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§ 1159 ABGB 40 verfassungskonform

KONRAD GRILLBERGER (SALZBURG)
  1. Der Gesetzgeber hat mit der Bestimmung in § 1159 Abs 2 Satz 3 und Abs 4 Satz 3 ABGB in einer dem Bestimmtheitsgebot entsprechenden Weise festgelegt, unter welchen Voraussetzungen Kollektivvertragsparteien abweichende Kündigungsregelungen festlegen dürfen.

  2. Die gesetzliche Zielsetzung im kollektiven Arbeitsrecht, einheitliche Mindestbedingungen für alle Betriebe innerhalb einer Branche zu erreichen, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Daher sind auch die damit regelmäßig verbundenen unterschiedlichen Betroffenheiten für die Betriebe dieser Branchen gleichheitsrechtlich nicht zu beanstanden.

[...]

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem beim VfGH zur Zahl G 29/2024 protokollierten Antrag des OGH liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1. Der Kl war bei der Bekl seit dem 20.5.2021 bis zum 21.10.2021 als Kellner beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis gelangte der KollV für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe zur Anwendung.

1.2. Der Kl stützte den im gerichtlichen Anlassverfahren ua zu behandelnden Anspruch auf Kündigungsentschädigung für einen näher bezeichneten Zeitraum auf § 1159 Abs 2 Satz 1 und Satz 2 ABGB idF BGBI I 153/2017. Der Bekl habe das Arbeitsverhältnis am 5.10.2021 zum 21.10.2021 durch AG-Kündigung beendet. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei fristwidrig erfolgt. Die Bekl betreibe keinen „Saisonbetrieb“, weshalb die gesetzliche Kündigungsfrist des § 1159 Abs 2 Satz 1 und Satz 2 ABGB zur Anwendung gelange.

Nach Auffassung der Bekl war Pkt 21 lit a des KollV für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe anwendbar. Die Bekl berief sich damit auf die Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung des § 1159 Abs 2 Satz 3 ABGB idF BGBI I 153/2017.

[...]

Der OGH legt die Bedenken, die ihn zur Antragstellung in dem beim VfGH zur Zahl G 29/2024 protokollierten Verfahren bestimmt haben, wie folgt dar:

1. Legalitätsprinzip:

[...]

1.6. Der OGH geht vor dem Hintergrund des nunmehrigen Verfahrens aus folgenden Gründen von einem Verstoß der angefochtenen Norm(en) gegen das Rechtsstaatsprinzip aus:

1.6.1. Der Gesetzgeber normiert in § 1159 Abs 2 Satz 1 und 2 ABGB Fristen und Termine für die AG-Kündigung. Die sich daraus für den DN ergebenden Rechte dürfen nicht – weder durch Dienstvertrag oder durch KollV – aufgehoben oder beschränkt werden (§ 1164 Abs 1 ABGB). In § 1159 Abs 4 Satz 1 ABGB sind Fristen und Termine für die AN-Kündigung vorgesehen. Grundsätzlich sind (jeweils) nur für den AN günstigere Vereinbarungen zulässig (§ 1159 Abs 2 Satz 1, Abs 3 und Abs 4 Satz 2 ABGB).

1.6.2. Mit den (Ausnahme-)Bestimmungen des § 1159 Abs 2 Satz 3 und Abs 4 Satz 3 ABGB ermächtigt der Gesetzgeber die Kollektivvertragsparteien, für bestimmte Branchen abweichende Regelungen zu treffen. Die gesetzliche Ermächtigung reicht aber nur soweit, als es um Branchen geht, in denen Saisonbetriebe iSd § 53 Abs 6 ArbVG überwiegen. Allen anderen Branchen, in denen Saisonbetriebe nicht überwiegen, wurde mit der Neuregelung die Grundlage zur kollektivvertraglichen Regelungsbefugnis abweichend vom gesetzlichen Regelungsmodell entzogen.

1.6.3. Die Voraussetzungen, unter denen die Übertragung der Regelungsbefugnis des § 1159 Abs 2 Satz 3 und Abs 4 Satz 3 ABGB wirksam wird, sind von der Auslegung unbestimmter Begriffe abhängig (‚Überwiegen von Saisonbetrieben‘). Selbst bei Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Auslegungsmöglichkeiten und Heranziehung aller Interpretationsmethoden kann aber der Anordnungsgehalt der Regelung nicht beurteilt werden, weil es sich bei diesem Umstand um eine tatbestandliche Voraussetzung für die Regelungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien handelt. Auch dass § 1159 Abs 2 Satz 3 ABGB für ‚Saisonbetriebe‘ auf die Legaldefinition des § 53 ArbVG verweist, schafft keine Klarheit, weil die dort verwendeten Begriffe in gleicher Weise an weitere (unbestimmte) tatbestandliche Voraussetzungen anknüpfen (‚Als Saisonbetriebe gelten Betriebe, die ihrer Art nach nur zu bestimmten Jahreszeiten arbeiten oder die regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres erheblich verstärkt arbeiten‘, Hervorhebungen durch den Senat). Zum Nachweis der Geltung der kollektivvertraglichen Abweichung vom gesetzlichen Regelungsmodell bedarf es somit vorerst der Erhebung und Auswertung des entsprechenden Datenmaterials. Dabei wird eine lediglich punktuelle Betrachtungsweise (etwa bezogen auf den Zeitpunkt des Abschlusses des KollV) nicht genügen, weil das ‚Überwiegen von Saisonbetrieben‘ eine gewisse längere zeitliche Dimension erfordert. Diese Voraussetzungen können sich zudem jederzeit – und für die Rechtsunterworfenen in nicht vorhersehbarer Weise – ändern, wie etwa durch die Schließung oder Neueröffnung von ‚Saisonbetrieben‘ einer ‚Branche‘. Hängt aber die Übertragung der Regelungsbefugnis an die Kollektivvertragsparteien vom Vorliegen bestimmter Sachverhaltselemente ab, deren Vorliegen sich ständig ändern kann und deren Voraussetzungen – wie sich aus den Ergebnissen der Verfahren 9 ObA 116/21fund 9 ObA 137/21v ergibt – auch anhand des von den zuständigen Fachverbänden vorgelegten umfangreichen Datenmaterials nicht erweislich waren, so wird den Parteien des Arbeitsvertrags die Möglichkeit genommen, die Rechtmäßigkeit des Ausspruchs einer AG-Kündigung (im Anwendungsbereich des 440 § 1159 Abs 4 ABGB: einer AN-Kündigung) in Bezug auf die einzuhaltende Kündigungsfrist und den Kündigungstermin zu überprüfen und ausgehend davon allfällige Ansprüche gerichtlich durchzusetzen.

1.6.4. Aus diesen Gründen bleibt in – nach Ansicht des OGH – verfassungswidriger Weise für die Parteien des Arbeitsvertrags im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsvertrags zweifelhaft, ob für die Auflösung eines Arbeitsvertrags die gesetzlichen Regelungen oder jene eines KollV heranzuziehen sind. Die Folge der fehlenden Determiniertheit der angefochtenen Bestimmungen ist, dass allfällige im Zusammenhang mit der Beendigung eines Arbeitsvertrags entstehende gesetzliche Ansprüche (wie etwa jener auf Kündigungsentschädigung) im Widerspruch zu dem sich aus Art 18 B-VG ergebenden Rechtsstaatsgebot als nicht durchsetzbar anzusehen sind.

2. Gleichheitsgrundsatz:

2.1. Der in Art 2 StGG und Art 7 Abs 1 B-VG verankerte Gleichheitsgrundsatz verpflichtet den Gesetzgeber, an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen, aber andererseits bei entsprechenden Unterschieden im Tatsächlichen auch unterschiedliche Regelungen vorzusehen (RS0053509; zur verfassungsrechtlichen Judikatur etwa Muzak, B-VG6 [Stand 1.10.2020, rdb.at] Art 2 StGG Rz 21 ff). Der dem Gesetzgeber grundsätzlich zustehende Gestaltungsspielraum wird durch das Gleichheitsgebot nur insofern beschränkt, als es ihm verwehrt ist, Regelungen zu treffen, für die eine sachliche Rechtfertigung nicht besteht (vgl RS0053889 [T15]).

2.2. Mit dem Wortlaut der angefochtenen Bestimmung(en) ist darauf abzustellen, dass die gesetzliche Regelungsermächtigung nur gilt, wenn in der Branche ‚Saisonbetriebe‘ überwiegen, in diesem Fall also auch jene Betriebe der Branche von der Regelungsbefugnis der Kollektivvertragspartner umfasst sind, die keine Saisonbetriebe sind. Können aber Betriebe die Ausnahmeregelung für sich in Anspruch nehmen, bei denen das Belastungsargument mangels Saisonabhängigkeit gar nicht greift, so ist für diese generalisierende Betrachtung keine sachliche Rechtfertigung zu erkennen. Einerseits fehlt es Betrieben, die keine ‚Saisonbetriebe‘ sind, an jener ‚typischen‘ saisonal unterschiedlichen Auslastung, die eine raschere Auflösung von Arbeitsverhältnissen als im Interesse beider Arbeitsvertragsparteien gelegen erscheinen lassen. Andererseits ist nicht zu erkennen, aus welchen Gründen Betriebe, die keine ‚Saisonbetriebe‘ sind, nur deshalb, weil sie einer ‚Branche‘ angehören, in der ‚Saisonbetriebe iSd § 53 Abs 6 ArbVG‘ ‚überwiegen‘, einem anderen Regime der Kündigungsfristen und -termine unterliegen, als solche Betriebe, die keiner vergleichbaren ‚Branche‘ angehören.

2.3. Der OGH verkennt nicht, dass nach der Rsp des VfGH Regelungen, die als Resultat von Verhandlungen zwischen Interessenvertretungen, die einander widerstreitende Interessen zu vertreten haben, zustande kommen, Ausdruck eines erzielten Interessenausgleichs sind und damit die Vermutung der Sachlichkeit für sich haben (VfGHB 334/06 mwH).

Der Gleichheitsgrundsatz setzt dem Gesetzgeber jedoch wie ausgeführt insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (VfGHG 207/2018 mwH). Zudem lässt sich nicht (bzw wenn überhaupt nur nach Erhebung des entsprechenden Datenmaterials und jeweils nur bezogen auf einen bestimmten Zeitraum) bestimmen, ob die Voraussetzungen für die Ausnahmeregelung des § 1159 Abs 2 Satz 3 ABGB (und ebenso § 1159 Abs 4 Satz 3) erfüllt sind, sodass auch dieser Umstand ihre Sachlichkeit gem Art 7 B-VG in Frage stellt.

[...]

IV. Erwägungen

[...]

2. In der Sache

[...]

2.1. Zu den Bedenken im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot gem Art 18 Abs 1 B-VG:

[...]

2.1.2. Das in Art 18 Abs 1 B-VG verankerte Bestimmtheitsgebot gebietet im Allgemeinen, dass Gesetze einen Inhalt haben, durch den das Verhalten der Behörde oder des Gerichtes vorherbestimmt ist. Es kann allerdings im Hinblick auf den jeweiligen Regelungsgegenstand erforderlich sein, dass der Gesetzgeber bei der Beschreibung und Formulierung der gesetzlichen Kriterien unbestimmte Gesetzesbegriffe verwendet und durch die damit zwangsläufig verbundenen Unschärfen von einer exakten Determinierung des Behördenhandelns Abstand nimmt (vgl VfSlg 20.279/2018, 13.785/1994 mwN).

Ob eine Regelung dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot entspricht, richtet sich nicht nur nach ihrem Wortlaut, sondern auch nach ihrer Entstehungsgeschichte, dem Gegenstand und dem Zweck der Regelung (vgl zB VfSlg 8209/1977, 9883/1983 und 12.947/1991). Bei der Ermittlung des Inhaltes einer gesetzlichen Regelung sind daher alle der Auslegung zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auszuschöpfen. Erst wenn nach Heranziehung sämtlicher Interpretationsmethoden noch nicht beurteilt werden kann, wozu das Gesetz ermächtigt, verletzt die Regelung die in Art 18 B-VG enthaltenen rechtsstaatlichen Erfordernisse (vgl zB VfSlg 5993/1969, 7163/1973, 7521/1975, 8209/1977, 8395/1978, 11.499/1987, 14.466/1996, 14.631/1996, 15.493/1999, 16.137/2001 und 16.635/2002).

2.1.3. Vor dem Hintergrund dieser Rsp teilt der VfGH die seitens des OGH (zu G 29/2024) und des OLG Linz (zu G 34/2024) vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen, insb gegen § 1159 Abs 2 Satz 3 und Abs 4 Satz 3 ABGB nicht:

2.1.3.1. Der VfGH weist eingangs darauf hin, dass keine verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit von Kollektivverträgen bestehen. Den rechtsstaatlichen Erfordernissen ist durch die Kontrolle der Gesetzmäßigkeit einer kollektivvertraglichen Ermächtigung Genüge getan (vgl dazu grundlegend VfSlg 13.880/1994). Es bestehen auch grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass der Gesetzgeber den 441 Kollektivvertragsparteien die Möglichkeit eröffnet, durch KollV vom Gesetz abweichende Regelungen zu erlassen (vgl VfSlg 18.897/2009).

2.1.3.2. Nach Auffassung des VfGH hat der Gesetzgeber mit der Bestimmung in § 1159 Abs 2 Satz 3 und Abs 4 Satz 3 ABGB in einer dem Bestimmtheitsgebot des Art 18 B-VG entsprechenden Weise festgelegt, unter welchen Voraussetzungen die Kollektivvertragsparteien von § 1159 Abs 2 Satz 1 und 2 sowie Abs 4 Satz 1 und Satz 2 ABGB abweichende Kündigungsregelungen festlegen dürfen. Dies kann für „Branchen“ erfolgen, „in denen Saisonbetriebe im Sinne des § 53 Abs 6 des Arbeitsverfassungsgesetzes, BGBl. Nr 22/1974 überwiegen“.

2.1.3.3. Der OGH setzte sich bereits – wie er selbst in seinem Gesetzesaufhebungsantrag an den VfGH ausführt – in zwei Entscheidungen mit der Auslegung des § 1159 ABGB in der Fassung BGBl I 153/2017BGBl I 153/2017 auseinander. Dazu führt der OGH in seinem zu G 29/2024 gestellten Antrag Folgendes aus:

„1.5 Mit der Auslegung des § 1159 ABGB idF BGBI I 2017/153 im Verhältnis zu Pkt 21 lit a KV hatte sich der OGH in den Entscheidungen 9 ObA 116/21f und 9 ObA 137/21v, die jeweils in Verfahren gemäß § 54 Abs 2 ASGG ergingen, auseinanderzusetzen. Ausgeführt wurde, dass die ursprünglich angestrebte Harmonisierung der Kündigungsfristen und -termine von Arbeitern und Angestellten nach dem gesetzlichen Modell nicht durchgehend verwirklicht ist, sondern mit § 1159 Abs 2 Satz 3 und Abs 4 Satz 3 ABGB im Sinn einer Ermächtigung der Kollektivvertragspartner kollektivvertragliche Abweichungen vom gesetzlichen Regelmodell ermöglicht wurden, sodass für Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinn des § 53 Abs 6 ArbVG überwiegen, auch kürzere Kündigungsfristen bestehen können. Durch diese soll eine relativ kurzfristige Anpassung des Personalstands ermöglicht werden, wenn und weil (insbesondere witterungsbedingt) branchenspezifisch keine exakt voraussehbare Personalplanung erfolgen kann und auch Befristungsvereinbarungen nicht in jedem Fall ausreichen. Weiters wurde ausgeführt, dass eine bereits vor Inkrafttreten des § 1159 ABGB idF BGBI I 2017/153 geschaffene kollektivvertragliche Regelung – wie Pkt 21 lit a KV – auch nach Inkrafttreten dieses Gesetzes weiter Bestand hat, sofern und soweit mit ihr die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt werden. Die gesetzliche Regelungsermächtigung gilt aber nur unter der Voraussetzung, dass der Kollektivvertrag die Regelung für eine ‚Branche‘ festgelegt hat, in der ‚Saisonbetriebe‘ (§ 53 Abs 6 ArbVG iVm § 1159 Abs 2 und Abs 4 jeweils Satz 3 ABGB) überwiegen. Ist dies der Fall, werden auch Betriebe der Branche, die keine Saisonbetriebe sind, von der Regelungsbefugnis der Kollektivvertragspartner umfasst. Wie weiters ausgeführt wurde, können die Kollektivvertragsparteien das Überwiegen von Saisonbetrieben zwar deklarativ festhalten, jedoch nicht normativ festlegen, weil dieser Umstand tatbestandliche Voraussetzung für ihre Regelungsbefugnis ist. Letztlich gelangte der OGH zu dem Ergebnis, dass der für die Geltung der gesetzlichen Regelungsermächtigung erforderliche Nachweis des (quantitativen) ‚Überwiegens‘ der Saisonbetriebe den jeweiligen Antragstellern dieser beiden Verfahren – trotz Vorlage umfangreichen Datenmaterials – nicht gelungen sei. Ein individueller Anspruch eines Arbeitnehmers, wie er im vorliegenden Verfahren geltend gemacht wird, war nicht zu beurteilen.“

2.1.3.4. Von dieser Rsp des OGH ausgehend erachten der OGH und – mit diesem übereinstimmend – das OLG Linz die Voraussetzungen, unter denen die Übertragung der Regelungsbefugnis gem § 1159 Abs 2 Satz 3 und Abs 4 Satz 3 ABGB wirksam wird, als nicht ausreichend bestimmt iSd Art 18 B-VG. Selbst bei Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Auslegungsmöglichkeiten und Heranziehung aller Interpretationsmethoden könne der Anordnungsgehalt der angefochtenen Bestimmungen nicht beurteilt werden, weil es sich bei der gesetzlichen Voraussetzung („Überwiegen von Saisonbetrieben“) um eine tatbestandliche Voraussetzung für die Regelungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien handle. Auch der Verweis in § 1159 Abs 2 Satz 3 (und Abs 4 Satz 3) ABGB auf die Legaldefinition „Saisonbetriebe“ in § 53 Abs 6 ArbVG schaffe keine Klarheit, weil die dort verwendeten Begriffe in gleicher Weise an weitere (unbestimmte) tatbestandliche Voraussetzungen knüpften. Zum Nachweis der Geltung der kollektivvertraglichen Abweichung vom gesetzlichen Regelungsmodell bedürfe es somit – so der OGH und das OLG Linz in ihren Anträgen weiter – vorerst der Erhebung und Auswertung des entsprechenden Datenmaterials. Dabei werde eine lediglich punktuelle Betrachtungsweise (etwa bezogen auf den Zeitpunkt des Abschlusses des KollV) nicht genügen, weil das „Überwiegen von Saisonbetrieben“ eine längere zeitliche Dimension erfordere. Diese Voraussetzungen könnten sich zudem jederzeit – und für die Rechtsunterworfenen in nicht vorhersehbarer Weise – ändern, wie etwa durch die Schließung oder Neueröffnung von „Saisonbetrieben“ einer „Branche“. Hänge aber die Übertragung der Regelungsbefugnis an die Kollektivvertragsparteien vom Vorliegen bestimmter Sachverhaltselemente ab, deren Vorliegen sich ständig ändern könne und deren Voraussetzungen – wie sich aus den Ergebnissen der Verfahren OGH9 ObA 116/21f und 9 ObA 137/21v ergebe – auch anhand des von den zuständigen Fachverbänden vorgelegten umfangreichen Datenmaterials nicht erweislich gewesen seien, werde den Parteien des Arbeitsvertrages die Möglichkeit genommen, die Rechtmäßigkeit des Ausspruches einer AG-Kündigung (im Anwendungsbereich des § 1159 Abs 4 ABGB: einer AN-Kündigung) in Bezug auf die einzuhaltende Kündigungsfrist und den Kündigungstermin zu überprüfen und ausgehend davon allfällige Ansprüche gerichtlich durchzusetzen.

Die Folge der fehlenden Determiniertheit der angefochtenen Bestimmungen ist nach Auffassung des OGH und des OLG Linz, dass allfällige im Zusammenhang mit der Beendigung eines Arbeitsvertrages entstehende gesetzliche Ansprüche (wie etwa jener auf Kündigungsentschädigung) im Widerspruch zu dem sich aus Art 18 B-VG ergebenden 442 Rechtsstaatsgebot als nicht durchsetzbar anzusehen seien.

2.1.3.5. Die Bundesregierung entgegnet, dass § 1159 Abs 2 Satz 3 und Abs 4 Satz 3 ABGB einen angemessenen Grad der Bestimmtheit iSd Art 18 B-VG aufweise. Dass die angefochtenen Bestimmungen einer Auslegung zugänglich seien, zeige der Beschluss des OGH vom 24.3.2022, 9 ObA 116/21f. In diesem habe sich der OGH mit der in § 1159 Abs 2 Satz 3 ABGB enthaltenen Wortfolge „für Branchen, in denen Saisonbetriebe im Sinne des § 53 Abs. 6 des Arbeitsverfassungsgesetzes BGBl. Nr 22/1974, überwiegen“ auseinandergesetzt und sie detailliert und gemessen am Wortlaut, dem systematischen Zusammenhang sowie mit Blick auf die Genese und teleologische Gesichtspunkte ausgelegt. Die antragstellenden Gerichte machten nach Ansicht der Bundesregierung nicht die fehlende Bestimmtheit der angefochtenen Bestimmungen geltend, sondern kritisierten faktische Umstände, dass nämlich die Normadressaten in der Praxis Schwierigkeiten hätten, das Vorliegen der Voraussetzungen für die Regelungsbefugnis nachzuweisen. Darüber hinaus könne von den Kollektivvertragsparteien ein entsprechendes Sachwissen bezüglich der Feststellung der in ihrer Branche wirtschaftenden Unternehmen und allfälliger saisonaler Schwankungen der AN-Zahlen erwartet werden. Es sei davon auszugehen, dass die Kollektivvertragsparteien über das entsprechende Datenmaterial verfügten. Die antragstellenden Gerichte schienen zudem davon auszugehen, dass sich die Voraussetzungen für das Bestehen der Regelungsermächtigung häufig und sprunghaft änderten. Ein kurzfristiges Absinken der Anzahl von „Saisonbetrieben“ führe jedoch noch nicht dazu, dass die Regelungsbefugnis nach § 1159 Abs 2 Satz 3 und Abs 4 Satz 3 ABGB nicht greife.

2.1.3.6. Wie der OGH in seinem Antrag an den VfGH selbst darlegt, hatte er bereits in zwei Entscheidungen die hier angefochtenen Bestimmungen anzuwenden und dabei insb die Regelungen im Abs 2 Satz 3 und Abs 4 Satz 3 ABGB auszulegen (vgl insb OGH 24.3.2022, 9 ObA 116/21f).

Zunächst ist festzuhalten, dass die in diesen Bestimmungen verwendeten Begriffe allgemein verständlich und – unter Heranziehung der Interpretationsmethoden – einer Auslegung zugänglich sind.

Soweit der OGH und das OLG Linz meinen, dass bei der Ermittlung der Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 1159 Abs 2 Satz 3 und Abs 4 Satz 3 ABGB eine lediglich punktuelle Betrachtungsweise (etwa bezogen auf den Zeitpunkt des Abschlusses des KollV) nicht genüge, weil das „Überwiegen von Saisonbetrieben“ eine längere zeitliche Dimension erfordere und sich diese Voraussetzungen jederzeit – und für die Rechtsunterworfenen in nicht vorhersehbarer Weise – ändern könnten, erweist dies nicht die mangelnde Bestimmtheit der angefochtenen Bestimmungen. Dass sich faktische Umstände rechtserheblicher Akte ändern können und es damit im Zeitverlauf zu einer Rechtswidrigkeit oder einer Rechtmäßigkeit derselben kommen kann, widerspricht für sich genommen nicht verfassungsrechtlichen Vorgaben, insb auch nicht dem Art 18 B-VG. Es ist Aufgabe der ordentlichen Gerichte, anhand des § 1159 ABGB die Kriterien zu entwickeln, unter welchen (zeitlichen) Voraussetzungen § 1159 Abs 2 Satz 3 und § 1159 Abs 4 Satz 3 ABGB anwendbar sind. Auch in dieser Hinsicht hat der OGH in seiner E vom 24.3.2022, 9 Ob 116/21f, bereits wesentliche Ausführungen gemacht, nämlich dass es nicht auf ein punktuelles Überwiegen von Saisonbetrieben ankommen kann, „weil das Überwiegen von Saisonbetrieben auch eine gewisse längere zeitliche Dimension erfasst, um branchenkennzeichnend zu sein“.

2.1.3.7. Der VfGH stimmt den Ausführungen des OGH und des OLG Linz in ihren Anträgen zu, dass es zum Nachweis der Geltung der kollektivvertraglichen Abweichung vom gesetzlichen Regelungsmodell der Erhebung und Auswertung des entsprechenden Datenmaterials bedarf. Dass in dieser Hinsicht faktische Schwierigkeiten bestehen mögen, die Erfüllung der Voraussetzungen der Anwendbarkeit des § 1159 Abs 2 Satz 3 und Abs 4 Satz 3 ABGB nachzuweisen, begründet freilich – entgegen der Auffassung der antragstellenden Gerichte – nicht die mangelnde Bestimmtheit der angefochtenen Regelungen.

Der VfGH kann daher nicht erkennen, dass die angefochtenen Bestimmungen, insb § 1159 Abs 2 Satz 3 und Abs 4 Satz 3 ABGB, gegen das Bestimmtheitsgebot gem Art 18 B-VG verstoßen.

2.2. Zu den Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz gem Art 2 StGG und Art 7 B-VG:

2.2.1. Der OGH (zu G 29/2024) und – mit diesem übereinstimmend – das OLG Linz (zu G 34/2024) bringen vor, dass die gesetzliche Regelungsermächtigung für die gesamte Branche gelte, wenn in der Branche „Saisonbetriebe“ überwögen. Es seien damit auch jene Betriebe der Branche von den kollektivvertraglichen Regelungen umfasst, die keine „Saisonbetriebe“ seien. Für diese generalisierende Betrachtung sei keine Rechtfertigung zu erkennen. Einerseits fehle es Betrieben, die keine „Saisonbetriebe“ seien, an einer typischen saisonal unterschiedlichen Auslastung, die eine raschere Auflösung von Arbeitsverhältnissen als im Interesse beider Arbeitsvertragsparteien gelegen erscheinen ließe. Andererseits sei nicht zu erkennen, aus welchen Gründen Betriebe, die keine „Saisonbetriebe“ seien, nur deshalb, weil sie einer bestimmten „Branche“ zugehörten, einem anderen Regime der Kündigungsfristen und -termine unterlägen als Betriebe, die keiner vergleichbaren „Branche“ angehörten.

2.2.2. Die Bundesregierung entgegnet diesen Bedenken der antragstellenden Gerichte zusammengefasst, dass es dem kollektiven Arbeitsrecht immanent sei, innerhalb einer Branche die Arbeitsbedingungen zu vereinheitlichen und dadurch gleiche Bedingungen zu schaffen. Vor diesem Hintergrund sei das Anknüpfen an Mehrheitsverhältnisse im kollektiven Arbeitsrecht keine Seltenheit. So setze etwa § 18 Abs 3 Z 2 ArbVG hinsichtlich der Erklärung eines KollV zur Satzung voraus, dass der zu satzende KollV oder der Teil eines solchen „überwiegende Bedeutung“ erlangt habe. Bei der Prüfung der überwiegenden Bedeutung eines KollV 443 werde die Zahl der von ihm erfassten AG und AN in Beziehung gesetzt zu der Zahl jener AG und AN, die durch die Satzung erfasst sein sollten.

2.2.3. Der VfGH teilt die im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz gem Art 7 B-VG und Art 2 StGG geäußerten Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen nicht:

2.2.3.1. Dem Gesetzgeber sind durch den Gleichheitsgrundsatz insofern inhaltliche Schranken gesetzt, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl zB VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001) sowie sachlich nicht begründbare Differenzierungen vorzunehmen (vgl VfSlg 8169/1977, 15.590/1999, 18.269/2007). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (s etwa VfSlg 16.176/2001, 16.504/2002).

Der Gesetzgeber kann nach der stRsp des VfGH von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und auf den Regelfall abstellen (vgl zB VfSlg 14.841/1997, 16.124/2001, 16.771/2002 und 20.298/2018). Ebensowenig ist es dem Gesetzgeber verwehrt, einfache und leicht handhabbare Regelungen zu treffen (vgl VfSlg 11.775/1988 mwN).

2.2.3.2. Zunächst ist festzuhalten, dass dem Gesetzgeber bei der Regelung des Kündigungs- und Entlassungsschutzes von Verfassungs wegen ein rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zusteht. Es steht dem Gesetzgeber grundsätzlich frei, je nach Schutzgesichtspunkten unterschiedliche Regelungen im Zusammenhang mit der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses vorzusehen (vgl VfSlg 20.087/2016).

2.2.3.3. Der Gesetzgeber stellt in § 1159 Abs 2 Satz 3 und Abs 4 Satz 3 ABGB auf eine Durchschnittsbetrachtung („Überwiegen“ von Saisonbetrieben) ab, indem er nicht den einzelnen Betrieb, sondern eine Branche in ihrer Gesamtheit heranzieht, der überwiegend Saisonbetriebe zugehören. Mit diesen Regelungen geht – wie der OGH und das OLG Linz zutreffend meinen – einerseits einher, dass die abweichenden Kündigungsregelungen auch für Betriebe gelten können, die keine Saisonbetriebe sind, aber zu einer Branche gehören, in der Saisonbetriebe überwiegen. Andererseits fallen Saisonbetriebe, die nicht zu einer Branche mit überwiegenden Saisonbetrieben gehören, nicht unter die (Ermächtigungs-)Regelungen gem § 1159 Abs 2 Satz 3 und Abs 4 Satz 3 ABGB.

Nach Auffassung des VfGH begegnen diese gesetzlichen (Ermächtigungs-)Regelungen aber – entgegen den Darlegungen des OGH und des OLG Linz – keinen gleichheitsrechtlichen Bedenken. Es ist – wie die Bundesregierung in ihrer Äußerung zutreffend darlegt – dem kollektiven Arbeitsrecht immanent (und vielfach gerade die Zielsetzung von Kollektivverträgen), innerhalb einer Branche die Arbeitsbedingungen zu vereinheitlichen und dadurch gleiche Bedingungen für alle Betriebe dieser Branche zu schaffen, mögen diese auch in Bezug auf ihre Struktur und sonstigen Gesichtspunkte unterschiedlich sein. Diese Zielsetzung wird im kollektiven Arbeitsrecht durch die Beschränkung der gesetzlichen Regelungsermächtigungen auf den fachlichen Geltungsbereich eines KollV verwirklicht.

Der Gesetzgeber knüpft gem § 1159 Abs 2 Satz 3 und Abs 4 Satz 3 ABGB in einer gleichheitsrechtlich nicht zu beanstandenden Weise an „Mehrheitsverhältnisse“ für die Anwendbarkeit der gesetzlichen Regelungsermächtigungen („Überwiegen“ von Saisonbetrieben innerhalb einer Branche), weil durch das gesetzlich grundgelegte und durch KollV zu konkretisierende Regelungskonstrukt auf Grund der Beschränkung der gesetzlichen Regelungsermächtigungen auf den fachlichen Geltungsbereich eines KollV einheitliche Kündigungsregelungen für im Wesentlichen gleichartige Arbeitsverhältnisse geschaffen werden. Das Anknüpfen an „Mehrheitsverhältnisse“ im kollektiven Arbeitsrecht bringt mit sich, dass sämtliche vom Geltungsbereich eines KollV erfasste Betriebe die Vorteile oder Nachteile einer auf eine Durchschnittsbetrachtung abstellenden Regelung des kollektiven Arbeitsrechts für bzw gegen sich gelten lassen können bzw müssen. Da nach Auffassung des VfGH die Zielsetzungen des Gesetzgebers im kollektiven Arbeitsrecht, nämlich für die zu einer Branche gehörenden Betriebe (dh innerhalb des Geltungsbereiches eines KollV), einheitliche Mindestbedingungen zu erreichen, grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen, sind auch die damit regelmäßig verbundenen unterschiedlichen Betroffenheiten für die Betriebe dieser Branche gleichheitsrechtlich nicht zu beanstanden.

Der VfGH kann dementsprechend angesichts der allgemeinen Zielsetzungen des kollektiven Arbeitsrechts nicht finden, dass § 1159 Abs 2 Satz 3 und Abs 4 Satz 3 ABGB dem Gleichheitsgrundsatz widerspräche. Ziel dieser (Ausnahme- bzw Zulassungs-)Bestimmungen ist, den besonderen wirtschaftlichen Gegebenheiten, die überwiegend branchenkennzeichnend sind, in den bezeichneten Branchen durch die Ermöglichung abweichender Kündigungsregelungen Rechnung zu tragen.

2.2.4. Aus den genannten Gründen verstoßen die angefochtenen Bestimmungen nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz gem Art 2 StGG und Art 7 B-VG. [...]

ANMERKUNG

1.
Anträge der Gerichte

Das hier nur auszugsweise wiedergegebene Erk hatte nicht nur einen Antrag des OGH zum Gegenstand. Zum gleichen Thema und mit den gleichen Argumenten war auch über Anträge des OLG Linz und Graz sowie des LG St Pölten zu entscheiden. Allen Anlassfällen lagen Klagen von AN auf Kündigungsentschädigung zu Grunde. Stets ging es dabei um Pkt 21 lit a KollV für Arbeiterinnen/Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe. Dort ist seit je für AG und AN eine Kündigungsfrist von 14 Tagen festgelegt. Die Novellierung des § 1159 ABGB bzw das spätere Inkrafttreten dieser Novelle (BGBl 2017/153BGBl 2017/153) hat daran nichts geändert. Es kam vor den Gerichten 444 also zunächst darauf an, ob die an § 20 AngG angeglichenen Fristen des § 1159 ABGB anzuwenden sind oder ob die Ausnahmeregelung für Saisonbranchen greifen soll. Diese wurde bekanntlich in letzter Minute des Gesetzgebungsprozesses (BGBl 2017/153BGBl 2017/153) eingefügt und die Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten wieder reduziert. Die diversen Auslegungsfragen, die diese Ausnahmeregelung aufwirft, wurden in der Literatur ausgiebig diskutiert. Der 9. Senat des OGH hatte sich außerdem in zwei Feststellungsverfahren gem § 54 Abs 2 ASGG ausführlich damit zu befassen (OGH 24.3.2022, 9 ObA 116/21f; OGH 30.6.2022, 9 ObA 137/21v). Dabei spielte das Erfordernis des „Überwiegens von Saisonbetrieben“ in der Branche des Hotel- und Gastgewerbes eine wesentliche Rolle. Der OGH konnte auf Basis der von den Parteien des Feststellungsverfahrens vorgelegten Daten nicht feststellen, dass im Hotel- und Gastgewerbe Saisonbetriebe überwiegen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die ersten einzelvertraglichen Streitigkeiten vor die Arbeitsgerichte kamen, in denen über die Höhe von Kündigungsentschädigungen und damit über das Überwiegen von Saisonbetrieben zu entscheiden war.

2.
Legalitätsprinzip

Der OGH hat seinen Antrag auf Gesetzesprüfung des § 1159 ABGB auf zwei verfassungsrechtliche Bedenken gestützt. Zum einen seien die Ausnahmebestimmungen in § 1159 Abs 2 und Abs 4 für die Saisonbranchen nicht ausreichend bestimmt. Die Wirksamkeit der Übertragung der Regelungsbefugnis an die Parteien von Kollektivverträgen hänge vom Vorliegen bestimmter Sachverhaltselemente ab, deren Vorliegen sich ständig ändern kann. Außerdem waren diese Voraussetzungen – nämlich das Überwiegen von Saisonbetrieben in einer Branche – den Feststellungsverfahren auch anhand des von den Fachverbänden vorgelegten Datenmaterials nicht erweislich. Damit werde den Parteien von Arbeitsverträgen die Möglichkeit genommen, die Rechtmäßigkeit einer Kündigung in Bezug auf Frist und Termin zu überprüfen und ausgehend davon, allfällige Ansprüche gerichtlich durchzusetzen.

Der VfGH hat diese Argumente auf sehr kurzem Wege abgetan: Dass sich faktische Umstände rechtserheblicher Akte ändern können und es im Zeitverlauf zu einer Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit derselben kommen kann, widerspricht für sich genommen keinen verfassungsrechtlichen Vorgaben. Der OGH habe ohnehin schon Kriterien entwickelt, unter welchen zeitlichen Voraussetzungen ein Überwiegen von Saisonbetrieben vorliegt. Der VfGH verweist diesbezüglich auf die erwähnten Feststellungsverfahren gem § 54 Abs 2 ABGB. Das ist freilich nur ein Nebenaspekt. Die zentrale Frage ist dagegen, dass ein Überwiegen von Saisonbetrieben – wenn überhaupt – nur mit außerordentlicher Mühe feststellbar ist. Dazu heißt es vom VfGH nur, diese faktischen Schwierigkeiten begründen nicht die mangelnde Bestimmtheit der Norm. Der Gerichtshof folgt damit einem „Argument“, das die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme vorgebracht hat. Überzeugend ist diese Trennung von Rechtsnorm und faktischen Umständen im gegenständlichen Fall nicht. Das Überwiegen von Saisonbetrieben kann man ebenso gut als Bestandteil der Norm auffassen.

3.
Gleichheitsgrundsatz

Nach Ansicht des OGH bestanden aus Sicht des Gleichheitsgrundsatzes iSd Art 7 B-VG Bedenken aus zwei Gründen. Erstens schien es unsachlich, dass die Ausnahmeregelung für Saisonbranchen dazu führt, dass nicht nur Saisonbetriebe, sondern auch Betriebe, die keine Saisonbetriebe sind, von kürzeren kollektivvertraglichen Kündigungsfristen und -terminen profitieren. Für eine derart generalisierende Betrachtung des Gesetzgebers gäbe es keine sachliche Rechtfertigung.

Auch das hat der VfGH – so wie die Stellungnahme der Bundesregierung – anders gesehen. Die Begründung dazu ist ausführlicher und einleuchtender als die zum Bestimmtheitsgebot: Es ist nach Ansicht des VfGH dem kollektiven Arbeitsrecht immanent, innerhalb einer Branche einheitliche Mindestbedingungen zu erreichen, mögen die Betriebe auch in Struktur und nach sonstigen Gesichtspunkten unterschiedlich sein. Da diese Zielsetzung im kollektiven Arbeitsrecht keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, ist auch das Anknüpfen an Mehrheitsverhältnisse innerhalb einer Branche gleichheitsrechtlich unbedenklich. Ob diese generalisierende Betrachtungsweise in jedem Fall angebracht ist, kann man freilich bezweifeln. Jedenfalls zeigt sich an der Begründung des VfGH, dass für die Rechtssetzung durch Kollektivverträge keine strengen Maßstäbe anzulegen sind. Anders hätte das Ergebnis nach dieser Begründung ausfallen müssen, wenn der Gesetzgeber die Ausnahmeregelung ohne Vorbehalt für Kollektivverträge getroffen hätte – dh, eine Abweichung von den gesetzlichen Kündigungsfristen für Branchen, in denen Saisonbetriebe überwiegen, durch Einzelvertrag oder BV zugelassen hätte.

Der OGH hat seine Argumente zur Unbestimmtheit der Norm auch noch im Hinblick auf den Gleichheitssatz geltend gemacht. Darauf ist der VfGH nicht näher eingegangen. Faktische Umstände können offenbar auch keine Unsachlichkeit einer Norm bewirken. Der Gerichtshof hat sich mit dem Erk jedenfalls sehr wohlwollend gegenüber dem § 1159 ABGB gezeigt. Vielleicht entspricht das einer grundsätzlichen Zurückhaltung bei der Prüfung von Normen des Zivilrechts und besonders des kollektiven Arbeitsrechts.

4.
Folgewirkungen

Der OGH und die Unterinstanzen werden in den fortgesetzten Verfahren der Anlassfälle den unveränderten § 1159 ABGB anzuwenden haben. Die entscheidende Bedeutung wird dabei der Beweislastverteilung in Bezug auf das Überwiegen von Saisonbetrieben im Hotel- und Gastgewerbe zukommen. Das ist dann auch für andere Kollektivverträge, 445 die entsprechende Ausnahmen enthalten, von Gewicht. In der Literatur gibt es zu dieser Weichenstellung unterschiedliche Meinungen. In der Judikatur hat – soweit zu sehen – erstmals das OLG Innsbruck ebenfalls zum KollV für das Hotel- und Gastgewerbe ausführlich Stellung genommen und die Beweislast dem bekl AG auferlegt (OLG Innsbruck 27.7.2023, 13 Ra 15/23p). Man darf mit Spannung darauf warten, wie sich der OGH zu diesen Argumenten des OLG Innsbruck verhalten wird.

Der in der Literatur für die Beweislastverteilung ins Treffen geführte Hinweis auf die Richtigkeitsgewähr eines KollV sollte dabei nicht entscheidend sein. Die von der Judikatur angenommene Vermutung der Angemessenheit und Sachlichkeit bezieht sich nur auf den Inhalt von Kollektivverträgen. Bei der Ausnahmeregelung im § 1159 ABGB geht es dagegen um die gesetzliche Ermächtigung zur Regelung durch Kollektivverträge. Im Falle des KollV für das Hotel- und Gastgewerbe kommt noch hinzu, dass dieser KollV eine Regelung über das Überwiegen oder Nichtüberwiegen von Saisonbetrieben gar nicht enthält. Wie auch immer die Gerichte die Beweislast verteilen mögen: Die Ausnahmeregelung in § 1159 ABGB ist zwar nicht verfassungswidrig, sie bleibt aber unbefriedigend.