert Arbeitenden, dh ständig von einer physischen Betriebsstätte getrennten AN, überhaupt der Fall sein kann. Wenn schon der Betriebsbegriff nicht auf eine physische Arbeitsstätte beschränkt ist, so muss dies auch für die Zuordnung der AN zu einem Betrieb gelten. Der OGH* weist in diesem Sinne darauf hin, dass es in vielen Betrieben Beschäftigte gäbe, die außerhalb des Betriebes tätig (zB die angestellten Reisenden) und die ständig räumlich von der Betriebsstätte getrennt seien. Die Forderung des § 36 Abs 1 ArbVG dürfe daher nicht lokal gedeutet werden.*36) Es ist nach dem OGH zu prüfen, ob die betreffenden disloziert Arbeitenden, wenn sie nicht am Betriebsort tätig seien, in einer so engen Beziehung zum Betrieb stehen, dass sie als dem Betrieb noch zugehörig betrachtet werden können und ob sie ungeachtet ihrer außerhalb der Betriebsstätte verrichteten Tätigkeit noch als Glied der betrieblichen Organisation gesehen werden können. Dabei sei zu beachten, dass unter Berücksichtigung der „nunmehr“, dh der damals 1995* zur Verfügung stehenden Kommunikationsmöglichkeiten eine organisatorische Eingliederung disloziert tätiger DN in viel weiterem Umfang möglich sei als in der Vergangenheit, als die Kontaktaufnahme auf größere Entfernungen wesentlich schwerer möglich war. In der Literatur wird zu Recht betont, dass dies heutzutage noch viel mehr gelte.*

Auch wenn diese Argumentation auf den ersten Blick besticht, so überzeugt sie nur bedingt, da sie offensichtlich davon ausgeht, dass es möglich ist, dass es einzelne disloziert tätige AN geben könne, die keinem Betrieb zugeordnet sind.

3.2.
Disloziert Arbeitende ohne Betrieb?

Das österreichische Konzept der betrieblichen Mitbestimmung setzt aber, wie insb Löschnigg überzeugend aus den organisationsrechtlichen Bestimmungen des ArbVG abgeleitet hat,* voraus, dass Arbeiten immer nur in einem betrieblichen Kontext möglich ist und dass sämtliche AN immer einem Betrieb zugeordnet werden müssen. Eine Beschäftigung außerhalb der Betriebszugehörigkeit kann dem ArbVG nicht unterstellt werden, da dieses eine betriebliche Mitbestimmung nach Möglichkeit stattfinden lassen möchte.* Liegt keine weitere organisatorische Untergliederungen iS einer ausreichenden Delegation von Leitungsbefugnissen vor, so besteht bei den jeweiligen AG zumindest ein Betrieb, dem alle AN zuzuordnen sind. Mit diesem Grundkonzept ist es nicht vereinbar, dass es disloziert Arbeitende ohne Betrieb gibt.

Freilich ist es denkbar, dass betriebliche Einheiten so wenige AN umfassen, dass für diese wegen des Schwellenwertes von fünf dauernd Beschäftigten in § 40 Abs 1 ArbVG keine Betriebsräte zu errichten sind. Führt dies nun dazu, dass in diesen keine Mitbestimmung stattfindet, selbst wenn insgesamt in einem derart gegliederten Unternehmen ausreichend AN beschäftigt werden? Tomandl* hat schon 1981 für solche „integrierten Kleinstbetriebe“ zu Recht vertreten, dass dieses Ergebnis nicht dem ArbVG zugesonnen werden kann und hier eine unbewusste Regelungslücke vorliegt. Die Gründe, die für eine Ausnahme von isolierten Kleinstbetrieben sprechen und die letztlich auf die geringe AN-Zahl abstellen (ausreichende Kontaktmöglichkeit zwischen Betriebsinhaber:in und Arbeitenden, unverhältnismäßige Belastung durch eine organisierte Belegschaftsorganisation, politischer Kompromiss), können den Entfall der betrieblichen Vertretung für integrierte Kleinstbetriebe nicht tragen. Er schlägt daher vor, den Kleinstbetrieb einem anderen Betrieb des Unternehmens zuzuschlagen.* Dem ist mit der logischen Erweiterung zu folgen, dass in dem Fall, dass ein Unternehmen nur aus Kleinstbetrieben besteht,* diese zu einem Betrieb zusammenzufassen sind, damit Vertretungsdefizite vermieden werden.

3.3.
Zuordnung disloziert tätiger Arbeitnehmer:innen zu einzelnen Betrieben

Besteht ein Unternehmen hingegen aus mehreren Betrieben, so kommt es bei der Zuordnung der disloziert Tätigen darauf an, in welchen von diesen sie organisatorisch integriert sind, dh wo für diese wesentliche AG-Befugnisse ausgeübt werden. Da, wie eingangs dargelegt, für den Betrieb vor allem die arbeitstechnischen Befugnisse von Bedeutung sind, kommt es wesentlich auf diese an, dh die Regelungen des täglichen Arbeitsablaufes. Bei disloziert Tätigen geht es dabei ua um die Planung der täglichen Arbeit, der diesbezüglichen Weisungserteilung und der Kontrolle, die Meldung von Krankenständen und von Urlaub.*

Es ist freilich denkbar, dass auch eine Mehrfachzuordnung erfolgt – einerseits, weil disloziert Arbeitende für mehrere Betriebe Leistungen erbringen und so quasi in jedem dieser Betriebe „teilzeitbeschäftigt“ sind. Das ArbVG anerkennt solche Konstellationen übrigens ausdrücklich im Zusammenhang mit der Kollektivvertragsanwendung in § 10 ArbVG, wo davon die Rede ist, dass AN „in zwei oder mehreren Betrieben eines Arbeitgebers“ beschäftigt werden. Anders als im Fall der Kollektivvertragsanwendung 428 besteht hier jedoch nicht eine Exklusivitätsregelung in dem Sinne, dass diese AN nur einem Betrieb zugeordnet sind, sondern es erfolgt – wie im Falle der Arbeitskräfteüberlassung – eine Mehrfachzuordnung. Dies erklärt sich damit, dass es bei der betrieblichen Mitbestimmung nicht in erster Linie um die Entgelt- und Arbeitsbedingungen geht, sondern um die Eingrenzung des Weisungsrechtes.* Und dies hat immer dort zu erfolgen, wo dieses auch tatsächlich ausgeübt wird.

Eine andere Form der Mehrfachzuordnung kann sich daraus ergeben, dass nicht alle AG-Funktionen in einem Betrieb ausgeübt werden, sondern in mehreren. Es erfolgt dann nicht ein wechselweiser Einsatz in mehreren Betrieben, sondern es werden unterschiedliche AG-Befugnisse durch Leitungsorgane von verschiedenen Betrieben parallel ausgeübt. Das ergibt sich schon daraus, dass der Betriebsbegriff, wie bereits dargelegt, nach arbeitsorganisatorischen Befugnissen abgegrenzt wird und es daher folglich zu einer Ausübung von Personalbefugnissen auf übergeordneter Ebene kommen kann. Andere Fälle sind die schon mehrfach angesprochene Arbeitskräfteüberlassung* und Matrixorganisationen, die in der Literatur schon behandelt wurden.* Eine Zuordnung zu mehreren Betrieben hat die Rsp und die einhellige Lehre in diesen Konstellationen bis dato nur bei der Arbeitskräfteüberlassung angenommen,* bei Matrixorganisationen wird eine solche zumindest in der Literatur vertreten.* Konsequent ist es freilich, diese Überlegungen auch in allen anderen Fällen zur Anwendung kommen zu lassen und von einer Zuordnung der AN zu mehreren Betrieben auszugehen – eine Mitwirkung sollte immer in den Betrieben stattfinden, in denen die jeweiligen AG-Befugnisse ausgeübt werden und in denen dem BR daher eine in diesen Angelegenheiten entscheidungsbefugte Person gegenübersteht. Um Vertretungsdefizite zu vermeiden, sollte diese Aufspaltung bei nicht unternehmensübergreifenden Strukturen freilich nur dort erfolgen, wo auch tatsächlich ein BR errichtet wurde. Das betrifft bspw die Konstellation, dass in einem Produktionsbetrieb ein BR besteht, nicht aber in einem Leitungsbetrieb – mangels Kollision hat hier die gesamte Vertretung durch den Produktionsbetrieb zu erfolgen. Dies entspricht dem vom OGH* zutreffend vertretenen Ansatz zur Kollektivvertragsanwendung, wo auf Grund des sozialen Schutzprinzips kollektivvertragsfreie Räume möglichst vermieden werden sollen. Dies lässt sich auch auf die betriebliche Mitbestimmung übertragen, wonach unter mehreren möglichen Lösungen der der Vorzug zu geben ist, die eine betriebliche Mitbestimmung ermöglicht.

4.
Internationale Dimension – Kollisionsrecht

Sind nun AN nicht in Österreich, sondern auch im Ausland tätig, so stellt sich zuletzt die Frage, ob und inwieweit überhaupt das österreichische Betriebsverfassungsrecht auf diese anwendbar ist. Bekanntlich ist der örtliche Anwendungsbereich des II. Teils des ArbVG grundsätzlich auf das österreichische Bundesgebiet beschränkt. Das ergibt sich aus dem auf die Betriebsverfassung Anwendung findenden Territorialitätsprinzip.* Nicht relevant ist hingegen das sich aus der Rom-I-VO ergebende Arbeitsvertragsstatut, da dieses wegen des Fehlens eines vertraglichen Schuldverhältnisses in Zivil- und Handelssachen (Art 1 Abs 1) nicht zur Anwendung kommt.*

Es kommt jedoch nach der Rsp und der wohl auch hL dann zu einer Ausstrahlung des österreichischen Betriebsverfassungsrechts, wenn AN im Ausland in einen inländischen Betrieb organisatorisch eingegliedert sind. Dass das möglich ist, hat der OGH schon 1998* bei im Ausland tätigen Verkaufsmitarbeiter:innen entschieden und den vielfach rezipierten Satz geprägt, dass von Bedeutung ist, „ob sie ungeachtet ihrer außerhalb der Betriebsstätte verrichteten Tätigkeit noch als Glied der betrieblichen Organisation gesehen werden können“. Dieser Zugang wurde 2009* im Zusammenhang der Anwendung eines Sozialplans auf einen zumeist im Ausland tätigen Programmmanager und dann zuletzt auch in einer aktuellen Entscheidung zu den Auslandsdienststellen der Österreichischen Gesellschaft für Entwicklungszusammenarbeit (Austrian Development Agency, ADA) aus 2023 bestätigt.* Zu behandeln waren hier immer Fälle, in denen klar der Schwerpunkt der betrieblichen Tätigkeit in Österreich lag, da wesentliche Elemente des Betriebes, wie insb die Leitungsstruktur und der Unternehmenssitz im Inland, zu verorten waren.*

Dies muss nicht immer so eindeutig sein – letztlich ist mE bei grenzüberschreitend agierenden organisatorischen Einheiten durch eine Gesamtschau der Betriebselemente zu bestimmen, ob diese im Inland oder im Ausland zu lokalisieren sind. Dabei sind insb der physische Arbeitsort der einzelnen AN, die Leitungsstruktur (Steuerungsfunktion), die 429 wesentlichen Betriebsmittel sowie die einstellende Niederlassung von Bedeutung. Diese Elemente können für unterschiedliche Betriebsarten unterschiedliches Gewicht haben, wie dies zutreffend im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang argumentiert wird.* So kommt es bei einem Produktionsbetrieb eher auf Betriebsmittel an, während bei einer Dienstleistung die Leitungsstruktur stärker in den Vordergrund tritt.

In der Literatur wurde in letzter Zeit die Geltung des Territorialitätsprinzips im Betriebsverfassungsrecht insb von Niksova* und Ludvik* angezweifelt, die beide umfassende Untersuchungen zu diesem Thema in ihren Dissertationen vorgenommen haben.* Es wird argumentiert, dass diesfalls das Gesetz zum Internationalen Privatrecht (IPRG) zur Anwendung komme, das gegenüber der Rom-I-VO einen weiteren Anwendungsbereich habe und alle „Sachverhalte mit Auslandsberührung in privatrechtlicher Hinsicht“ betreffe (§ 1 Abs 1). Bei der Betriebsverfassung handle es sich nach der von der hL vertretenen „Rechtsfolgentheorie“ um solche, da die Parteien ihre Ansprüche privatrechtlich durchsetzen können,* weshalb das IPRG und damit das dort in § 1 Abs 1 grundsätzlich normierte Prinzip der stärksten Beziehung anzuknüpfen ist. Während Ludvik zur Ermittlung der stärksten Beziehung auf den Staat abstellt, in dem die Mehrheit der betroffenen AN ihren gewöhnlichen Arbeitsort hat,* präferiert Niksova eine Anknüpfung an den Sitz der Organisationsverwaltung, wenn AN und Betriebsmittel über mehrere Staaten verteilt sind.* Dogmatisch erscheint dies überzeugend, im Ergebnis dürfte sich aber letztlich nicht viel ändern. Es geht nämlich auch bei der von der Rsp vorgenommenen Anwendung des Territorialitätsprinzips samt Ausstrahlung um die Frage, ob eine ausreichende Beziehung zu einem inländischen Betrieb vorliegt, die eine Anwendung des österreichischen Betriebsverfassungsrechts auf im Ausland tätige AN rechtfertigt.

5.
Ergebnis

Auch wenn disloziertes Arbeiten durch die Digitalisierung eine neue Dimension, nämlich das Arbeiten (auch) in einem Informationsraum, dazugewonnen hat, so zeigt sich, dass der auf organisatorische Einheiten abstellende Betriebsbegriff des ArbVG in der Lage ist, auf neue Formen der Arbeitsorganisation flexibel zu reagieren. Dabei sind folgende Eckpunkte wesentlich, die gerade bei disloziert tätigen AN von besonderer Bedeutung sind und die sich als Grundprinzipien der Betriebsverfassung des ArbVG ableiten lassen: (1.) Arbeit erfolgt immer in einem betrieblichen Zusammenhang. (2.) AN sind immer jedenfalls einem Betrieb zuzuordnen. (3.) Allenfalls erfolgt eine Mehrfachzuordnung. (4.) Ein Herausfallen aus der betrieblichen Mitbestimmung entspricht nicht dem Grundkonzept des ArbVG, das mitbestimmungsfreie Räume möglichst vermeiden möchte. 430