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Final Call für Lufthansa CityLine – Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter bei Überstundenzuschlägen

SASCHAOBRECHT (WIEN)
§ 4 Abs 1 und 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (Anhang der RL 97/81/EG)
EuGH 19.10.2023 C-660/20, Lufthansa City-Line, ECLI:EU: C:2023:789Deutsches BAG 11.11.2020 10 AZR 185/20 (A)
  1. Für die Beurteilung einer Ungleichbehandlung beim Entgelt zwischen Voll- und Teilzeitbeschäftigten ist ein schlichter Vergleich der Gesamtvergütungen („gleiches Entgelt bei gleicher Stundenanzahl“) nicht ausreichend. Es muss für jeden Entgeltbestandteil isoliert betrachtet werden, ob der pro-ratatemporis- Grundsatz eingehalten wird.

  2. Eine nationale Regelung, die für die Zahlung einer zusätzlichen Vergütung für Teilzeitbeschäftigte und für vergleichbare Vollzeitbeschäftigte die Überschreitung derselben Anzahl an Arbeitsstunden vorsieht, ist eine schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten iSd § 4 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit.

  3. Eine derartige Schlechterbehandlung kann nicht durch den allgemeinen Verweis auf den Ausgleich besonderer Arbeitsbelastung von Vollzeitbeschäftigten oder der Hintanhaltung übermäßiger Inanspruchnahme durch den AG gerechtfertigt werden. Die Rechtfertigung bedarf vielmehr konkreter, genau bezeichneter Umstände, wonach die unterschiedliche Behandlung auf Grundlage objektiver und transparenter Kriterien einem echten Bedarf entspricht und zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich ist.

[...]

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

14 Der Kl des Ausgangsverfahrens ist bei CLH seit dem Jahr 2001 als Flugzeugführer und Erster Offizier beschäftigt. Seit dem Jahr 2010 arbeitet er in Teilzeit mit einer Arbeitszeit von 90 % der Vollarbeitszeit eines Flugzeugführers. [...] Seine Grundvergütung einschließlich der Stellenzulagen ist um 10 % herabgesetzt, und er erhält 37 zusätzliche freie Tage im Jahr. An seinen Einsatztagen ist die Zahl seiner Flugdienststunden jedoch nicht reduziert.

15 Nach den anwendbaren Tarifverträgen ist die Flugdienstzeit Bestandteil der Arbeitszeit, die mit der Grundvergütung entlohnt wird. Ein AN erhält eine über diese Grundvergütung hinausgehende Mehrflugdienststundenvergütung (im Folgenden: Mehrvergütung), wenn er eine bestimmte Zahl Flugdienststunden im Monat geleistet und die Grenzen für die „Auslösung“ der Mehrvergütung überschritten hat. [...]

17 Die Tarifverträge sehen jedoch für Teilzeitbeschäftigte keine Herabsetzung dieser Auslösegrenzen entsprechend ihrem Teilzeitfaktor vor, so dass die Auslösegrenzen für vollzeitbeschäftigte und für teilzeitbeschäftigte Flugzeugführer gleich sind. [...]

19 Der Kl des Ausgangsverfahrens ist der Auffassung, er habe mit Überschreitung der Auslösegrenzen, wenn diese entsprechend seinem Teilzeitfaktor herabgesetzt seien, Anspruch auf die Mehrvergütung [...]. Er macht insoweit geltend, er werde schlechter behandelt als ein vollzeitbeschäftigter AN, der Pro-rata-temporis-Grundsatz werde nicht beachtet und für die unterschiedliche Behandlung bestehe kein sachlicher Grund. Außerdem hätten die Tarifvertragsparteien mit der Mehrvergütung nicht den Ausgleich einer besonderen Arbeitsbelastung, sondern lediglich den Schutz der Freizeit der AN bezweckt.

20 CLH vertritt die Auffassung, sie schulde die vom Kl des Ausgangsverfahrens geforderte Zahlung nicht, da es einen sachlichen Grund für die unterschiedliche Behandlung von Teilzeit- und von Vollzeitbeschäftigten gebe. Da die Mehrvergütung eine besondere Arbeitsbelastung ausgleichen solle, werde sie nur dann geschuldet, wenn die Auslösegrenzen überschritten seien. [...]

22 Das BAG hat Zweifel, ob die Weigerung, die Auslösegrenzen proportional zur Arbeitszeit des Kl des Ausgangsverfahrens herabzusetzen, mit den Bestimmungen der Rahmenvereinbarung vereinbar ist.

23 Es weist insoweit darauf hin, dass in der Rsp des Gerichtshofs grundsätzlich zwei verschiedene Ansätze unterschieden werden könnten. Einerseits habe der Gerichtshof in einem ersten Ansatz – im Urteil vom 15.12.1994, Helmig ua (C-399/92, C-409/92, C-425/92, C-34/93, C-50/93 und C-78/93, EU:C:1994:415, Rn 26 ff) – befunden, dass eine unterschiedliche Behandlung immer dann vorliege, wenn bei gleicher Zahl aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleisteter Stunden die Vollzeitbeschäftigten gezahlte Gesamtvergütung höher sei als die Teilzeitbeschäftigten gezahlte. [...]

24 Andererseits habe der Gerichtshof in einem zweiten Ansatz – im Urteil vom 27.5.2004, Elsner- Lakeberg (C-285/02, EU:C:2004:320) – als Methode für die Prüfung, ob der Grundsatz des gleichen Entgelts für männliche und für weibliche Beschäftigte gewahrt sei, verlangt, dass jeder Entgeltbestandteil einzeln am Maßstab dieses Grundsatzes geprüft und nicht nur eine Gesamtbewertung vorgenommen werde. Der Gerichtshof habe in jenem Urteil eine „Benachteiligung“ von Teilzeitbeschäftigten festgestellt, da für diese die Zahl zusätzlicher Stunden, ab der ein Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung entstanden sei, nicht proportional zu ihrer Arbeitszeit vermindert worden sei.

25 Werde dieser zweite Ansatz im Ausgangsverfahren gewählt, führe dies zur Feststellung einer unterschiedlichen Behandlung, die sich daraus ergebe, dass teilzeitbeschäftigte Flugzeugführer erst dann in den Genuss der Mehrvergütung kämen, wenn sie Flugdienststunden zwischen ihrer individuellen, entsprechend ihrem Teilzeitfaktor herabgesetzten Auslösegrenze der ersten Stufe und den festen Auslösegrenzen ohne erhöhte Vergütung geleistet hätten. 431

26 Ein Teilzeitbeschäftigter erhalte so die Mehrvergütung nicht mit der ersten Stunde, mit der die individuelle Auslösegrenze der ersten Stufe überschritten werde, sondern erst dann, wenn die für Vollzeitbeschäftigte geltende Schwelle überschritten werde. [...]

29 Unter diesen Umständen hat das BAG (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Behandelt eine nationale gesetzliche Vorschrift Teilzeitbeschäftigte schlechter gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten iS von Paragraf 4 Nr 1 der Rahmenvereinbarung, wenn sie es zulässt, eine zusätzliche Vergütung für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte einheitlich daran zu binden, dass dieselbe Zahl von Arbeitsstunden überschritten wird, und es damit erlaubt, auf die Gesamtvergütung, nicht auf den Entgeltbestandteil der zusätzlichen Vergütung abzustellen?

2. Sofern Frage 1 bejaht wird: Ist eine nationale gesetzliche Vorschrift, die es erlaubt, einen Anspruch auf eine zusätzliche Vergütung davon abhängig zu machen, dass für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte einheitlich dieselbe Zahl von Arbeitsstunden überschritten wird, mit Paragraf 4 Nr 1 und dem Pro-rata-temporis-Grundsatz in Paragraf 4 Nr 2 der Rahmenvereinbarung vereinbar, wenn mit der zusätzlichen Vergütung der Zweck verfolgt wird, eine besondere Arbeitsbelastung auszugleichen?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

[...]

47 Was schließlich die Frage betrifft, ob ein teilzeitbeschäftigter Flugzeugführer wie der Kl des Ausgangsverfahrens und vollzeitbeschäftigte Flugzeugführer unterschiedlich behandelt werden, ergibt sich aus der Prüfung der Vergütungsbestandteile der betreffenden AN, wie sie im Vorabentscheidungsersuchen beschrieben sind, dass ein teilzeitbeschäftigter Flugzeugführer die Mehrvergütung nicht mit der ersten Stunde erhält, mit der seine individuelle Auslösegrenze der ersten Stufe überschritten wird, sondern erst dann, wenn die für vollzeitbeschäftigte Flugzeugführer geltende Auslösegrenze der ersten Stufe überschritten wird. [...] Unter diesen Bedingungen erreichen teilzeitbeschäftigte Flugzeugführer die für den Anspruch auf die Mehrvergütung erforderlichen Auslösegrenzen entweder nicht oder nur mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit als vollzeitbeschäftigte Flugzeugführer.

48 Auch wenn sich nämlich die Vergütung pro Flugstunde für beide Flugzeugführerkategorien bis zu den Auslösegrenzen gleich darstellt, entsprechen diese identischen Auslösegrenzen bei teilzeitbeschäftigten Flugzeugführern gemessen an ihrer Gesamtarbeitszeit doch einem längeren Flugstundendienst als bei vollzeitbeschäftigten Flugzeugführern und belasten sie damit in höherem Maß als diese [...]. In einer solchen Situation kommt es für die teilzeitbeschäftigten Flugzeugführer mithin zu nachteiligen Auswirkungen auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung.

49 Da die Teilzeitbeschäftigten somit die Anspruchsvoraus setzungen für die Mehrvergütung weitaus seltener erfüllen, ist davon auszugehen, dass ein teilzeitbeschäftigter Flugzeugführer wie der Kl des Ausgangsverfahrens gegenüber vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Flugzeugführern eine unterschiedliche Behandlung erfährt, die nach Paragraf 4 Nr 1 der Rahmenvereinbarung verboten ist, es sei denn, sie ist durch einen „sachlichen Grund“ iS dieses Paragrafen gerechtfertigt.

50 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Paragraf 4 Nr 1 der Rahmenvereinbarung dahin auszulegen ist, dass eine nationale Regelung, die die Zahlung einer zusätzlichen Vergütung für Teilzeitbeschäftigte und für vergleichbare Vollzeitbeschäftigte einheitlich daran knüpft, dass dieselbe Zahl Arbeitsstunden bei einer bestimmten Tätigkeit wie dem Flugdienst eines Flugzeugführers überschritten wird, eine „schlechtere“ Behandlung der Teilzeitbeschäftigten iS dieser Vorschrift darstellt.

Zur zweiten Frage

[...]

52 Im Einklang mit dem Ziel, Ungleichbehandlungen von Teilzeit- und von Vollzeitbeschäftigten zu beseitigen, verbietet es Paragraf 4 Nr 1 der Rahmenvereinbarung, Teilzeitbeschäftigte in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten „schlechter“ zu behandeln, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt. [...]

57 Nach stRsp des Gerichtshofs ist der Begriff „sachliche Gründe“ iS von Paragraf 4 Nr 1 der Rahmenvereinbarung so zu verstehen, dass eine unterschiedliche Behandlung von Teilzeit- und von Vollzeitbeschäftigten nicht damit gerechtfertigt werden kann, dass sie in einer allgemeinen und abstrakten innerstaatlichen Norm wie einem Gesetz oder einem Tarifvertrag vorgesehen ist [...].

58 Vielmehr verlangt dieser Begriff, dass die festgestellte unterschiedliche Behandlung durch das Vorhandensein genau bezeichneter, konkreter Umstände gerechtfertigt ist, die die betreffende Beschäftigungsbedingung in ihrem speziellen Zusammenhang und auf der Grundlage objektiver und transparenter Kriterien kennzeichnen, um sichergehen zu können, dass die unterschiedliche Behandlung einem echten Bedarf entspricht und zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich ist. Solche Umstände können sich etwa aus der besonderen Art der Aufgaben, zu deren Erfüllung Teilzeitverträge geschlossen wurden, und ihren Wesensmerkmalen oder gegebenenfalls aus der Verfolgung eines legitimen sozialpolitischen Ziels durch einen Mitgliedstaat ergeben [...].

59 Im vorliegenden Fall geht aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte hervor, dass seitens CLH und der deutschen Regierung zur Rechtfertigung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden unterschiedlichen Behandlung das Ziel angeführt wird, eine besondere Arbeitsbelastung im Flugdienst mit Auswirkungen auf die Gesundheit der Flugzeugführer auszugleichen, sowie – in engem Zusammenhang damit – das weitere Ziel, die Fluggesellschaften 432 von einer übermäßigen Heranziehung der Flugzeugführer abzuhalten.

60 Erstens ist aber festzustellen, dass die Bestimmungen der anwendbaren Tarifverträge ausweislich der Ausführungen des vorlegenden Gerichts keinen sachlichen Grund nennen, der die im Ausgangsverfahren in Rede stehende unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnte, und dass es die Systematik dieser Tarifverträge ist, auf die sich die Auffassung des vorlegenden Gerichts gründet, dass das von den Tarifvertragsparteien verfolgte Ziel das von CLH und der deutschen Regierung angeführte Ziel sein könnte, was zu überprüfen Sache des vorlegenden Gerichts sein wird.

61 Zweitens haben diese Beteiligten zwar die Zwänge betont, die der Flugtätigkeit, die gleichwohl die Kerntätigkeit eines Flugzeugführers darstellt, innewohnten, doch haben sie in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass die in den anwendbaren Tarifverträgen vorgesehenen Auslösegrenzen für die Flugdienststunden weder auf objektiv ermittelten Werten oder wissenschaftlichen Erkenntnissen noch auf allgemeinen Erfahrungswerten, zB zu den Auswirkungen der monatlichen Flugstundenhäufung, beruhten. Es scheint daher keine objektiven und transparenten Kriterien zu geben, die es erlauben, sicherzugehen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende unterschiedliche Behandlung und die Anwendung einheitlicher Schwellenwerte für teilzeitbeschäftigte Flugzeugführer und für vergleichbare vollzeitbeschäftigte Flugzeugführer im Einklang mit der oben in Rn 58 angeführten Rsp etwa einem echten Bedarf entsprechen, was zu prüfen jedoch Sache des vorlegenden Gerichts sein wird.

62 Drittens muss nach dieser Rsp eine solche unterschiedliche Behandlung, abgesehen davon, dass sie einem echten Bedarf entsprechen muss, zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich sein. Außerdem muss dieses Ziel im Einklang mit den Anforderungen der Rsp in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden [...].

63 Hinsichtlich der Frage, ob die festgestellte unterschiedliche Behandlung iSd genannten Rsp zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich ist, bestehen aber, wie vom vorlegenden Gericht ausgeführt, Zweifel daran, ob die Festlegung einheitlicher Auslösegrenzen für Flugzeugführer, um in den Genuss der Mehrvergütung zu kommen, im Hinblick auf das Ziel, die Gesundheit der Flugzeugführer vor übermäßiger Arbeitsbelastung zu schützen, angemessen und kohärent ist. Die Festlegung einheitlicher Auslösegrenzen läuft nämlich darauf hinaus, dass die individuellen Auswirkungen, die sich aus der Arbeitsbelastung und den flugspezifischen Zwängen ergeben können, grundsätzlich außer Betracht bleiben. Sie läuft auch darauf hinaus, dass die eigentlichen Gründe für das Institut der Teilzeitarbeit keine Berücksichtigung finden, wie zB etwaige außerberufliche Belastungen des betreffenden Flugzeugführers.

64 Im Übrigen ist nicht ausgeschlossen, dass in diesem Zusammenhang ein System zum Arbeitsstundenausgleich, ein Ruhetagesystem oder gar die Festlegung eher wöchentlicher als monatlicher Grenzwerte für Flugdienststunden eine Maßnahme sein mag, die im Hinblick auf die Erreichung des genannten Ziels angemessener und kohärenter ist als die im Ausgangsverfahren in Rede stehende.

65 Außerdem stellt sich bei der Festlegung einheitlicher Auslösegrenzen für den Genuss der Mehrvergütung anstelle der Einführung individualisierter Auslösegrenzen nach Maßgabe des Arbeitsvertrags hinsichtlich der teilzeitbeschäftigten Flugzeugführer ein Kohärenzproblem im Hinblick auf das Ziel, dass die Fluggesellschaften davon abgehalten werden sollen, die Flugzeugführer zu übermäßiger Arbeit heranzuziehen. Die Fluggesellschaften tragen die Mehrvergütung nämlich nur jenseits der Auslösegrenze für die Arbeitszeit der vollzeitbeschäftigten Flugzeugführer. [...]

67 Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Paragraf 4 Nrn 1 und 2 der Rahmenvereinbarung dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Zahlung einer zusätzlichen Vergütung für Teilzeitbeschäftigte und für vergleichbare Vollzeitbeschäftigte einheitlich daran knüpft, dass dieselbe Zahl Arbeitsstunden bei einer bestimmten Tätigkeit wie dem Flugdienst eines Flugzeugführers überschritten wird, um eine besondere Arbeitsbelastung bei dieser Tätigkeit auszugleichen.

ANMERKUNG

Und wieder war es ein deutsches Gericht, das den EuGH mit dem Thema Überstundenzuschläge bei Teilzeitbeschäftigung befasste. Zum nunmehr bereits vierten Mal binnen 30 Jahren (siehe sogleich unter Pkt 1.). Und obwohl aktuell noch ein weiteres einschlägiges Vorabentscheidungsersuchen von einem anderen Senat des BAG anhängig ist (EuGH 16.11.2023, C-184/22, KfH), scheinen mehrere zentrale Fragen durch die Rs Lufthansa CityLine nun umfassend und richtungsweisend geklärt: Erstens gibt die E Aufschluss darüber, mit welcher Methodik nach Ansicht des EuGH die Prüfung von Schlechterbehandlungen von Teilzeitgegenüber Vollzeitbeschäftigten bei Zahlung von Zuschlägen für Mehrleistungen zu erfolgen hat; damit setzt der Gerichtshof auch seinem eigenen Schlingerkurs der Vergangenheit ein Ende. Warum dem EuGH und nicht der dazu bereits ergangenen Kritik im österreichischen Schrifttum zuzustimmen ist, wird eingangs dieser Besprechung erörtert.

Außerdem äußerte sich der Gerichtshof erstmals konkreter, inwiefern eine schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitbeschäftigten gerechtfertigt werden kann. Und diese Ausführungen bergen Sprengkraft; nicht nur für Deutschland. Die Auswirkungen auf Österreich bilden deshalb den Abschluss der Entscheidungsbesprechung.

1.
Die Methodik zur Feststellung einer Schlechterbehandlung

Der gegenständlichen E gingen eine Reihe von (nicht widerspruchsfreien) EuGH-Urteilen zur Frage der Methodik zur Feststellung einer schlech 433 teren Behandlungen von Teilzeitbeschäftigten hinsichtlich des Entgelts voran. Die Entwicklung wird in gebotener Kürze dargestellt, um den klarstellenden Charakter der Rs Lufthansa CityLine hervorzuheben.

1.1.
Vorangegangene EuGH-Judikatur

Den Anfang machten die sechs verbundenen Rs Helmig ua, in denen der EuGH das Vorliegen einer Schlechterbehandlung von Teilzeitbeschäftigten verneinte, da die betroffenen AN für die gleiche Anzahl an Arbeitsstunden dieselbe Gesamtvergütung erhielten; dass Teilzeitbeschäftigte erst Überstundenzuschläge ins Verdienen brachten, wenn sie dieselbe Arbeitszeitschwelle wie Vollzeitbeschäftigte überschritten, befand der EuGH (damals) als unproblematisch (EuGHC-399/92 ua, Helmig ua, ECLI:EU:C:1994:415 Rn 31).

In der Rs Elsner-Lakeberg hätte der EuGH die Judikatur aus der Rs Helmig ua einfach festigen können; er wählte jedoch eine andere Begründung, um die Ungleichbehandlung zu statuieren. Demnach muss jeder einzelne Entgeltbestandteil verglichen werden, und nicht nur ein Vergleich der Gesamtvergütung erfolgen. Die verfahrensgegenständliche Nichtvergütung der ersten drei Überstunden (gerechnet vom individuellen Arbeitszeitausmaß aus) sei für Teilzeitbeschäftigte in Anbetracht ihrer geringeren Normalarbeitszeit eine größere Belastung als für Vollzeitbeschäftigte; die Grenze von drei Stunden hätte an das geringere Stundenausmaß der teilzeitbeschäftigten Kl proportional angepasst werden müssen, um keine Schlechterbehandlung darzustellen (EuGHC-285/02, Elsner-Lakeberg, ECLI:EU:C:2004:320 Rn 17).

In der Rs Voß argumentierte er im Ergebnis allerdings wieder eine Schlechterbehandlung iSd Rs Helmig ua anhand der geringeren Gesamtvergütung und nicht anhand eines Vergleichs einzelner Entgeltbestandteile (EuGHC-300/06, Voß, ECLI:EU:C:2007:757 Rn 37; so auch Kocher, Überstundenzuschläge bei Teilzeitbeschäftigung: Endlich Klarheit, AuR 5/2024, 204 [205]).

1.2.
Rs Lufthansa CityLine

Diese Divergenzen in der Judikatur des EuGH führten zur unterschiedlichen Handhabe der nationalen Gerichte: Der OGH argumentierte mit Helmig und Voß für einen Gesamtvergleich und ließ Elsner-Lakeberg ganz außen vor (OGH 28.6.2012, 8 ObA 89/11p; dies zurecht in einer Anmerkung zur E kritisierend Wagner, Teilzeit: Zuschlagsfreiheit bei „Differenzstunden“ keine Diskriminierung, ZAS 2013, 185), beim BAG urteilten verschiedene Senate unterschiedlich (die unterschiedlichen Sichtweisen der Senate selbst im Vorabentscheidungsersuchen schildernd, BAG 11.11.2020, 10 AZR 185/20 (A) Rn 30-32).

Die Rs Lufthansa CityLine verschafft nun lang ersehnte Klarheit: In Festigung der Judikatur aus der Rs Elsner-Lakeberg (der EuGH erwähnte die anderen Entscheidungen gar nicht mehr) erblickt der EuGH eine Schlechterbehandlung von Teilzeitbeschäftigten, wenn für diese dieselben Auslöseschwellen für Zuschläge gelten wie für Vollzeitbeschäftigte (EuGH C-660/20, Lufthansa City- Line, ECLI:EU:C:2023:789 Rn 48). Ähnlich wie in Elsner-Lakeberg nimmt der EuGH einen separaten Vergleich des Entgelts für die Regelarbeitszeit sowie für die Mehrarbeit vor (EuGH Rs Lufthansa CityLine, Rn 47). Der Gerichtshof kommt zum Schluss, dass Teilzeitbeschäftigte in Relation zu ihrer Arbeitszeit weit mehr zusätzliche Stunden leisten müssen als Vollzeitbeschäftigte, die die Mehrvergütung bereits mit der ersten Stunde über ihrer vereinbarten Arbeitszeit erhalten; dies macht die Erlangung der Mehrvergütung weit seltener, stellt eine höhere Belastung für Teilzeitbeschäftigte und somit eine Diskriminierung dar (EuGH Rs Lufthansa CityLine, Rn 47-49; zustimmend Joussen, Die nächste Etappe zur Mehrarbeitsvergütung bei Teilzeitbeschäftigung, RdA 2024, 118 [120]; ebenso zustimmend Selzer, Grundsatz der Nichtdiskriminierung von Teilzeitbeschäftigten bei Überstundenzuschlägen, EuZA 2024, 216 [223]; die Judikaturlinie nunmehr als gefestigt betrachtend Stach, EuGH: Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter bei Mehrvergütung, NZA 2023, 1379 [1383]; so auch Kocher, AuR 5/2024, 204 [204]).

1.3.
Replik zur Kritik an der EuGH-Entscheidung im österreichischen Schrifttum

Die E wurde im österreichischen Schrifttum einigermaßen verhalten rezipiert: Bei dezidiert ablehnender (Wolf/Jöst, Teilzeit: Überstundenzuschläge für Mehrarbeit? ZAS 2024/1, 39) bis zur als für die österreichische Rechtslage auswirkungslos betrachtender Reaktion (Sacherer/Moritz, Die unterschiedliche Höhe von Mehrarbeits- und Überstundenzuschlag bleibt auch vor dem Hintergrund neuer Rechtsprechung des EuGH europarechtskonform, ASoK 2024, 139) blieb der EuGH nicht von Kritik verschont. Einzig Gruber-Risak weist zutreffend darauf hin, dass die E auch auf Österreich Auswirkungen haben könnte (Gruber-Risak, Bedeutung der EuGH Entscheidung C-660/20 für das österreichische Recht, AuR 5/2024, 207 [207 f]).

Die Kritik entfaltete sich anhand folgender Punkte:

(a) Zulagen vs Zuschläge: So wird im Schrifttum vertreten, dass die E gar nicht die Beurteilung von Mehrarbeits- oder Überstundenzuschlägen, sondern nur tätigkeitsbezogene Zulagen behandle (Sacherer/Moritz, ASoK 2024, 139). Dieser Ansicht muss entgegengehalten werden, dass dies schlicht nicht aus der E so hervorgeht. In der Tat moniert der EuGH – lediglich der Vorlagefrage des BAG folgend – die einheitliche Anknüpfung an dieselbe Zahl von „Arbeitsstunden bei einer bestimmten Tätigkeit“ (Sacherer/Moritz, ASoK 2024, 139 [145]). Doch aber nur, weil der dem Sachverhalt zugrundeliegende Tarifvertrag die Mehrflugdienststundenvergütungen für Flugdienststunden über einem gewissen Ausmaß zubilligt, nicht jedoch für mit anderen Tätigkeiten verbundenen Stunden (EuGH Rs Lufthansa CityLine, Rn 11 ff). Statt einer Aufspaltung zwischen der Beurteilung von Zulagen und Zuschlägen ist es vielmehr naheliegender, dass der 434 EuGH die Erlangung von Zuschlägen bzw Zulagen von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten gleichermaßen am pro-rata-temporis-Grundsatz misst (ganz idS kürzt der EuGH die Mehrflugdienststundenvergütung schlicht als „Mehrvergütung“ ab). Dies auch zutreffenderweise, da Teilzeitbeschäftigte gem § 4 Abs 1 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (Anhang der RL 97/81/EG) in ihren Beschäftigungsbedingungen grundsätzlich nicht schlechter behandelt werden dürfen; eine Unterscheidung zwischen Zulagen und Zuschlägen scheint noch zweifelhafter, wenn man bedenkt, dass der EuGH das Tatbestandsmerkmal der Beschäftigungsbedingungen weit auslegt und „sämtliche Entgelt- und sonstige Arbeitsbedingungen“ davon umfasst sieht (Kietaibl in Franzen/Gallner/Oetker [Hrsg], Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht5 [2024] RL 97/81/EG § 4 Grundsatz der Nichtdiskriminierung Rz 7 mwN).

(b) Keine Missachtung des Telos der Rahmenvereinbarung zur Teilzeitarbeit: In deutlicher Kritik an der E meinen Wolf/Jöst, dass der EuGH mit der E den Telos der Rahmenvereinbarung zur Teilzeitarbeit missachte. Neben der Beseitigung von Diskriminierungen von Teilzeitbeschäftigungen ist dies auch die Förderung der Teilzeit (§ 1 der Rahmenvereinbarung [RV] über Teilzeitarbeit). Durch die Herabsenkung der Auslöscheschwellen werde die Teilzeitbeschäftigung jedoch „teurer“ und nicht gefördert, sondern ein „betriebswirtschaftliche[r] Anreiz“ geliefert, davon Abstand zu nehmen (Wolf/Jöst, ZAS 2024/1, 39 [45]).

Dem muss entgegengehalten werden, dass allerdings nur die durch den EuGH vorgenommene Vergleichsmethodik für die Beseitigung von Diskriminierungen sorgt, was gleichzeitig eine Förderung der Teilzeitarbeit durch Verbesserung der Arbeitsbedingungen bewirkt (und sohin beide Zielsetzungen der RV Teilzeit erfüllt), weshalb sie auch aus teleologischen Gesichtspunkten vorzuziehen ist.

(c) Vermeintliche Besserstellung der Teilzeitbeschäftigten: Schließlich wird auch noch vertreten, dass aus einer in Relation zum Arbeitszeitausmaß vorgenommenen Herabsenkung der Zuschlags- Auslöseschwellen eine Besserstellung für Teilzeitbeschäftigte resultiere (Wolf/Jöst, ZAS 2024/1, 39 [45]; als fraglich bezeichnend Kietaibl in Franzen/Gallner/Oetker [Hrsg], Arbeitsrecht5 § 4 Rz 21). Tatsächlich liegt jedoch keine Besserstellung vor: Vergleicht man bspw eine Vollzeitbeschäftigte mit einer Teilzeitbeschäftigten (25-Stunden-Woche), so gehört die 26. Stunde für die Vollzeitbeschäftigte zur Normalarbeitszeit, für die Teilzeitbeschäftigte nicht. Aufgrund der vertraglichen Vereinbarung ergeben sich zwei völlig verschiedene Konstellationen, was sich bspw in Österreich auch zusätzlich dadurch zeigt, dass das Heranziehen zur Leistung für die 26. Stunde bei der Vollzeitbeschäftigten zur vereinbarten Arbeitsleistung gehört und bei einer Teilzeitbeschäftigten an die Erfüllung diverser Bedingungen gekoppelt ist (§ 19d Abs 3 AZG). Treffend bringt es Selzer mit einer Kontrollfrage auf den Punkt: Liegt tatsächlich eine Besserstellung von Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitbeschäftigten vor? Dazu kann zusätzlich noch eine dritte Person mit 30-Stunden-Woche verglichen werden. Für diese Teilzeitbeschäftigte ist die 26. Stunde nun genauso Normalarbeitszeit wie für die Vollzeitbeschäftigte; die Vergleichsmethodik führt daher nicht zu einer Besserstellung von Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitbeschäftigten. Sie trennt vielmehr Arbeitszeiten verschiedener Qualität voneinander, um einen seriösen Vergleich erst zu ermöglichen (Selzer, EuZA 2024, 216 [224]). Nur bei dieser Methodik ist schlussendlich gewährleistet, dass die Auswahl von AN für abzuleistende Mehrarbeiten sachlichen Kriterien folgt (Arbeitsanfall, individuelle Einsatzfähigkeit von AN, etc; vgl auch EuGH Rs Lufthansa CityLine, Rn 63), und sich nicht nach dem gezielten Einsatz von AN richtet, die aufgrund ihrer geringen Stundenanzahl bei einer Gesamtbetrachtung nie oder höchst selten den Schwellenwert für einen Überstundenzuschlag überschreiten (so auch Wietfeld, Die Ungleichbehandlung Teilzeitbeschäftigter bei der Vergütung, RdA 2021, 337 [343]).

2.
Die Rechtfertigung einer Schlechterbehandlung

Für den Fall, dass im Rahmen des Vergleichs eine Schlechterbehandlung von Teilzeitbeschäftigten festgestellt wird, hat die Prüfung jedoch keinesfalls hier zu enden. Der Diskriminierungsschutz ist nämlich nicht absolut und Schlechterbehandlungen können durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt werden.

2.1.
Die Verhältnismäßigkeitsprüfung

Dieser sachliche Grund muss einem echten Bedarf entsprechen und zur Zielerreichung geeignet und erforderlich sein. Der EuGH nimmt insofern zu Recht eine echte Verhältnismäßigkeitsprüfung vor (Kietaibl in Franzen/Gallner/Oetker [Hrsg], Arbeitsrecht5 § 4 Rz 5). Interessanterweise leitet der EuGH die Notwendigkeit einer solchen Prüfung in der Rs Lufthansa CityLine nicht aus dem geschlechtlichen Diskriminierungsverbot (Art 157 AEUV), sondern daraus ab, dass § 4 der RV Teilzeitarbeit „nur der spezifische Ausdruck des allgemeinen Gleichheitssatzes [ist], der zu den tragenden Grundsätzen des Unionsrechts gehört“ (EuGH Rs Lufthansa CityLine, Rn 37). Dies erfolgte mE jedoch nicht in Abgrenzung zu seiner bisherigen Rsp, die sich maßgeblich auf Art 157 AEUV stützte, sondern resultierte aus dem Umstand, dass dem Vorabentscheidungsersuchen keine Feststellungen zum Geschlechteranteil entnommen werden konnten (so auch Stach, NZA 2023, 1379 [1383]).

Aus den Ausführungen des EuGH kann vielmehr geschlossen werden, dass eine Schlechterbehandlung von Teilzeitbeschäftigten auch ohne Feststellungen zu den zumeist typisch anzutreffenden Geschlechterverhältnissen im Spannungsverhältnis zum unionsrechtlichen Primärrecht steht (wenn der EuGH den Gleichheitssatz als tragenden Grundsatz des Unionsrechts bezeichnet, referenziert er auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der zum Primärrecht gehört, vgl Öhlinger/Potacs, EU-Recht und staatliches Recht7 [2020] 6) und somit jedenfalls 435 eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen ist (im Ergebnis ebenso argumentierend, jedoch noch eine zu schließende Lücke in der Rsp des EuGH andeutend Kocher, AuR 5/2024, 204 [206]).

2.2.
Auf der Suche nach einem sachlichen Grund

Der EuGH wies zwar darauf hin, dass die konkrete Beurteilung des Sachverhalts dem BAG obliegt (Art 267 AEUV), allerdings hinderte dies den EuGH nicht daran, weitgehende Leitlinien für die nationalen Gerichte vorzugeben. So setzte er sich (insb aufgrund der zweiten Vorlagefrage) mit dem naheliegendsten Argument zur Rechtfertigung von einheitlichen Schwellen für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte beim Erhalt eines Überstundenzuschlags detailliert auseinander: dem Ausgleich einer besonderen Belastung mit Auswirkungen auf die Gesundheit der AN. Der Grundgedanke ist dabei schnell erörtert: Mit einem Überstundenzuschlag ab einer gewissen Anzahl von Stunden soll die besondere Belastung ausgeglichen werden, die erst aus einer besonders hohen Stundenanzahl resultiert.

Dies überzeugte den EuGH allerdings gleich aus mehreren Gründen nicht: Erstens wurde im verfahrensrelevanten Tarifvertrag kein ausdrücklicher sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung genannt. Ob der Belastungsausgleich tatsächlich tragender Gedanke hinter der Schlechterbehandlung Teilzeitbeschäftigter sei, müsste daher erst durch das BAG geprüft werden (EuGH Rs Lufthansa CityLine, Rn 60).

Zweitens wird der echte Bedarf an der Ungleichbehandlung vom Gerichtshof bezweifelt, da sie keinen objektiv ermittelten Werten, wissenschaftlichen Erkenntnissen oder allgemeinen Erfahrungswerten folgt (EuGH Rs Lufthansa CityLine, Rn 61).

Und drittens wird – selbst bei Vorliegen eines echten Bedarfs – vom EuGH deutlich verneint, dass die Rechtfertigung einer Diskriminierung über das Argument des Belastungsausgleichs erfolgen kann. Die Festlegung einheitlicher Schwellen für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte zur Erlangung eines Zuschlags berücksichtige nämlich ohne die meist einhergehenden außerberuflichen Belastungen nicht „die eigentlichen Gründe für das Institut der Teilzeitarbeit“ (EuGH Rs Lufthansa CityLine, Rn 63). AN würden durch die Festlegung einheitlicher Schwellen für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte insofern gerade nicht vor übermäßiger Inanspruchnahme geschützt.

Die Argumente des EuGH werden sogleich bei der Beurteilung der österreichischen Rechtslage noch genauer beleuchtet.

3.
Prüfung der österreichischen Rechtslage anhand der EuGH-Kriterie
3.1.
Eckpunkte der österreichischen Rechtslage

Wohl bekannt ist, dass das AZG eine allgemeine Auslösegrenze von acht Stunden pro Tag und 40 Stunden pro Woche für Überstunden vorsieht (§ 6 AZG). Überstunden werden mit einem Zuschlag von 50 % bedacht und die Auslösegrenzen gelten (wie in der Rs Lufthansa CityLine) gleichermaßen für Teilzeitbeschäftigte. Eben jene bekommen für Mehrleistungen über ihrer vertraglich vereinbarte Normalarbeitszeit bis zu den Auslöseschwellen für Überstundenzuschläge einen Mehrarbeitszuschlag in Höhe von 25 %.

3.2.
Vorliegen einer Schlechterbehandlung von Teilzeitbeschäftigten

Unter Hinweis auf die Rs Helmig und Voß hielt der OGH diese Regelungen für unionsrechtlich unproblematisch (OGH 28.6.2012, 8 ObA 89/11p); und wie bereits geschildert lieferte der EuGH dem OGH aufgrund seiner wankelnden Rsp auch durchaus Anknüpfungspunkte für diese Sichtweise. Mit der Rs Lufthansa CityLine ist nun allerdings eine deutliche Abkehr von der Vergleichsmethodik in den vom OGH herangezogenen Rs Helmig und Voß vollzogen. Es ist nunmehr jeder einzelne Entgeltbestandteil isoliert zu vergleichen, wobei das Entgelt für die Normalarbeitszeit von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten vor dem Hintergrund potentieller Schlechterbehandlungen keine Probleme erwarten lässt. Anders jedoch beim Überstundenzuschlag: Da Teilzeitbeschäftigte in Relation zu ihrer Arbeitszeit eine weit höhere Belastung für die Erreichung der Zuschlagsgrenze hinnehmen müssen, weit seltener in den Genuss von Überstundenzuschlägen gelangen und unterhalb der Grenze mit einem 25 % geringeren Zuschlag für Mehrarbeit bedacht werden, liegt zweifelsohne im Lichte der nun geklärten Judikaturlinie des EuGH eine Diskriminierung vor (EuGH Rs Lufthansa CityLine, Rn 47-49; dies übrigens für die nicht anteilsmäßige Verkürzung von Differenzstunden bei Teilzeitbeschäftigten [§ 19d Abs 3c AZG] bereits in der Vergangenheit vertretend Felten in Auer-Mayer/Felten/Pfeil [Hrsg], AZG4 [2019] Rz 40). So muss bspw eine Teilzeitbeschäftigte mit einer vertraglichen Normalarbeitszeit von 20 Stunden für die Überschreitung der wöchentlichen Auslöseschwelle für Überstunden weitere 21 Stunden arbeiten, während bei Vollzeitbeschäftigten schon bei nur einer weiteren Stunde ein Überstundenzuschlag gebührt.

3.3.
Rechtfertigung – Nennung eines sachlichen Grundes

Anders als in der Rs Lufthansa CityLine beruht die diskriminierende Regelung nicht auf einem Tarifvertrag, sondern folgt unmittelbar aus dem AZG. Das Gesetz selbst schweigt zwar zum sachlichen Grund für den geringeren Zuschlag für Teilzeitbeschäftigte; Anhaltspunkte bieten jedoch systematische Überlegungen und die Gesetzesmaterialien. So zeigte Gruber-Risak bereits 2009, dass der Überstundenzuschlag einerseits einen Belastungszuschlag für längere zeitliche Inanspruchnahme darstellt und andererseits Überstundenarbeit verteuern soll, um die Schaffung neuer436Arbeitsplätze anzuregen (der Teilzeitzuschlag stelle demgegenüber einen Flexibilitätszuschlag dar, vgl Risak, Aktuelle Rechtsprobleme des Mehrarbeitszuschlags, ZAS 2009/6, 309 [310 f]). Wolf/Jöst weisen auch auf die Gesetzesmaterialien zur AZG-Novelle hin, mit der die Zuschlagspflicht bereits ab der ersten Überstunde auf 50 % angehoben wurde (in der Stammfassung des AZG war für die ersten vier bzw fünf Stunden noch ein 25 %-Zuschlag vorgesehen, vgl § 10 AZG idF BGBl 1969/461; Vereinheitlichung durch AZG-Novelle BGBl 1971/238). In den ErläutRV zu dieser Novelle wird darauf hingewiesen, dass die Steuerfreiheit der (Anm: damals aller) Überstundenzuschläge einen Anreiz zur Ableistung von Überstundenarbeit darstellt (§ 3 Abs 1 Z 17 EStG 1967 idF BGBl 1970/325), der aus arbeitszeitmedizinischer Sicht eine Begrenzung notwendig macht; durch die Anhebung der Überstundenzuschläge soll eine Verteuerung bewirkt werden, die Überstundenarbeit nur mehr auf begründete Fälle reduzieren soll (ErläutRV 136 BlgNR 12. GP 2).

All diese Ziele müssen jedoch einem echten Bedarf entsprechen und die Schlechterbehandlung von Teilzeitbeschäftigten zur Erreichung des Ziels geeignet und erforderlich sein sowie das Ziel in systematischer und kohärenter Weise verfolgen; dies soll folgend in gebotener Kürze beleuchtet werden.

3.4.
Rechtfertigung – Belastungsausgleich und Hintanhaltung übermäßiger Inanspruchnahme als sachlicher Grund

Hinsichtlich des Belastungsausgleichs und der aus gesundheitlichen Gründen intendierten Hintanhaltung übermäßiger Inanspruchnahme gibt der EuGH in der Rs Lufthansa CityLine derart detaillierte Auslegungshinweise, dass dem BAG de facto die Würdigung des Sachverhalts vorweggenommen wurde (so auch Kocher, A first step to clarity: Review of ECJ judgment of 19 October 2023, C-660/20 [MK vs Lufthansa CityLine GmbH], ECLI:EU:C:2023:789, ELLJ 15/2/2024, 368 [373]). Die Auslegungshinweise sind allerdings nicht nur für das BAG, sondern auch für andere nationale Gerichte beachtlich und können somit zur weiteren Prüfung auch auf die österreichische Rechtslage übertragen werden.

(a) Mangelnder echter Bedarf: Dabei stößt sich der EuGH schon bereits – wie oben angedeutet – an der vorgelagerten Frage, ob für die Ungleichbehandlung zur Verfolgung der angeführten Zwecke ein echter Bedarf besteht. Er konkretisierte, dass sich ein solcher Bedarf aus „der besonderen Art der Aufgaben, zu deren Erfüllung Teilzeitverträge geschlossen wurden, und ihren Wesensmerkmalen oder gegebenenfalls aus der Verfolgung eines legitimen sozialpolitischen Ziels durch einen Mitgliedstaat ergeben“ (EuGH Rs Lufthansa City-Line, Rn 68) kann und monierte die fehlende empirische Grundlage für die Ungleichbehandlung im deutschen Tarifvertrag. Die Überstundenzuschlagsschwelle muss demgemäß auf objektiv ermittelten Werten, wissenschaftlichen Erkenntnissen oder allgemeinen Erfahrungswerten beruhen; ein Umstand, der bislang in Österreich noch nicht von Gerichten geprüft wurde (auch in Deutschland wird das Antreffen solcher Regelungen in der Praxis bezweifelt; vgl Stach, NZA 2023, 1379 [1384]).

Hinsichtlich des Belastungsausgleichs zweifelt der Gerichtshof, dass bei einem reinen Abstellen auf Arbeitszeitgrenzen, die „eigentlichen Gründe für das Institut der Teilzeitarbeit“ (EuGH Rs Lufthansa CityLine, Rn 63), nämlich die meist einhergehenden außerberuflichen Belastungen (Stichwort Vereinbarkeit von Familie und Beruf), ausreichend einbezogen werden.

Und in der Tat lassen sich diese Zweifel des EuGH in Österreich empirisch belegen: So stellte die Statistik Austria unlängst fest, dass Frauen unter 65 Jahren für unbezahlte Arbeit und Erwerbstätigkeit im Schnitt täglich 7 Stunden und 38 Minuten aufwenden (davon 3 Stunden und 19 Minuten für die Erwerbstätigkeit); Männer unter 65 Jahren kommen auf hingegen „nur“ durchschnittlich 7 Stunden und 25 Minuten (davon 4 Stunden und 56 Minuten für die Erwerbstätigkeit) und sind somit im Schnitt insgesamt weniger Arbeitsbelastungen als Frauen ausgesetzt (Statistik Austria, Frauen verbringen mehr Zeit mit Arbeit als Männer, statistik.at/fileadmin/announcement/2023/12/20231218ZVE20212022.pdfstatistik.at/fileadmin/announcement/2023/12/20231218ZVE20212022.pdf [zuletzt abgerufen am 22.5.24]). Zugleich lässt sich empirisch belegen, dass Teilzeitarbeit in Österreich weiblich ist, was sich nahtlos in das Bild einfügt: im Jahr 2022 lag die Teilzeitquote bei Frauen bei 50,7 % und bei Männern bei 12,6 %; daraus folgt, dass 78,1 % der Teilzeitbeschäftigten Frauen sind (Statistik Austria, Gender Statistik, statistik.at/fileadmin/pages/360/Infotext_Gender-Statistik_Erwerbstaetigkeit.pdfstatistik.at/fileadmin/pages/360/Infotext_Gender-Statistik_Erwerbstaetigkeit.pdf [zuletzt abgerufen am 22.5.24]).

Die Empirie zeigt daher ganz deutlich, dass das Argument des Überstundenzuschlags als Belastungsausgleich die faktische Belastung von AN gänzlich ausblendet. Es ist nämlich keineswegs davon auszugehen, dass die individuelle Belastung für bspw eine 20-Stunden-teilzeitbeschäftigte Alleinerzieherin mit umfassender, unbezahlter Care-Arbeit nicht genauso hoch ist wie für eine Vollzeitbeschäftigte ohne ausgeprägte außerberufliche Arbeiten (so auch Selzer, EuZA 2024, 216 [226]; Joussen, RdA 2024, 118 [122]; Kocher, AuR 5/2024, 204 [206]). Nun könnte argumentiert werden, dass dies nicht das Arbeitsverhältnis betrifft und der EuGH somit auf Umstände Bezug nimmt, die er beim Vergleich der „Beschäftigungsbedingungen“ (vgl § 4 RV Teilzeit) nicht zu werten hat. Das Argument greift jedoch zu kurz: Wenn es bei der gesetzlichen Regelung des Überstundenzuschlags tatsächlich darum gehen soll, AN aus gesundheitlichen Gründen vor übermäßiger Belastung zu schützen, so müssen individuelle Belastungen und der entsprechende Schutz von Ruhezeiten (abseits betrieblicher Arbeitsbelastungen) entsprechend bei der angestrebten Rechtfertigung einer Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter berücksichtigt werden (so auch Kocher, ELLJ 15/2/2024, 368 [375]). Dass die erste Stunde für einen männlichen Vollzeitbeschäftigten über seiner Normalarbeitszeit dem Ausgleich seiner besonderen Belastungen dient, die weibliche Teilzeitbeschäftigte jedoch weit mehr 437 zusätzliche Stunden leisten muss, um denselben Zuschlag zu erhalten, kann daher gerade nicht mit der besonderen Belastung argumentiert werden, der Vollzeitbeschäftigte ausgesetzt werden. Denn wie gezeigt, sind Teilzeitbeschäftigte (die in Österreich weit überwiegend Frauen sind) im Schnitt mehr Arbeitsbelastungen als vollzeitbeschäftigte Männer ausgesetzt.

(b) Kohärenzproblem – widersprüchliche Gesetzgebung: Doch selbst wenn man – entgegen der vom EuGH geforderten Empirie – einen echten Bedarf an der Ungleichbehandlung annimmt, stellen sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch noch weitere Kohärenzprobleme: So muss in Abrede gestellt werden, dass Überstundenzuschläge in Österreich tatsächlich dazu dienen sollen, AG von übermäßiger Inanspruchnahme ihrer AN abzuhalten. Die Zuschläge regen geradezu an, dass AN mehr arbeiten wollen; der Gesetzgeber verstärkt diesen Umstand durch die steuerrechtliche Privilegierung zusätzlich (Steuerfreiheit für die ersten 18 Überstundenzuschläge im Ausmaß von höchstens 50 % des Grundentgelts bis höchstens € 200,–; § 68 Abs 2 iVm § 124b Z 440 lit b EstG). Das verfolgte Ziel wird in Österreich daher mit den gesetzlichen Regelungen in keiner Weise kohärent verfolgt, sondern leidet an einem widersprüchlichen Zugang bei Verfolgung des Ziels der Hintanhaltung übermäßiger Beanspruchung von AN.

(c) Kohärenzproblem – beschränkte Hintanhaltung übermäßiger Inanspruchnahme Teilzeitbeschäftigter:,x Ein weiteres Kohärenzproblem muss darin erblickt werden, dass einheitliche Auslöseschwellen AG nur bei Vollzeitbeschäftigten davon abhalten werden, sie übermäßig zu beanspruchen. Gegen eine übermäßige Heranziehung Teilzeitbeschäftigter innerhalb der Grenzen der täglichen und wöchentlichen Normalarbeitszeit Vollzeitbeschäftigter vermag dieser Zugang allerdings keine Wirkung zu entfalten (EuGH Rs Lufthansa CityLine, Rn 65; zustimmend auch Selzer, EuZA 2024, 216 [225]). Anders wäre dies bei individuellen Auslöseschwellen, die auf das Überschreiten der vertraglichen Normalarbeitszeit abstellen; ein derartiger Gleichklang könnte in Österreich durch eine Anpassung der Regelungen des Mehrarbeitszuschlags an die des Überstundenzuschlags erzielt werden).

(d) Mangelnde Erforderlichkeit der Schlechterbehandlung Teilzeitbeschäftigter zum Ausgleich besonderer Belastungen Vollzeitbeschäftigter: Zusätzlich muss auch die Frage aufgeworfen werden, ob zur Erreichung dieses Ziels eine Ungleichbehandlung überhaupt erforderlich ist. Das Gegenteil scheint nämlich indiziert: In Anbetracht der durchschnittlich größeren außerberuflichen Belastungen von Teilzeitbeschäftigten scheint vielmehr die Gleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten bei der Vergütung von Mehrleistungen erforderlich, um auch den Gesundheitsschutz von Teilzeitbeschäftigten angemessen zu berücksichtigen.

(e) Belastungsausgleich im grundsätzlichen Widerspruch zur RV Teilzeit: Als zusätzliches Argument muss mE auch ganz grundsätzlich hinterfragt werden, ob ein Belastungsausgleich nicht schon von vornherein dem Zweck der RV Teilzeit zuwiderläuft. So liegt es im Wesen der Vollzeitbeschäftigung, dass damit eine höhere Stundenanzahl an Erwerbsarbeit verbunden ist als bei der Teilzeit. Wenn nun eine höhere Vergütung damit begründet werden soll, dass sie die größere Stundenanzahl an Erwerbsarbeit und damit einhergehende Belastung honoriert, dann stützt sich die Ungleichbehandlung lediglich auf den Umstand der Vollzeitbeschäftigung an sich. Ein solch pauschaler „Vollzeit-Bonus“ läuft aber der Intention des Diskriminierungsverbots zuwider, weshalb der Belastungsausgleich als „sachlicher Grund“ zur Rechtfertigung einer Diskriminierung mE grundsätzlich fraglich erscheint.

(f) Angemessenere Mittel zum Gesundheitsschutz von AN: Schlussendlich soll noch darauf eingegangen werden, dass ein Belastungsausgleich über Zuschläge mE bereits kaum geeignet ist, systematisch und kohärent die Gesundheit von AN zu schützen. Dieser Umstand ergibt sich vor allem daraus, dass zusätzliche Arbeitsleistungen und darauf fußende Gesundheitsschädigungen auch durch die Gewährung von Zuschlägen nicht rückwirkend ungeschehen gemacht werden können (so auch Joussen, RdA 2024, 118 [122]). Selbst wenn die Geeignetheit anerkannt wird, so muss jedenfalls die Angemessenheit bestritten werden; dies dürfte auch der EuGH so sehen, schlägt er doch zur Hintanhaltung übermäßiger Inanspruchnahme von AN statt einem Belastungsausgleich angemessenere Mittel vor wie ein „System zum Arbeitsstundenausgleich, ein Ruhetagesystem oder gar die Festlegung eher wöchentlicher als monatlicher Grenzwerte für Flugdienststunden“ (EuGH Rs Lufthansa CityLine, Rn 64). Sacherer/Moritz weisen basierend auf dieser Ausführung darauf hin, dass die österreichische Rechtslage ua auch aufgrund der täglichen und wöchentlichen Auslösegrenzen von Überstundenzuschlägen im Lichte der gegenständlichen EuGH-E unproblematisch ist (Sacherer/Moritz, ASoK 2024, 139 [146])

Insgesamt ist dieser letzte Aspekt auch der einzige, bei dem sich der EuGH selbst Kritik hinsichtlich der Kohärenz seiner Auslegungshinweise gefallen lassen wird müssen und man sich nicht des Eindrucks erwehren kann, dass der Gerichtshof sich eine Hintertür offen lassen wollte. Die verhaltene Formulierung deutet allerdings darauf hin, dass er auch selbst nicht ganz überzeugt ist, ob diese Mittel tatsächlich eine Diskriminierung sachlich rechtfertigen können („Im Übrigen ist nicht ausgeschlossen“, dass einzelne der vorgeschlagenen Mittel angemessenere und kohärentere „Maßnahme[n] sein [mögen]“; EuGH Rs Lufthansa CityLine, Rn 64). Diese Zurückhaltung ist auch nur nachvollziehbar, da mE auch kürzere Betrachtungszeiträume nicht die „eigentlichen Gründe für das Institut der Teilzeitarbeit (...) wie zB etwaige außerberufliche Belastungen“ (EuGH Rs Lufthansa CityLine, Rn 63) beachten und im Wesentlichen dieselben, oben geschilderten Kohärenzprobleme mit sich bringen. Auch scheint bei kürzeren Betrachtungszeiträumen weiterhin die Frage nach dem konkret verfolgten Ziel fraglich, da ein Belas 438 tungsausgleich recht kategorisch und zutreffend als Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung vom EuGH im Rahmen der Antwort auf die zweite Vorlagefrage ausgeschlossen wurde.

Es verbleibt aufgrund dieser Formulierung des EuGH allerdings eine Unklarheit, mit der der Gerichtshof wohl in weiteren Vorabentscheidungsersuchen konfrontiert werden wird.

3.5.
Rechtfertigung – Schaffung neuer Arbeitsplätze

Zur Rechtfertigung der Diskriminierung, dass durch einheitliche Auslöseschwellen für Überstundenzuschläge bei Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten, ist in gebotener Kürze das offensichtliche Kohärenzproblem herauszustreichen. Sollte nämlich tatsächlich dieses Ziel verfolgt werden, müssten die Zuschläge für Teilzeitbeschäftigte bei Überschreiten ihres vertraglichen Arbeitszeitausmaßes dieselbe Höhe wie Überstundenzuschläge von Vollzeitbeschäftigten haben. Denn auch anstelle von Mehrarbeit von Teilzeitbeschäftigten könnten stattdessen neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Intention zur Schaffung neuer Arbeitsplätze ist daher auch nicht geeignet, einheitliche Auslöseschwellen für (höhere) Überstundenzuschläge anstatt individueller Auslöseschwellen für gleich hohe Zuschläge sachlich zu rechtfertigen.

3.6.
Zur Vorlagepflicht des OGH

Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle noch darauf hingewiesen, dass der OGH mE nicht umhin kommen wird potentielle neue Klagen in Österreich aufgrund der EuGH-Rsp den Richter:innen in Luxemburg vorzulegen. Folgend der Rs CILFIT (EuGHC-283/81, ECLI:EU:C:1982:335) besteht die Vorlagepflicht für ein letztinstanzliches Gericht, wenn Unklarheiten bei der Auslegung von Unionsrecht bestehen, keine acte éclairé- oder acte clair-Situation vorliegt und die Auslegung entscheidungserheblich ist (EuGH Rs CILFIT, Rn 13 ff). Ob in Österreich für Teilzeitbeschäftigte bei Überschreiten des individuellen Arbeitszeitausmaßes ein Überstundenzuschlag iHv 50 % gebührt, hängt maßgeblich mit der Auslegung von unionsrechtlichem Primärrecht (unionsrechtlicher Gleichheitsgrundsatz bzw Art 157 AEUV; Calliess/Ruffert, EUV/AEUV6 [2022] AEUV Art 267 Rn 9) und Sekundärrecht (§ 4 RV Teilzeitarbeit) zusammen. Obwohl der EuGH mE nunmehr völlig eindeutig auf die gebotene Vergleichsmethodik für die Beurteilung einer Schlechterstellung von Teilzeitbeschäftigten hingewiesen hat und eine Diskriminierung nicht von der Hand zu weisen ist, hatte er noch nicht zu beurteilen, ob die in Österreich geltenden täglichen und wöchentlichen Auslösegrenzen für Überstundenzuschläge den Anforderungen eines sachlichen Grundes zur Rechtfertigung einer Diskriminierung gerecht werden (kein acte éclairé). Die notwendige Unklarheit über die Auslegung hat der Gerichtshof in der Rs Lufthansa CityLine (Rn 64) selbst verursacht (kein acte clair). Außerdem ist die Auslegung auch entscheidungserheblich: Da es sich um eine potentielle Verletzung von Primärrecht handelt, hat entgegenstehendes innerstaatliches Recht unangewendet zu bleiben, was zu einer Erhöhung des Zuschlags von Teilzeitbeschäftigten von 25 % auf 50 % bei Überschreiten ihres vertraglich geschuldeten Arbeitszeitausmaßes führen würde (zur „Belohnung des Klägers“ bei erfolgreichem Aufzeigen einer Gleichheitswidrigkeit vor dem EuGH bspw auch Pöschl, Was kommt nach der Gleichheitswidrigkeit? JRP 2012/4, 362 [367]).

4.
Fazit

Die Rs Lufthansa CityLine gleicht einem Paukenschlag: Der EuGH sorgt endlich für Klarheit bei der Vergleichsmethodik beim Entgelt von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten. Für seine früher vertretene, sehr formalistische Betrachtungsweise, wonach keine Diskriminierung vorliege, solange nur bei gleicher Anzahl von Stunden das gleiche Entgelt vergütet wird, bleibt nunmehr kein Platz. Dem ist auch zuzustimmen, da bei einem solchen Vergleich qualitativ unterschiedliche Arbeitszeiten gegenübergestellt und Diskriminierungen verdeckt werden. Sofern Teilzeitbeschäftigte daher nicht in den Genuss von Zuschlägen unter Beachtung des pro-rata-temporis-Grundsatzes kommen, liegt eine Diskriminierung vor. Das wirft auch in Österreich Fragen auf, da Teilzeitbeschäftigte bei Überschreiten ihres individuellen Arbeitszeitausmaßes – im Gegensatz zu Vollzeitbeschäftigten – keine Überstundenzuschläge erhalten, sondern erst, wenn sie die Schwellen der Vollzeitbeschäftigten überschreiten. Das ist eine entscheidende Parallele zur Rs Lufthansa Cityline und lässt die österreichische Rechtslage daher im Lichte der EuGH-Rsp für Teilzeitbeschäftigte bei der Erlangung des Überstundenzuschlags als diskriminierend erscheinen. Da es sich bei der Frage der potentiellen Rechtfertigung durch die in Österreich geltenden täglichen und wöchentlichen Auslöseschwellen für Überstundenzuschläge mE weder um einen acte claire oder acte éclairé handelt und eine entscheidungserhebliche Auslegungsfrage von Unionsrecht vorliegt, können österreichische Gerichte den EuGH um Vorabentscheidung ersuchen; für den OGH ist dies in so einem Fall verpflichtend (Art 267 AEUV; Calliess/Ruffert, EUV/AEUV6 AEUV Art 267 Rn 7). 439